Abendsegen Vom Suchen und Finden und … Benningen a. N. 21. Oktober 2012 Teil 1: Pastoralreferent Joachim Pierro Der eine findet eher zufällig. Der andere findet nach langer Suche. Und beide – überglücklich – geben alles in ihrer Freude für diesen einen Fund. Klingt irgendwie – Jugendliche würden vielleicht sagen: abgefahren oder schräg, weil das Ganze so gar nicht in unsere Welt passt – oder vielleicht doch? Kann es sein, dass wir womöglich nicht mehr mit etwas wirklich Großem in unserem Leben rechnen, mit einem Fund, der fast alles umwirft, für den wir, wenn nicht alles, so doch Vieles, stehen und liegen ließen? Ein Fund, der eine so große Freude in uns auslöst, wie wir sie vielleicht nur noch aus den Tagen unserer Kindheit und Jugend zu kennen meinen? Anders ausgedrückt: Sind wir Erwachsene nicht einfach der kindlichen Einfalt, der kindlichen Lust am Schatzsuchen entwachsen – geschult an der Realität, so dass es einen solchen gigantischen Fund für uns nun wirklich nicht mehr geben kann. Und noch weiter zugespitzt: Wollen wir überhaupt noch so einen Schatz finden – vom Suchen schon mal ganz zu schweigen? Die meisten von uns haben sich und ihr Leben in etwa eingerichtet. Es tut gut, wenn man nach Schule, Ausbildung oder Studium, nach aufregenden Jahren mit Kindern vielleicht, irgendwann auch mal weiß, wo man hingehört, wo Vieles in meinem Leben geordnet ist und man sich nicht permanent auf Neues einstellen muss, das einen dann schon wieder herausfordert, womöglich überfordert. Das Sich-Eingerichtet-Haben soll nicht schlecht geredet werden, das hat einen Wert in sich - nämlich zu wissen: Wo gehöre ich hin, wo ist das Meine. Das schenkt ein gewisses Maß an Sicherheit und Beheimatung. Allerdings lauert darin auch eine Gefahr, nämlich erst gewöhnt man sich, und dann wird es zur Gewohnheit, einhergehend mit einem Sinnesverlust, dem Verlust des Spürens… zu spüren, wie das Leben lebt – in seinen Überraschungen, in etwas Neuem, das einen herausruft aus allzu großen Zufriedenheiten und Gewohnheiten. Wenn Jesus Gleichnisse erzählt, z. B. gerade auch diese beiden vom Schatz und von der Perle, dann will er ein Geheimnis offenlegen; bzw. er will es nicht einfach offenlegen, sondern er will seine Zuhörer mit in dieses Geheimnis verwickeln. An uns gerichtet heißt das: lassen wir uns in dieses Geheimnis hinein nehmen? Nämlich: Können wir es glauben, ja können wir es fassen, dass das Leben für uns etwas bereit hält, noch immer – trotz aller Abgeklärtheit – etwas Neues für uns verborgen hat, das zu finden sich lohnt. Glauben wir, dass Gott uns – als Erwachsene – noch immer überraschen kann? Diese Frage soll alles andere als ein Vorwurf sein. Aber sie sich von Zeit zu Zeit stellen, könnte uns ja mit dem Hunger in uns wieder in Berührung bringen: mit dem Hunger und der Lust, etwas zu suchen und finden. Teil 2: Martin Kaschler „Die Schatzinsel“ war ein echter Straßenfeger. Der Stevenson-Roman war Ende der 60iger-Jahre verfilmt worden und lief dann irgendwann als Abenteuer-Vierteiler im Spätnachmittagsprogramm des ZDF. Noch heute spüre ich in der Erinnerung die knisternde Spannung, die uns Kinder erfasste, wenn die einprägsame und geheimnisvolle Titelmelodie des Films zu erklingen begann und wir mitfieberten mit dem Gastwirtssohn Jim Hawkins, der ganz zufällig in der Seemannskiste des im Gasthof seines Vaters mysteriös ums Leben gekommenen alten Seebären Bill Bones eine geheimnisvolle Schatzkarte gefunden hatte. Schließlich ging die Schatzsuche los, hinaus aufs hohe Meer, eine unbekannte Insel suchend und, ohne dass es Hawkins und seine ehrlichen Mitstreiter schon wussten, eine grauenhafte Mannschaft an Bord – den einbeinigen Schiffskoch John Silver etwa, der mit jeder weiteren Minute des Film als brutales, uns Kindern Schaudern über den Rücken jagendes Monster entlarvt wurde. „Schatzsuche“ – in Stevensons Roman entwickelt sich ein Großteil der Figuren