nie wieder einsam Theaterstück von Carsten Benecke Personen: MORITZ: bildender Künstler, Mitte 20 ALICE/ALICE2: Sexpuppen mit computergesteuertem Sprech- und Lernprogramm (Doppelbesetzung) JANA: arbeitet in der Buchhaltung eines Konzerns, Ende 20 ANDRE: Schauspieler, Anfang 30, verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Pornofilmen TONI: Musikerin, Ende 20, lässt sich von verschiedenen Managertypen aushalten, zur Zeit ist sie mit KARL zusammen KARL: Projektmanager für einen großen Erotikkonzern, Mitte 30, ist mit seinen Lebensumständen sehr unzufrieden, hat aber kein Konzept diese Situation zu ändern, daher setzt er seine ganze Hoffnung in die Beziehung zu TONI DR. CORNELIUS POSCH: KARLS direkter Vorgesetzter, Anfang 50, Kapitalist aus Überzeugung, hält alle Phänomene, die der Markt hervorbringt, grundsätzlich für gut. Hat daher niemals moralische Skrupel Ort: Irgendwo in Deutschland Zeit: nahe Zukunft Szene 1 Galerie (MORITZ baut seine Ausstellung ab. Sie besteht aus Bildern, Fotos, Skulpturen und Installationen. Er nimmt ein Bild von der Wand und beginnt es in Papier einzuwickeln. Er nimmt das nächste und betrachtet es. Dann wickelt er auch dieses ein und legt es auf das andere. Er wendet sch dem nächsten Kunstwerk zu, doch statt es abzubauen, betrachtet er es lange.) MORITZ: Wieso habe ich dich gerettet – aus der Wüste? Wieso sind wir nicht liegen geblieben im heißen Sand, unter der Sonne, die uns austrocknen wollte - zu sich nehmen. Es hat mich glücklich gemacht, dich weiter zu tragen, Meter um Meter. Es hat mich glücklich gemacht - und stolz. (Er beginnt, es ruhig in viele kleine Teile zu zerreißen. MORITZ versucht die einzelnen Fetzen des zerrissenen Bildes mit Spucke an einem anderen Kunstwerk zu befestigen. Dann lässt er von seinem Werk ab und versucht sich zu konzentrieren. JANA betritt inzwischen den Raum und beobachtet ihn.) Jemand muss euch beschützen - vor mir. Ihr seid so laut und ich habe solche Sehnsucht nach Stille. JANA: Hallo. MORITZ: Hi. (MORITZ ist erschrocken. Er fängt schnell an, weiter Bilder abzuhängen und einzupacken.) JANA: Alles in Ordnung? MORITZ: Andre hat abgesagt. JANA: Das wundert dich doch nicht. MORITZ: Nein, aber vielleicht verwundet es mich. (Er amüsiert sich über sein eigenes Wortspiel. Nachdem er sich wieder beruhigt hat …) Etwas ist in mir, das ich euch zeigen möchte. Und dann, wenn niemand hinsieht, bin ich irgendwie erleichtert. Ich möchte euch etwas zeigen, aber eure Blicke kann ich nicht ertragen. Dabei habe ich solche Sehnsucht… JANA: Du bist schön. (MORITZ packt weiter ein) Ich bewundere deine Leidenschaft und deinen Mut. Wenn ich im Büro am Kopierer stehe, dann hab ich das Gefühl, gar nicht zu leben, die ganze Zeit etwas zu machen, das nichts mit mir zu tun hat. Ich beneide dich. MORITZ: Du weißt nicht, wovon du sprichst. (JANA will ihm durchs Haar streichen. Er stößt sie weg.) Du weißt nicht, wovon du sprichst. (Er kann seine Aggressionen nur mühsam beherrschen. Er kommt kurz zur Ruhe. Dann beginnt er seine Kunstwerke zu demolieren. JANA sieht ungerührt zu. Sie kennt diese Exzesse von ihm. Nachdem er drei oder vier Arbeiten komplett zertrümmert hat, setzt er sich auf den Fußboden und versucht sich durch bewusstes Atmen unter Kontrolle zu bringen.) JANA: Darum ist Andre nicht gekommen! MORITZ: Ja, vielleicht. JANA: Lass uns gehen. Black Szene 2 Sitzungsaal eines Erotikkonzerns (Dies ist die Sitzung der Führungsebene eines großen Konzerns. Dementsprechend viele Personen sind anwesend. Es kommen in dieser Szene aber nur zwei Figuren zu Wort. Die Atmosphäre einer größeren Gruppe von Menschen kann also simuliert werden.) DR. CORNELIUS POSCH: Darf ich mich vorstellen. Ich bin die Witzfigur des Jahres. Die Fachpresse ist begeistert von so viel Einfalt. Wir haben die offene Tür erfunden und sie uns auch noch patentieren lassen. Lachen Sie mich aus. Ich will