Kommunikation im institutionellen Kontext Stephan Wolff Institut für Sozial- und Organisationspädagogik Universität Hildesheim Sommersemester 2007 Kommunikation im institutionellen Kontext Zeit: Do 10-12 Uhr Raum: D 017 Spl Teilnehmer: BA/SOP/OP Modul 20, MA SOP/OP Modul 5 Inhalt: Im Seminar wird die konversationsanalytische Forschung zur institutionellen Kommunikation an Hand von beispielhaften Untersuchungen behandelt. Der Veranstalter wird etwa ein Drittel des Seminar als Vorlesung mit Übungen gestalten. Die Teilnehmer werden in die besondere analytische Mentalität der ethnomethodologischen Konversationsanalyse und in deren ‚Methodologie‘ eingeführt das konversationsanalytische Vorgehen bei der Datenerhebung und Transkription kennen lernen und üben Einblicke in Analysestrategien und Maßnahmen zur Qualitätssicherung bekommen mit Feldern und Ergebnissen der „angewandten Konversationsanalyse“ bekannt gemacht über die Kombinierbarkeit von Konversationsanalyse mit anderen Forschungsstrategien nachdenken sich möglichst viele der genannten Punkte aktiv, d.h. im Umgang mit eigenem Datenmaterial und durch Lektüre exemplarischer Untersuchungen erarbeiten. Soweit wie möglich soll mit Originalmaterialien (Videos, Tonbändern, Transkripten) gearbeitet werden. Scheinanforderungen Aufzeichnung, Transkription (bis 24.5.!) und konversationsanalytische Interpretation (bis zum Semesterende) zweier Ausschnitte aus natürlichen Gesprächen von jeweils 5 Minuten Länge. (50%) Präsentation einer konversationsanalytischen Untersuchung zu einem Gesprächstyp in Zweiergruppen (auf Folien). Die Präsentation soll exemplarisch Einblicke in die Besonderheiten der betreffenden institutionellen Gesprächsform geben.(50%) Alternative zur Präsentation: eine mündliche Prüfung (15-20 Minuten) zum Stoff des Vorlesungsteils und zweier Seminarstunden. Literatur zur Orientierung: Bergmann, Jörg (2004): Konversationsanalyse. S.524-537. In: U. Flick, E. v. Kardorff, I. Steincke (Hg.), Qualitative Forschung. 2. Auflage. Reinbek. Heritage, J. (1997): Conversation Analysis and Institutional Talk: Analysing Data. In: D. Silverman (Ed.), Qualitative Research: Theory, Method and Practice (pp. 161-182). London. Wolff, Stephan (1986): Das Gespräch als Handlungsinstrument. Konversationsanalytische Aspekte sozialer Arbeit. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 38: 55-84. Literatur zur Vertiefung: Ten Have, Paul (1999): Doing Conversation Analysis. A Practical Guide. London, Thousand Oaks, New Dehli. Hutchby, Ian, Wooffitt, Ron (1998): Conversation Analysis: Principles, Practices and Applications. Cambridge. Ablaufplanung und Präsentationsthemen Themenblock I: Einführung in die Konversationsanalyse (Wolff) Themenblock II: Institutionelle Frageaktivitäten (7. und 14. 6.) 1. Gericht (I): Wie sichern Richter ihre Neutralität? (Atkinson 1992) 2. Interview: Objektives und parteiliches Fragen in Interviews (Clayman 1988) (Bitsch, Fröhlich) 3. Schule: Pädagogisches Fragen (Kroner/Wolff 1989) 4. Psychiatrie: Diskrete Erhebung von psychischen Störungen (Bergmann 1999) (Römermann) Themenblock III: Institutionelle Reaktionen (21. und 28.6.) 1. Beratung: Ein Klient wird gemacht (Bittner 1981) (Riemere) 2. Arzt-Patient (I): Blicke und Gestik während der Diagnose (Heath 1986*) Themenblock IV: Institutionelle Frage-Antwort-Spiele (5. und 12.7.) 1. Gericht (II): Prüfung der Glaubwürdigkeit (Wolff/Müller 1995) (König, Bühnemann) 2. Notrufe: Klärung von Hilfsbedürftigkeit (Bergmann 1993) (Häßler, Dopke) 3. Arzt-Patient (II): Wie überbringt man schlechte Nachrichten? (Maynard 1992) (Rüter, Saupe) 4. Politische Rhetorik: Wie man Applaus macht (Atkinson 1984*) (Seidler, Terhorst) (Für die meisten Präsentationsthemen gute Zusammenfassung in Hutchby/ Wooffitt 1998!) Interview: Objektives und parteiliches Fragen Clayman 1988 Bitsch, Fröhlich Psychiatrische Exploration: Diskrete Erhebung von psychischen Störungen Bergmann 1999 Römermann 14.6. Beratung: Ein Klient wird gemacht Bittner 1981 Riemere 21.6. Therapie: ‚Mhms‘ und andere hilfreiche Interventionen Wolff/Meier 1995 Rosenkranz, Seidel Maynard 1992 Rüter, Saupe Feuerwehr-Notrufe: Klärung von Hilfsbedürftigkeit Bergmann 1993 Häßler, Dopke Gericht : Prüfung der Glaubwürdigkeit Wolff/Müller 1995 König, Bühnemann 05.7. Arbeitsbesprechungen: Fokussierung der Aufmerksamkeit im Team Meier 1997 Gunkel, Brückner 12.7 Politische Rede: Wie man Applaus macht Atkinson 1984 Seidler, Terhorst 07.6. Arzt-Patient-Gespräch: Wie überbringt man schlechte Nachrichten? 28.6. Literaturliste Atkinson, Maxwell J. (1992): Displaying Neutrality: Formal Aspects of Informal Court Proceedings. S. 199-211 in: Paul Drew/ John Heritage (eds.): Talk at Work. Interaction in Institutional Settings. Cambridge: Cambridge University Press. Atkinson, Maxwell J. (1984): Our Masters Voices. Language and Body Language of Politics. London and New York: Routledge. Bergmann, Jörg R. (1993): Alarmiertes Verstehen. Kommunikation in Feuerwehrnotrufen. S. 283-328 in: T. Jung/S. Müller-Doohm (Hg): Wirklichkeit im Deutungsprozess. Frankfurt/M.: Suhrkamp. Bergmann, Jörg R. (1999) Diskretion in der psychiatrischen Exploration - Beobachtungen über Moral in der Psychiatrie", in: Psychotherapie und Sozialwissenschaft, 1: 245-264. Bittner, Ulrike (1981): Ein Klient wird "gemacht". S. 103-137 in: E.v. Kardorff/E.Koenen (Hg.), Psyche in schlechter Gesellschaft. München, Wie, Baltimore: Urban & Schwarzenberg. Brannigan, Augustine/ Lynch, Michael (1987): On Bearing False Witness. Credibility as an Interactional Accomplishment. Journal of Contemporary Ethnography Vol. 16: 115-146. Clayman, Steven E. (1988): Displaying Neutrality in Television News Interviews. Social Problems 35: 474-492. Drew, Paul (1992): Contested Evidence in Courtroom Cross-Examination: The Case of a Trial for Rape. S. 470-520 in: Paul Drew/ John Heritage (eds.): Talk at Work. Interaction in Institutional Settings. Cambridge: Cambridge University Press. Drew, Paul/ Heritage, John (1992): Analyzing Talk at Work: An Introduction. S. 3-65 in: dies. (eds.), Talk at Work. Interaction in Institutional Settings. Cambridge: Cambridge University Press. Heath, Christian (1986): Body Movement and Speech in Medical Interaction. Cambridge: Cambridge University Press. Heritage, John/Clayman, Steven/Zimmerman, Don H. (1988): Jefferson, Gail/Lee, John R.E. (1981): The Rejection of Advice: Managing the Problematic Convergence of a 'Troubles-Telling' and a 'Service Encounter'. Journal of Pragmatics 5: 399-422. Kroner Wolfgang/Wolff, Stephan (1989):Pädagogik am Berg. S. 72-121 in: U.Beck/W. Bonß (Hg.), Weder Sozialtechnologie noch Aufklärung? Frankfurt/M.: Suhrkamp. Maynard, Douglas W. (1992): On Clinicians Co-implicating Recipients' Perspective in the Delivery of Diagnostic News. S. 331-358 in: Paul Drew/ John Heritage (eds): Talk at Work. Interaction in Institutional Settings. Cambridge: Cambridge University Press. Meier, Christof (1997): Arbeitsbesprechungen. Opladen: Westdeutscher Verlag Suchman, L./Jordan, B. (1990): Interactional Troubles in Face-to-Face Survey Interviews. Journal of the American Statistical Association 85: 232-241. Wolff, Stephan (1986): Das Gespräch als Handlungsinstrument. Konversationsanalytische Aspekte sozialer Arbeit. