Lexikon der Erkenntnistheorie

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A priori
zwei sehr prominente Vertreter dieser Argumentationsstrategie. BonJour (1998) ist der
Auffassung, dass jede Widerlegung argumentativer Natur ist und dass ein Argument nur
dann gerechtfertigte Konklusionen hervorbringt, wenn die Schlussregel a priori als gültig
erkannt wird. Dann wäre jedes Argument gegen apriorisches Wissen erkenntnistheoretisch
inkonsistent: Wenn die Konklusion wahr wäre,
dann wäre sie nicht gerechtfertigt (und könnte
nicht gewusst werden). Die Überzeugungskraft
dieses Selbstaufhebungsarguments hängt jedoch vollkommen von BonJours Konzeption
der Rechtfertigung ab. Er glaubt nämlich, dass
tatsächlich gültige Schlüsse nicht ausreichen,
um von gerechtfertigten Prämissen zu gerechtfertigten Konklusionen zu gelangen. Seiner
Auffassung nach muss man die Gültigkeit der
Schlüsse zusätzlich auch noch erkennen. Damit
erweist er sich als Anhänger eines erkenntnistheoretischen Internalismus – eine Position,
die in der gegenwärtigen Erkenntnistheorie
heftig umstritten ist. G. Bealers Selbstaufhebungsargument (1993) hängt dagegen nicht
vom Internalismus ab. Er glaubt, dass jedes
Argument gegen apriorisches Wissen (oder
apriorische Rechtfertigung) von Prämissen
abhängt, die wir nur a priori rechtfertigen
können. So enthalten die meisten dieser Argumente bestimmte Annahmen über erkenntnistheoretische Prinzipien; und die können wir
nach Bealer eben nur a priori erkennen. Aber
auch diese Annahme kann von radikalen
Empiristen, die apriorische Erkenntnisquellen
völlig ablehnen, natürlich bestritten werden,
sofern sie in der Lage sind, das Wissen von
den Erkenntnisprinzipien empirisch zu erklären. Der Erfolg der empiristischen Strategie
wird hier ganz davon abhängen, inwiefern es
ihnen wirklich gelingt, das fragliche Wissen
ohne Rückgriff auf apriorische Quellen zu erklären.
Probleme apriorischer Erkenntnis. Empiristen haben die Möglichkeit apriorischer Erkenntnis aber auch direkt angegriffen, indem
sie eine Reihe von Problemen für diese Art der
Erkenntnis benannt haben:
(1.) Von W. V. O. Quine stammt der Einwand,
dass es keine apriorische Erkenntnis geben
könne, weil keine wie auch immer gerechtfertigte Meinung unrevidierbar oder unanfechtbar sei. Dieser Einwand setzt jedoch voraus,
dass apriorische Gründe unanfechtbar sind,
und das widerspricht den vorangehenden
Überlegungen. Eine fehlbare und deshalb anfechtbare Rechtfertigung a priori ist nämlich
durchaus möglich.
(2.) Empiristen aller Art haben immer wieder
eingewandt, dass apriorische Erkenntnisse obskur und unerklärlich sind. Zum einen ist vollkommen unklar, welche psychologischen Prozesse ihnen zugrunde liegen. Der Vorschlag,
dass hier das Verstehen der eigenen Begriffe
eine zentrale Rolle spielt, könnte bestenfalls
apriorisches Wissen von analytischen Wahrheiten erklären, nicht aber von den interessanteren synthetischen Wahrheiten a priori über
die Welt. Zum anderen gibt es offenbar keinen
direkten kausalen Einfluss der mathematischen, logischen oder philosophischen Gegenstandsbereiche auf unser rationalistisches
Denkvermögen. Doch damit bleibt die Zuverlässigkeit apriorischer Erkenntnis letztlich unerklärt. Sofern es rationalistische Erklärungsansätze gibt, schränken sie den Umfang apriorischen Wissens erheblich ein. So kann unser
Begriffsverständnis bestenfalls erklären, wie
wir die Wahrheiten erkennen können, die allein aufgrund von Bedeutung wahr sind und
deshalb nicht von der Welt handeln. Kant hat
mit seinem transzendentalen Idealismus genau
diese Lücke füllen wollen, aber nur um den
Preis, dass er die Objektivität der Welt preisgegeben hat. Sofern diese Welt nämlich durch
Denkhandlungen konstituiert ist, kann man
sehr gut verstehen, wie man durch reines Nachdenken die Struktur der Welt erkennen kann.
