Einführung Klinische Psychologie Psychotherapie Vorlesung „Rehabilitationspsychologie“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser Definition von Klinischer Psychologie Klinische Psychologie ist diejenige Teildisziplin der Psychologie, die sich mit psychischen Störungen und psychischen Aspekten somatischer Erkrankungen befasst. Dazu gehören die Themen: Ätiologie, Bedingungsanalyse Klassifikation, Diagnostik, Epidemiologie, Intervention (Baumann & Perrez, 1998, S. 4) Wissenschaftliche Psychologie Intervention Psychopathologie Klassifikation/Diagnostik Ätiologie/Beding-analyse Klinische Psychologie Ebenen der klinischpsychologischen Interventionen Ebene der psychischen Funktionen Ebene der Funktionsmuster Ebene der interpersonellen Systeme Klinisch-psychologische Interventionsfunktionen Prävention / Gesundheitsförderung Behandlung / Therapie Rehabilitation Was unterscheidet klinisch-psychologische Interventionen von anderen Interventionen? Sie verwenden psychologische Mittel als Beeinflussungsfaktor. Typische psychologische Mittel sind z.B.: das Gespräch, die Übung oder die zwischenmenschliche Beziehung. Klinisch-psychologische Interventionen haben stets ihren Ansatzpunkt im Erleben und Verhalten und vollziehen sich in der sozialen Interaktion zwischen Helfenden und Hilfesuchenden. Definition „Psychotherapie“ (Pauls, 2004, S. 22) Psychotherapie ist ein interdisziplinäres Forschungs- und Praxisfeld sowie Berufsbild, das sich mit der psychologischen Behandlung (mit dem methodischen Ansatzpunkt im Erleben und Verhalten) von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen sowie der Behandlung von psychischen Folgen körperlicher Erkrankungen und Behinderungen befasst. Psychotherapie als weitgehend klinisch-psychologische Interventionsform befasst sich u.a. mit Themen wie Diagnostik, Klassifikation, Intervention, Prävention und Rehabilitation. Definition „Psychotherapie“ (Strotzka, 1975, S. 4) Psychotherapie ist: ein bewusster, geplanter, interaktioneller Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus (möglichst zwischen Klient, Therapeut und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden, mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation), meist verbal, aber auch averbal, in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel, mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens. In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig. Psychotherapie ist nicht nur Krankenbehandlung Von kassenärztlicher Seite gibt es den Versuch, Psychotherapie enger zu definieren, als krankenversicherungstechnisch finanziertes und kontrolliertes Krankenbehandlungsverfahren, das der ärztlichen Approbationsordnung unterliegt und das möglichst deutlich gegenüber anderen psychotherapeutischen Anwendungen abzugrenzen sei. Eine solche Sichtweise unterschätzt das überaus große Potenzial der Psychotherapie und das, was sie zur positiven Entfaltung menschlicher Potenziale beizutragen hat. Psychotherapie ist wesentlich mehr als Krankenbehandlung, und ihre Interventionsmethoden sind nicht exklusiv für bestimmte Berufsgruppen (wie Psychologen oder Ärzte) reserviert. Psychotherapeutische Schulen Psychoanalytisch orientierte Psychotherapie Gesprächstherapeutisch orientierte Psychotherapie Systemisch orientierte Psychotherapie Verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie integrativ orientierte Psychotherapie (schulenübergreifend) Pseudo-Psychotherapien Vorsicht vor Pseudo-Psychotherapien!!! Der