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 38: 55-84. Wolff, Stephan/Meier, Christof (1995): Das konversationsanalytische Mikroskop: Beobachtungen zu minimalen Redeannahmen und Fokussierungen im Verlauf eines Therapiegesprächs. S. 49-91 in: M.B. Buchholz (Hg.), Psychotherapeutische Interaktion. Qualitative Studien zu Konversation und Metapher, Geste und Plan. Opladen: Westdeutscher Verlag. Wolff, Stephan/Müller, Hermann (1995): Interaktive Aspekte der Glaubwürdigkeitskonstruktion im Strafverfahren. Kriminologisches Journal 27: 209-226. Wolff, Stephan/Müller, Hermann (1997): Kompetente Skepsis. Eine konversationsanalytische Untersuchung zur Glaubwürdigkeit in Strafverfahren. Opladen: Westdeutscher Verlag. Eigene konversationsanalytische Arbeiten Prüfungen (1977) Sozialarbeit (1983) Pädagogik (1984) Beratung (1989) Text (1991) Witz (1993) Gutachten (1995) Ironie (1995) Therapie (1995) Gericht (1997) Focusgroups (2000) Medien (2006) Ethnomethodologie als theoretisches Bezugsfeld Apostrophierungen: West-Coast-Approach, Hippie-Soziologie, Eulenspiegeleien, Protosoziologie (60er Jahre) Rekrutierungsfeld: Soziologen, Linguisten, Anthropologen, Psychologen Späte Rezeption im deutschsprachigen Raum (ab 1975) Gründervater: Harold Garfinkel ‚Abspenstiger Sohn‘ von Talcott Parsons Strukturell-funktionale Theorie: Soziale Ordnung gewährleistet durch Sozialisation in kulturelles Wertesystem (normativer Konsens als gemeinsamer Bezugspunkt) ‚Sitz‘ der Ordnung: in Institutionen/Wertsystemen Ethnomethodologische Kritik Over-socialized concept of man Under-interactionalized concept of social action Harold Garfinkel (geb. 1917-2004) Garfinkel‘s These Das, was wir im alltäglichen Handeln als objektive soziale Tatsachen, d.h. als unabhängig von unserem Zutun existierende Realitäten (Beispiel ‚Familie‘, ‚Organisation‘, ‚Objektivität‘) wahrnehmen und behandeln, wird erst in unseren Handlungen und Wahrnehmungen als solche produziert. Der Vorgang der Wirklichkeitserzeugung muss, da alle Gesellschaftsmitglieder an ihm teilhaben, einzelne formale und als solche beschreibbare Strukturen aufweisen. D.h., dieser Vorgang muss methodisch ablaufen. Kompetente Mitglieder (‚member‘) verfügen über eine Vielzahl von ‚Methoden‘ mittels derer sie die sozialen Gegebenheiten, auf die sie sich in ihrem Handeln beziehen und verlassen, erst in ihrem Handeln erzeugen. Gegenstand der Ethno-Methodologie ist es, diese praktizierte Methodologie zu rekonstruieren und ihren Einsatz zu beschreiben. Andere Perspektive als die gängigen (Variablen-)Sozialwissenschaft, die von sozialen Tatsachen ausgeht und diese dann (z.B. statistisch) verarbeitet (Korrelation Religion-Selbstmordrate). Die ETH macht also deren analytische Ressourcen zum eigentlichen Gegenstand (topos) -> Protosoziologie Beispiel: Geschworenen-Studie (Garfinkel 1967) Zusammen mit Fred Strodtbeck Untersuchung einer Gruppen von Geschworenen. Vermutung: Geschworene verfügen über bestimmte angemessene und nachvollziehbare Methoden, um mit Geschworenen-relevanten Dingen sichtbar kompetent umzugehen. Dazu gehören u.a. die Gewichtung von Informationen, die Glaubwürdigkeit von Zeugen, was man klar sieht, was in Anbetracht der Sachlage gerecht ist, was man hätte erwarten können, mit welchem Ernst man die Dinge betrachtet, wie kompromissbereit man den anderen Geschworenen gegenüber ist. Ethnomethodologische Forschungsfrage: Was macht eine Gruppe von Entscheidern zu einer Gruppe von Geschworenen? Kontrast zum BALESsche Untersuchungsparadigma von Gruppenaktivitäten Praktische Verstehbarkeit sozialer Szenen " ... in some way the good sense of somebody's inquiries was for them observable and notable. It was available, somehow or other, for that peculiar way of looking that a member has. The peculiar way of searching, of scanning, of sensing, of seeing finally but not only seeing-reporting. It is 'observablereportable'. It was available to observation and report." (Garfinkel 1974: 17) Beispiele für Selbst-Organisation sozialer Szenen: Raucher sein und als Objekt für Angebote in Frage kommen Eintritt in ein Amtszimmer Paare beim Einkaufsbummel Konsequenzen aus Garfinkel‘s These* Gesellschaftliche Wirklichkeit ist eine Vollzugswirklichkeit Das heißt: diese Wirklichkeit wird andauernd (ongoing), in der Situation (local) audio-visuell (durch Hören und Sprechen, Wahrnehmen und Agieren) in der Interaktion erzeugt, bestätigt und weiterentwickelt Mitglieder („members“) sehen sich ständig mit zwei praktischen Fragen konfrontiert: What to do next? Why that now? Die ethnomethodologische Grundfrage "The ethnomethodologist continually ask the technical question, 'How is that social activity done?'. Harvey Sacks keeps this question in front of him by using the verb 'to do' in thinking about social activities'. He refers to arguing as doing arguing; being embarrased as doing embarrasment; exclaiming as doing exclaiming, questioning as doing questioning etc. In this way he tried to keep focused on the methodical ways in which social activities are produced by members of the culture." (CHURCHILL 1971: 183) Frühe Untersuchungen des „Wie“ Ryave/Schenkein (1974): Die Kunst des Gehens auf der Straße Garfinkel (1967): Doing gender im Falle einer Transsexuellen Sacks (1974): Wie macht man einen Witz? Sacks (1984): On doing ‚being ordinary‘ Gruppenarbeit Überlegen Sie, wie eine ethnomethodologische Konzeptualisierung von „Familie“ aussehen würde und welche Konsequenzen sich daraus für die empirische Familienforschung ergeben? Analog für die folgenden Konzepte unterschiedlicher Disziplinen: „Glaubwürdigkeit“ (Forensische Psychologie) „Klientenorientierung“ (Sozialpädagogik) „Professionalität“ (Berufssoziologie) „Selbstmord“ (Medizin) „Schuld“ (Rechtswissenschaft) Andere ethnomethodologisch respezifizierbare „soziale Tatsachen“ Prüfung Bildungssoziologie Authentizität Kunstwissenschaft Hilfebedürftigkeit Sozialarbeit Behinderung Rehabilitationswissenschaft Motive Rechtssoziologie Interview/Test Testtheorie und Methodenlehre Exklusivität Medienforschung Kontextgebundenheit von Äußerungen (Indexikalität) Indexikale Äußerungen (z.B.: ich, wir; jetzt, dann, dies; Flasche, Baby, Heinz; es zieht, mach die Türe zu) nur verständlich, wenn man den Kontext in Rechnung stellt. Kommunikation besteht wesentlich aus solchen kontextgebundenen Äußerungen Eine Reinigung der Sprache von solchen Ausdrücken nicht möglich. Sprachlichen Interaktion daher strukturell vage und auf Entfaltung von Bedeutung ausgerichtet (wesensmäßige Vagheit zeigt sich bei Erschütterungsexperimenten). Verstehen: andauernder Prozess der gegenseitigen Vergewisserung Frühe Konversationsanalyse Protagonisten: Sacks und Schegloff; Studenten von Harold Garfinkel in Los Angeles und Erving Goffman in Berkeley Tradition der formalen Soziologie (Ahnherr Georg Simmel) Programm, „die Möglichkeit für die Begründung einer naturalistisch beobachtenden Disziplin zu erforschen, die in rigoroser, empirischer und formaler Weise mit den Einzelheiten und Feinheiten von sozialen Handlungen umgehen konnte“ (Schegloff/Sacks 1974: 233) Reproduktive Forschungstechnologie: Tonband und Video N.B.: Konversationsanalyse ist Interaktionsforschung (talk-ininteraction) und keine Gesprächs-Forschung Warum sich Sacks für Gespräche interessierte… His concern was with how ordinary activities get done methodologically and reproductibly, and the organization of common sense theorizing and conduct which was relevant to those enterprises. Clearly, he found talk, or what was being done through talk, of interest before coming upon taped materials - else he would not have been jotting overheard bits in notebooks. But the taped material had clear attractions when it became available as a resource, and the talk invited being dealt with as an activity in its own right. But that was something that turned out from experience, not something that had been aimed at, or 'theoretically projected'. (Schegloff: Introduction in Sacks 1992, xvii) Georg Simmel (1858 - 1918) Erving Goffman (1922 - 1982) Goffman und Sacks Goffman soll auf die Frage, ob Sacks sein Schüler gewesen sei, geantwortet haben: "What do you mean; I was his student!". Auf jeden Fall hat Goffman Sacks nach sich selbst und dem San Francisco Chronicle am häufigsten überhaupt zitiert. Ab etwa 1961 war die Auseinandersetzung mit ihm für die Entwicklung und Ausarbeitung des Goffman‘schen Forschungsprogramms von zentraler Bedeutung. Allerdings entwickelte sich später eine erhebliche Spannung, die sich u.a. darin ausdrückte, dass Goffman aus dem Ph.D.