bei der Jagd nach dem Schatz zu gierigen Wesen ohne Rücksicht und Rückgrat. Dass dieser Film und dieses Thema uns Kinder und nicht weniger die Erwachsenen ansprachen und ansprechen, faszinieren und unsere Fantasie wecken, zeigt, wie sehr unsere Seele dafür Antennen hat - Antennen der Sehnsucht: Einen Schatz finden! Plötzlich reich sein und ausgesorgt haben, gleich morgen den ungeliebten Job kündigen und dem Ekel von Chef eine lange Nase drehen, dann eine Jacht und einen Flitzer und ab in die Karibik, wo Sonne und Wärme, Meer und Leichtigkeit, ewige Schönheit und all die anderen heimlichen Fantasien Realität sein werden - vermeintlich. Einen Schatz finden, plötzlich, unerwartet: Damit vermochte Jesus die Menschen vor 2000 Jahren nicht weniger zu interessieren, zu fesseln und ihre Hoffnungs- und Glücks-Fantasien zu stimulieren. Dass die Menschen damals und genauso wir heute und nicht weniger die dazwischen so empfänglich waren und sind für das Thema des Schatzfindens, sagt mir: Das Leben pflegt Menschen vieles vorzuenthalten, bürdet Lasten auf, die wir gerne hinter uns lassen würden, verwehrt vieles, was wir uns doch so sehr wünschten und auf normalem Wege doch nie erreichen… das Leben, das ganz normale, so scheint es wohl den meisten, hätte ziemlich viel Luft nach oben. Aber nur ein Glücksfall und Glücktreffer könnte uns in diese Wunschwelt befördern – und darum haben wir so große Antennen für das Schatzfinden, das ganz große Los. Manche Menschen haben es schließlich schon, und das hält unsere Fantasie am Leben und nährt unsere Hoffnung, so klein die Chance auch sein mag. Ob die aber wirklich das gefunden haben, was die Fantasie vieler erwartet, müsste uns ins Grübeln bringen; denn der Anteil derer, die sich das Leben nehmen, scheint mir in dieser PromiSchnittchen-und-Häppchen-Gesellschaftsschicht deutlich höher zu sein als im Durchschnitt. Als Jesus damals das Sehnsuchtsbild des Schatzes aufnimmt, da merkten die ihm zuhörten sogleich, dass es ihm nicht darum ging, große und gierige Augen zu erzeugen und falsche Hoffnungen zu erwecken, um die so getäuschten Menschen dann zu irgendetwas für ihn Einträgliches bewegen zu können. Um etwas anderes geht es ihm, sagt er doch: „Das Reich Gottes gleicht einem Schatz“ – will sagen: Was ihr vom plötzlichen materiellen Reichtum erwartet, der sein lebenserfüllendes und bleibend lebensbeglückendes Versprechen aber gar nie einlösen kann, das wird da Realität, wo „Reich Gottes“ sich ereignet, sichtbar wird und Gestalt annimmt. Nein, Reich Gottes ist nicht das religiöse Wolkenkuckucksheim oder das Opium des Volkes, Reich Gottes, so vernehmen sie bei Jesus, ist hier auf Erden, findet statt unter uns Menschen. Aber wo und wie und wann? „Das Reich Gottes gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker“ sagt Jesus. Haben wir genau hingehört und das Entscheidende auch nicht verpasst: Wo Reich Gottes sich ereignet in eines Menschen Leben, da ist Freude: „in seiner Freude ging er hin“!, da ist nicht sauertöpfisch anmutende Religiosität, streng, oftmals gesetzlich und nicht selten mit tausend Pflichten verbunden – da ist Freude, Freude, etwas gefunden zu haben, was ich nicht für möglich hielt, beglückend aus sich selber heraus, fortan nicht mehr wegzudenken und darum lebensbestimmend. Reich Gottes finden wie einen Schatz: Ich muss an Martin Luther denken – und glaube, dass das, was ich jetzt erzähle unsere ökumenische Gemeinschaft in keiner Weise stören wird, weil diese seine Entdeckung uns heute auf engste verbindet – (Ich muss an Martin Luther denken), der auf dem mühsamen Acker des damaligen mönchischen Klosterlebens gelebt und gearbeitet und gesucht hat. An Gott vermochte er einfach nicht froh zu werden, aus seinem Gottesbild alles andere als Lebensfreude und Lebens- und Glaubensgewissheit zu gewinnen. Einen knechtenden Gott hatte man ihm in seine empfindsame Seele und sein feines Gewissen