Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde St. Gallen C Pfarramt Riethüsli-Hofstetten Pfr. Virginio Robino Gerhardtstrasse 9 9012 St. Gallen 071 278 37 20 Predigt zu Himmelfahrt 2010 Auffahrt, 13. Mai 2010 Kirche St. Laurenzen Text: Johannes 8, 31 - 36 Thema: Gottes Wege führen weiter Liebe Gemeinde Lassen wir heute jene schwierigen Gedanken, die sich im Zusammenhang mit der Himmelfahrt Jesu Christi geradezu unumgänglich zu machen scheinen. Wir werden mit diesen ohnehin nicht fertig, weil unser Verstand gegen diese Vorgänge streitet. Unser Weltbild passt nicht dazu. Unsere diesbezüglichen Erkenntnisse sind seit damals so sehr erweitert worden, dass wir damit auf keinen Fall klarkommen. Also lassen wir das auf sich beruhen. Denken wir vielmehr vom Ergebnis her, welches das Kommen Jesu Christi in diese Welt bewirkt hat. Zwei Dinge sind es, die Jesus in diesem Johannestext in unser Bewusstsein rückt: Die Glaubenden werden die Wahrheit erkennen und diese Wahrheit wird uns frei machen. Hehre Worte und ein komplexer Inhalt. Das ruft auch nach Fragen. Ist es wirklich dieses frei – sein, diese besondere Freiheit, die wir mit unserem Glauben repräsentieren? Ist es in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit nicht gerade anders herum? Das kirchliche Umfeld und die Inhalte des Glaubens werden von vielen wohl eher als Engführung wahrgenommen. Darum distanzieren sich auch viele von diesem Glauben. Das hat seinen Grund. Sie sehen meist nur den Hintergrund der Gebote und Verbote. Sie sehen Gott als eine uns bestimmende Autorität, die uns immerzu vormacht, was wir zu tun oder zu lassen haben. Die zehn Gebote und die moralischen Richtlinien, die aus dem Glauben heraus den Menschen entgegentreten, scheinen das Leben eher einzuschränken, als zu befreien. Vielleicht sind wir als Kirche auch wirklich nicht ganz unschuldig an dieser etwas einseitigen Wahrnehmung. Wohl eher allzu lange hat man eine gesetzliche Schau des Glaubens betont. Man durfte das und jenes nicht, musste aber dafür anderes zwingend tun. Das sah nach klaren Vorgaben und systematischer Einschränkung aus; eher weniger nach Freiheit. Ein diesbezüglich ganz schlechtes Beispiel ist mir in den letzten Tagen konkret begegnet. Da hat mir ein ziemlich jugendlicher Anhänger einer wohl etwas extremen Freikirche ein Traktat mit der sehr fettgedruckten Überschrift „Jesus liebt Dich!“ in die Hand gedrückt. Interessiert habe ich den nicht sehr langen Text durchgelesen. Was ich da zu lesen be- kam, hat mich doch stark irritiert. Jesus liebt den Menschen, das stand da mehrmals. Aber wenn der Mensch das so gut gemeinte Angebot nicht annehmen sollte, dann wird er in der Hölle enden! – Ich habe das nochmals gelesen, um sicher zu sein, dass ich mich nicht geirrte hatte. Aber es stand tatsächlich so da, dass der Mensch, wenn er das Angebot der Liebe Jesu nicht annimmt, zwingend in der Hölle landet. – Ein doch sehr seltsames Evangelium. Wo ist da so etwas wie Liebe Gottes auszumachen? Und wo bleibt die christliche Freiheit? So extrem war natürlich unsere kirchliche Verkündigung nie. Aber sie hatte zu Zeiten – und ich habe das etwa noch in meiner Jugendzeit so erlebt – schon einen sehr gesetzlichen, und damit wenig menschenfreundlichen, Anstrich. Solche Dinge wirken natürlich nach, lange, sehr lange sogar, und man braucht sehr viel Zeit, um überzeugend ein anderes „Image“ aufzubauen. Ausser Zweifel ist, dass wir das heute besser machen. Dieses Umsetzen dessen, dass der Glaube bzw., dass Christus uns letztlich frei macht, ist ganz wichtig. Dieses Frei – sein muss auch definiert werden. Es heisst keinesfalls, losgelöst sein von aller Verantwortung. Es heisst keinesfalls, tun und lassen können, was einem beliebt. Sonst würde sich Freiheit sehr schnell in ihr Gegenteil, in einer Art Rücksichtslosigkeit, verkehren. Diesem Missverständnis von Freiheit begegnen wir leider heute aber oft. Menschen, die ihre Art ausleben, auch wenn sie für andere schwierig ist, sind durchaus häufig. Man mutet sich anderen zu. Man beansprucht für sich, einfach sein zu können, wie man ist, auch wenn das andere stört und ihnen für sich selbst Nachteile aufzwingt. In unserer Gesellschaft brechen sich solche Arten von Rücksichtslosigkeiten mehr und mehr Bahn, bis hin zu Androhung und Ausübung