(3.) Selbst wenn man verstehen könnte, wie sich
rationale Intuitionen auf eine objektive geistunabhängige Welt beziehen können, so wird
deren Zuverlässigkeit doch massiv dadurch in
Frage gestellt, dass in neuerer Zeit durch empi-
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Analytisch
rische Studien nahegelegt wird, dass diese Intuitionen relativ auf Kulturen, Bildungsniveau
und Hintergrundtheorien sind.
Nachdem die Philosophie zumindest in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend
vom Empirismus dominiert wurde, lässt sich
zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein deutliches
Wiedererstarken rationalistischer Entwürfe
erkennen. Vertreter des neuen Rationalismus
sind u. a.: Bealer, Boghossian, BonJour, Chalmers, Jackson, Peacocke und Sosa. Die Herausforderung für den Empirismus besteht im
Wesentlichen darin, vermeintlich apriorische
Wissensarten (wie mathematisches, logisches
und philosophisches Wissen) empiristisch zu
erklären. Rationalisten müssen dagegen vorrangig versuchen, das Erklärungsproblem zu
lösen, welches die apriorische Erkenntnis von
einer unabhängigen Wirklichkeit aufwirft.
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Lit.: Bealer, George: „The Incoherence of Empiricism“, in: S. Wagner / R. Warner (Hg.): Naturalism:
A Critical Appraisal, Notre Dame, Ind.; University
of Notre Dame Press, 1993. S. 163–196. – BonJour,
Laurence: In Defense of Pure Reason, Cambridge,
Ma.: Cambridge University Press, 1998 (vorzüglich
lesbare Verteidigung des Rationalismus aus aktueller Perspektive, der Klassiker der Gegenwartsphilosophie zum Thema). – Casullo, Albert: A Priori Justification, Oxford: Oxford University Press, 2003
(anspruchsvolles Buch, das sehr gute Überlegungen
zur Definition apriorischer Rechtfertigung enthält
und die Argumente für und wider relativ neutral
darstellt). – Descartes, René: Meditationen über die
Grundlagen der Philosophie, Hamburg: Meiner,
1992. – Devitt, Michael: „There is no A Priori“, in:
Matthias Steup / Ernest Sosa (Hg.): Contemporary
Debates in Epistemology, Malden, Ma.: Blackwell,
2005. S. 105–115. – Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, hg. v. Jens Timmermann, Hamburg:
Meiner, 1998. – Kitcher, Philip: The Nature of
Mathematical Knowledge, Oxford: Oxford University
Press, 1983 (Versuch einer empiristischen Rekonstruktion der Mathematik). – Kitcher, Philip: „A
Priori Knowledge Revisited“, in: P. Boghossian /
C. Peacocke (Hg.): New Essays on the A Priori, Oxford: Clarendon Press, 2000. S. 65–91. – Kornblith,
Hilary: Knowledge and Its Place in Nature, Oxford:
Clarendon Press, 2002 (sehr gut lesbarer Versuch
einer empiristischen Rekonstruktion der Philosophie). – Kripke, Saul: Name und Notwendigkeit,
Frankfurt / M.: Suhrkamp, 1993. – Quine, W. V. O.:
„Two Dogmas of Empiricism“, in: ders., From a logical Point of View, Cambridge, Ma.: Harvard University Press, 1953. S. 20, 46 (fallibilistische Kritik am
Apriori).