- Commitee von Sacks ausschied (allerdings nach langen Überredungsversuchen von Aaron Cicourel überhaupt daran teilzunehmen). Harvey Sacks (1938 - 1975) Emanuel Schegloff (* 1938) Konversationsanalytische Heuristik Wir gingen und gehen immer noch von der Annahme aus (einer Annahme, die sich aus unserer Forschung ergab), dass das Material, mit dem wir arbeiten, wenn es eine Geordnetheit zeigte, diese Geordnetheit nicht nur uns zeigte, ja nicht einmal in erster Linie uns, sondern den Beteiligten, die dieses Material produziert hatten Wenn das Material (Aufzeichnungen natürlicher Gespräche) geordnet war, dann deshalb, weil es die Mitglieder einer Gesellschaft füreinander auf methodische Weise produziert hatten. Und es war ein - von uns als Untersuchungsobjekt betrachtetes - Merkmal der Gespräche, dass sie in einer Weise produziert wurden, die es den Gesprächsteilnehmern möglich machte, wechselseitig füreinander sowohl die Geordnetheit dieser Gespräche aufzuzeigen, als auch offen zu legen, wie sie diese Geordnetheit analysierten, verstanden und benutzten. Dementsprechend versuchen wir mit unserer Analyse zu explizieren, mittels welcher Methoden unser Material von den Gesellschaftsmitgliedern als geordnetes Material produziert wird, - als Material, das seine Geordnetheit offenbart, dessen Geordnetheit von den Gesprächsteilnehmern erkannt und benutzt wird, und in dem dieses Erkennen zum Ausdruck gebracht und als Grundlage für nachfolgende Handlungen in Anspruch genommen wird. Schegloff/Sacks 1974, S. 234 Konversationsanalytische Heuristik Es geht der Konversationsanalyse um die empirische Ermittlung von systematischer Verfahren mittels derer die Teilnehmer an einem Gespräch im Vollzug ihrer sprachlichen Handlungen die Geordnetheit der sprachlichen Interaktion herstellen mit denen sie das Verhalten ihrer Handlungspartner auf die in ihm zum Ausdruck kommende Geordnetheit hin analysieren Und mit Hilfe derer sie das Resultat ihrer Analyse wiederum in ihren Äußerungen manifest werden lassen. ‚Methodologie‘ Rekonstruktion der Methodologie im Feld und der Kompetenz der Mitglieder. Dazu benötigen CAer eine Technologie der Entdeckung. Entdeckungsschritte und analytische Verfahren sind aber untrennbarer Bestandteil des Phänomens selbst. Die Mitglieder müssen dasselbe tun, um mit ihrer Handlungssituation fertig zu werden. Vorgehen muss seinem Gegenstand angepasst sein (unique adequacy requirement). Sie sind dies in dem Maße, in dem sie selbst ihrem Gegenstand angehören. Die opportunistische Anwendung festgelegter Methodologie verbietet sich Programmatisch ‚theorielos‘ und uninteressiert an materialfreien Grundlagendiskussionen; auch an entsprechender Selbstverteidigung. Dennoch eines der härtesten Forschungsprogramme in den Sozialwissenschaften und vermutlich das mit dem höchsten Grad an Kumulativität. „Analytische Mentalität“ (Schenkein)* CAs share a number of central methodological commitments and substantive orientations ... rooted in the close scrutiny of naturally occuring interactions, that have been recorded and transcribed in their productional details materials not elicited, remembered or invented for illustration collected in their natural environments with no prefigured hypothesis. Erklärt werden soll nur das Material (nicht Beleg für "größere" Themen) Akzent auf der Methodizität der Interaktion in ihrem sequentiellen Ablauf „Analytische Mentalität“ (Schenkein) Suche nach der Grammatik der ‚natural conversation‘. nach der Vermittlung von allgemeinen organisierten Strukturen und den Besonderheiten des jeweiligen lokalen Kontextes Beschränkung auf Beschreiben und nicht auf Erklären oder Verstehen (das bleibt den Mitgliedern!) sozialer Handlungsvollzüge. Kein Rückgriff auf Kontextvariablen oder analytische Unterstellungen Alle Praktiken sind fundamental unabhängig von den motivationalen, psychologischen und soziologischen Charakteristika der Beteiligten. Der Leser soll in der Tendenz alle Unterlagen der Analyse einsehen können. Diese Haltung einer „disziplinierte Subjektivität“ kann man eigentlich nur durch praktische Arbeit bzw. den Nachvollzug von bestehenden Studien sich aneignen (wie Klavierspielen, Operieren und Uhren herstellen). Interview: Objektives und parteiliches Fragen Clayman 1988 Bitsch, Fröhlich Psychiatrische Exploration: Diskrete Erhebung von psychischen Störungen Bergmann 1999 Römermann 14.6. Beratung: Ein Klient wird gemacht Bittner 1981 Riemere 21.6. Therapie: ‚Mhms‘ und andere hilfreiche Interventionen Wolff/Meier 1995 Rosenkranz, Seidel Maynard 1992 Rüter, Saupe Feuerwehr-Notrufe: Klärung von Hilfsbedürftigkeit Bergmann 1993 Häßler, Dopke Gericht : Prüfung der Glaubwürdigkeit Wolff/Müller 1995 König, Bühnemann 05.7. Arbeitsbesprechungen: Fokussierung der Aufmerksamkeit im Team Meier 1997 Gunkel, Brückner 12.7 Politische Rede: Wie man Applaus macht Atkinson 1984 Seidler, Terhorst 07.6. Arzt-Patient-Gespräch: Wie überbringt man schlechte Nachrichten? 28.6. Diskussionsfrage Warum sind reale Abläufe für Sozialwissenschaftler so langweilig? Aufzeichnungen von Daten Das revolutionär Neue (gegenüber Sprachsoziologie, Linguistik und Sprachphilosophie): Interesse für das, was in realen Gesprächen abläuft. Vermeidung von Interview, Experiment, Beobachtung und anderen Formen rekonstruierender Konservierung von Ereignissen. Erzählung, Interview, Tagebuch sind Formen der retrospektive Sinnstiftung (‚rekonstruktive Gattungen‘) CA-Material: rohe, nicht transformierte Aufzeichnung, gewonnen durch eine registrierende Konservierung (Bergmann 1985). Material soll wiedergeben, was und wie etwas gesagt wurde; alles das, was die Beteiligten in der Situation gehört bzw. wahrgenommen haben. Analyse soll dem Prozess des sequentiellen Vollzugs sozialer Wirklichkeiten analog sein (nie retrospektiv verfahren!). Transkriptionen von Aufzeichnungen (1) Unsere Ohren und Augen sind zu langsam, zu interpretativ und zu schnell ermüdend für eine direkte Analyse der Bänder. Deshalb ist die Transkription nicht nur hilfreich, sondern unumgänglich. Sie soll Inhalt und Realisierungsform wiedergeben. Transkriptionen sollen ‚lesbar‘ bleiben (Gegensatz: phonetische Analyse) Transkriptionen sollen detailliert sein und ggf. auch andere Einsichten als die des Untersuchers ermöglichen (Detaillierungsüberschuss). Transkriptionen sollen pragmatisch und ökonomisch realisierbar sein. Transkripte stellen immer einen Kompromiss dar. Transkription von Aufzeichnungen(2) Gail Jefferson entwickelte das CA-Standardtranskriptionssystem Dieses bietet eine orthographisch kontrollierte Transkription, die die gesprochenen Äußerungen in ihrem Inhalt bewahrt, und darüber hinaus mit einer Reihe diakritischer Zeichen die Art der Äußerungsrealisierung und des Gesprächsablaufs zu erfassen sucht. Varianten: Einbeziehung von Blick (Charles Goodwin), Gestik (Christian Heath) sind bislang nur additiv und wenig elaboriert. Transkriptionssymbole [ Beginn einer Überlappung, gleichzeitiges Sprechen mehrerer Teilnehmer ] Ende der Überlappung (1,5) Pause in Sekunden (-) kurze Pause von ca. ¼ Sek. = schneller Anschluss, schnelles Sprechen :::: Dehnung, Anzahl der Doppelpunkte entspricht in der Dehnungslänge Ja betont JA laut º werº leise °°wer°° sehr leise .; stark bzw. schwach sinkende Intonation ?, stark bzw. Schwach steigende Intonation weshal- Abbruch einer Äußerung (sehr) unsichere Transkription () Äußerung unverständlich ((hustet))Anmerkung des Transkribenten zu Phänomenen, die nicht direkt im Transkript notiert sind; Situationskommentare Notationssystem eines aktuellen Forschungsprojekts 1. Sprechersiglen bestehen in der Regel aus zwei Grossbuchstaben, die jeweils für eine bestimmte Teilnehmerkategorie (z.B. R für Richter) und „M“ oder „W“ für männlich oder weiblich stehen. Sollte der Sprecher nicht identifizierbar sein, dann wird die Äußerung markiert mit „?“M oder „?W“ bzw. mit „??“ markiert. 