Zwischen Schmerzlinderung und Tötungsverbot, zwischen Therapie und Selbstbestimmung des Patienten 1 • • • • • • Was Sie schon wissen: Was wissen Sie? Worin das Problem besteht Was ein Jurist davon weiß Gesetzliche Regelung und Wirklichkeit Was Sie wissen müssen (Fazit) Lektüreempfehlungen 2 Sterbehilfe – im Wirrwarr der Begriffe • • • • • • • Aktiv Passiv Indirekt Hilfe zum/im/beim Sterben Behandlungsabbruch Tötung auf Verlangen Beihilfe zum Suizid 3 Eine Ursache: Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand gelobe ich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Ich werde meinen Beruf gewissenhaft und würdig ausüben. Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. Ich werde alle mir anvertrauten Geheimnisse auch über den Tod des Patienten hinaus wahren. Ich werde mit allen meinen Kräften … … jedem Menschenleben von der Empfängnis an Ehrfurcht entgegenbringen und … nicht in Widerspruch zu den Geboten der Menschlichkeit anwenden. 4 Ich werde meinen Lehrern und Kollegen … Artikel 1 Grundgesetz • (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. • … Was ist die Würde des Menschen? Was heißt, sie „ist“ unantastbar? Kann man sie antasten? Wie kann das geschehen? 5 Artikel 2 Grundgesetz • (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. • (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. • Sterben als Entfaltung der Persönlichkeit, Sterben als Teil des Lebens 6 § 216 StGB Tötung auf Verlangen (1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (2) Der Versuch ist strafbar. 7 § 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung • (1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. • (2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht. s. dazu Beck-OK-Oğlacıoğlu: § 217 StGB BVerfG, 2 BvR 2347/15, Beschl. v. 21.12.15 Ablehnung einer einstw. Anordg gg. § 217 StGB 8 Straflosigkeit des Suizids und der Beihilfe dazu • §§ 26 (Anstiftung), 27 (Beihilfe) setzen eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat voraus - § 212 StGB? • Suizid ist keine solche Tat = Teilnahme daher nicht möglich • ABER: § 323 c StGB (Unterlassene Hilfeleistung), §§ 212, 13 StGB (Tötung durch Unterlassen) – Was, wenn der Suizident nicht wirklich sterben will? 9 Für den Tatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) ist anerkannt, dass es für die Abgrenzung zwischen der strafbaren täterschaftlichen Erfüllung dieses Tatbestands und der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung im konkreten Fall darauf ankommt, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat. Im Einzelfall ist dafür entscheidend die Art und Weise, wie der Tote über sein Schicksal verfügt hat. Gab er sich in die Hand des Anderen, weil er duldend von ihm den Tod entgegennehmen wollte, dann hatte dieser die Tatherrschaft. Behielt er dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötete er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. 10 Soll nach dem Gesamtplan der Beitrag eines Beteiligten nicht bis zum Eintritt des Erfolges willensgesteuert fortdauern, sondern nur die Ursachenreihe so in Gang setzen, dass nach seinem Vollzug dem anderen Beteiligten noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, so liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor (so für den Fall des sog. „einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmords“ grundlegend BGHSt 19, 135, 139 f.). (LG Mannheim, Urteil vom 21. September 2012 – 1 Ks 300 Js 24248/10 –, juris, Rz. 48); BGH 1 StR 641/12, 8.1.2013 11 § 7 BO-ÄK BW Behandlungsgrundsätze und Verhaltensregeln • (1) Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte der Patientinnen und Patienten, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts, zu erfolgen. Das Recht der Patientinnen und Patienten, empfohlene Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen abzulehnen, ist zu respektieren. 