T. G.
Analytisch
Mit Kant ist der Begriff der Analytizität ins
Zentrum der Erkenntnistheorie gerückt (Kritik
der reinen Vernunft A 7–10, B 11–14). Er war
der Meinung, dass die grammatikalische
Struktur ,S ist P‘ eine Grundform des Urteils
ist. Das Urteil ist analytisch, wenn der Gehalt
des Prädikats P im Inhalt des Subjekts S enthalten ist, das heißt, wenn der Inhalt von S kleiner
als der Inhalt von P ist oder beide gleichwertig
sind, wie zum Beispiel im Urteil „Alle Körper
sind ausgedehnt“. Nach einer anderen Auffassung Kants ist ein Urteil analytisch, wenn seine
Wahrheit durch Reduktion auf das Widerspruchsprinzip bestimmt werden kann. Ein
Urteil ist synthetisch, wenn der Inhalt von P
über den Inhalt von S hinausgeht. Nach Kant
kann dann das Urteil ,S ist P‘, zum Beispiel
„7 + 5 = 12“, nicht auf das Prinzip des Widerspruchs reduziert werden. Wichtig war für
Kants Ansatz die Trennung der Unterscheidung
zwischen analytisch und synthetisch einerseits
von der Unterscheidung zwischen a priori ( A
priori) und a posteriori andererseits. Dies war
eine neue Einsicht, denn Humes Begriff des
Tatsachensatzes und des Satzes über die Beziehung zwischen Ideen, so wie auch Leibniz’ Unterscheidung zwischen den vérités de raison
und den vérités de fait, können als analytisch
bzw. synthetisch oder als a priori bzw. a posteriori interpretiert werden. Beide Unterscheidungen Kants ergeben zusammen vier Arten
von Urteilen oder Sätzen: analytisch a priori,
analytisch a posteriori, synthetisch a priori und
synthetisch a posteriori. Weil alle analytischen
Sätze tautologisch sind, sind sie auch a priori.
Es gibt keinen Grund, um innerhalb der analy-
Analytisch
tischen Sätze die apriorischen von den aposteriorisch gültigen zu unterscheiden. Die Logik
besteht aus analytischen Urteilen, die Mathematik (Arithmetik und Geometrie) enthält
synthetische Wahrheiten a priori (zum Beispiel
„7 + 5 = 12“, „der Raum ist dreidimensional“).
Das Gleiche gilt für die mathematische Physik
(Newtons Gesetze). Die experimentellen Wissenschaften enthalten vor allem synthetische
Urteile a posteriori. Kant war der Meinung,
dass seine Theorie der synthetischen Urteile a
priori, die also das Wissen erweitern und von
der Erfahrung unabhängig sind, den Gegensatz
zwischen Empirismus und Rationalismus überwindet und die kopernikanische Wende in der
Philosophie einleitet.
Die Unterscheidung zwischen Analytizität
und Synthetizität, die im 19. Jahrhundert u. a.
durch Bolzano und Frege diskutiert wurde,
wurde im 20. Jahrhundert intensiv geführt. Sie
erschien nicht nur für die Erkenntnistheorie
wichtig, sondern auch für die Philosophie der
Logik und der Mathematik, für die Philosophie der Sprache und für die Philosophie der
Wissenschaften (Proust 1989, Woleński 2004,
Wille 2007). Bolzano definiert den analytischen Satz als einen Satz, der unabhängig
von Veränderungen in nichtlogischen Elementen richtig bleibt. Nach Frege dagegen kann
die Wahrheit jedes analytischen Satzes allein
auf Grund der Regeln der Logik und durch
Definitionen nachgewiesen werden. Frege hat
die Aussagen der Mathematik, mit Ausnahme
der Geometrie, als analytische betrachtet. Die
Geometrie dagegen ist eine Wissenschaft, die
synthetische, a priori wahre Aussagen enthält.
Die Mathematik als System analytischer Sätze
liegt dem Logizismus in der Philosophie der
Mathematik zugrunde, der auf Frege zurückgeht und durch Russell, Wittgenstein (mit
einigen Einschränkungen) und Carnap entwickelt wurde ( Mathematisches Wissen).
