Angst im Jugendlichenalter systemische Aspekte der Therapie Fachsektion systemische Familientherapie der ÖAGG, Salzburg Workshop am 09. Mai 2007 Dr. Kurt Ludewig Hamburg / Münster Mai 2007 Dr. K. Ludewig 1 Systemische Therapie Literaturhinweise des Referenten Mai 2007 Klett-Cotta 1992, 19974 Hogrefe 2000 Klett-Cotta 2002 Carl-Auer 2005 Dr. K. Ludewig 2 Literaturhinweise Hüther, G. (1997), Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) Rotthaus, W. (Hrsg.)(2001), Systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Heidelberg (Carl-AuerSysteme). Vogt-Hillmann, M., W. Burr (Hrsg.)(1999), Kinderleichte Lösungen. Dortmund (Borgmann). „Angststörungen“ (2005), Psychotherapie im Dialog 6, Heft 4. Mai 2007 Dr. K. Ludewig 3 Was ist Systemische Therapie? Eine therapeutische Praxis, die aus der pragmatischen Umsetzung systemischen Denkens resultiert Mai 2007 Dr. K. Ludewig 4 Systemisches Denken • Interdisziplinäre Denkbewegung: u.a. Systemtheorie, Selbstorganisation, Kybernetik, Autopoiesis, dissipative Strukturen, Synergetik. • Gegenstand: Komplexität und Vernetzung • Ziel: „komplexitätserhaltende Komplexitätsreduktion“ • Menschenbild: Betrachtung des Menschen als zugleich biologisch selbständiges und kommunikativ eingebundenes Lebewesen. • Erkenntnistheorie: Theorie des Beobachtens (Beobachter-Theorie) Mai 2007 Dr. K. Ludewig 5 Systemische Therapie Gegenstand Methodologie • menschliche Autonomie statt heteronomer Bestimmung • Offenheit kommunikativer Prozesse statt kausaler Zwangsläufigkeit • Ressourcen- und Lösungsorientierung statt Problemfokus • Beitrag zur Herstellung günstiger Randbedingungen • für die auftragsbezogene Selbstveränderung des/der Klienten • durch eine nützliche, passende und respektvolle therapeutische Interaktion. Mai 2007 Dr. K. Ludewig 6 Zentrale Differenzen Konzepte systemischer Therapie • Anliegen / Auftrag Wünsche des Klienten / Ziel-Vereinbarung mit Helfer • Lebensproblem / Problemsystem Individuelle, leidvolle Probleme / kommunikativ gestützte Probleme (= änderungsbedürftig gewertete Sachverhalte) • „Überlebensdiagnostik“ Fokus auf Vorhandenes <Ressourcen> anstelle von Fehlendem <Defiziten und Pathologien> Mai 2007 Dr. K. Ludewig 7 Thesen zur therapeutischen Veränderung • Menschliche Probleme folgen der „Logik“ einer konservativen emotionalen Dynamik: • Angesichts der Ungewissheit von Änderungen gilt es, lieber auszuhalten als eine Veränderung zu riskieren, die alles noch verschlimmern könnte. • Notwendige Veränderungen, die als riskant erlebt werden, erfordern daher ein Wagnis. • Psychotherapie soll Bedingungen schaffen, die ein Wagnis begünstigen und so auch einen Wechsel der Präferenzen ( mehr-vom-anderen). Mai 2007 Dr. K. Ludewig 8 Aufgaben des Therapeuten 1. Anliegen/Auftrag Klärung/Erarbeitung des/der Anliegen und Aushandlung/Vereinbarung eines Auftrags Mai 2007 2. Intervenieren a. Würdigung Anerkennen des/der Klienten und Bestätigung ihrer Ressourcen b. Intervention Anregung, Alternativen zu wagen Dr. K. Ludewig 9 Störungsspezifische systemische Therapie? Systemische Therapie versteht sich als Umsetzung einer therapeutischen Haltung mit uneingeschränktem Anwendungsbereich - sie strebt keinen spezifischen Umgang mit verschiedenen Problemtypen an. Das technische Instrumentarium kann durch die Techniken anderer Ansätze problemlos ergänzt werden. Mai 2007 Dr. K. Ludewig 10 Dennoch: Manche „Störungsbilder“ zeigen untereinander Ähnlichkeiten, deren Beachtung sinnvoll ist, u.a. Adoleszenz-Magersucht, Jugendliche Psychose, PTBS, frühkindliche Deprivation usw. Gilt das auch für Angststörungen? Mai 2007 Dr. K. Ludewig 11 Was ist Angst? Normale polysystemische (sozio-psycho-somatische) Stressreaktion auf bedrohliche Situation, die • als kontrollierbare Stressreaktion abläuft, wenn adäquate Reaktionsmuster vorhanden sind oder • als unkontrollierbare Stressreaktion bei Überforderung der vorhandenen Reaktionsmöglichkeiten Mai 2007 Dr. K. Ludewig 12 Angststörungen • Stabilisierte Reaktionsweise auf innere oder äußere Auslöser, die sich in der Regel von der ursprünglichen Bedrohung abgelöst hat und im Vollzug einer eigenen Dynamik abläuft. • Zentrales Merkmal ist eine Vermeidungshaltung • Formen: Panikstörung, störung und Phobien; generalisierte Angst- bei Kindern: Trennungs- und Schulängste Mai 2007 Dr. K. Ludewig 13 Einige Aspekte der „Angststörung“ Genetisch • Prädisposition: eineiige vs. zweieiige Zwillinge zeigen ein fünffach erhöhtes Risiko, s. auch Temperament Psychisch • Gewinn durch autoprotektive Beziehungsgestaltung und Selbstdefinition - „ich bin nunmal ängstlich!