12 Noch § 7 BO-ÄK BW (2) Ärztinnen und Ärzte achten das Recht ihrer Patientinnen und Patienten, sie frei zu wählen oder zu wechseln. Andererseits sind - von Notfällen oder besonderen rechtlichen Verpflichtungen abgesehen - auch Ärztinnen und Ärzte frei, eine Behandlung abzulehnen. Den begründeten Wunsch von Patientinnen und Patienten, eine weitere Ärztin oder einen weiteren Arzt zuzuziehen oder an eine andere Ärztin oder einen anderen Arzt überwiesen zu werden, sollen die behandelnden Ärztinnen 13 und Ärzte in der Regel nicht ablehnen. Immer noch: § 7 BO-ÄK BW • (3) Ärztinnen und Ärzte haben unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechts nach Abs. 1 im Interesse der Patientinnen und Patienten mit anderen Ärztinnen und Ärzten und Angehörigen anderer Fachberufe im Gesundheitswesen zusammenzuarbeiten. Soweit dies für die Diagnostik und Therapie erforderlich ist, haben sie rechtzeitig andere Ärztinnen und Ärzte hinzuzuziehen oder ihnen die Patientin oder den Patienten zur der 14 Behandlung zu überweisen. Und immer noch: § 7 BO-ÄK BW • (4) Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Printund Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt. 15 § 16 BO-ÄK BW Beistand für Sterbende Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. z. Vgl.: § 16 BO-ÄK-LSA (bis 2015) Beistand für Sterbende Der Arzt hat Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unbedingter Achtung ihres Willens beizustehen. Der Arzt darf das Leben des Sterbenden nicht aktiv verkürzen. § 16 MBO Beistand für Sterbende Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. ABER: VG Berlin, VG Berlin, Urt. v. 30.03.2012, Az. 9 K 63.09 Berufs- und Gewissensfreiheit des Arztes 16 § 37b SGB V Spezialisierte ambulante Palliativversorgung • (1) Versicherte mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung, die eine besonders aufwändige Versorgung benötigen, haben Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Die Leistung ist von einem Vertragsarzt oder Krankenhausarzt zu verordnen. Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung umfasst ärztliche und pflegerische Leistungen einschließlich ihrer Koordination insbesondere zur Schmerztherapie und Symptomkontrolle und zielt darauf ab, die Betreuung der Versicherten nach Satz 1 in der vertrauten Umgebung des häuslichen oder familiären Bereichs zu ermöglichen; hierzu zählen beispielsweise Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen und der Kinder- und Jugendhilfe. Versicherte in stationären Hospizen haben einen Anspruch auf die Teilleistung der erforderlichen ärztlichen Versorgung im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung. Dies gilt nur, wenn und soweit nicht andere Leistungsträger zur Leistung verpflichtet sind. Dabei sind die 17 besonderen Belange von Kindern zu berücksichtigen. § 37b SGB V • (2) Versicherte in stationären Pflegeeinrichtungen im Sinne von § 72 Abs. 1 des Elften Buches haben in entsprechender Anwendung des Absatzes 1 einen Anspruch auf spezialisierte Palliativversorgung. Die Verträge nach § 132d Abs. 1 regeln, ob die Leistung nach Absatz 1 durch Vertragspartner der Krankenkassen in der Pflegeeinrichtung oder durch Personal der Pflegeeinrichtung erbracht wird; § 132d Abs. 2 gilt entsprechend. • (3) Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 das Nähere über die Leistungen, insbesondere • 1. die Anforderungen an die Erkrankungen nach Absatz 1 Satz 1 sowie an den besonderen Versorgungsbedarf der Versicherten, • 2. Inhalt und Umfang der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung einschließlich von deren Verhältnis zur ambulanten Versorgung und der Zusammenarbeit der Leistungserbringer mit den bestehenden ambulanten Hospizdiensten und stationären Hospizen (integrativer Ansatz); die gewachsenen Versorgungsstrukturen sind zu berücksichtigen, • 3. Inhalt und Umfang der Zusammenarbeit des verordnenden Arztes mit dem Leistungserbringer. 