W. V. O. Quines Aufsatz Zwei Dogmen des Empirismus (Quine 1953) präsentiert einflussreiche Argumente gegen die Unterscheidung von
analytischen und synthetischen Sätzen. Sie ist
Gegenstand einer lebhaften Diskussion bis
zum heutigen Tag (Woleński 2004, Russell
2008).
Kants Definition des Begriffs analytischer Satz
gilt heute als zu eng. Im 20. Jahrhundert wurden andere Definitionen von analytisch vorgeschlagen (cf. Delius 1963, Woleński 2004).
B. Mates (Mates 1951) hat folgende Arten von
Bestimmungen des Begriffs analytisch unterschieden (das Prädikat „ist analytisch“ ist in
der Regel eine Abkürzung von „ist analytisch
wahr“):
(a) Die Aussage A ist analytisch dann und nur
dann, wenn A in jeder möglichen Welt wahr ist.
(b) Die Aussage A ist analytisch dann und nur
dann, wenn A unmöglich falsch sein kann.
(c) A ist analytisch dann und nur dann, wenn
non-A in sich widersprüchlich ist.
(d) A ist analytisch dann und nur dann, wenn
A auf Grund der Bedeutung und unabhängig
von den Tatsachen wahr ist.
(e) A ist analytisch dann und nur dann, wenn A
eine logische Wahrheit ist oder in eine logische
Wahrheit durch Substitution von Synonymen
umgewandelt werden kann.
(f) A ist analytisch dann und nur dann, wenn A
in jeder Zustandsbeschreibung wahr ist.
(g) A ist analytisch dann und nur dann, wenn
A auf Grundlage der Definitionen der nichtlogischen Terme in A auf eine logische Wahrheit reduziert werden kann.
(h) A ist in einer Sprache L analytisch dann
und nur dann, wenn A allein auf Grund der
semantischen Regeln von L wahr ist.
Man kann zeigen, dass die Definitionen von (a)
bis (c) und (f) gleichwertig sind. Wenn A analytisch im Sinne von (a) ist, ist A auch im Sinne
von (f) analytisch, weil die möglichen Welten
als die maximalen Sachverhalte berücksichtigt
werden können. Auf der anderen Seite ist die
Falschheit von A dann ausgeschlossen und die
Negation von A ist in sich widersprüchlich. Der
Übergang von (c) bis zu (b) und dann bis zu (a)
und (f) liegt auf der Hand.
Die Definitionen von (a) bis (h) verwenden unterschiedliche Begriffe: In (a), (b) und (f) sind es
semantische Begriffe. Diese Definitionen kann
man zusammen folgendermaßen ersetzen: Die
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Analytisch
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Aussage A ist analytisch dann und nur dann,
wenn A in jedem Modell wahr ist.
Die Definition (c) hat syntaktischen Charakter,
weil die Kategorie des Widerspruchs zur Syntax einer Sprache gehört. Obgleich es Versuche
gab, Begriffe wie Bedeutung, Synonymität, Definition oder semantische Regel auf semantische Begriffe und Regeln zu reduzieren (im
Wiener Kreis sogar auf die Syntax), gilt heute
eine solche Behandlung als unmöglich, denn
die Semantik wird rein referenziell verstanden,
das heißt als Referenztheorie sprachlicher Ausdrücke auf Objekte in der Welt. Daher verwenden die Bestimmungen (d), (e), (g) und (h) wesentlich pragmatische Begriffe. Dies soll am
Beispiel (g) erklärt werden. Wenn wir die Implikation durch Disjunktion und Implikation
bestimmen, das heißt, wenn wir anerkennen,
dass der Satz „wenn A, dann B“ mit dem Satz
„es ist nicht wahr, dass A oder B“ gleichbedeutend ist, liegt unsere Definition vollständig im
Rahmen der Logik: Diese Struktur basiert auf
der logischen Wahrheit im Umfang der Aussagenlogik (Aussagenkalkül). Dies ist nicht der
Fall (siehe unten) im Satz:
(1) Jeder Junggeselle ist ein unverheirateter
Mann.