Begriff „Psychotherapie“ ist nicht geschützt. Nicht überall, wo „Psychotherapie“ drauf steht, ist auch „Psychotherapie drin! Geschützt ist lediglich die Bezeichnung „Psychologischer Psychotherapeut“ (bzw. „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut“). Warum eine Qualitätssicherung wichtig ist: Was hilft, kann auch schaden. Diese alte Weisheit gilt auch für die Psychotherapie! Aus diesem Grund sind eine Qualitätssicherung sowie eine Abgrenzung von pseudopsychotherapeutischen oder gar gefährlichen Verfahren sehr wichtig! Dazu gehört z.B. die gesetzliche Regelung, wer unter welcher geschützten Bezeichnung zu einer qualifizierten Psychotherapie zugelassen ist und welche Qualifikationen für die Ausübung dieses Berufes nachzuweisen sind. Wie wird man Psychotherapeut(in)? Verschiedene Berufsgruppen können nach einer (i.d.R.) 5jähriger umfassenden Weiterbildung eine Approbation zum Psychotherapeuten erlangen: In Deutschland: (v.a.) Psychologen, (z.T.) Ärzte, aber auch Sozialpädagogen (letztere allerdings ausschließlich für den Bereich Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie) Wie man Psychotherapeut wird, ist für Ärzte in der ärztlichen Weiterbildungsordnung geregelt und für Psychologen und Sozialpädagogen (sowie einer Reihe weiterer zugelassener Berufsgruppen) über das Psychotherapeutengesetz (PsychThG). Nähere Infos unter www.psychotherapeutenkammer.de Voraussetzungen an wissenschaftlich fundierte psychotherapeutische Methoden (nach Perrez, 1998): Nachweis ihrer Wirksamkeit. Dass sie nicht auf Voraussetzungen beruhen, die mit wissenschaftlichen Erkenntnissen unvereinbar sind (notwendig ist ein theoretischer Bezug zum rationalen Korpus der Psychologie und/oder den einschlägigen Nachbarwissenschaften). Im Idealfall beinhalten die Methoden Regeln, deren Grundlagen von bewährten psychologischen Gesetzen hergeleitet sind. Elemente der Qualitätssicherung bei der krankenkassenfinanzierten Psychotherapie Der wissenschaftliche Beirat „Psychotherapie“ der Ärztekammer (www.wbpsychotherapie.de) klärt, ob für ein bestimmtes Verfahren ein hinreichender Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweis erbracht wurde. Die Durchführung von (krankenkassenfinanzierten) Psychotherapien ist in den Psychotherapie-Richtlinien (www.kbv.de) geregelt, an welche sich jeder niedergelassene Psychotherapeut zu halten hat. Krankenkassen finanzierte Psychotherapie benötigt eine anerkannte Diagnose. Der (Die) approbierte Psychotherapeut(in) muss einen fundierten Therapieplan erstellen, seine (ihre) Tätigkeit legitimieren, dokumentieren und evaluieren. Er/Sie ist zur stetigen Fortbildung und der Einhaltung ethischer Grundsätze verpflichtet. Psychotherapeutisches Versorgungssystem ambulante teilstationäre vollstationäre Versorgung Ambulante Versorgung durch niedergelassene Psychotherapeuten Finanzierungsgrundlage: gesetzliche Krankenversicherung; nur die sog. Richtlinienverfahren „Verhaltenstherapie (VT) und Psychoanalyse (PA) sind zur Abrechnung zugelassen. Wartezeit: durchschnittlich 4,6 Monate Maximal bewilligtes Stundenkontingent: VT: 80; tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie.: 100; PA: 300 Stunden. Angebotsformen: fast ausschließlich Einzeltherapie; gruppentherapeutische (ca. nur 1%) oder paar- und familientherapeutische Leistungen werden kaum angeboten. Ambulanzen und Tageskliniken Psychotherapeutische Ambulanzen: i.d.R. von der Krankenkasse finanziert wird. z.B. an die Psychiatrie oder an Ausbildungsinstitutionen