Zweiter Bericht Franziska Kaiser 17. Februar 2013 2) Zwischenbericht Franziska Kaiser Freiwilliger Ökumenischer Friedensdienst: „Casa valdese delle Diaconesse“ Torre Pellice Seite 1 Zweiter Bericht Franziska Kaiser 17. Februar 2013 Liebe Unterstützerinnen und Unterstützer, liebe Freundinnen und Freunde, nun genieße ich schon seit einem halben Jahr das „Dolce Vita“ in Torre und es wird Zeit euch mal auf den neuesten Stand zu bringen. Gerade die Zeit vor und nach Weihnachten ist so unglaublich schnell vergangen und plötzlich ist schon die Hälfte meines Dienstes vorbei. In meiner Arbeit hat sich kaum etwas verändert, ich verteile immer noch Getränke, mache Botendienste für das Büro, räume auf und beschäftige mich mit den Bewohnern. Da nun langsam der Frühling kommt und es endlich wärmer wird machen wir jetzt auch wieder unsere Wochenausflüge in benachbarte Städte, was den „Nonni“ die Möglichkeit bietet, ab und zu auch mal etwas anderes zu sehen. Der Winter war für manche schon ziemlich schwierig. Obwohl wir nie mehr als zwei oder drei Tage Schnee hatten war es zu kalt um nach draußen zu gehen und viele waren krank. Andererseits war es gerade vor Weihnachten auch sehr schön und richtig interessant zu sehen, wie in Italien gefeiert wird. Wir hatten in der Casa einen schönen Weihnachtsbaum, allerdings –wie in Italien üblich– aus Plastik! Das war dann doch etwas seltsam, ähnlich seltsam, wie es für meine Kolleginnen war zu hören, dass man in Deutschland hunderttausende echte Bäume fällt, um sie nach den Festtagen auf den Kompost zu werfen. Nachdem ich über Weihnachten/Neujahr zwei Wochen Zuhause war, folgte Ende Januar bereits unser Zwischenseminar in der Toskana. Für eine Woche trafen wir Freiwillige der Waldenserkirche uns in der Casa Cares mit unseren deutschen und italienischen Verantwortlichen, um über unser Auslandsjahr zu sprechen. Es tat richtig gut, die ganzen Mitfreiwilligen vom Einführungsseminar endlich mal wieder zu sehen und zu hören, was sie so erlebt haben. Neben unserem Freiwilligendienst ging es auch um aktuelle Themen wie Politik, Migration und die Rolle der Mafia in Italien. Ein Tag lang besichtigten wir auch das wunderschöne Florenz. Die Stimmung war trotz viel Programm immer entspannt und lustig und so war das Seminar für mich eine gute Motivation für das nächste halbe Jahr. Da es, wie oben schon beschrieben, in meiner Arbeit kaum Veränderungen gab, möchte ich euch nun noch von ein paar kleinen Dingen erzählen, die mir im letzten halben Jahr im Vergleich zu Deutschland aufgefallen sind. In der Casa delle Diaconesse wohnen gerade einmal 30 Personen und dennoch gibt es eine eigene Küche mit vier Köchinnen, die zwei Mal täglich frisch kochen. Aus Deutschland kenne ich es, dass eine Großküche viele Heime und Mensen gleichzeitig beliefert und so für mehrere hundert oder sogar tausend Menschen kocht. Überhaupt gibt es in der Gegend mehrere kleine Heime, die bei uns Zuhause bestimmt schon lange wegrationalisiert worden wären. Ich bin sehr froh, dass die Pflegeheime hier in dieser Form erhalten werden, da es für Seite 2 Zweiter Bericht Franziska Kaiser 17. Februar 2013 die Bewohner ein großes Stück Lebensqualität bedeutet, alle Mitbewohner und das ganze Personal zu kennen. Ich vermute, dass dies hauptsächlich an der Trägerschaft der Waldenser, ihrem Selbstbild, aber natürlich auch den finanziellen Mitteln liegt und nicht unbedingt an Italien an sich. Außerdem ist mir in der Einrichtung aufgefallen, dass nahezu alle Bewohner ein Handy haben und diese regelmäßig benutzen. Egal ob beim Mittagessen, in der Gymnastikstunde oder einfach zwischendurch, täglich klingeln die Mobiltelefone der Nonni und das, obwohl alle zwischen 80 und 100 Jahren alt sind. Ich war ganz schön beeindruckt, dass alle unsere Bewohner trotz ihres hohen Alters noch gelernt haben, mit Handys umzugehen. Von der Waldenserkirche bin ich ziemlich beeindruckt. Die Kirche ist demokratisch organisiert, jedes Jahr findet die Synode statt, bei