Wenn wir die Definition von Junggeselle als
unverheirateter Mann voraussetzen, kann (1)
folgendermaßen reduziert werden:
(2) Jedes S ist S,
das heißt zum Identitätsgesetz. Andererseits ist
diese Definition nicht von der Logik erzwungen; aber sie passt zum umgangssprachlichen
Gebrauch.
Der Ausgangspunkt für die Kritik am Begriff
der Analytizität ist für Quine die Beobachtung,
dass wir fünf Gruppen von analytischen Aussagen bilden können:
(A) die Gesetze der Logik;
(B) Exemplifikationen von Gesetzen der Logik
mit Hilfe der Sätze aus der natürlichen Sprache,
zum Beispiel: „London liegt an der Themse
oder London liegt nicht an der Themse“;
(C) Lehrsätze der reinen Mathematik;
(D) Sätze wie „Jeder Junggeselle ist unverheiratet“;
(E) Sätze wie „Kein Bereich kann gleichzeitig
ganz rot und grün sein“.
Nach Quine sind die Aussagentypen (A) bis (C)
unproblematisch, weil er als Anhänger des Logizismus anerkennt, dass die Mathematik auf
die Logik und Mengenlehre reduzierbar ist. Für
die Analyse dieser Fälle brauchen wir jedoch
den Begriff der analytischen Aussage nicht,
denn wir können sie als logische Wahrheiten
oder deren Substitutionsfälle auffassen. Es gibt
allerdings keine befriedigende Methode zur
Bestimmung der Analytizität in den Gruppen
(D) und (E), das heißt durch ihre analytische
Reduktion auf logische Wahrheiten auf Grund
der Substitution von Synonymen. Quine hat
eine Reihe von Definitionen des Analytischen
untersucht und folgende Probleme darin festgestellt: (i) der Begriff der Bedeutung ist unklar; (ii) Definitionen können keine Quelle der
Synonymität sein, weil Definitionen ihrerseits
Synonymität voraussetzen; (iii) die Austauschbarkeit salva veritate mit Hilfe des Extensionalitätsprinzips von Ausdrücken ist eine zu
schwache Bedingung, um die Synonymität zu
definieren, weil Ausdrücke, die sich auf die
gleiche Sache beziehen, nicht immer gleichbedeutend sein müssen; (iv) Synonymität und
Austauschbarkeit synonymer Ausdrücke salva
veritate setzen Analytizität voraus, das heißt
etwas, das wir im Falle von intensionalen Kontexten erst bestimmen möchten; (v) die Definition der analytischen Aussage als wahr in allen
Zustandsbeschreibungen ist schlecht, da der
Begriff der Notwendigkeit immer vage ist; (vi)
der Begriff der semantischen Regel ist ohne
eine vorausgesetzte Definition der Synonymität
vage und unklar; (vii) selbst wenn man akzeptiert, dass der Begriff der semantischen Regel
für die Kategorie der Analytizität primär ist,
erhalten wir keine Definition des Begriffs „analytischer Satz“, sondern nur die Definition des
Begriffs eines „analytischen Satzes in der Sprache L“. Dies sind sehr schwerwiegende Einwände, weil sie zeigen, dass die vorgeschlagenen Definitionen von Analytizität entweder
den Fehler idem per idem begehen, oder ignotum per ignotum oder obscurum per obscurum,
Analytisch
oder es wird nicht direkt der Analytizitätsbegriff definiert, sondern Analytizität in einer
Sprache.