18 § 132d SGB V Spezialisierte ambulante Palliativversorgung • • • • • (1) Über die spezialisierte ambulante Palliativversorgung einschließlich der Vergütung und deren Abrechnung schließen die Krankenkassen unter Berücksichtigung der Richtlinien nach § 37b Verträge mit geeigneten Einrichtungen oder Personen, soweit dies für eine bedarfsgerechte Versorgung notwendig ist. In den Verträgen ist ergänzend zu regeln, in welcher Weise die Leistungserbringer auch beratend tätig werden. (2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen legt gemeinsam und einheitlich unter Beteiligung der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, der Spitzenorganisationen der Hospizarbeit und der Palliativversorgung sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Empfehlungen 1. die sächlichen und personellen Anforderungen an die Leistungserbringung, 2. Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Fortbildung, 3. Maßstäbe für eine bedarfsgerechte Versorgung mit spezialisierter ambulanter Palliativversorgung fest. 19 Richtlinie • Spezialisierte Ambulante Palliativversorgungs-Richtlinie / SAPV-RL v. 20.12.2007/25.6.2010 GBA 20 Weitere Normen • § 223 StGB: Körperverletzung • (1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. • (2) Der Versuch ist strafbar. • § 229 StGB: Fahrlässige Körperverletzung • Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. • § 13 StGB: Begehen durch Unterlassen • (1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht. 21 • (2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden. §§ 1896 ff., 1901 a ff. BGB Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung „Dem Willen des Patienten Ausdruck und Geltung verschaffen“ 22 Probleme: • • • • • • Leben und Tod Leben und sterben lassen Der Tod – die Angst vor Tod und Leiden Selbstbestimmung und Würde Wir alle und jeder Einzelne Richtige Entscheidungen treffen Intensivmedizin, Therapie bis zum Schluss 23 Begriffe: • Patientenverfügung, § 1901 a Abs. 1 BGB • Vorsorgevollmacht (Betreuungsvermeid.) vgl. Bevollmächtigung (vgl. VorsorgeV, § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB) • Betreuungsverfügung (Betreuerauswahl, vgl. § 1897 Abs. 4 BGB) • Betreuungsgericht (statt Vormundschaftsgericht - Amtsgericht) • FamFG (statt FGG) 24 BGH XII ZB 2/03 v. 17.03.03, Beschluss • a) Patient, einwilligungsunfähig, Grundleiden irreversibel, lebenserhalt. oder –verlängernd. Maßnahmen müssen unterbleiben, wenn dies geäußertem Willen (z. B. sog. Patientenverfügung) entspricht – Würde – Selbstbestimmungsrecht – wenn erklärter Wille nicht feststellbar: mutmaßlicher Wille (Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen, Überzeugungen) 25 • b) Ist Betreuer bestellt: B. hat Patientenwillen Ausdruck und Geltung zu verschaffen (gegü. Arzt u. Pflegepersonal in eigener rechtl. Verantwortung) Einwilligung in ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder –verlängernde Maßnahmen kann er verweigern – aber nur mit Zustimmung des VormG Für Einwilligung des B und Genehmigung des VormG ist kein Raum, wenn Behandlung o. Weiterbehandlung nicht angeboten wird (weil nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll, unmöglich) 26 BGH XII ZR 177/03 – Beschluss v. 08.06.2005 – 1. Verlangt der Betreuer in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt, daß die künstliche Ernährung des betreuten einwilligungsunfähigen Patienten eingestellt wird, so kann das Pflegeheim diesem Verlangen jedenfalls nicht den Heimvertrag entgegensetzen. Auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals rechtfertigt für sich genommen die Fortsetzung der künstlichen Ernährung in einem solchen Fall nicht (im Anschluß an BGH, 17. März 2003, XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205). – 2. Hat sich der Rechtsstreit durch den Tod des Patienten erledigt, rechtfertigt der Umstand, daß die strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn ("Hilfe zum Sterben") bislang nicht hinreichend geklärt erscheinen, eine gegenseitige Kostenaufhebung nach § 91a ZPO. 27 BGH 1 StR 357/94, 13.09.1994 (BGHSt 40, 257) – 1. Bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten kann der Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme ausnahmsweise auch dann zulässig sein, wenn die Voraussetzungen der von der Bundesärztekammer verabschiedeten Richtlinien für die Sterbehilfe nicht vorliegen, weil der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Entscheidend ist der mutmaßliche Wille des Kranken. 28 – 2. An die Voraussetzungen für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses sind strenge Anforderungen zu stellen. Hierbei kommt es vor allem auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen an. – 3. Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muß auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, eines Angehörigen oder 29 einer anderen beteiligten Person. Das Gesetz Rechtslage seit 01.09.09: § 1901 a BGB: Patientenverfügung § 1901 b BGB: Gespräch, Feststellung des Patientenwillens § 1904 Genehmigung Betreuungsgericht Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts und FamFG* (Rechtslage seit dem 01.09.09) *Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit 30 Konkrete Regelungen • Schriftlichkeit der Patientenverfügung • Aufgaben des Betreuers • Gerichtliche Entscheidung (Genehmigung) bei Nichteinwilligung des Betreuers • Gericht muss genehmigen, wenn das dem Willen des Betreuten entspricht • Genehmigung bei Einigkeit von Arzt und Betreuer nicht erforderlich 31 Alternativen, die NICHT ins Gesetz kamen (I) • Ärztliche Pflichtberatung • Notarielle Beglaubigung der PV für nicht unheilbare, nicht tödlich verlaufende Krankheiten (BT-DrS 16/13379) • (Keine gesetzliche Überregulierung, Rechtsprechung und Richtlinien der Bundesärztekammer genügen (BT-DrS 16/13262) 32 Alternativen, die NICHT ins Gesetz kamen (II) • Sollvorschrift: Datum u. regelmäßige Bestätigung der PV • Arzt prüft Behandlungsmaßnahmen, erörtert mit Betreuer, dieser willigt ein, wenn dies dem Patientenwillen entspricht (BT-DrS 16/11493) • Vorherige ärztliche Aufklärung • Notarielle Niederschrift (< 5 Jahre alt) • Unheilbare tödliche Krankheit (BT-DrS 16/11360) 33 § 1901a BGB Legaldefinition der Patientenverfügung Ein einwilligungsfähiger Volljähriger hat für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt. 34 Rechtsfolge: • Betreuer muß PV Ausdruck und Geltung verschaffen (§ 1901 a Abs. 1 S. 2) • Zusätzlich: jederzeit formloser Widerruf möglich (§ 1901 a Abs. 1 S. 3) 35 Keine oder unzutreffende Patientenverfügung? • § 1901 a Abs. 2: Betreuer muss Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen feststellen, dann entscheiden, ob er in Maßnahme nach Abs. 1 einwilligt oder sie untersagt. Mutmaßlicher Wille? Konkrete Anhaltspunkte: frühere o. schriftl. Äußerungen, ethische o. religiöse Überzeugungen, sonst. persönliche Wertvorstellungen