“ Interaktionell • Machtgewinn bei der Definition von Beziehungen • Indirekte Bewältigungsstrategie gegenüber sonst unlösbar Erscheinendem ( stabilisierte Vermeidung) Mai 2007 Dr. K. Ludewig 14 Schritte zur „Angststörung“ • Normale, zuweilen heftige emotionale Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung, die normalerweise durch eigenregulative Vorgänge des Organismus ausgeglichen wird. • Versagt die Eigenregulation oder erweist sich die Angstreaktion als nützlich kann sich ein automatisiertes Reaktionsschema bilden, das meistens durch eine andauernde Vermeidung des Auslösers gestützt wird ( Lerndynamik) • Erweist sich darüber hinaus diese Angstbereitschaft als nützliches Mittel zur aktiven Gestaltung des sozialen Umfelds, z.B. Familie, Team usw., kann sie zusätzlich stabilisiert bzw. funktionalisiert werden. Mai 2007 Dr. K. Ludewig 15 Systemische Therapie und Angststörungen Keine spezifische Vorgehensweise, jedoch: • Bei komplexen Angstproblematiken, die sich als Mittel sozialer Kontextgestaltung etabliert haben und dabei Alternativen vermeidend ausschalten, Versuch der Rekontextualisierung durch: - Ausmachen von Ressourcen, Ausnahmen usw. - und Umdeutung, gfs. Externalisierung Bei einfachen Phobien -> VT-Techniken, Märchen... Mai 2007 Dr. K. Ludewig 16 Zur Adoleszenz: Adoleszenz und das Säuglingsalter sind Zeiten größter Vervielfältigung. - Anzahl und Bedeutung der Mitgliedschaften wächst, dadurch auch die Menge und Qualität der Lebenserfahrungen - Die psychischen Systeme vermehren sich „wild“, d.h. zugleich ungeordnet und widersprüchlich und kraftvoll und zunehmend stabiler. - Die normativen Verpflichtungen nehmen gleichzeitig enorm zu: Verantwortung, Schuldfähigkeit usw. - Die Jugendlichen müssen ihr Repertoire an kognitiven, affektiven und Handlungsschemata stark erweitern, um die neuen Anforderungen zu bewältigen. Diese bauen auf früheren Erfahrungen, die verändert, erweitert, verstärkt oder gehemmt werden (v.a. Liebes- und Bindungserfahrungen). Also: Statt vom Übergang gehe ich lieber von Erweiterung aus. Mai 2007 Dr. K. Ludewig 17 Systemische Therapie mit Adoleszenten I Grundsatz 1: Systemische Therapie ist immer Beziehungstherapie, ob mit und ohne Anwesenheit aller Beteiligten. Grundsatz 2: Die Erarbeitung einer speziellen systemischen Therapie für Adoleszenten erscheint nicht notwendig. Denn: Systemische Therapie ist in erster Linie weder störungs- noch methodengeleitet, sondern klienten-/kundenorientiert. Sie wird den verschiedenen Klienten mit ihren immer einzigartigen Problemen angepasst. Dennoch ist bei Adoleszenten zu bedenken: -Sie sind „Borderliners“ mit enorm vielfältigen Potenzial, jedoch geringer Erfahrung in der Umsetzung. Sie werden oft unter- oder überschätzt. - In aller Regel lieben sie ihre Eltern, verleugnen dies aber aus der Furcht, als Kind behandelt zu werden und halten die Eltern lieber auf Abstand. - Die Eltern reagieren oft verwirrt, ratlos, gekränkt oder ärgerlich. Die bisher erprobten Beziehungsmuster nutzen nicht mehr, neue sind noch nicht da. Mai 2007 Dr. K. Ludewig 18 Systemische Therapie mit Adoleszenten II Sie soll einen interaktionellen Rahmen – eine therapeutische Beziehung - schaffen, in dem die Beteiligten sich genügend gesichert fühlen, um das Risiko von Veränderungen einzugehen. Zu diesen Veränderungen können die gefürchtete gegenseitige Akzeptanz und die gefürchtete Trennung zählen, sowohl im Hinblick auf sich selbst als auch auf den geliebten Anderen. Hierzu lohnt sich Folgendes: - Die Besonderheiten der Beziehungen in der Familie beachten und sich daran orientieren: was für einige weit ist, ist für andere eng. - Achtsam mit „normativen“ Vorgaben umzugehen: „Man muss…!“ - Weder Harmonie noch Veränderung von sich aus anzustreben. - „Ablösung“ weder zurückhalten noch erzwingen zu wollen. Mai 2007 Dr. K. Ludewig 19 Beispiele • Videoaufzeichnung von Therapien • Diskussion Mai 2007 Dr. K. Ludewig 20