2. Charakteristika der Äußerungsrealisation wie wir. stark fallende Intonation wie wir; schwach fallende Intonation wie wir, schwach steigende Intonation wie wir? stark steigende Intonation nein! angeregter/ heftiger Tonfall nei:n Dehnung des vorhergehenden Lautes (Länge entsprechend der Zahl der Doppelpunkte) nein Betonung NEIN größere Lautstärke (außer bei den Anfangsbuchstaben von Substantiven und bei Abkürzungen) nein leise und waAbbrechen einer Äußerung >und was< schnellere Sprechgeschwindigkeit zwischen den Keilen <und was> langsamere Sprechgeschwindigkeit zwischen den Keilen 3. Weitere hörbare Phänomene pt Laut beim Öffnen der Lippen tch Schnalzlaut .hhh hörbares Einatmen durch den Mund (Länge entsprechend der Zahl der „h“) hhhhörbares Ausatmen (Länge entsprechend der Zahl der „h“) (h) Lachimpulse innerhalb eines Wortes @ Lachen bzw. lachend gesprochen £ lächelnd gesprochen; kann auch mit „smiley voice“ kommentiert werden. Lautliche Phänomene, die nicht verschriftet werden können, werden in doppelte Klammern gesetzt, wie z.B. „((hustet))“ oder aber in der letzten Spalte erklärt.Nicht verständliche Äußerungen werden in runden Klammern und Leerzeichen, also ( ) oder (xxxxxxxxx) wiedergegeben; Mutmaßungen darüber, was gesagt wurde, stehen ebenfalls in runden Klammern: (wissen Sie). 4. Übergänge zwischen Äußerungen und Äußerungseinheiten Lücken im Redefluss werden in Intervallen von jeweils zwei Zehntelsekunden angegeben; z.B. (1.2). Eine Klammer mit einem einzelnen Punkt, also (.) kennzeichnet Eine Mikropause von etwa 0,1 Sekunden. Überlappungen zwischen Sprechern werden mit eckigen Klammern, also [ angegeben. 5. Interaktion zwischen Sprechern Wenn ein Sprecher einen anderen Teilnehmer oder den Moderator anguckt, wird dies in der letzten Spalte mit einem ► markiert. Arbeitsempfehlungen Arbeitsempfehlung 1: Schätze die Oberfläche! Behandle soziale Tatsachen grundsätzlich als interaktive Leistung. Die Geordnetheit des Geschehens darf nicht "hinter" diesem - etwa in den Köpfen der Beteiligten oder in gesellschaftlichen Funktionserfordernissen - gesucht und sollte auch nicht von den sozialwissenschaftlichen Interpreten aus ihrer Kenntnis der Rahmenbedingungen der betreffenden Situation heraus ergänzt werden (jede Art von Motivunterstellung verbietet sich). Arbeitsempfehlung 2: Order at all points Versuche, das gesamte Material in die analytische Rekonstruktion einzubeziehen, d.h. kein noch so irrelevant erscheinendes Datum oder Detail von vorneherein aus der Analyse auszublenden. Die von den Beteiligten interaktiv hergestellte Geordnetheit prinzipiell überall zu finden ist, d.h. dass alle sozialen Tatsachen, selbst die banalsten, einen sich selbst organisierenden Charakter haben. Analysen sollten das gesamte Material einbeziehen. "It is perfectly possible (...) to suppose (...) that wherever one happens to attack the phenomenon one is going to find detailed order. That is, one may (..) take it that there is order at all points." (Harvey Sacks zit. nach Jefferson 1983: 1) Ungeahnte Relevanz von ‚sweet little nothings‘ Mhm (Wolff/Meier 1995) Nyem,Nya (Jefferson 1978) So (Meier 1997) Oh (Heritage 1984) (...) (Bergmann 1980) Beobachtungen unter demMikroskop: Was leisten ‚mhms‘? Großer Anteil an den Äußerungen (nicht nur) von Therapeuten Ermöglichung längerer Redebeiträge ‚Verstärkung‘ bestimmter Äußerungen (Referenz auf Empfinden) Positionierung an Übergabe relevanten Stellen (ähnlich Husten, Gestik, Nicken etc.) Vorenthalten von ‚mhms‘: Induzieren Innehalten, tags und Nachfragen ‚Operatives Schweigen‘ löst Reformulierungen aus Vorenthalten von ‚mhms‘ Einfordern des ‚Mhm‘ durch ein tag ‚Mhm‘ als Verstärker ‚Mhms‘ als Mittel, um wieder in die Zuhörerposition zu kommen Schweigen (Bergmann 1982: 144) Schweigen erhält seine Bedeutung ausschließlich aufgrund seiner Einbettung in andere Äußerungen. Isoliert von seinem Kontext im Gespräch ist Schweigen buchstäblich nichts (ähnlich Minimaläußerungen, "so"). Frage: "wie kann dieses Nichts, das wir Schweigen nennen, für die am Gespräch Beteiligten überhaupt bedeutungshaft werden? Wenn Schweigephasen durch ihre Extraktion aus dem Gesprächskontext, in dem sie lokalisiert sind, bedeutungsleer werden, muss umgekehrt gelten, dass die spezifische Gesprächsumgebung, in der ein Schweigen sich entwickelt, als primäre Ressource seiner Interpretation dient. Schweigen ist damit eines jener Gesprächsobjekte, bei denen die Beantwortung der Frage, was sie zu bedeuten haben, ganz entscheidend davon abhängt, wo sie platziert sind." Kontextunabhängig-kontextsensitiv Soziale Interaktion ist immer kontext-gebunden. Gesprächsmaschine muss gleichwohl kontext-unabgängig funktionieren Lösung: Zwillingscharakter von Kontextunabhängigkeit und Kontextsensitivität. „Es ist die kontextunabhängige Struktur, die festlegt, wie und wo die Kontextsensitivität sich entfalten kann. Die Besonderheiten des Kontext werden aus systematisch organisierte Weise und an systematisch organisierten Stellen zum Ausdruck gebracht, und wie und wo dies geschieht, wird durch die kontextunabhängige Organisation bestimmt.“ (Sacks/Jefferson/Schegloff 1974: 699) Kontextabhängigkeit ist in der Weise zu untersuchen, dass aufgezeigt wird, dass und wie die Interaktionsteilnehmer den Kontext analysieren und das Ergebnis ihrer Analyse bei der Abwicklung ihrer Interaktion anwenden. Daher: Kontext nicht von außen in die Analyse importieren! Arbeitsschritte 1. ‚Einfache‘ Beobachtungen Schegloff (1968): Der Angerufene spricht zuerst Pomerantz (1978): Zustimmungen sind anders konstruiert als Ablehnungen Sachs, Schegloff, Jefferson (1978): Nicht alle reden gleichzeitig Notwendig: Befremden des Selbstverständlichen 2. Wiederkehrende Muster Frage: Steckt hinter den Beobachtungen eine Ordnung? Anlegen einer Kollektion von Fällen Bergmann (1991): Beginn von psychiatrischen Aufnahmegesprächen 3. Ist die Ordnung von den Beteiligten methodisch erzeugt? Bloße Häufigkeit oder gemachte Ordnung? Heuristische Frage: welches strukturelle KommunikationsProblem wird hier gelöst? Schegloff/Sacks (1974): Gesprächsbeendigung A: Okay B: Okay A: Bye, bye B: Bye, bye Frage: Für welches strukturelle Problem ist das eine methodische Lösung? (‚Oberfläche‘ als Lösung behandeln) Beendigungsproblem: Wie halte ich die Gesprächsmaschinerie an? Aufgabe der Analyse: Beschreibung eines methodischen Apparats, der dafür sorgt, dass die strukturellen Probleme für die Interagierenden ‚unproblematische Probleme‘ bleiben (member competence) Techniken der Validierung 1. Eigene Intuition (armchair ethnomethodology) Sacks 1974: „The baby cried. The mommy picked it up“. 2. Verstehen der Teilnehmer im nächsten Redezug als Evidenzquelle. A: Hast schon von dem neuen Angriff der Serben gehört B: Nein. Was ist passiert? A: Nein. Das war eine Frage. 3. Beobachtung abweichender Fälle (deviant case analysis) Versuchen die Mitglieder die Irregularität zu reparieren? Ziehen sie aus dem Nichteintreten des erwarteten Ereignisses Schlussfolgerungen? Liefern Sie Erklärungen für die Verletzung der erwarteten Ordnung? Beispiel: Einladung - Ablehnung CA und Statistik CA kein Ort für statistische Analysen Variationen werden nicht als Fehlervarianz gesehen Jeder Fall wird als geordnet betrachtet ("order at all points“ - Maxime). Die Grundgesamtheit ist das jeweils zur Verfügung stehende Material. Die Feststellungen gelten aber für das gesamte Material. Darüber hinaus gehende Aussagen über Generalisierbarkeit werden nicht getroffen. Deshalb Variabilität des Datenmaterial wichtig. Ein anderer Grund ist, dass sich ein Gegenstand ("oh„, Unterbrechungen) je nach Intonation und vor allem nach sequentieller Einbindung seine Bedeutung verändern kann. Redezugverteilungssystem (1) (turn-taking-system) Interaktionen bestehen aus einer Vielzahl wechselseitiger Redezüge (turns), die Zug-um-Zug abgewickelt werden. Ein zentrales Strukturmerkmal von Interaktion ist demnach die Ordnung der Verteilung der Redezüge unter den beteiligten Interaktionspartnern Der klassische Text der CA beschäftigt sich mit diesem Thema: Sacks, Harvey/Jefferson; Gail/Schegloff, Emanuel: A Simplest Systematics for the Organization of Turn Taking for Conversation. Language 50 (1974): 696-735 (abgedruckt auch in Schenkein 1978) Was beobachten wir diesbezüglich? (Einfache Beobachtungen) dass von den Sprechern hauptsächlich immer nur einer spricht dass der Sprecherwechsel relativ bruchlos erfolgt, und dass beim Übergang kaum Überlappungen und Pausen auftreten. Redezugverteilungssystem (2) (turn-taking-system) Konversationsanalytiker fragen nach der ‚Maschinerie‘, die es den Beteiligten erlaubt, Sprecherwechsel abzuwickeln. Beispiele zeigen, dass der Sprecherwechsel bei unvollständigen, ja sogar