des Betreuten 36 Weitere Regelungen (§ 1901 a BGB) • Abs. 3: unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung • Abs. 4: Keine Pflicht zur Errichtung einer Patientenverfügung, keine Vertragsbedingung • Abs. 5: Geltung auch für Bevollmächtigte entsprechend 37 Inhalt von PV: • • • • • • • • • alle lebenserhaltenden Maßnahmen zu unterlassen (Hunger und Durst sollen nur auf natürliche Weise gestillt werden; dazu die Grundsätze der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung) keine bewusstseinsdämpfenden Mittel zur Schmerz- und Symptombehandlung Möglichkeit einer ungewollten Verkürzung der Lebenszeit wird in Kauf genommen keine künstliche Ernährung unabhängig von der Form der Zuführung Reduzierung künstlicher Flüssigkeitszufuhr nach ärztlichem Ermessen Unterlassung jeglicher künstlicher Flüssigkeitszufuhr Unterlassung von Versuchen zur Wiederbelebung keine Verständigung von Notärzten unverzügliche Information des Notarztes über Ablehnung von Wiederbelebungsmaßnahmen Ablehnung von Wiederbelebungsmaßnahmen bei allen Fällen eines Kreislaufstillstandes oder Atemversagens 38 Basisbetreuung: IMMER!!! Von Arzt und Pflegepersonal IMMER zu erbringen (menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Linderung von Schmerz, Unruhe, Atemnot, Durst u. Hunger auf natürl. Wege) – Siehe Grundsätze BÄK Sterbebegleitung ABER: enterale Sondenernährung, venöse Ernährung gelten als Therapie und sind einwilligungspflichtig = können untersagt werden 39 § 1901 b BGB (Verfahren) Abs. 1: Arzt prüft für Patienten indizierte Maßnahme (Gesamtzustand, Prognose) Erörterung mit Betreuer unter Berücksichtigung des Patientenwillens Abs. 2: Feststellung des Willens nach § 1901 a Abs. 1 (PV) und mutmaßlichen Willens nach 1901 a Abs. 2: für nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen - Gelegenheit zur Äußerung (ohne Zeitverzug) Abs. 3: Bevollmächt. entsprechend 40 § 1904 BGB (Gericht) • Abs. 1: Genehmigung bei Risiko (alt) • Abs. 2: Nichteinwilligung/Widerruf genehmigungspflichtig, wenn riskant • Abs. 3: Genehm. muss erteilt werden, wenn Genehmigung/Nichteinwilligung dem Willen des Betreuten entspricht • Abs. 4: Keine Genehmigung erforderlich bei Einvernehmen zw. Arzt u. Betreuer • Abs. 5: Bevollmächt. entsprechend 41 Wirksamkeit der Genehmigung/Verfahren • § 287 Abs. 3 FamFG: nach zwei Wochen (Rechtsschutz) • Verfahren, § 298 FamFG: - Anhörung d. Betroffenen, auf dessen Verlangen nahestehende Personen (ohne Verzögerung - § 1904 Abs. 1 BGB), - sonstige Beteiligte - §1904 Abs. 2 BGB - Verfahrenspfleger (Quasi-Anwalt) - Pflicht: Gutachten – „soll“ - aber nicht vom behandelnden Arzt – eingeholt werden 42 Vorsorgevollmacht (VV) • VV bevollmächtigt andere Person, im Namen und mit Wirkung für den Vollmachtgeber (VG) Erklärungen abzugeben, für den Fall, dass der VG infolge Geschäftsunfähigkeit dazu nicht in der Lage ist • VV soll Betreuung vermeiden (Autonomie!) • Frage: Warum ist die die VV wichtiger als 43 die PV? Betreuungsverfügung (BV) • Vorsorgliche Regelungen für den Fall einer Betreuung • Person • Aufgaben • Lebensgestaltung, Wohnung, Unterbringung • Die „kleine Schwester“ der VV 44 Probleme, die geblieben sind • Feststellung des Willens • = Auslegung des Textes • Arzt ist der „bessere“ Interessenvertreter des Patienten/Betreuten • Kommunikation der Beteiligten • Wo bleibt das Pflegepersonal? (vgl. BGH 2 StR 454/09 Fuldaer Fall - „Heimleitung“) 45 Ethische Probleme • Defensive Ausrichtung der PV, aber: Patienten stellen sich häufig auf die neue Lebenssituation ein (unkritische Behandlungsbegrenzung) • Ärztliche Bedenken gegenüber verlangter Behandlungsbegrenzung bei fehlenden Kenntnissen • Fördert oder hindert die PV die Kommunikation zwischen den Beteiligte („Steht doch alles drin.