(2) Zu A - Evangelische Akademie Tutzing

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Die biotechnische
Erneuerung des Menschen
Prof. Dr. Ludwig Siep
Übersicht:
1. Perfektionierung des Menschen in der
europäischen Geschichte
2. Gibt es ein Gebot der biotechnischen
Erneuerung des Menschen?
3. Ist die biotechnische Verbesserung des
Menschen erlaubt?
4. Therapie und Verbesserung (Enhancement)
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Prof. Dr. Ludwig Siep
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1. Perfektionierung des Menschen in der Neuzeit
1.1. Traditionelle Formen der Vervollkommnung:
a) Heldenhafte Taten, Staatsgründung, „göttliche“
Weisheit (Antike)
b) Moralische Vervollkommnung (Askese, Tugend,
Nachfolge Christi etc. – Antike, Mittelalter)
c) Kreativität, Schöpferkraft (Künstler, Erfinder, Entdecker, Eroberer – Renaissance, Frühe Neuzeit)
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1. Perfektionierung des Menschen in der Neuzeit (2)
1.2. Tendenzen der Perfektionierung in der Neuzeit:
a) Das Ideal des Schöpferischen statt der
„Nachahmung der Natur“
b) Säkularisierung der Eschatologie: Das Projekt
einer idealen Gesellschaft und des neuen
Menschen (Utopien, Aufklärung, totalitäre
Eugenik)
c) Moderne Naturwissenschaften, Medizin,
Biotechnik und „liberale Eugenik“
d) Das Problem des „Enhancement“: Therapie,
Kompensation, Anti-aging, Erneuerung
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2. Gebot der biotechnischen Erneuerung?
2.1. Was ist eine radikale Erneuerung?
a) Deutliche Lebensverlängerung (ab 120 Lebensjahren mit guter Qualität)
b) Erwerb von „artfremden“ körperlichen und geistigen
Fähigkeiten (Infrarotsehen, Echolot, ComputerGehirn, Sympathie statt Aggressivität)
c) Mittel: Keimbahntherapie, Stammzelltherapie,
Nanotechnologie
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2. Gebot der biotechnischen Erneuerung? (2)
2.2. Begründung eines Erneuerungsgebotes
A. Evolutionstheoretisch:
(1) Menschheit muss sich verbessern, um in der
Evolution zu überleben.
(2) Evolution soll aktiv vorangetrieben werden
(Transhumanisten).
Kritik:
•
Aus Fakten folgen keine Normen (naturalistischer
Fehlschluss).
•
Überleben der Gattung ist nicht durch biologische
Konkurrenz gefährdet.
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2. Gebot der biotechnischen Erneuerung? (3)
B. Soziale Begründung:
(1) Derzeitige soziale Probleme (Krieg, Mangel, Machtstreben) nur mit verbesserten Menschen lösbar.
(2) Zukünftige Anforderungen erfordern neue Menschen
(Bevölkerungswachstum, Technik).
Kritik:
•
Folgen der Verbesserung unabschätzbar (emotionale
Gesamtverfassung, Intelligenzsprung).
•
Neue Probleme entstehen: Ungleichheit, Herrschaft
der „Perfekten“, Verlust von Normalmaß. Was ist eine
„gute Lösung“?
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2. Gebot der biotechnischen Erneuerung? (4)
C. Ästhetische Begründung:
(1) Objektiv – Perfektion ist ein Ziel menschlichen
Könnens („Intrinsischer Wert“).
(2) Subjektiv – Menschen wünschen und streben nach
Perfektion.
Kritik:
•
Lernen, Verbesserung etc. bedeutet nicht, perfekte
Gegenstände schaffen (Erziehung, Garten, Staat).
•
Für Leistungen aufgrund biotechnischer
Verbesserung fehlen Kriterien (vgl. Doping).
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2. Gebot der biotechnischen Erneuerung? (5)
D. „Hedonische“ Begründung:
(1) Steigerung von Genussmöglichkeiten ist
erstrebenswert.
(2) Perfektion, Höchstleistung ist Quelle von Genuss.
Kritik:
•
Den Genuss haben erst zukünftige Menschen.
