Erfahrungen in der Vermittlung von Erwachsenen mit geistigen Behinderungen in Gastfamilien Fachtag BWF am 30.06.2015 Die Diakonische Stiftung Wittekindshof Gegründet 1887 als Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen in Bad Oeynhausen-Volmerdingsen Rund 1.800 stationäre Wohnplätze für Kinder, Jugendliche und Erwachsene Über 530 Klienten im Ambulant Betreuten Wohnen 1.400 Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen Förderschulen, Kindertagesstätten, Frühförderung Insgesamt nutzen mehr als 3.900 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit und ohne Behinderung die Angebote in 18 westfälischen Kommunen 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 2 BWF im Wittekindshof 1960er Jahre: Vermittlung von erwachsenen Menschen mit geistigen Behinderungen in Familien. Arbeit und Wohnen unter einem Dach als Leistung und Gegenleistung, vorrangig in der Landwirtschaft 1970er Jahre: Mit Etablierung der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen verlor die „Familienpflege“ an Bedeutung 2003: Neukonzeptionierung nach den Richtlinien des LWL 2004: Wechsel der Verantwortlichkeit, Angliederung an einen Wohnbereich, erste Vermittlungen 2010: erste Mutter-Kind-Betreuung 2015: 60 erwachsene Menschen mit Behinderungen zwischen 19 und 101 Jahren Klienten kommen aus Herkunftsfamilien, Pflegefamilien, stationären Einrichtungen, eigener Häuslichkeit Überwiegend Menschen mit geistigen Behinderungen 3 Mutter-Kind-Betreuungen 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 3 Entwicklung 70 60 50 Anzahl 40 30 20 10 0 2003 30.06.2015 2004 2005 2006 2007 2008 2009 © Kirsten Lüking, DSW 2010 2011 2012 2013 2014 2015 4 Gründe für Beendigung Weitere Verselbstständigung / Auszug in eigene Wohnung: 10 Altersbedingte stationäre Wiederaufnahme: 5 Stationäre Wiederaufnahme auf eigenen Wunsch: 2 Verstorben: 7 Kündigungen durch Gastfamilie / Wechsel der Familie: 2 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 5 Lebenswege: Steffi W., 28 Jahre Im BWF seit 2013 30.06.2015 Beratungsschwerpunkte: Ablösung von der Herkunftsfamilie Entwicklung von Basiskompetenzen Entwicklung und Klärung der Mutterrolle (leibliche Mutter – Gastmutter) Perspektivenentwicklung © Kirsten Lüking, DSW 6 Lebenswege: Sven H., 30 Jahre Im BWF von 2004 bis 2014 Beratungsschwerpunkte: Überbehütung abbauen hohe Verantwortlichkeit der Gastfamilie bei gleichzeitiger Überforderung erkennen und bearbeiten Realistsche Perspektivenentwicklung Verselbständigungsansätze des Klienten fördern zusätzliche psychische Erkrankung bearbeiten 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 7 Lebenswege: Auguste K., 101 Jahre Im BWF seit 2010 30.06.2015 Beratungsschwerpunkte: Schaffung von Entlastungsmöglichkeiten Wertschätzung und Anerkennung der Gastmutter Vermittlung zwischen Gastmutter und gesetzlicher Betreuerin © Kirsten Lüking, DSW 8 Lebenswege: Heinz-Dieter W., 72 Jahre Im BWF seit 2004 30.06.2015 Beratungsschwerpunkte: Aufarbeitung früherer Erlebnisse und der Folgen Thematisierung von Altern, Krankheit und Sterben Vermittlung von Zusatzangeboten (Tagesstruktur, Pflege) © Kirsten Lüking, DSW 9 Chancen… Vermeidung/Beendigung von Heimunterbringung (ambulant vor stationär) Korrigierende Erfahrungen Fortführung von Pflegekinder-Verhältnissen auch nach Erreichen der Volljährigkeit mit neuem Schwerpunkt (Pflegekind vs. Erwachsener) Individuelle Unterstützung: familiär und liebevoll, mit fachlicher Begleitung Möglichkeit für die Herkunftsfamilie, Verantwortung abzugeben und zur Ruhe zu kommen Einbindung in