“) • in dubio pro vita (Sterben kann der Patient immer noch, der Tod jedoch ist irreversibel (Irrtum), dadurch Maximaltherapie durch die Hintertür? 46 •Fälle (Juris): 3 (4) LG Oldenburg, 11.3.10, 8 T 180/10 Beschwerde Verfahrenspflegerin zurückgewiesen; keine gerichtliche Entscheidung erforderlich, weil Bevollm. und Hausarzt sich einig waren AG Nordenham, 20.3.11 9 XVII 8/00 Genehmigung für Betreuer, Einwilligung in PEG-SondenErnährung zu widerrufen, Aufrechterhalten der Schmerztherapie (SG Berlin, Urt. 16.1.2012 S 25 U 216/11) Kein Leistungsausschluss bei Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen bei Wachkoma nach Arbeitsunfall (s. a. BSG, Urt. v. 4.12.14, B 2 U 138/13 R) OLG Naumburg Urt. v. 22.8.13, 1 U 118/11 Wachkoma, fehlende PV, „Konsens mit den Eltern“ nötig,47 ansonsten Weiterbehandlung Aufsätze • 5 (2013) • 14 (2012) • 24 (2011) • 22 (2010) • 20 (2009) ca. JURIS 48 BGH 2 StR 454/09 (Urt. v. 25.06.10) • Ernährung gegen den Willen des Patienten ist rechtswidrig • Beendigung: normativ-wertender Begriff des Behandlungsabbruchs • Abwehr gegen Eingriffe in den „unbeeinflussten Fortgang … (des) Lebens und Sterbens“ • Tötung auf Verlangen bleibt strafbar • ABER - 2 StR 320/10 Beschl. v. 10.11.10: Keine PatVerf., kein Betreuer, eigenmächtiges 49 Handeln des Schwiegersohns StA Berlin: Einstellung Az.: 234 Js 205/12 • „Durchtrennen“ der Magensonde Pat.: seit 9/2006 Wachkoma nach Unfall Besserung nicht zu erwarten Frage an BetrG: Genehmig. ni. erforderl. Keine PatV. aber vorherige Äußerungen Gespräche m. Ärzten: 12.7./20.7.10 Tod Einstellg. n. § 170 II StPO: 25.11.12 (ErmittlVf zu Fall SG Berlin/BSG) 50 LG Deggendorf, Beschl. 13.9.13 1 Ks 4 Js 74/38/11 (Nichteröffnungsbeschluss) 1. Keine Pflicht zu Rettungshandlungen bei freiverantwortlichem Suizid 2. Freier Wille des Suizidenten steht gegen Pflicht des diensthabenden Notarztes 3. „Rigide“ BGH-Entscheidung (BGHSt 32, 367) verstößt gegen Selbstbestimmungsrecht des Patienten und ist sei dem PatVerfügG überholt. 51 Zuletzt: BGH XII ZB 202/13. Beschl. v. 17.9.14 • • • • • Verbindlichkeit der PV bekräftigt Kein irreversibel tödlicher Verlauf nötig Todesnähe nicht erforderlich Strenge Beweismaßstäbe Behandlungswunsch/mutmaßlicher Wille 52 53 Patientenautonomie ist die goldene Kehrseite einer Medaille, deren Nachtseite die Angst ist, dass niemand „seines Bruders Hüter“ sein will. Die Fiktion einer Autonomie bis zuletzt kann aber wenig daran ändern, dass ein nicht mehr einwilligungsfähiger Patient, ob er etwas geschrieben hat oder nicht, der verantwortlichen Entscheidung Dritter anheimgegeben ist. Hier hilft nur die Stärkung von Verantwortung, Zuwendung und Solidarität. Margot von Renesse , Zeitschrift für evangelische Ethik 2005, 144 (146) 54 Kontrollfragen – Fazit • 1. Ist der Patientenwille feststellbar und maßgebend? • 2.Wer stellt Patientenwillen fest und setzt ihn durch? • 3.Wann bedarf es der Mitwirkung des Betreuungsgerichts? 55 Anhang: Vorsorgevollmacht u. Patientenverfügung – Empfehlungen der BÄK, DÄBl. 110, Heft 33-34, 19.8.2013, A-1580 Humanistischer Verband Deutschlands, BMJ, BÄK, LÄK, Malteser, Deutsche Hospiz Stiftung, Christliche Patientenverfügung …. + www.gesetze im internet 56 Zum Weiterlesen: • • • • • Hintze u. a., Borasio u. a., Udo Reiter, Fritz Raddatz, Hans Küng ABER: Walter Jens, Hospize Bundestagsdebatte(n) – BT-DrS 17/11126 BGH 2 StR 145/11, Urt. v. 14.9.2011 (Internetauftritt: BGH – Entscheidungsdatenbank) Sowie Richtlinien der BÄK zur ärztlichen Sterbebegleitung, Januar 2011 Jede Bibliothek – Stichwort: „Sterbehilfe“ 57