angegliederte Ambulanzen. Tageskliniken (teilstationäre Einrichtungen): Tagesklinik heißt, dass die Behandlung unter der Woche tagsüber stattfindet und der Patient zuhause übernachtet. Es gibt psychiatrische, psychosomatische und suchttherapeutische Tageskliniken Stationäre Versorgung Angebotsformen: sehr vielfältig (z.B. auch viel Gruppentherapie) Wann ist eine stationäre Versorgung indiziert? Zwei getrennte Versorgungssysteme: Je stärker die Klienten mit psychischen Problemen belastet sind, je weniger Ressourcen sie haben, je mehr eine Fremdkontrolle von schädlichen, selbstgefährdeten Verhaltensweisen notwendig ist. Krankenhausbehandlung vs. Rehabilitation Eine Reha wird überwiegend von den Rentenversicherungsträgern, z.T. auch über die Eingliederungshilfe finanziert Durchschnittliche Verweildauer: Krankenhausbehandlung im Bereich „Psychosomatik“: 46,6 Tagen; Krankenhausbehandlung im Bereich „Psychiatrie“: 28,2 Tage. Medizinische Reha: ca. 3 Wochen bis 6 Monate. Psychosoziale Reha: 1 bis 2 Jahre (theoretisch unbefristet). Unterschiede zwischen „KlinSA und „KlinPsych/ Psychotherapie“ Unterschiedliche Setzung der Akzente „psychologische vs. soziale Hilfe“: Psychosoziale Fallarbeit muss immer beide Dimensionen einbeziehen: die soziale und die psychische: Die Klinische Psychologie tut dies unter Akzentuierung der psychologischen Dimension, die Klinische Sozialarbeit unter Akzentuierung der sozialen Dimension. Unterschiede bzgl. des zu betreuenden Klientels Klassischen Psychotherapie Klinischen Sozialarbeit Klientel: verfügt i.d.R. über mehr Ressourcen,Veränderungsmot. und Krankheitseinsicht. Klientel: verfügt tendenziell über weniger Ressourcen, Veränderungsmotivation und Krankheitseinsicht. Klienten kommen i.d.R. freiwillig. U.U. fehlt sogar die Freiwilligkeit. Existenzielle Bedürfnisse sind befriedigt. Es handelt sich um Klienten, bei denen der persönlichsoziale und materielle Hintergrund genug Stützung bietet, ohne aktive Umweltfürsorge rein psychotherapeutisch behandelt zu werden. Die vielen psychosozialen Defizite oder existenzielle Notlagen bedürfen neben personenorientierten Maßnahmen auch einer aktiven Umweltfürsorge. Die Hilfe muss i.d.R. multiperspektivischer angelegt werden. Setting: Komm-Struktur; Regelmäßigkeit, mittlere bis lange Gesamtdauer (25 bis 80 Stunden); tendenziell eher Geschlossenheit gegenüber Umfeld. Setting: Komm-Struktur wird mit aufsuchenden Maßnahmen ergänzt; kurze bis sehr lang Gesamtdauer (u.U. lebenslang); Offenheit gegenüber Umfeld und weiteren Hilfen. Unterschiede in der Beziehungsgestaltung Durch die besondere soziale Lage des Klientels und die dadurch notwendigen psychosozialen Interventionen im Lebensfeld muss der Klinische Sozialarbeiter bzgl. seiner professionellen Beziehungsgestaltung sehr viel flexibler sein als der Psychotherapeut. In vielen Hilfe-Settings ist der Klinische Sozialarbeiter zu einer aktiveren Haltung gezwungen. Die Alltags- und Lebensweltorientierung der SA führt z.T. zu einem sehr viel höheren Grad an persönlicher Involvierung (bis hin zu einer geteilten Lebenspraxis). Gestaltungsprinzipien, wie die sog. Abstinenzregel (der klassischen Psychoanalyse) wären hier wohl kaum angemessen. Das besondere Profil KlinSA KlinSA ist weder ein aus Mangel an psychotherapeutischer Kapazität erwachsener Ersatz noch ein bloßes Anhängsel an eine eigentlich medizinische oder psychotherapeutische Behandlung. Sie hat ihre eigene Berechtigung, ihre eigenen Schwerpunkte, ihre