Nachbarschaft, Vereine, Gemeinden Nutzung von vorhandenen Netzwerken Kleinschrittige Vorbereitung von selbstständigem Wohnen 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 10 …und Risiken / Befürchtungen Überbehütung, Kindersatz Unangemessener Umgang Missbrauch, Ausnutzung Mangelnde Versorgung Enttäuschung durch Scheitern des Betreuungsverhältnisses Uneinigkeit zwischen Gastfamilie und Angehörigen über Standards und Betreuungsinhalte Fehlende Fachlichkeit der Gastfamilien 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 11 Begleitung, Beratung, Entlastung: Wie wir Risiken minimieren Sorgfältige Auswahl der Gastfamilien, kleinschrittige Anbahnung Arbeitsmethode: Bezugsmitarbeiter und Co-Beratung Nicht unseren Weg gehen, sondern Familie und Klient auf IHREM Weg begleiten Hausbesuche nach Bedarf (in der Regel 2 bis 3-wöchentlich) Intensive Einzelkontakte, Freizeitangebote Beratung bei alltäglichen Fragestellungen und akuten Krisen Kontrolle: Basisversorgung, Selbstbestimmung, Überforderung Fortlaufende Überprüfung der vereinbarten Ziele Vermittlung von Zusatzangeboten Nach Absprache Übernahme von Facharztbesuchen Sicherstellung von Urlaubsbetreuung Vernetzung mit anderen Familien 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 12 Unser Selbstverständnis als Team – was uns wichtig ist Förderung und Unterstützung von Selbstbestimmung und Selbstständigkeit unserer Klienten Berufs- und Lebenserfahrung Eigene Standards zurückstellen Familie als System verstehen Flexibilität: zeitlich, persönlich, im Denken und Handeln Über den Tellerrand schauen Kontinuität in der Begleitung Positive Grundhaltung Ressourcen- und lösungsorientiertes Arbeiten Sich ständig selbst hinterfragen 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 13 Unsere Erfahrungen Zitate von Gastfamilien und Klienten „Wir sind so dankbar, dass Ulla bei uns ist. Jeden Tag, wenn sie aus ihrem Zimmer kommt, geht bei uns die Sonne auf“ (Familie S.) „Es ist einfach so schön mit Jacqueline. Sie ist eine Bereicherung für unsere Familie.“ (Familie J.) „Seit Hildegard bei mir ist, komme ich wieder gern nach Hause.“ (Frau M.) “Veronika bringt mich so oft herzlich zum Lachen. Sie bringt mir durch ihre Art so viel Freude.“ (Frau K.) „So schön wie hier habe ich es noch nie gehabt.“ (Günther über Familie L.) „Ich habe so viel gelernt, jetzt schaffe ich es allein. Auch wenn ich lieber bleiben würde. Aber es ist an der Zeit, auf eigenen Füßen zu stehen.“ (Sven über Familie R.) „Rosi hat mir versprochen, dass ich hier bleiben darf, bis ich sterbe“ (Herbert F., verstorben im Juni 2012 bei seiner Gastfamilie) „Es ist ein Geschenk, dass wir Richard kennenlernen und so lange bei uns haben durften“ (Familie L. über Richard, verstorben im Mai 2014) „Kann ich gleich hierbleiben?“ (Detlef am Ende des ersten Kennenlerntages) 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 14 Unsere Erfahrungen II Verhaltensweisen, die früher störend oder schwierig waren, tauchen im neuen Umfeld häufig seltener oder gar nicht mehr auf. Viele stressbedingte Symptome lassen erheblich nach, oft können Medikamente reduziert oder sogar abgesetzt werden. Wenn sie gut vorbereitet sind, laufen Pflegeverhältnisse mit Klienten mit geistigen Behinderungen oft über lange Zeiträume sehr stabil. Auch für „spezielle“ Menschen gibt es „spezielle“ Familien. Für eine liebevolle und individuelle Unterstützung braucht man keine Fachausbildung. Familie ist gelebte Inklusion. Es ist nie zu spät für einen Neuanfang! 30.06.2015 © Kirsten Lüking, DSW 15 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!