Dürren, Überschwemmungen und Nahrungsmittel PAUL KRUGMAN, New York Times, 6. Februar, 2011, Übersetzung hu. Wir stecken mitten in einer globalen Ernährungskrise — der Zweiten innert dreier Jahre. Die Preise für die Nahrungsmittel bewegen sich seit Januar auf einem Rekordstand, hochgetrieben durch einen starken Preisanstieg auf den vier Grundnahrungsmitteln Weizen, Mais, Zucker und Speiseöl. Diese Preissteigerungen wirkten sich auf die Inflationsrate der USA, die sich auf einem historischen Tiefpunkt bewegt, allerdings bescheiden aus. Sie hatten und haben jedoch eine brutale Auswirkung in den ärmeren Ländern der Welt, denn deren Bevölkerung gibt das meiste ihres Einkommens für Grundnahrungsmittel aus. Die Folgen dieser Ernährungskrise gehen weit über die engeren Belange der Wirtschaftswissenschaft hinaus. So ist es zwar ist es nicht sehr verwunderlich, wenn sich im Mittleren Osten ein Volk gegen einen korrupten Herrscher erhebt. Bemerkenswert ist, dass es dies gerade jetzt tut. Und es gibt kaum Zweifel daran, dass die extreme Preisentwicklung ein wichtiger Auslöser für die allgemeine Wut darstellt. Was steckt denn hinter diesem Preissprung? Amerikanische Rechtsaussen-Politiker (und die Chinesen) beschuldigen die US-Notenbank wegen deren „Politik des billigen Geldes“. Einer der Kommentatoren spricht sogar von „Blut an den Händen von Bernanke“1 und geisselt damit das Vorgehen des Notenbankchefs. Nebenbei tadelte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Spekulanten. Er beschuldigte sie der „Erpressung und der Plünderung“. Die Wirklichkeit erzählt jedoch eine andere, viel ominösere Geschichte. Obwohl natürlich mehrere Faktoren die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise beeinflussen, gibt es ein Phänomen, das wirklich hervorsticht: Es sind die schweren Wetterereignisse, welche die landwirtschaftliche Produktion beeinflusst haben. Und diese Ereignisse sind genau so geartet, dass sie jenen Erscheinungen gleichen, vor denen wir gewarnt worden sind, dass sie eintreten würden, wenn die Konzentrationen von Treibhausgasen ansteige und sich unser Klima ändere. Das würde allerdings bedeutet, dass 1 Präsident der US-Notenbank seit 2006 der rasante Anstieg der Nahrungsmittelpreise nur ein Anfang sind. Paul Krugman ist Nobelpreisträger für Wirtschaft und seit 1996 ständiger Kolumnist bei der New York Times. Er war Berater von Präsident Obama, hat aber diesen Job wieder zugunsten eines Lehrstuhls an der Columbia Universität abgegeben, weil die Zugeständnisse an die Republikaner genau jene Grundsätze verletzten, die Krugman für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik als unverzichtbar hält, z. B. die führende Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik im Interesse des Volkes und Einschränkungen der Interessen der kleinen reichen Oberschicht. In gewissem Masse schwingen sich die Nahrungsmittelpreise als Teil eines allgemeinen Warenpreis-Booms in die Höhe. Die Preise vieler Rohstoffe nämlich, die das gesamte Spektrum von „A“ wie Aluminium bis „Z“ wie Zink umfassen, sind seit Anfang 2009 rasant gestiegen. Dies geschah hauptsächlich als Folge eines zu schnellen industriellen Wachstums und somit der grösseren Nachfrage in aufstrebenden Märkten. Aber die Verbindung zwischen industriellem Wachstum einerseits und der Nachfrage andererseits ist z. B. bei Kupfer viel klarer, als sie es bei Nahrungsmitteln ist. Ausser in sehr armen Ländern haben steigende Einkommen nämlich nicht viele Auswirkungen auf das, was die Menschen essen. Es ist jedoch so, dass Wachstum in Schwellenländern wie China zu steigendem Fleischkonsum