bei abgebrochenen Äußerungen in außerordentlicher Schnelligkeit funktioniert, dass er ganz unabhängig von der Länge der Redebeiträge, unabhängig von den betreffenden Situationen, Gesprächsgegenständen oder der Zahl und den Identitäten der Beteiligten glückt. Das gesuchte System muss kontext-frei und zugleich, weil es in allen möglichen Situationen eingesetzt werden kann, kontext-sensitiv sein. Die Maschine ("simplest systematics") besteht aus zwei Bestandteilen: einem Aggregat für die Redezugkonstruktion ("turn constructional component"), das angibt, wann ein Redezug zu Ende, d.h. grundsätzlich abgebbar ist und wann demzufolge ein Wechsel möglich wird ("completion point") TRP: Transition relevant points: Übergabe-relevante-Stellen Redezugverteilungssystem (3) (turn-taking-system) einem Aggregat der Redezugverteilung, über das bestimmt wird, wer als "nächster Sprecher" an der Reihe ist ("turn allocation component"). Diese Komponente sagt dem Sprecher, wie er verfahren soll an Stellen, an denen ein Wechsel von einem gegenwärtigen zu einem nachfolgenden Sprecher möglich wäre) Es besteht aus drei basalen Regeln: 1. Wenn der bisherige Redezug so organisiert ist, dass der gegenwärtige Sprecher einen nächsten Sprecher auswählt, dann hat diese Person das Recht den nächsten turn zu beginnen. 2. Wenn der bisherige Redezug keine solche Komponente "current speaker selects next" enthält, dann kann eine Selbstauswahl eines der Beteiligten geschehen nach dem Motto "wer zuerst kommt, mahlt zuerst". 3. In diesem Fall hat auch der bisherige Sprecher das Recht, sich selbst als den nächsten Sprecher auszuwählen (d.h. fortzufahren) Das System ist rekursiv, d.h. wenn 3. eintritt und dann der Redezug des ursprünglichen Sprechers einen möglichen "completion point" erreicht, wird es wieder in Kraft gesetzt. Dies wird rekursiv fortgesetzt, bis ein Transfer zwischen den Sprechern stattgefunden hat. Implikationen Allein der Umstand, dass der erste Sprecher das Recht hat, den nächsten auszuwählen, verhindert, dass es zu massenhaften Selbstauswahlen der anderen kommt. Wer ungefragt drankommen will, muss seine Unterbrechung genau an einer Übergabe relevanten Stelle platzieren. Wer nicht unterbrochen werden will, hat seinen Redezug entsprechend "zu armieren" (etwa über Intonation, Beschleunigung, Stimmhebung, Einbau von „und“). Auf der anderen Seite ist von strategischer Bedeutung, wer die Sprecherwahl vornimmt. Blick auf Gesprächsanfänge Beginn mit dem Gesprächsanfang am Material aufgezeichneter Telefongespräche. A: B: Hier spricht Frau Wolff; kann ich Ihnen helfen Ja, hier spricht Frau Bittner. Ich hätte gerne ... C: D: C: D: Hier spricht Frau Wolff; kann ich Ihnen helfen Ich kann Sie nicht verstehen Hier spricht Frau Wolff Wolff Beispiel 1: Frage nach dem Namen von B ohne Frage Beispiel 2: D signalisiert Schwierigkeiten mit der Angabe des Namens ('deviant case'). Analytischer Schluss: Das, was Leute in zweiten Redezügen tun, hat etwas damit zu tun, was der andere im ersten gesagt hat. Aufforderung-Antwort-Sequenzen A: Hallo B: Hallo X: (Läuten) A: Hallo A: Bill? B: Was? Aufforderung-Antwort-Sequenzen Sie sind 2 Rede-Züge lang Der erste Sprecher produziert den ersten Paarteil. Der zweite den zweiten Paarteil Sie tauchen am Beginn von Interaktionssequenzen auf Sie sind nicht-abschließend insoweit, als sie die Begegnung nicht beenden können Der Sprecher, der den ersten Zug (Aufforderung) getan hat, ist verpflichtet wieder zu sprechen, nachdem der zweite fertig ist Der zweite Sprecher ist verpflichtet zuzuhören, obwohl er die Zugänglichkeit kurzfristig aussetzen kann ("einen Moment bitte") Solche Sequenzen sind nicht wiederholbar, nachdem die Antwort erfolgt ist. Sie werden aber wiederholt, wenn keine Antwort erfolgt Sie müssen nicht verbal ausgeführt werden (ganz analog organisiert sind Winken, Handschlag, Kopfnicken) Typische Paarsequenzen Gruß - Gegengruß Aufforderung - Anerkennung (Klingeln-Melden) Verabschiedung -Verabschiedung Frage - Antwort Bitte - Befolgung Feststellung - Zustimmung/Widerspruch Einladung - Annahme/Ablehnung Beschwerde - Entschuldigung/Rechtfertigung Kompliment - Rücknahme/Akzeptierung Selbstherabsetzung - positive Wertung Eigenschaften von Paarsequenzen 1. Sie bestehen (mindestens) aus zwei Redezügen 2. Sie haben (mindestens) zwei Bestandteile 3. Der erste Teil wird von einem, der zweite Teil von einem anderen Sprecher produziert. 4. Die Sequenzen finden sich in unmittelbar aufeinander folgenden Redezügen 5. Die zwei Teile sind relativ zueinander geordnet (zuerst Klasse der first pair parts - dann Klasse der second pair parts) 6. Die zwei Teile sind diskriminativ aufeinander bezogen (the pair type of which the first is a member is relevant to the selection among second parts) Konditionelle Relevanz Die beiden Teile befinden sich in einer Beziehung einer konditionellen Relevanz; der erste Teil etabliert eine normative Erwartung im Hinblick auf die von Gesprächspartner zu formulierende Nachfolgeäußerung A: Erster Paarsequenzteil Konditionelle Relevanz B: Zweiter Paarsequenzteil Beispiel: A: Kommen sie jetzt von zu Hause? B: Ja "Ja" erhält seine Bedeutung als Antwort nur durch seine sequentielle Position. Konditionelle Relevanzen bilden ein sinnstiftendes Korsett, in das wir von unseren Interaktionspartnern eingezwängt werden; andererseits aber bilden sie eine wichtige Interpretationsstütze. (Kinder im Fragealter) Member‘ Problems als methodische Ressource Die Teilnehmer arbeiten selbst mit dem Apparat: sie versuchen bei der Handlungsausführung bestimmte "nexts" für den Interaktionspartner relevant zu machen; sie reagieren ihrerseits auf solche strukturellen Erwartungen und analysieren die Beiträge ihrer Partner bzw. machen ihre Analyse in ihren darauf folgenden Reaktionen deutlich. Wie Grüße die Welt verändern Der erste Gruß verändert eine soziale Szene und zwar für beide. Der Gegengruß seinerseits verändert die Szene wiederum und treibt je nach seiner Realisation die Szene weiter. Der Prozess der Selbstorganisation der Szene geht weiter oder bricht im Falle des Grüßens bei gleich bleibender Schnelligkeit der Vorübergehenden ab. Der Rezipient des ersten Grußes ist notwendig in einer Wahlsituation "gefangen", weil die Situation eine andere geworden ist und so jede seiner Reaktionen als Wahl sichtbar macht. Die Norm, einen Gruß zu erwidern, dient als Ressource für das Verstehen der Reaktion des Rezipienten. Das gilt auch und gerade für "abweichende Reaktionen". Einschubsequenz Es gibt Möglichkeiten, durch Expansion von Paarsequenzen die konditionelle Relevanz vorübergehend aufzuheben. Dies funktioniert wiederum über den Einschub von Paarsequenzen, insbesondere solchen, die erklärtermaßen der Klärung von Voraussetzungen dienen, die der zweite Sprecher zur Realisierung des zweiten Paarsequenzteils benötigt. I a b II A: B: A: B: Willst du nicht die Reste da auch noch aufessen Hat der Horst schon gegessen Ja ja der hat schon vorher Ja dann nehm’ ich mir das da noch Pre-Sequenzen Paarsequenzen finden sich gehäuft an strategisch wichtigen Punkten der Interaktion (Anfang, Schluss, Themenwechsel). Dort finden wir oft vierteilige Strukturen: a b a b 1 1 2 2 A: B: A: B: Hast Du schon was vor heute? Eigentlich nicht Geste mit ins Kino? Gute Idee A: B: A: B: Okay Okay mein Lieber Tschüs Tschüs Man spricht hier von Pre-Sequenzen, (Pre-Invitation; Pre-Closing). Sie bestehen aus zwei hintereinander geschalteten Paarsequenzen, bei denen die erfolgreiche, d.h. positive Beendigung der ersten Teils die zweite Paarsequenz konditionell relevant macht. Präferenz für Zustimmung A: Why don't you come to our party on Saturday? (pause) B: Well I'd like to but it's Hannah's birthday [marked rejection] Dies wäre eine 'dispreferred' response. Die Zurückweisung ist markiert durch ein Zögern und eine Erklärung, warum die eigentlich präferierte Antwort nicht gegeben wurde. Die Markierung selbst genügt als Ablehnung. Durch die Pause wird A die kommende Ablehnung signalisiert. Er könnte auch von sich aus einlenken, etwa mit „wahrscheinlich hast Du schon was vor …. Eine bloße Ablehnung hat hingegen, da