der zur Hälfte Priester, zur Hälfte „einfache“ Gemeindemitglieder über die Ausrichtung der Kirche beraten und das „Oberhaupt“ wählen. Am 17. Februar, dem Tag der Tag der Befreiung und somit dem wichtigsten Festtag der Waldenser, war ich im Gottesdienst, in dem mich der Pfarrer mit einer absolut politischen Predigt überraschte. Im Bezug auf die anstehenden Wahlen mahnter er, sich nicht von falschen Versprechungen wie Steuersenkungen (Hauptthema Berlusconis) beirren zu lassen, sondern sich für mehr internationale Solidarität auszusprechen. Des Weiteren plädierte er dafür, andere Religionen bei der Errichtung ihrer Gotteshäuser vor Ort ideel und finanziell zu unterstützen, was ich, besonders an jenem Festtag, eine starke Aussage fand. Torre ist ähnlich groß wie meine Heimatstadt Zell, sogar noch etwas kleiner. Trotzdem gibt es viel mehr kleine Geschäfte und man findet tatsächlich alles, was man zum Leben braucht, auch Dinge wie Kleidung, Schuhe oder Elektrogeräte. Die Einwohner kaufen hier viel mehr im Ort direkt ein und fahren nur wenn es nötig ist in die größeren Städte. Das liegt wohl auch daran, dass es weniger große Kaufhausketten wie Karstadt, Müller oder Kaufhof gibt. Außerdem gibt es nach meinem Empfinden extrem viele Bars und Cafes, die alle hier halten können. Es existiert eine ganz andere Kultur, sich dort mehrmals die Woche mit seinen Freunden zu treffen. Das ist schon die viel gelobte „italienische Lebensart“, das „Dolce Vita“. Was bei mir Zuhause der Mittwoch als Ruhetag ist, ist in Torre der Montag. Da haben bis auf den Supermarkt alle Geschäfte geschlossen, was ich seltsam finde, da ja bereits Sonntags alles geschlossen ist. Positiv überrascht hat mich, dass man in jedem noch so kleinen Örtchen einen Platz mit frei zugänglichem Internet findet. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es das in deutschen Großstädten gibt, gesehen habe ich es zumindest noch nie. Auch habe ich den Eindruck, dass die Menschen in Torre beim Thema Inklusion weiter sind als ich es von Zuhause gewöhnt bin. In jeder Straße gibt es Parkplätze für Menschen mit Behinderung und vor Weihnachten war ich an einer Aufführung im Theatersaal von Torre, die von Menschen mit und ohne Behinderung organisiert wurde, bei der gut 200 – 300 Zuschauer waren. In der Casa Diaconesse arbeitet ebenfalls einmal in der Woche eine junge Frau mit Down – Syndrom. Zur Politik in Italien kann ich leider auch nach einem halben Jahr nicht sehr viel sagen. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind fast alle der Meinung, dass es keinen Unterschied macht, wen sie wählen, es bleibe sowieso alles gleich. Obwohl es dem Norden noch Seite 3 Zweiter Bericht Franziska Kaiser 17. Februar 2013 verhältnismäßig gut geht höre ich oft von Jugendarbeitslosigkeit und auch in der Diaconesse selbst befürchtet man, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise bald zu Einschnitten führen könnte. Außerdem höre ich oft, dass die Mafia überall ihre Finger im Spiel haben soll und vieles deswegen nicht funktioniert. Geschockt war ich davon, was für ein schwaches Sozialsystem hier nur besteht. Wer arbeitslos erhält maximal sechs Monate staatliche Unterstützung und selbst dies nur, wenn er zuvor bereits zwei Jahre durchgehend gearbeitet hat. Wer danach nich keine neue Stelle gefunden hat muss auf die Unterstützung der Familie hoffen oder zur Armenspeisung der Caritas. Das ist dann doch ein ganz schöner Unterschied zu den „Hartz IV“ – Diskussionen, die in Deutschland ablaufen. Wenn es um Berlusconi geht ist es etwas bizarr, ich habe noch nie jemanden getroffen, der ihn offen unterstützt oder zugibt ihn zu wählen. Im Gegenteil, alle beschweren sich über ihn und seine Politik und trotzdem wird er nach all den Skandalen immer wieder gewählt. Allerdings kann man das Val Pellice wohl tendenziell als politisch linksorientiert bezeichnen, insbesondere die Menschen, die ich kenne, die potenziellen Berlusconi – Wähler wohnen hier eher nicht. Seite 4