eingepflanzt, dem er dienen zu müssen glaubte. Und das tat er, versuchte es, tat mehr als gefordert, fastete, betete, rackerte und zerpflückte sich täglich sein Gewissen – und fand dabei natürlich keine Lebensfreude. Und dann schickte sein Augustiner-Orden ihn als Lehrer und Professor nach Wittenberg. Und der Professor tat dasselbe wie der Mönch, nur auf einem etwas anderen Acker: Er rackerte und suchte und meinte, einem Gott dienen zu sollen, dem ein Mensch doch niemals genügen kann. Als er wieder einmal auf dem Acker des Römerbriefs arbeitete und pflügte, dort, wo er schon oft gepflügt hatte, verhakte er sich plötzlich und unerwartet in einen Schatz - und dieser Schatz lautet: Vertraue dein Leben dem Christus an mit all seinen Höhen und Tiefen, mit Gelingen und Scheitern, mit deinen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, mit deinen Höhenflügen und Abgründen und mit all deiner Schuld, die du im Leben schon angehäuft hast und noch anhäufen wirst: Sage zu Christus und sage es ihm mit erhobenem Haupt, geradem Rücken und dankbaren Augen: Nimm das alles, mein HERR; denn ich werde damit nicht in den Himmel gelangen können, aber du wirst mir den Himmel schenken, jetzt schon und hier mitten im Leben und dereinst in der Ewigkeit. Luthers Entdeckung – im Wortlaut der reformatorischen Sprache, die ich sehr bewusst nicht vorne hingestellt habe: Dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein aus Glauben. Das ist Luther Schatzauffindung im Acker der Heiligen Schrift. Als er fast dreißig Jahre später und kurz vor seinem Sterben sich darüber noch einmal schriftlich äußert, da sagt er: Als ich diesen Schatz fand, da gingen die Tore des Paradieses vor mir auf, das Tor zur Freude, die keine Macht der Welt mir mehr nehmen konnte. Lebensverändernd und fortan lebensbestimmend. Kein Gold in den Händen und keine Jacht auf dem Wasser, aber eine tiefe Gewissheit und unzerstörbare Freude, die auch durch sehr dunkle Täler hindurch nie ganz verloren geht. Hier ereignet sich Reich Gottes. Lebensverändernd und lebensgestaltend. Das Vertrauen auf Christus geht mit, gestaltet Leben, trägt, hält, lässt die Welt und was in ihr ist, in einem anderen Licht interpretieren und verstehen, heilsam verstehen. Lässt auch begreifen: Das Gieren nach materiellen Schätzen macht nur ärmer und verhindert, dass wir Schätze entdecken, die Gott in uns und unser Leben hineingelegt hat. Einen Schatz finden, lange gesucht haben, und dann finden. Luther ist so ein Beispiel. Es gibt aber auch das andere: Nicht gesucht haben, und doch finden, besser: Gefunden werden. Der Erzvater Jakob könnte uns davon ein Lied singen, ein Lied der Freude. Damals, so würde er vielleicht erzählen, als ich mich in die größte Dunkelheit meines Lebens selbst hineinmanövriert hatte, meinen Bruder aufs übelste betrogen, darum nun auf der Flucht und um mein Leben rennend, meine Eltern und Heimat hinter mir gelassen… einsam und ohne Zukunft. Nacht über den Bergen Samarias. Mein Kopfkissen ein harter Stein. Da beginne ich zu träumen, sehe den Himmel offen und die Engel Gottes auf- und niedersteigen und verborgen auch meinem Leben dienend, sehe schließlich Gott, der sich mir zugewandt hat, mich anruft und freundlich anspricht: Fürchte dich nicht! Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du auch hinziehst, und will dich wieder herbringen in dieses Land!“ Jakob, du bist nicht vergessen, nicht verlassen, nicht verworfen. Du bist Teil meines göttlichen Herzens, du Mensch meiner göttlichen Sehnsucht. Jakob erzählt und schaut uns mit Augen der Freude an und sagt: Gott ist hier, und ich wusste es nicht. Ich weiß es nur, weil er mich gefunden hat. „Gott ist hier“ – ob wir es wissen, Sie und ich? Ob wir ihn entdecken mit seinem wunderbaren Wort und Zuspruch: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein? Gott ist hier, das müssen wir wissen, diesen Schatz heben für unser Leben. (Amen)