führt. Deshalb steigt die Nachfrage nach Tierfutter. Es ist auch so, dass landwirtschaftliche Rohstoffe, besonders Baumwolle, in Konkurrenz stehen mit den Anbauflächen und anderen Ressourcen, die man für den Anbau für Nahrungsmittel benötigen würde. Ausserdem verbraucht die staatlich subventionierte Produktion von Äthylalkohol viel Mais. Also spielte sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die schlechte Energiepolitik eine Rolle in der Nahrungsmittelpreiswelle. Zuerst hinkten die Preise für Nahrungsmittel hinter den Preisen für andere Waren hinterher - bis letzten Sommer. Dann hat das Wetter gestreikt. Man bedenke, dass sich der Weizenpreis seit dem Sommer fast verdoppelt hat. Die unmittelbare Ursache für den Preisboom ist offensichtlich: Die Weltproduktion ist massiv eingebrochen. Dieser Einbruch machte sich gemäss dem Landwirtschaftsdepartement der USA vor allem in Anbaugebieten der ehemaligen Sowjetunion bemerkbar. Und wir wissen, was da los war: Eine Rekord-Hitzewelle, die Moskaus Temperaturen zum erstem Mal auf über 38° Celsius ansteigen liess und eine und gewaltige Dürre auslöste. Diese russische Hitzewelle war nur eines der vielen neuen extremen Wetterereignisse. Trockenheit gab es auch in Brasilien. Dem gegenüber stand eine Überschwemmung biblischen Ausmasses in Australien. All diese Phänomene beeinflussten die Weltnahrungsmittelproduktion deutlich. Es stellt sich die Frage, was hinter all diesen Wetterextremen steckt. In gewissem Masse erleben wir Auswirkungen eines natürlichen Phänomens, das „La Niña“ heisst. Dabei handelt es sich um ein periodisches Ereignis, in dem sich das Wasser im äquatorialen Pazifik abkühlt. Und „La Niña“Ereignisse gehen historisch mit globalen Nahrungsmittelkrisen einher, einschließlich der Krise im August 2007. Aber das ist nicht die ganze Geschichte. Lassen Sie sich auf keinen Fall durch die grossen Schneemengen beirren. Das Jahr 2010 war nämlich, zusammen mit dem bisherigen Rekordjahr 2005, das wärmste Jahr aller Zeiten, obwohl wir ein Minimum an Sonnenscheindauer zu verzeichnet hatten. Ausserdem ist „La Niña“ ein Faktor, der in der zweiten Hälfte des Jahres hätte für Abkühlung sorgen sollen. Temperaturrekorde wurden aber nicht nur in Russland erreicht, sondern in nicht weniger als 19 Ländern, welche insgesamt einen Fünftel der Landgebiete der Welt bedecken. Und sowohl Dürren als auch Überschwemmungen sind logische Folgen einer globalen Erwärmung: Dürren, weil es heisser ist, Überschwemmungen, weil sich die Ozeane erwärmen und diese deshalb mehr Wasserdampf frei setzen. Wie immer kann man ein ganz bestimmtes Wetterereignis nicht den Treibhausgasen zuschreiben. Aber das Muster, das wir sehen, mit seinen extrem hohen Temperaturen, den Stürmen und den extremen Niederschlägen, ist genau das, was wir vom Klimawandel zu erwarten haben. Die „üblichen Verdächtigen“2 werden sicher rasend werden, wenn man ihnen sagt, dass die globale Erwärmung etwas mit der ErnährungsDie Republikaner und einige konservativer Demokraten. 2 2 krise zu tun habe. Jene, die darauf bestehen, dass Ben Bernanke Blut an seinen Händen habe, neigen dazu, mehr oder weniger die gleichen Leute zu sein, die darauf bestehen, dass die übereinstimmende Auffassung der Wissenschafter zum Klimaeffekt nichts anderes sei als eine linke Verschwörung. Aber die Tatsachen zeigen, dass das, was wir im Moment erleben, ein erster Vorgeschmack dessen ist, was wir bei fortschreitender Klimaerwärmung regelmässig zu erwarten haben. Und sollten wir es versäumen, den Ausstoss an Treibhausgasen gesetzlich zu limitieren, wird es sehr viel schlimmer kommen.