Obwohl es nach Quine unmöglich ist, Analytizität im Allgemeinen auch in Bezug auf künstliche Sprachen zu definieren, können wir in jedem Satz (im Sinne der Arten [D] und [E]) die
synthetischen und analytischen Bestandteile
unterscheiden. Dieser These liegt der semantische Holismus zugrunde, also die These, dass
die Bedeutungsträger keine einzelnen Sätze,
sondern die ganze Sprache sind. Quine hat sich
in seiner Kritik der Analytizität von anderen
allgemeinen philosophischen Überzeugungen
wie Nominalismus und Anti-Essentialismus leiten lassen, was in seiner Kritik des Notwendigkeitsbegriffs und seiner Verwendung der Definition des Analytischen erkennbar ist. Quine
war ein Befürworter des Behaviorismus und
forderte, dass der Bedeutungsbegriff, so wie
auch seine Derivate, unter Verwendung von
Begriffen, die im Einklang mit dieser Theorie
stehen, untersucht und analysiert wird. Wenn
Synonymität von Ausdrücken auf Grund behavioraler Kriterien definiert wird, das heißt, grob
gesagt, nach den menschlichen Reaktionen auf
diese Ausdrücke, dann kennzeichnet die Identität der Reaktionen (je ähnlicher, desto genauer)
der Sprachnutzer das gleiche Verständnis der
Ausdrücke. Synonymität besteht dann allerdings nur annähernd, was nach Quine zum Indeterminismus der Übersetzung führt und
nicht hinreicht, den traditionellen Begriff der
Analytizität zu legitimieren. Dieser behavioristische Begriff des Analytischen steht nicht im
Widerspruch zur These, dass es keine klare
Grenze zwischen analytischen und synthetischen Sätzen gibt. Die Dichotomie von analytisch und synthetisch wird durch einen Gradualismus ersetzt. Unabhängig von Quines Kritik
begegnet die Dichotomie zusätzlichen Problemen. Insbesondere ist eine Vielzahl von logischen Systemen (zweiwertige Logik, modale Logik, mehrwertige Logik etc.) nur schwer mit der
einheitlichen Auffassung der Analytisch-synthetisch-Unterscheidung in Einklang zu bringen. Außerdem haben die Postulate der theore-
tischen Systeme (z. B. physikalische Theorien)
analytische und synthetische Bestandteile (dies
ist eine vom Holismus unabhängige Frage).
Quines Einwände und andere Schwierigkeiten
mit dem Begriff des Analytischen provozierten
unterschiedliche Reaktionen (Woleński 2004).
Die strikte Dichotomie von analytischen und
synthetischen Sätzen wurde mit folgenden Argumenten verteidigt. (I) Ein logischer Zirkel in
der Bestimmung eines Begriffs ist nicht notwendig schädlich und betrifft auch andere philosophische Begriffe, denn einige Begriffe treten nicht einzeln, sondern nur in Paaren auf:
Analytizität und Synonymität, zum Beispiel,
oder Analytizität und Notwendigkeit sollten als
semantisch verwandte Begriffe behandelt werden. (II) Quine hat einer akzeptablen Analytizitätstheorie zu enge Bedingungen auferlegt,
indem sie das Prädikat „analytischer Satz in L“
erklären muss, wobei die Variable L eine beliebige, natürliche oder künstliche Sprache sein
kann. Typische semantische Strukturen dagegen werden nicht mit solch universeller Breite
formuliert. (III) Die Definition des Begriffs
analytisch muss in der Metasprache von L formuliert werden; dort sind auch die Bedingungen ihrer Angemessenheit zu prüfen, wie im
Fall einer semantischen Definition von Wahrheit ( Wahrheit). (IV) Eine präzise Definition
der analytischen Aussage ist in einer natürlichen Sprache unmöglich, denn sie ist dafür zu
instabil und zu zweideutig. Daher kann der Begriff der analytischen Aussage in L, wobei L die
Umgangssprache bezeichnet, nur angenähert
expliziert sein. (V) Die Sprachpraxis zeigt, dass
kompetente Sprecher einer Sprache einige Sätze
allein aufgrund ihrer Bedeutung als wahr akzeptieren oder ablehnen.
Die Diskussion Quines und andere Argumente gegen die universelle Dichotomie von
analytischen und synthetischen Sätzen führte
zur Annahme der Ansicht, dass das Prädikat
„ist analytisch“ relativiert werden muss, zum
Beispiel auf die Sprache, auf die Theorie, auf
das begriffliche Schema usf. Selbst wenn in
einem Kontext „A ist ein analytischer Satz
in …“ bestimmt ist, muss man zusätzlich ana-
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