eigenen Stärken, ihre eigene Zielsetzungen und v.a. auch doch eine ganz andere Zielgruppe. Ihr besonderes Profil erhält die KlinSA aus ihrer Aufgabenstellung, sich bevorzugt um chronisch kranke, mehrfach belastete, in existenzielle Notlagen geratene Menschen bzw. schwer zugängliche Patientengruppen zu kümmern. Um diese Aufgabe zu bewältigen, braucht sie neben personenbezogenen auch umgebungsbezogene Methodenansätze sowie spezifisch auf ihr Klientel zugeschnittene Zugangsweisen – worin ein deutlicher Unterschied zur Psychotherapie zu sehen ist. Die besondere Stärke KlinSA im Kanon anderer gesundheitsbezogener Berufsdisziplinen ist ihre multiperspektivische Betrachtungsund Vorgehensweise. Abgrenzung „Psychotherapie“ vs. „Psychosoziale Beratung“ Zentrale Positionen bzgl. der Abgrenzung „Psychosoziale Beratung“ vs. „Psychotherapie“ Kongruenzmodell: Beratung (B) und Psychotherapie (P) sind nicht eindeutig voneinander zu trennen. Differenzmodell: B und P sind grundsätzlich verschiedenen und eindeutig voneinander abzugrenzen. Ablegermodell: B ist ein Ableger von P (eine Art „kleine P“). Integrationsmodell: (a) B ist ein als Teil von P. (bzw. umgekehrt:) (b) P ist ein Teil von B Überschneidungsmodell: B und P sind zwei differenzierbare Wissenschafts- und Praxisbereiche; allerdings gibt es erhebliche Überlappungen, Ähnlichkeiten und Kongruenzen. Gemeinsamkeiten zwischen B und P (1) Die Übergänge von einer qualifizierten psychosozialen B zur P sind fließend (und zwar gerade dann), wenn man B definiert als: „einen bewussten und geplanten interaktionellen kommunikativen Prozess mit dem Ziel der hilfreichen Unterstützung eines Klienten in einer vom ihm allein nicht zu bewältigenden Problemsituation mittels lehrbarer Techniken und auf der Basis geeigneter Theorien und Methoden zum Fallverständnis.“ Wenn innerhalb eines solchen Beratungsverständnisses gesundheitliche Beeinträchtigungen und ihre Folgen im Vordergrund der Problemdefinition stehen, sind nahezu keine Unterschiede zur Psychotherapie mehr zu erkennen. Dies ist in der psychosozialen Praxis häufig der Fall! Gemeinsamkeiten zwischen B und P (2) Die Interpretation „B vs. P“ hängt oft vom institutionellen Kontext bzw. dem Leistungsträger ab. P sollte nicht nur als verordnungsfähige Kassenleistung, sondern als Gesundheitsarbeit unter Einbezug des sozialen Kontextes verstanden werden. Eine sozialarbeiterische psychotherapeutische Methodenanwendung steht in der beruflichen Wirklichkeit seit langem neben ärztlicher und psychologischer Psychotherapie. Fazit: Psychosoziale B und P lassen sich wohl eher als Pole eines Kontinuums beschreiben. Unterschiedliche Akzente zwischen B und P Psychosoziale Beratung Psychotherapie z.T. Kriterium der schnellen Weitergabe von Spezialwissen z.T. wird Veränderungsprozess lediglich angestoßen. Helfer-Klient-Beziehung und ihre Reflexion wichtig. i.d.R. stärkere Kontextbezüge relativ niedrigschwellig hat den Blick (etwas) mehr auf die Person in ihrer Lebenswelt gerichtet. Alltags-Lebenswelt-Orientierung Kriterium der längerfristigen systematischen Anleitung zu zielgerichteten Veränderungen Prozess der Umsetzung der intendierten Veränderung wird aktiv (und längerfristig) begleitet Helfer-Klient-Beziehung und ihre Reflexion unverzichtbar und mit sehr hohem Anspruch. i.d.R. geringere Kontextbezüge relativ hochschwellig richtet den Blick (etwas) mehr auf das Verhältnis der Person zu sich selbst. gezielte Abhebung vom Alltag. Schaffung eines künstlicher Schutzraums