von Gewalt, so dass das auf Dauer nicht gut gehen kann. Freiheit kommt nur dort zu ihrer eigentlichen Qualität, wenn sie grundsätzlich Rücksicht gegenüber anderen einschliesst bzw. auch anderen ihren Entfaltungsraum ermöglicht. Das ist Freiheit aus Verantwortung. Verantwortung vor allem vor Gott, vor den anderen und damit – in gewisser Weise – auch gegenüber sich selbst. In gewissem Sinne bedeutet das natürlich durchaus eine Einschränkung der eigenen Freiheit. Aber nicht aus Gesetzlichkeit heraus, sondern eben aus Verantwortung und gewährleistet dafür, in Gegenseitigkeit ausgeübt, allen ein möglichst grosses Mass an Freiheit. Gerade diese Freiheit aus Verantwortung ist Kennzeichen dessen, was uns der Glaube ermöglicht, wozu uns letztlich Gott motiviert. Frei – sein lässt sich aber noch weiter fassen. Es geht um ein frei – sein von Zwängen und Bindungen aller Art, frei – sein von übertriebenen Ängsten. Als Glaubende wissen wir uns in Gott gut aufgehoben. Wir kennen eine Fürsorge Gottes für uns. Wir dürfen ihm etwa unsere Ängste und Sorgen nennen und von einer konkreten, manchmal ganz geheimnisvollen Hilfe ausgehen. Als Glaubende sind wir nie allein, sondern im steten Bewusstsein von Gottes Nähe, bis hin in die extremen Grenzerfahrungen unseres Lebens. Auch unter grössten Belastungen, bis hin zu lebensbedrohenden Krankheiten, Sterben und Tod sind wir nie allein, sondern von diesem fürsorgenden Gott umgeben. Unser Glaubensbewusstsein darf dies selbstverständlich mit einbeziehen. Darin äussert sich ein inneres Frei – sein, sodass wir dem Leben gegenüber eine ganz bestimmte Gelassenheit und Zuversicht entwickeln können. Die Wahrheit wird euch frei machen, heisst es weiter. Das wäre das zweite. Was / wie ist sie denn diese Wahrheit? Gibt es eine absolute Wahrheit oder gibt es mehrere Wahrheiten? – Es ist auch ein Kennzeichen unserer Zeit, dass viele schnell behaupten, im Besitze von Wahrheit zu sein. Das muss auch misstrauisch machen. Der historische Ausspruch von Pontius Pilatus bei der Gerichtsverhandlung über Jesus: „Was ist Wahrheit?“, hat schon seine Berechtigung. Es ist dabei grundsätzlich wichtig, festzuhalten, dass unter uns Menschen niemand über die Wahrheit verfügt. Wo dieser Anspruch allenfalls erhoben würde, wäre er an sich bereits falsch. Was Jesus mit seinem Begriff von Wahrheit meinte, ist in dem Lesungstext von vorhin (Jh 17, 3 ff.) enthalten. Dort hat er gesagt: „Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich erkennen, als den einzig wahren Gott und Jesus Christus, als deinen Gesandten.“ - Die Glaubenden verfügen nie über die Wahrheit, aber sie kennen den, der die Wahrheit ist und über sie verfügt: Gott! An ihm kann man sein Leben ausrichten. In ihm findet das Leben seinen Sinn bis hin zum ewigen Leben, im Sinne eines Eingebettet – seins in das Umgreifende, Ewige. Das Leben ist an sich integriert in das Ewige und erhält von dort her einen übergeordneten Sinn. Es ist nicht auf die Enge dieses Daseins in dieser Welt beschränkt, sondern enthält eine umfassende Perspektive. Wahrheit und Freiheit sind also die besonderen Qualitäten, die den christlichen Glauben ausmachen. Alles macht sich fest an Gott, den zu erkennen, zu diesem in Gemeinschaft zu treten, es in diesem Glauben wesentlich geht. Wir tun als Kirche gut daran, diesen zentralen Inhalt in den Vordergrund zu stellen. Ich bin in diesem Zusammenhang heute eher unzufrieden, wie mit diesem Thema in Theologie und Kirche umgegangen wird. Es besteht eine unverständliche Scheu, sich mit diesem Gott auseinanderzusetzen und diesen Gott in den Vordergrund zu stellen. Damit verfehlen wir unsere Aufgabe. Es ist gerade unser Auftrag, den Menschen eine persönliche Beziehung und Bindung zu diesem Gott zu ermöglichen und zu fördern.. Letztlich geht es um die zentralen Dinge, die Jesus Christus uns vermittelt und nahe gebracht hat. Es sind die einzigartigen Grundlagen des Glaubens, die bleiben, auch wenn Christus nach dessen Weggang von der Erde nicht mehr unter uns ist. Sein Vermächtnis bleibt. Sein Vermächtnis ist der Glaube, der uns möglich ist. Dieser Glaube vermittelt uns Wahrheit und macht uns frei. Wahrlich ein grosser, überragender Inhalt. Nehmen wir diese Botschaft an, freuen wir uns darüber und leben wir danach! Amen St. Gallen, 21.05.10/VR