sie die Präferenzorganisation erkennbar nicht berücksichtigt, ganz andere interaktive Konsequenzen: A: Why don't you come to our party on Sunday?" B: No A: Whats the matter… Pädagogische Kommunikation Eine weitere Variationsmöglichkeit: eine Paarsequenz als erster Bestandteil einer übergeordneten Paarsequenz. Damit kann diese Paarsequenz selbst zum Gegenstand bestimmter Aktivitäten gemacht werden. Das prototypische Beispiel bietet das typische Interaktionsmuster in der Schule, das aus zwei aneinander gehängten Paarsequenzen besteht: A: (Lehrerfrage) 1. Paarsequenz B: (Schülerantwort) 2. Paarsequenz A: (Kommentar/Urteil des Lehrers) Diese Strukturen sind rein formal und sequentiell. Sie lassen sich für/an /von unterschiedlichsten Zwecke/Situationen/Beteiligten nutzen. Man kann "Schule" auch auf einer Bergtour machen (Kroner/Wolff 1989). Verständigungssicherung (1) Kontextsensitivität manifestiert sich im rezipientenspezifischen Zuschnitt von Äußerungen (recipient design) Erkennbare Orientierung auf Merkmale der Interaktionspartner und des Interaktionskontextes Beispiel: Grüßen in Hannover und in Wien (Guten Tag vs. Grüß Gott); Grüßen am Berg (je nach Höhe und Entfernung von der Seilbahn) Bei der Interpretation von Äußerungen wird die Berücksichtigung dieses Prinzips unterstellt bzw. erwartet Beispiele: Witz erzählen, wenn einzelne Beteiligten ihn schon kennen; Texte, die sich an verschiedene Lesergruppen wenden; ortsensible Bezeichnungen von Personen in Gutachten. Verständigungssicherung (2): Reparaturmechanismen Repairables: Fehler und Nicht-Fehler Selbst- und Fremdkorrektur. Präferenz für Selbstkorrektur. Fremdkorrekturen erfolgen vorzögert. [aus Levinson 1983] A: So I was wondering would you be in your office in Monday by any chance (2.0) A: Probably not Verständigungssicherung (3): Reparaturmechanismen Vermeidung vom Fremdkorrekturen erlaubt Gesichtswahrung unter Gleichen. In asymmetrischen Verhältnissen (Schule, Militär) oder bei Auseinandersetzungen (Talkshow) dagegen massiver Einsatz von Fremdkorrekturen. Dies impliziert eine De-Qualifizierung des Partners. Repair-Maschine kann also zur Gestaltung einer Situation eingesetzt werden. Entwicklungstendenzen der CA Untersuchung natürlicher Gespräche als baseline Untersuchung institutioneller Gespräche (Gericht, Therapie, Beratung, Interview) Untersuchung von Phänomenen geringerer interaktiver Dichte (Witze, Reden, Briefe, Gutachten) Kategorisierungsanalyse bzw. konversationsanalytische Semantik: (Akten, Medientexte, Filme) Erweiterung der berücksichtigten Interaktionsmodalitäten (Gestik, Blick, Mensch-Maschine-Kommunikation) Verwendung von innovativer Software zu Transkription (cool edit) Institutionelle Kommunikation Institutionelle Kommunikation stellt eine situative Modifikation der Gesprächsmaschinerie dar. Frage: Was macht aus einem PrüfungsGESPRÄCH ein PRÜFUNGSgespräch? Institutionelle Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass die Zuweisung von Rederechten, die Art der Äußerung und die Redefolge nicht locally managed (wie im Gespräch), sondern vorgeregelt (turn- bzw. turn-type preallocation) ist. Zudem gliedern sich institutionelle Gespräche in sequenziell abzuwickelnde Teilaktivitäten. Im Gerichtsverfahren erfolgt die Zuweisung nur durch den Richter; kein Verfahrensbeteiligter hat das Recht zur Selbstauswahl hat. Richter, Staatsanwalt und Verteidiger äußern sich in Fragen und Feststellungen, Zeugen nur in Form von Antworten auf Fragen. Nach dem Redezug fällt die Initiative immer an den Richter zurück. Dadurch sind Überlappungen bzw. Kämpfe um das Rederecht sehr selten. Wann kann man von Kommunikation im institutionellen Kontext sprechen? wenn wenigstens einer der Teilnehmer eine Orientierung auf die mit der jeweiligen Institution assoziierten Aufgabe zeigt; wenn die institutionelle Interaktion eine spezifische Beschränkung gegenüber einem alltäglichen Gespräch aufweist, die von wenigstens einem der Teilnehmer so akzeptiert wird. wenn von speziellen Interpretationsweisen (inferential frameworks) ausgegangen werden kann. Beispiel: So werden fehlende Mitleidsbezeugungen von Ärzten nicht als mangelndes Einfühlungsvermögen angesichts des geschilderten persönlichen Leids, sondern als Ausdruck professioneller Neutralität interpretiert. Institutionelle Gespräche (1) Ein institutionelles Gespräch ist in der Regel in erwartbarer und bedeutsamer Weise auf ein bestimmtes relevantes Ziel hin ausgerichtet. Die Beteiligten müssen sich an bestimmten Rollen und Verantwortlichkeiten orientieren und sich so verhalten, dass bedeutsame institutionelle Aufgaben oder Funktionen erfüllt werden können In dem Maße, im dem diese Ziele unklar sind, entsteht die Notwendigkeit, gemeinsam vor Ort eine Vorstellung darüber zu entwickeln, um was es in der betreffenden Interaktion eigentlich gehen soll. Institutionelle Gespräche unterscheiden sich von Alltagsgesprächen durch bestimmte Einschränkungen hinsichtlich der Reihenfolge der Beteiligung, der Art der von den verschiedenen Beteiligten verwendbaren Redezüge, aber auch der Zuteilung von Handlungsmöglichkeiten durch bestimmte Teilnehmer. Diese Einschränkungen bestimmen, was in der betreffenden Situation getan werden kann ohne aus dem Rahmen zu fallen. Institutionelle Gespräche (2) Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) schlagen vor, von einem „linearen Ordnung“ dreier Redezugverteilungssysteme auszugehen. An der einen Extremposition finden wir Gespräche, in denen alle Redezüge schon vorgängig zugeteilt sind (wie im Kreuzverhör). In der Mitte sind solche Gespräche lokalisiert, die sich durch einen Mix von vorbestimmten und lokal zugeteilten Redeoptionen auszeichnen (wie Teamsitzungen). Schließlich gibt es noch solche Sprechsituationen, wo keinerlei Vorbestimmtheit gegeben ist und die Redefolge und der Zuschnitt der Äußerungen vor Ort geregelt werden müssen. Jedes dieser Systeme hat bestimmte Funktionen und stellt besondere Anforderungen an seine interaktive Realisierung. Institutionelle Gesprächsformen zeichnen sich durch bestimmte Ablaufformen bzw. Ablaufsequenzen aus. Sie müssen aus dem alltäglichen Gesprächsfluss ausdifferenziert und am Ende wieder darin eingefädelt werden, Themen sind zu finden und in methodischer Weise gemeinsam abzuschließen, bestimmte Teilnehmerrollen müssen eingenommen, durch Handeln bestätigt und aufeinander abgestimmt werden usw.. Institutionelle Gespräche (3) Ein institutionelles Gespräch ist zumeist durch die asymmetrische Verwendung eines bestimmten Vokabulars durch die verschiedenen Beteiligtenkategorien gekennzeichnet. So verwendet ein Arzt, der sich zur Untersuchung zu einem Kollegen begibt, zwar die medizinische Nomenklatur, markiert aber seine Wortwahl so, dass die Asymmetrie der Arzt-PatientKonstellation gewahrt bleibt. Um institutionelle Identitäten anzusprechen bzw. zu konstituieren eignet sich der kontextsensible Einsatz von Personalpronomina („ich“ oder „wir“). Daneben findet man in institutionellen Gespräche eine Reihe von Qualifizierungsformen der Rede, die zur Feineinstellung der Gesprächssituation, etwa als einer, in der taktvoll delikate Themen behandelt werden, dienen können (wie z.B. Litotes; Bergmann 1999). Schließlich manifestiert sich das Besondere einer institutionellen Interaktion noch durch die dort herrschenden Formen der Bedeutungszuschreibung und des Schlussfolgerns. Institutionelle Gespräche (4) Während es in Alltagsgesprächen zum „guten Ton“ gehört, den Gegenüber nicht darüber im Unklaren zu lassen, wie dessen Aussagen bei einem angekommen sind, und ihm durch entsprechende Äußerungen Überraschung, Sympathie, Zustimmung, oder Solidarität zu signalisieren, halten sich institutionelle Akteure diesbezüglich – z.B. wenn Laien ihre Probleme schildern, Informationen geben oder Bitten formulieren – auffallend zurück. Da eine derartige Zurückhaltung in alltäglichen Verkehr als Gemeinheit, Taktlosigkeit oder zumindest als NichtBeachtung ausgelegt werden kann, müssen Klienten gelegentlich erst lernen, diese Zurückhaltung als Ausdruck professioneller Kompetenz und institutioneller Angemessenheit zu