verdammt noch mal, dass Sie mich auslachen. KARL: Wir sind auf einem guten Weg. Bei der sprechenden Sexpuppe vom Typ „Alice“ handelt es sich ohne Frage um ein innovatives, um ein intelligentes Produkt, das gebraucht wird. Es laufen Menschen auf dieser Welt herum, die verzweifelt warten ... auf uns. DR. CORNELIUS POSCH: Die Zahlen sind erschütternd. Wir haben in den ersten sechs Monaten 2,7 % des von uns geschätzten Umsatzes gemacht und wir haben durchaus nicht hoch angesetzt. KARL: Nein, sicher nicht. Es war ja abzusehen, dass eine solche Innovation seine Anlaufschwierigkeiten haben würde. Und wir müssen uns durchaus nicht vorwerfen lassen, nicht an alles gedacht zu haben. Unser Werbeetat sucht seinesgleichen. Wir haben die Einstiegspreise weit unter die Produktionskosten gesenkt. Jeder hier kann wohl von sich.... DR. CORNELIUS POSCH: Was ist zu tun? Wir werden Millioneninvestitionen in den Wind schreiben, die Produktion einstellen und 1000 Mitarbeiter entlassen. (Alle sind von den tragischen Konsequenzen, die die hier zu fällende Entscheidung hat, zutiefst betroffen.) Jeder der Anwesenden ist herzlich eingeladen, einen Zaubertrick vorzuführen, der unser Minus halbiert oder wenigstens die Illusion erzeugt, es wären eigentlich nur 50 Millionen, die wir durch den Schornstein jagen. KARL: Ist dieses Produkt tatsächlich so überflüssig? Das Jahrhundert der Angst! Die Menschen verstecken sich hinter dem Computer und spielen ihre kleinen Sexspielchen. Die Helden unter ihnen geben Kontaktanzeigen auf. Alle anderen bleiben hinter ihrem Bildschirm gefangen; verstecken ihre picklige Nase oder ihren zu kleinen Busen. Und warten auf Erlösung. (Ist von seiner Vision tief gerührt) Die Menschen wollen Sex, die Menschen wollen kommunizieren, die Menschen wollen verstanden werden. Wir bieten ihnen eine perfekte Kopie all dessen und sie greifen nicht zu. Warum? Glauben sie, es wäre ein Eingeständnis der Schwäche, wenn sie zu ihren Bedürfnissen stehen? Aber wieso? Weil ihre Arbeitskollegen sie auslachen, wenn sie sich von einer Gummipuppe oral befriedigen lassen? Aber die Anonymität ist doch bei jeder Versandmethode aufs beste gewahrt und schließlich war dies bei Puppen anderen Typs noch nie ein Problem. Nein, meine Herren. Es liegt nicht an dem Produkt. Es liegt nicht am Versand. Es liegt am Kunden: Die Menschen schämen sich vor sich selbst. Sie empfinden keine Scham, solange sie sexuell mit einer Puppe verkehren. Problematisch wird es offenkundig, wenn sie am nächsten Tag noch mit ihr am Küchentisch sitzen. Dann halten sie sich auf einmal für krank, für pervers. Wir müssen unsere zukünftigen Kunden also vom Gegenteil überzeugen. Nur wie? Es reicht nicht, dass wir die Puppen billig verkaufen. Es reicht jetzt auch nicht mehr, sie zu verschenken. Wir müssen unsere Kunden bezahlen. DR. CORNELIUS POSCH: Wovon reden Sie? Haben Sie den Verstand verloren? KARL: Wir brauchen die Normalität. Wir brauchen keine Kunden, die diese Puppe ein Mal in der Woche benutzen und sie im Übrigen im Schrank verstecken. Wir brauchen Kunden, die diese Puppe zu ihrer Lebensgefährtin machen. Die mit ihr leben. Die sie ihren Freunden vorstellen. Wir brauchen Kunden, über die die Bildzeitung berichten kann. DR. CORNELIUS POSCH: Haben Sie … Haben Sie das mal durchgerechnet? Wie viel wollen Sie für diese Kampagne ausgeben? Mit welchen Verkaufszahlen rechnen Sie? KARL: Wenn meine Analyse zutrifft und wir das Problem so in den Griff bekommen, werden die Kosten nicht weit über denen eines normalen Werbeetats liegen. Pause Es ist unsere letzte Chance. Black Szene 3 Atelier MORITZ (Während JANA am vorderen Bühnenrand steht und sich entkleidet, trifft Moritz Vorbereitungen, sie zu malen) JANA: Mein Chef zieht mich mit den Augen aus. Er glotz mir ständig auf die Brüste … auf meinen Busen, meine Dinger, mein Holz vor der Hütte, meine Möpse, meine Glocken, meinen