Prof. Dr. Wilhelm Kempf Universität Konstanz Einführung in die Methoden der Psychologie Tutorium Wiederholung: Der Wahrheitsbegriff Definition: „Wahrheit“: Die Aussage A ist “wahr” bedeutet, die Aussage A kann für das eigene Handeln verwendet werden und der Behauptende verspricht auf Verlangen die Verteidigungspflicht einzulösen. Man kann verschiedene Arten von Wahrheit unterscheiden. Wir haben 3 Einteilungen kennengelernt: Leibniz: Tatsachen- und Vernunftwahrheiten Kant: synthetisch vs. analytisch, a priori vs. a posteriori Heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Leibniz: Vernunft- vs. Tatsachenwahrheiten: • Vernunftwahrheiten: Gegenteil ist unmöglich, ob Aussage wahr/falsch ist muss durch Logik ermittelt werden • Tatsachenwahrheiten: Gegenteil ist möglich (Aussage kontingent), ob Aussage wahr/falsch ist muss durch Beobachtung (Empirie) ermittelt werden Kant (aufbauend auf der Unterscheidung von Leibniz): Trennung von Aussagenstruktur und Form der Verteidigung von Aussagen • Struktur von Aussagen: analytisch vs. synthetisch • Form der Verteidigung von Aussagen: a priori vs. a posteriori Struktur von Aussagen: analytisch vs. synthetisch • Analytisch: analytische Aussagen sind nicht kontingent (sie sind aufgrund von Logik oder Sachlogik immer wahr oder immer falsch) • Synthetisch: synthetische Aussagen sind kontingent (dh. aufgrund von Logik und Sachlogik können sie sowohl wahr als auch falsch sein) Form der Verteidigung von Aussagen: a priori vs. a posteriori • A priori: Verteidigung einer Aussage ohne Beobachtung (z.B. durch Anführen von Prädikatorenregeln) • A posteriori: Verteidigung einer Aussage mit Beobachtung (empirisch) Kant: Trennung von Aussagenstruktur und Form der Verteidigung von Aussagen Struktur von Aussagen: Form der A priori Verteidigung von Aussagen: A posteriori Analytisch Synthetisch Unproblematisch Fraglich Unsinnig (Pseudoempirie) Unproblematisch Kant: Trennung von Aussagenstruktur und Form der Verteidigung von Aussagen Analytische Aussagen, die a priori verteidigt werden, sind unproblematisch Synthetische Aussagen, die a posteriori verteidigt werden, sind ebenfalls unproblematisch Analytische Aussagen, die a posteriori verteidigt werden, sind zwar möglich, aber unsinnig viel Aufwand (Pseudoempirie; Bsp.: Untersuchung, ob alle Junggesellen unverheiratet sind) Ob es synthetische Aussagen gibt, die man a priori verteidigen kann, ist umstritten; die Befürworter sind der Ansicht, dass die Sätze der Arithmetik ein Beispiel hierfür sind Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. a priori synthetisch i.e.S. empirisch a posteriori Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. a priori synthetisch i.e.S. empirisch a posteriori Analytisch: nicht kontingente Aussagen (aufgrund von Logik oder Sachlogik immer wahr oder immer falsch) Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. a priori synthetisch i.e.S. empirisch a posteriori Synthetisch: kontingente Aussagen (können aufgrund von Logik und Sachlogik sowohl wahr als auch falsch sein) Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. a priori synthetisch i.e.S. empirisch a posteriori formal logisch: wahr / falsch allein aufgrund der logischen Form (Wahrheitstafel!), ohne Berücksichtigung der Bedeutung der Teilaussagen Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. a priori synthetisch i.e.S. empirisch a posteriori Analytisch im engeren Sinne: wahr/falsch aufgrund der Regeln der Terminologie Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. a priori synthetisch i.e.S. empirisch a posteriori Synthetisch im engeren Sinne: wahr/falsch aufgrund der Regeln der Mathematik Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. a priori synthetisch i.e.S. empirisch a posteriori empirisch: wahr/falsch aufgrund von Beobachtung Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. a priori synthetisch i.e.S. empirisch a posteriori sachlogisch: wahr/falsch aufgrund der Regeln der Terminologie oder der Mathematik Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. a priori synthetisch i.e.S. empirisch a posteriori a priori: Verteidigung der Aussage ohne Beobachtung möglich Wahrheit: heute in der Psychologie üblicher Sprachgebrauch Wahrheit analytisch synthetisch sachlogisch (formal) logisch analytisch i.e.S. synthetisch i.e.S. a priori a posteriori: für Verteidigung der Aussage ist Beobachtung nötig empirisch a posteriori Was sind sachlogisch wahre Aussagen? • Frage: ist die Aussage (A ¬B) wahr oder falsch? Was sind sachlogisch wahre Aussagen? • Frage: ist die Aussage (A ¬B) wahr oder falsch? Oder genauer: • Ist sie formal-logisch wahr, falsch oder kontingent? • Wenn kontingent: ist sie sachlogisch wahr, falsch oder kontingent? • Wenn kontingent: ist sie empirisch wahr oder falsch? Was sind sachlogisch wahre Aussagen? • Ist die Aussage (A ¬B) wahr oder falsch? • 1. Aufgrund formaler Logik: Wahrheitstafel A W W F F B W F W F ¬B F W F W A ¬B F W W W Ergebnis: Die Aussage ist formallogisch kontingent! Aber ist die Aussage (A ¬B) auch sachlogisch kontingent? Wir müssen die Termini klären! Was bedeutet A, was bedeutet B? z.B.: A = gelb; B = blau Gelb und blau sind konträre Gegensätze, d.h. was gelb ist kann nicht blau sein, und was blau ist kann nicht gelb sein. Es ist also sachlogisch unmöglich, dass die Aussage „A und B“ wahr ist. z.B.: A = gelb; B = blau Gelb und blau sind konträre Gegensätze, d.h. was gelb ist kann nicht blau sein, und was blau ist kann nicht gelb sein. Es ist also sachlogisch unmöglich, dass die Aussage „A und B“ wahr ist. In unserer Wahrheitstafel: A B ¬B (W) (W) (F) W F W F W F F F W A ¬B (F) W W W Sachlogisc h unmöglich, fällt weg. z.B.: A = gelb; B = blau Gelb und blau sind konträre Gegensätze, d.h. was gelb ist kann nicht blau sein, und was blau ist kann nicht gelb sein. Es ist also sachlogisch unmöglich, dass die Aussage „A und B“ wahr ist. In unserer Wahrheitstafel: A B ¬B (W) (W) (F) W F W F W F F F W A ¬B (F) W W W Sachlogisc h unmöglich, fällt weg. Die Aussage ist sachlogisch immer wahr! Eine empirische Untersuchung wäre überflüssig. Und zum Abschluss noch 2 Fragen: Worin besteht der Unterschied zwischen formallogischen, sachlogischen und empirischen Aussagen? Worin besteht der Unterschied zwischen formallogischen, sachlogischen und empirischen Aussagen? Formal-logische Aussagen: Wahr oder falsch aufgrund ihrer logischen Form Sachlogische Aussagen: Wahr oder falsch aufgrund der Regeln der Terminologie oder der Mathematik Empirische Aussagen: Wahr oder falsch aufgrund von Beobachtung Worin besteht der Unterschied zwischen strukturellen und empirischen Theorieanteilen? Worin besteht der Unterschied zwischen strukturellen und empirischen Theorieanteilen? Strukturelle Theorieanteile sind solche, die logisch oder sachlogisch zu begründen sind. Empirische Theorieanteile sind solche, die durch Beobachtung zu begründen sind.