werten. Institutionelle Gespräche (5) Die Variationsmöglichkeit auf allen diesen Dimensionen bringt es mit sich, dass institutionelle Gespräche auf der Skala von sehr weitgehender Vorherbestimmtheit und Geordnetheit bis hin zu freien Aushandlung variieren, bei denen die Differenz zur alltäglichen Konversation kaum mehr erkennbar ist, so dass im Extremfall nur mehr die wechselseitige Orientierung an der gemeinsamen Aufgabe das betreffende Gespräch als besonderes kennzeichnet. Auch in solchen Gespräche entwickeln sich vielfach lokale Identitäten und kennzeichnende Asymmetrien zwischen den Beteiligten, aber eben nicht solche, die in irgendeiner Weise normativ erwartbar oder gar sanktionierbar wären. Schegloff’s „procedural consequentiality“ lässt sich hier vor allem in der Gestaltung des Gesprächsbeginns (der Festlegung der Agenda und der wechselseitigen Aufgaben) bzw. der Beendigung von Begegnungen, in der Art wie Informationen nachgefragt, bereitgestellt und aufgenommen werden, sowie in der Form von Sachverhaltsbeschreibungen und Referenzierungen erkennen. Atkinson (1982): Formalität erweist sich insbesondere in solchen Situationen als funktional erweist und auch vermehrt beobachten lässt, in denen die Beteiligten vor Publikum agieren, d.h. eine „overhearing audience“ vorhanden ist. Strategische Abschnitte bei der Untersuchung institutioneller Gespräche Gesprächseröffnung Etablierung der institutionellen Identitäten Übergang von einem alltäglichen zu einem institutionellen Gespräch schaffen (doppelter Beginn) Einführung des eigentlichen Themas und die Wortwahl (relevantes Lexikon) Gesprächsbeendigung (Übergang in die Alltagskommunikation und in die diesbezüglichen Identitäten) Störungen aller Art We are only able to perceive the environment as composed of separate things by suppressing our recognition of the nothings Edmund Leach which fill the interstices Beispiel: Psychiatrische Aufnahmegespräche Beobachtung von Störungen: konditionelle Relevanz wird nicht eingelöst. Problem: zu bestimmen, wem die Pause ‚gehört‘ Redezug interne Sprechpause (bei der Wortsuche) Freie Gesprächspause (schwer zu fassen; retrospektiv definierbar) Redezugvakanzen (beim Aktenausfüllen) Klärung des Gründe für die Redezugvakanz Einladung zur Äußerungskomplettierung Selbstkorrektur des Sprechers im Hinblick auf Lautstärke und Inhalt seiner Voräußerung, Reformulierung Korrektur initierende Äußerung Wiederholung der Aufforderung (Hm) Beispiel: Psychiatrische Aufnahmegespräche Der ‚dreimalige Versuch‘ als Verfahren der Normalitätsprüfung. Das Schweigen des Gegenüber wird zum Interaktionszug (s. Pollner/Winkler 1978). Das Aufnahmegespräch vollzieht die soziale Tatsache ‚Aufnahme‘ sogar bei Verweigerung eines Teilnehmers, insofern dessen Schweigen in konditionelle Relevanzen eingebaut und damit interaktiv bedeutsam gemacht wird. Beispiel: Wie sich Zeugen zu Zeugen machen Notruf 1: F: Z: F: Z: Feuerwehr Grüss Gott, hier ist Hohlbrei. Äh, ich bin grade die Grünstrasse lang gefahren, und zwar die Kurve den Wald hoch, Ja und ist rechter Hand ne starke Rauchbildung mitten im Wald, wollt ich nur melden Notruf 2: F: Z: Feuerwehr Ja hier ischt Frau Köpf. Sie, äh, ich war jetzt gerade mit den Hunden spazieren und da, wo die Grillhütte ist in Kleinstadt, da ist eine sehr starke Rauchentwicklung Bekehrungserlebnis X Saulus verfolgte noch immer mit fanatischem Hass alle Christen. … Y kurz vor Damaskus umgab Saulus plötzlich ein blendendes Licht vom Himmel. Er stürzte zu Boden. Dabei hörte er eine Stimme: "Saul, Saul, warum verfolgst du mich?„ "Wer bist du, Herr?" fragte Saulus. “Ich bin Jesus, den du verfolgst!" antwortete die Stimme. "Steh auf und geh in die Stadt. Dort wird man dir sagen, was du tun sollst … (Apostelgeschichte 9, 1ff) Zeugenaussage RM: ZM: RM: ZM: X Y Herr Schulze. Sie wissen worum‘s geht. Ja. Was können sie aus ihrer Erinnerung dazu sagen. (1.8) Ja - ich kann sagen wie es abgelaufen ist. Wir sind sonntags (0.3) wollten wir (.) weggehen, spazieren gehen; (1.3) und bei der Gelegenheit hatt‘ mer en Müll mit runter genommen und alle Mülltonnen waren wieder mal (.) belegt, mit Kisten (.) und so weiter. Ich hab die Kisten genommen; hab se runter, getan; in den Kabuff der da (.) abgegrenzt war, (1.5) und auf einmal stand der Herr Kunz vor mir (1,0) und= dann flog mir der erste Kasten auf den Kopf. (1.6) Das kanonische Format von Zeugenaussagen Ich machte gerade X etwas, was ich immer tue was ganz normal ist was gar nichts mit der Sache zu tun hatte was meine Aufgabe war als Y passierte plötzlich von außen unvermeidlich unvorhersehbar Das Problem des Zeugen Während sich früher Zeugen auf verfahrensexterne Belege zur Begründung der Wahrheit ihrer Aussagen berufen können (wie Gott, Ehre oder Reputation), müssen sie heute ihre Glaubwürdigkeit wie die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen im Verfahren und durch ihr dortiges Reden und Tun belegen. Für die Zeugen besteht somit ein Darstellungsproblem. Sie müssen glaubwürdig erscheinen. Das heißt praktisch: sich als glaubwürdig vor-führen Dies ist schwierig, weil andere Beteiligte eine entsprechende Absicht in Rechnung stellen und weil die Anforderungen an die Konsistenz der Darstellungen vor Gericht höher sind als im alltäglichen Leben „Ein-glaubwürdiger-Zeuge-sein“ ist keine Eigenschaft, sondern eine voraussetzungsvolle Leistung der betreffenden Person. Ob sie gelingt, hängt aber letztendlich von den anderen Beteiligten ab. Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit sind soziale Tatsachen, die vor Ort von den Beteiligten interaktiv etabliert und reproduziert werden müssen Einsichten Die Glaubwürdigkeit von Personen und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen sind elementare Aspekte jeder sozialen Kommunikation Wenn Menschen Dritten von Ereignissen berichten, deren Zeugen sie wurden, dann verwenden sie immer bestimmte sprachliche Methoden der Absicherung gegen Zweifel (practical epistemology) Zweifel an dem Bericht beeinträchtigen den Status der Person und gefährden die Beziehung zwischen dem Zweifler und dem Bezweifelten. Glaubwürdigkeit/Glaubhaftigkeit und ihre Überprüfung sind für viele Organisationen von Bedeutung (Sozialverwaltung, Kirche, Schule, Sport). Besondere Relevanz kommt ihnen im Rechtsystem und dort vor allem im Strafverfahren zu. Die KA kann wichtige Alternative zur forensischen Psychologie bieten, indem sie Glaubwürdigkeit als Interaktionsproblem respezifiziert. Feuerwehrnotrufs als Mittel zur Wahrheitsprüfung Im Anruf wird nicht nur Information übermittelt Authentisierung des Anrufers Selbstidentifizierung Adressenangabe Phatische Elemente Beteiligtenstatus Betroffene (eigene Problem, dankt selbst) Boten (Bezug zur Informationsquelle, keine Garantie für Wahrheitsgehalt, kein Eigenanteil) Zeugen (Geschichte der ‚zufälligen‘ Wahrnehmung, sorgt sich um ‚Objektivität‘ nimmt Anerkennung entgegen) Identitäten und ihre Beziehung werden vor Ort etabliert Orientierung der Beteiligten auf den strukturellen Zweifel in öffentlicher Dienstleistungskommunikation (vgl. Zimmerman 1974 zu Sozialämtern) Vorlaufsstruktur von Notrufgesprächen A/F: Gesprächseröffnung A: Bitte/Wunsch F/A: Abklärung der F/A: A Voraussetzungen zur Wunscherfüllung F: Erfüllung bzw. Nichterfüllung A/F: Gesprächsbeendigung Beispiel: Politische Rhetorik Retrospektive Definition sozialer Aktivitäten (Lachen beim Witz) Applaus wird analog dem Lachen als kollektiver Ausdruck der Wertschätzung behandelt. Typischer Applaus beginnt fast gleichzeitig mit voller Stärke und hält diese etwa 8 Sekunden. Frage: was sind Applaus würdige Äußerungen? Positive Bezugnahmen auf Personen Positive Bezugnahmen auf „uns“ Unvorteilhafte Bezugnahmen auf „die anderen“ Politische Rhetorik (2) Formate der kollektiv applaudierten Äußerungen Erwähnung von Namen Dreier-Liste Kontrast-Struktur Rätsel-Lösung Charismatische Redner Beispiel: Martin Luther King Zitierbarkeit Witze, Sprichwörter und Slogans Zeitungsmeldungen und TV-Berichte Leistungsfähigkeit der Formate Sie erlauben eine exakte Antizipation des Endpunktes Sie sind ein ökonomischer Weg zur