Vorbau, meinen Balkon, meine Titten! Vielleicht ist er nie gestillt worden. Dann geh ich durch die Straßen und seh überall Brüste. Es ist nicht so, dass es zu wenige gibt. Und irgendwie … na gut, es gibt unterschiedliche Größen. Aber sonst. Ich kapiers nicht. MORITZ: Was gibt es da nicht zu kapieren. Ihm geht einer ab, wenn er dich ansieht. JANA: Aber wieso? MORITZ: Du bist eine Frau. Und er ist ein Mann. JANA: Und du? Du bist doch auch ein Mann. Erregt es dich, mich anzusehen? Komisch, bei dir würde es mich nicht stören. Es gefällt mir wenn du mich ansiehst. (Pause) Gefall ich dir? MORITZ: Du bist das geduldigste Modell, das ich je hatte. JANA: Aha. (Pause) Und meine Brüste? MORITZ: Wie du schon sagtest: Sie sind keine Seltenheit. JANA: Ich lenk dich ab, oder? Entschuldige. MORITZ: Kein Problem. Ich möchte ja einen Moment kreieren, der echt ist, nicht ein Idealbild, das niemals leben wird. Ich will den Schmerz sehen, die Verwirrung und die Eitelkeit. JANA: Ich bin nicht eitel. MORITZ: Jeder ist auf seine Art eitel. Das gehört zur menschlichen Verwirrung. Du bist eitel mit deinen Brüsten. Ich bin eitel mit meinen Narben und der Ablehnung die ich immer wieder kassiere. (Pause) Ich weiß nicht mal, warum ich das alles tue. Ich weiß es nicht, weil ich niemals erwarte, dass sie mich ansehen. JANA: Manchmal denke ich, Du bist auf dem falschen Planeten gelandet. Du bist zu … In einer perfekten Welt würden sie dich erkennen. MORITZ: In einer perfekten Welt würde es mich gar nicht geben. JANA: Es gefällt mir nicht, wenn du so redest. MORITZ: Es interessiert mich nicht, ob dir gefällt, was in meinem Kopf ist, ob dir gefällt was ich sage. Hab ich dir jemals das Gefühl gegeben, ich würde etwas sagen, um dir zu gefallen? JANA: So habe ich es ja gar nicht gemeint. Es macht mich nur traurig, wenn du so redest. MORITZ: Und? Traurigkeit ist doch ein sehr intensives Gefühl. Was stimmt damit nicht? JANA: Ich möchte gerne, dass es dir gut geht. MORITZ: Warum? JANA: Muss ich dafür einen Grund haben? MORITZ: Natürlich nicht. Aber es geht mir nicht gut. Find dich lieber damit ab. JANA: Warum willst du dich damit abfinden? MORITZ: Das ist mein Leben. Ich lebe es für mich. Wenn du meine Traurigkeit nicht erträgst, dann sieh nicht hin! (JANA ist ein wenig verängstigt und schweigt. Moritz beruhigt sich. Er tritt zurück und betrachtet seine Arbeit.) Es gibt kein Leben … außerhalb … ich tauche so tief … ich höre nichts mehr, sehe nichts mehr, fühle nichts mehr. Ich fühle nichts mehr … nichts mehr. (Er nähert sich zärtlich seinem Werk und trägt eine neue Schicht Farbe auf. Dann betrachtet er JANA lange, die von seiner plötzlichen Sanftheit gerührt ist.) JANA: Berühr mich. (Pause) Ich gefall dir nicht so, … wie die Mädchen in diesen Heften. MORITZ: Du bist viel schöner. JANA: Aber anfassen willst du mich nicht. MORITZ: Ich fasse niemanden an. JANA: Warum? MORITZ: Mein Geheimnis. JANA: Du weißt es nicht, oder? MORITZ: Ich führe eine andere Art von Leben. (JANA geht zu Moritz, nimmt seine Hand und legt sie auf ihr Gesicht. Einen Moment sehen sich die beiden an. Dann gleitet seine Hand von ihrem Gesicht zu ihrem Hals.) Dir gefällt es, wenn ich dich anfasse? JANA: Ja. MORITZ: Dreh dich um. (Er schiebt sie vor sich her zur Wand. Sie ist einen Moment erschrocken und folgt seinen Anweisungen. ) JANA: Moritz! MORITZ: Es gefällt dir wenn ich dich berühre. Ja? (JANA steht jetzt mit dem Rücken zu Moritz an der Wand. Er lässt sie los um seine Hose zu öffnen.) Möchtest du von mir berührt werden? (JANA flüchtet vor Moritz in den Raum hinein. Sie sieht ihn traurig und erschrocken an, verdeckt dabei ihre Brüste mit den Händen.) JANA: Aber nicht so. (Sie beginnt sich anzukleiden.) Wir machen besser Schluss für heute. (Moritz kehrt zur Leinwand zurück. Er vertieft sich in die Betrachtung seines Bildes.) Wir sehen uns später. (Sie geht.) MORITZ: Bis dann! Black