•
Der Genuss (und das Leid) durch radikal gesteigerte Fähigkeiten (Lebenslänge!) ist unvorhersehbar.
•
Ungleichheit, Exklusivität, schafft Frustration, Neid,
soziale Spannung.
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2. Gebot der biotechnischen Erneuerung? (6)
E. Moralische Begründung:
Verbesserte körperliche, emotionale und intellektuelle Verfassung ist bessere Voraussetzung für
moralisches Handeln (Autonomie, Sympathie).
Kritik:
•
Moral hat es nicht nur mit Vernunft, sondern mit der
emotionalen Gesamtverfassung zu tun. Deren Veränderung ist unvorhersehbar.
•
Die Moral einer radikal veränderten Menschheit
kennen wir nicht. Also kann es in der bisherigen
Moral kein Gebot ihrer Verwirklichung geben.
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2. Gebot der biotechnischen Erneuerung? (7)
F. Theologische Begründung
Die Schöpfung und der Mensch sind unvollkommen,
damit der Mensch sie verbessert (John Locke bis
moderne Kerntechnikingenieure).
Kritik:
•
In der Schöpfung (Natur) und der Offenbarung ist
kein „ausstehendes“ Ziel einer durch den Menschen
(nicht durch Erlösung) technisch erreichbaren Vollendung erkennbar.
•
Nachahmung von Schöpferkraft setzt keine biotechnischen Ziele.
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3. Ist die Erneuerung erlaubt?
Gründe für ein Verbot biotechnischer Erneuerung
A. Schädigung der Interessen anderer
A. Verstoß gegen die Menschenwürde
A. Schädigung öffentlicher Güter
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3. Ist die Erneuerung erlaubt? (2)
Zu A:
•
Schädigung durch Vorteil der Verbesserten (Verstoß
gegen Chancengleichheit).
•
Vermeidbar durch moralische Verbesserung oder
soziale Kompensation ? (Probleme s. o.)
Zu B:
Wessen Würde?
•
„Verbesserte“: Durch Alter, fehlende Menschlichkeit?
Aber nur bei eigenem Bewusstsein davon.
•
„Übrige“: Durch „verzerrte“ Glieder etc? Aber „Geschmackswandel“, Autonomie.
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3. Ist die Erneuerung erlaubt? (3)
Zu C:
Schädigung öffentlicher Güter?
•
Public goods: Nicht-exklusiv zu genießen, Leistungen nicht erzwingbar.
•
Betroffene Güter: Solidarität, Toleranz, Gesundheit, Bildung. Offenbar alle durch eine „Generation
verbesserter Menschen“ gefährdet.
•
Wieder Problem der Kompensierbarkeit. Maßstab
für Gesundheit, Bildung ist der „herkömmliche
Mensch“. Moralische Standards der Verbesserten
unklar. Verzögerte Generationenfolge?
Fazit: Nicht alles zwingend verboten, aber viele Gründe gegen uneingeschränkte Erlaubnis.
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4. Therapie und Enhancement
1. Heutige Formen von Enhancement:
Anti-aging, Schönheitsmedizin, Leistungssteigerung,
Medikamente als Verbesserer (Anti-depressiva,
Konzentrationsförderer), Prothetik, Implantate
2. Verschiebung der Grenze des Normalen, Gesunden
etc. durch neue Möglichkeiten und folgende Ansprüche.
3. Krankheitsbegriff: Physiologische Störung,
Subjektives Leiden, Hinderung normaler Leistungen.
Therapie ist also nicht bewusste
Leistungssteigerung!
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4. Therapie und Enhancement (2)
Schlußfolgerung:
A. Ein Gebot zur Erneuerung ist nicht zu begründen.
B. Schäden, Verluste, Nachteile sind erkennbar.
Gewinn, Vorteile für alle schwer antizipierbar.
C. Keine guten Gründe eines aktiven Vorantreibens
biotechnischer Erneuerung für eine Gesellschaft.
D. Zurückhaltung bei Erlaubnis individueller Verbesserung. Verbote zu rechtfertigen, wenn auch
nicht durch eindeutig zwingende Gründe.
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