Zusammenfassung von Inhalten In Konflikten erlauben sie die Lage auf den Punkt zu bringen Deviant Case: Paraphrasierungen zerstören die Wirkung Kontrast-Struktur Dreierliste Rätsel-Lösung-Format Positionsübernahme Format-Kombinationen Slogans und berühmte Zitate (1)-(2)-(3)Mitbürger! Freunde! Römer! hört mich an: (1)–(2) Begraben will ich Cäsarn, nicht ihn preisen. (1) Was Menschen Übles tun, das überlebt sie, (2) Das Gute wird mit ihnen oft begraben. (Shakespeare, Julius Caesar, Grabrede des Antonius) (1)-(2)-(3)Liberté, égalité, fraternité Blut, Schweiss und Tränen Ich kam, sah und siegte (1)-(2) Fly high, pay low. (German Wings) (1)-(2) Wie Kleingeld, nur besser (Geldkarte) (1)-(2) Bald ist es soweit …! (VW, Teaser-Werbung) (1)-(2)-(3)Nimm gutes Mehl, nimm bessres Mehl, am besten nimm gleich Rosenmehl (1)-(2)-(3)Schöner machen, selber machen, D-C-Fix auf 1000 Sachen Ehemann begeht Selbstmord, Frau erwacht aus Koma Beispiel: Wie funktioniert eine Schlagzeile? (Auszug aus Wolff (2005): Textanalyse, in: R.Ayaß/ J.Bergmann: Qualitative Methoden der Medienforschung.Reinbek: Rowohlt (im Erscheinen) Überschriften von Zeitungsartikeln (und andere Parolenartige Äußerungen auf Wahlplakaten oder in Werbeanzeigen) sind ein beliebtes Thema der konversationsanalytischen Textanalyse. Sie bieten sich nicht nur wegen ihrer leichten Zugänglichkeit, sondern auch deshalb als Untersuchungsgegenstand an, weil sie im Zusammenhang der Mediennutzung eine bedeutsame Rolle spielen. Überschriften ermöglichen es die Aufmerksamkeit des Lesers auf eine bestimmte Geschichte zu lenken; sie überreden ihn dazu, den annoncierte Bericht tatsächlich zu lesen, und bereiten ihn schließlich auf eine bestimmte Lesart des Geschriebenen vor und instruieren ihn, wie er die folgende Geschichte verstehen soll. Diese Punkte wollen wir an folgender (zufällig über Google News ausgewählten) Schlagzeile nachvollziehen: Ehemann begeht Selbstmord, Frau erwacht aus Koma Diese hiermit annoncierte, ursprünglich aus Italien stammende Meldung erschien im Januar 2005 in den meisten deutschsprachigen Tageszeitungen. Gut ein Viertel aller Überschriften war so wie wiedergegeben formuliert. Eine weiteres Viertel ersetzt „Mann“ durch „Ehemann“. Manchmal wird noch ein „dann“ eingefügt. Bei der anderen Hälfte der Überschriften werden dem Satz die Worte „Erschütterndes Ehedrama:“ vorangestellt, oder es ist von „Romeo und Julia“ die Rede, verbunden meist mit einer Ortsangabe („in Italien“ oder „aus Padua“). Die analysierte Schlagzeile stellt somit die knappste, d.h. die am meisten auf die rekonstruktive Mitarbeit des Lesers angewiesene Variante dar. Die Wirkungsweise des von Sacks angesprochenen ”Teilnehmer-Kategorisierungs-Apparats” (MCD) wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass mit der Auswahl einer bestimmten Beschreibungskategorie zugleich auf andere dazu passende ‚natürliche’ Kategorien verwiesen wird, mit denen zusammen sie eine ”Kollektion’ bildet In unserem Beispiel verweisen die Bezeichnungen „Mann“ und „Frau“ auf die Kategorie „Ehepartner“ und beide zusammen auf die Kollektion „Ehepaar“. Dieser Kollektionsbildung helfen manche Zeitungsredakteure noch dadurch nach, dass sie ausdrücklich von „Ehemann“ sprechen. Wir haben somit eine Geschichte vor uns, die mit der Beziehung beiden Personen als Ehepaar zu tun hat, nicht etwa mit einer Familienangelegenheit. In einem standardisiertes Beziehungspaar gehen beide Partner typischerweise bestimmte gegenseitige Verpflichtungen ein. Sacks spricht deshalb von einer R(esponsibility)Kollektion, in Abgrenzung zu K(nowledge)-Kollektionen, bei denen eine Wissensdifferenz im Vordergrund der Beziehung steht (wie bei Arzt-Patient oder Professor-Student). Von den beiden in der Überschrift genannten Personen kann man konventioneller Weise erwarten, dass sie sich zu gegenseitigen Fürsorglichkeit, Unterstützung und dauernder Gemeinsamkeit verpflichtet fühlen. Sacks formuliert noch zwei Anwendungsregeln für die Handhabung des MCD: die Konsistenzregel besagt, dass, wenn eine Population von Personen kategorisiert ist, und eine Kategorie dieses MCD benutzt wurde um die erste Person zu charakterisieren („Mann“), dann sollte man die folgenden Kategorisierungen als aus diesem MCD stammend hören. Dies macht verständlich, warum in keiner der Überschriften von „Ehefrau“ die Rede ist bzw. sein musste. Ein kompetentes Gesellschaftsmitglied wird nämlich zunächst einmal dieser „Hörermaxime“ folgen, d.h. beide Personen einer einzigen Kollektion zuordnen. Dies schließt den Fall aus, dass die Frau zu einer ganz anderen Paarbeziehung gehört. Die Ökonomieregel besagt, dass grundsätzlich eine Kategorie zur Kennzeichnung einer Person ausreicht. Der Ehemann mag noch Jäger, Parteimitglied oder Autofahrer sein, diese Eigenschaften sind aber für die folgende Geschichte nicht relevant, die sich also primär um den Aspekt ihrer Paarbeziehung dreht. Die Kategorisierung geht über eine bloße Etikettierung insoweit hinaus, als mit einer Kategorie bestimmte sozial erwartbare Handlungsweisen und Attribute verbunden sind. Dies gilt ebenso umgekehrt: Wenn wir von einer Person hören, dass sie eine bestimmte kategorienbezogene Aktivität ausübt, können wir auf eine bestimmte Kategorie bzw. Kollektion schließen, der diese Person angehört. Von einem Ehemann beispielsweise kann man erwarten, dass sich um seine kranke Partnerin kümmert. Diese Frau ist aber nicht bloß krank, sondern lag über längere Zeit im Koma. Für einen offenbar kinderlosen Ehemann ist ein Selbstmord in dieser Situation eine durchaus nachvollziehbare Tat. Er ist Ausdruck einer besonderen, aber zu dieser Kategorisierung durchaus passenden Emotionalität, nämlich des Wunsches dem geliebten Partner in den scheinbar sicheren Tod zu folgen. Der Selbstmord ist eindeutig der Selbstmord eines Ehemanns, nicht etwa der einer psychisch gestörten oder einer in möglicherweise verwerflicher Weise selbstbezogenen Person. Man stelle sich die Veränderung der impliziten Moral der Aussage vor, wenn in der Schlagzeile von einem „Vater“ die Rede gewesen wäre, insoweit als „Väter“ kategorisierte Personen der institutionellen Erwartung unterliegen primär für ihre Kinder zu sorgen. Wir können allein aufgrund der vorgenommenen Kategorisierungen und der weiten geschilderten Aktivitäten darauf schließen, dass die Situation für den Ehemann hoffnungslos erschien und es niemand gab, an den er sich noch um Trost wenden konnte. Der Autor der Überschrift macht sich die implizite Leseregel zu Nutze, dass zuerst genannte Begebenheiten auch vor den danach genannten abgelaufen sind (nur eine von etwa 50 Überschriften verwendete ein „dann“). Jeder kompetente Leser weiß nach diesen sechs knappen Worten, dass ihn eine tragische Geschichte eines Liebespaars erwartet, denen es – wie Romeo und Julia - nur im Tod vergönnt sein wird, wieder zusammen zu kommen. Analyse der Überschrift: „Vater und Tochter im Schneechaos“ Konzept Erklärung Überschrift Kategorie Jede Person kann in vielen Formen korrekt bezeichnet werden Personen werden später als „Manager eines Supermarkts“ und als „Studentin“ beschrieben Membership Categorization Device Kategorien lassen sich zu Kollektionen gruppieren MCD = „Familie“ Ökonomieregel Eine einzige Kategorie reicht um eine Person zu beschreiben Es wird jeweils nur eine Kategorie verwendet Konsistenzregel Wenn eine Person als Mitglied einer Kollektion identifiziert ist, dann rechne die nächste Person auch dieser Kollektion zu! „Tochter“ gehört zum selben MCD wie „Vater“ Duplikative Organisation Wenn Kategorien als Team hörbar sind, dann höre es so! Diese „Tochter“ ist die Tochter dieses „Vaters“ Kategorien bezogene Aktivitäten Handlungen werden als mit bestimmten Kategorien verbunden empfunden Schneechaos hat nichts mit den Kategorien „Tochter/Vater“ zu tun. Das macht den Neuigkeitswert der Geschichte aus Standardisierte Beziehungspaare (SRP) Kategorienpaare sind miteinander in einer Standardisierten routinemäßigen Weise verbunden „Vater“ und „Tochter“ sind verbunden durch „Fürsorglichkeit“ und „Unterstützung“; wie konnten sie gleichwohl in ein Schneechaos geraten?