Religion - UK-Online - Universität zu Köln

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Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln
Einführungsseminar WS 2004/05
Lioba Lenhart
17. und 19.01.2005
23. und 24. Sitzung:
Religion und Weltbild
Peoples & Bailey, Kapitel 14:
„Religion and World View“
Themen:
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
17. und 19.01.2005
Definition von Religion
Theorien zu Religion
Übernatürliche Erklärungen für
Unglück
Formen der religiösen
Organisation
Revitalisierungsbewegungen
Einführungsseminar WS 2004/05 (L. Lenhart):
Religion und Weltbild
2
(1)
Definition von Religion
•
Religion/religiöse Vorstellungen sind Teil des Weltbilds oder der
Weltanschauung von Menschen – d.h. ihrer Konzeptionen von Realität, die
ihre Interpretation von Dingen und Ereignissen einschließlich der
Bestimmung des eigenen Platzes in der Welt bestimmen und auf ihr
alltägliches Verhalten einwirken.
•
Der interkulturelle Vergleich zeigt, dass solche Konzeptionen in verschiedenen Kulturen/Gesellschaften sehr unterschiedlich aussehen.
Auch ist Religion in vielen Kulturen/Gesellschaften mit anderen kulturellen
Teilbereichen (Verwandtschaft, Wirtschaft, Recht, Politik) vermischt.
•
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Definition von Religion
• Religion wird mit dem Glauben an eine übernatürliche oder
übermenschliche Komponente der Wirklichkeit (im Gegensatz zu der
natürlichen, materiellen, sichtbaren Welt) oder – spezifischer – mit dem
Glauben an übernatürliche Wesen in Zusammenhang gebracht.
• Eine Minimaldefinition von Religion, auf die sich auch viele heutige
Ethnolog/innen noch beziehen, stammt von Tylor (1891): „the belief in
spiritual beings“.
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Das Problem der Definition
• Verschiedene Ethnolog/innen haben darauf hingewiesen, dass die
Differenzierung zwischen natürlichen, sozialen und übernatürlichen
Phänomenen ein gewisses Maß an Ethnozentrismus beinhaltet. Sie
beruht auf einer Weltsicht, mit der sich im allgemeinen Angehörige der
westlichen Kultur wohl fühlen.
• Für die Mitglieder vieler nicht-westlicher Kulturen ist diese
Unterscheidung bedeutungslos, da für sie die natürlichen, die
sozialen und die übernatürlichen Phänomene in gleicher Weise real
erlebte Teile ihres Alltagslebens darstellen. So werden beispielsweise
Totengeister als ein realer Teil der „wirklichen Welt“ betrachtet.
• Andererseits sind auch im materialistischen Denken (z.B. Marxismus)
religionsähnliche Züge nachweisbar. Und auch Natur- und Geisteswissenschaften nehmen in Bezug auf ihre Disziplinen oft eine religiöse Haltung ein.
Zu Zwecken der Analyse macht die Differenzierung natürlicher
und übernatürlicher Bereiche allerdings Sinn.
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Bestandteile von Religion
Religionen beinhalten im allgemeinen folgende Komponenten:
• Glauben an übernatürliche Wesen und Kräfte,
• Mythen und Weltbilder,
• Rituale und Symbole.
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Glaube an übernatürliche Wesen und Kräfte
Übernatürliche Wesen
Merkmale:
• sind fähig, eine körperliche Form anzunehmen, haben
Persönlichkeit und ihre Reaktionen in Bezug auf menschliche
Handlungen sind in etwa absehbar;
• einige dieser Wesen sind menschlichen Ursprungs – so die
Seelen der Ahnen/Ahnengeister; andere sind nicht-menschlichen
Ursprungs – so die meisten Götter, Naturgeister, Dämonen;
• sie haben höchst unterschiedliche Eigenschaften, sind
beispielsweise kapriziös oder konsistent, eigensinnig oder
vernünftig, rachsüchtig oder gnädig, amoralisch oder gerecht.
!
Nicht überall sind die Götter so wie „unser“ allwissender und
allmächtiger Gott, der Opfer und Gebete fordert und menschliches
Verhalten und Moral mitbekommt und darauf reagiert. Andernorts
können Götter ausgetrickst oder manipuliert werden und ihnen ist
die Moral menschlichen Handelns egal.
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… Glaube an übernatürliche Wesen und Kräfte
Übernatürliche Kräfte
Merkmale:
• können Menschen und Tieren, Dingen und Plätzen innewohnen,
• haben keine physische Gestalt, keinen eigenen Willen – sind
impersonal,
• sind nur durch ihre Wirkungen zu erkennen.
Bsp.:
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Die in Melanesien, Mikronesien und Polynesien verbreitete
Überzeugung, mana genannt:
Ein schnelles Boot hat mana, aber auch ein erfolgreicher
Mann und eine gute Ernte haben mana.
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Mythen und Weltbilder
Mythen
• sind erzählte oder niedergeschriebene Geschichten, die über
lange Zeit zurückliegende Handlungen und Taten übernatürlicher
Wesen oder Kulturheroen bzw. mit ihnen in engem Kontakt
stehender Menschen berichten;
• erklären die Schöpfung/Existenz des Universums, der Erde, der
Lebewesen und alles Sonstigen in der Welt,
• begründen wesentliche Teile der Kultur, z.B. wie die Menschen an
ihre Werkzeuge kamen, wie jetzigen Lebensgewohnheiten entstanden
sind usw.,
• rechtfertigen Moralvorstellungen, z.B. indem sie vom traurigen
Schicksal der Menschen erzählen, die gegen diese verstoßen haben.
• Mythen werden in formalen Situationen gelehrt, z.B. Bibellesungen in
der Kirche; oder aber informell weitergegeben, erzählt oder gesungen,
sowohl während religiöser Anlässe als auch im Alltag.
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… Mythen und Weltbilder
Mythenanalyse beinhaltet:
• die Analyse der Botschaften und Bedeutungsstrukturen
(Inhaltliches),
• die Analyse des sozialen Gebrauchs von Mythen, z. B. als Machtinstrument.
Mythen beeinflussen Weltbilder und somit das menschliche Handeln.
Beispiel:
Umgang mit Natur in der westlichen/jüdisch-christlichen Welt im
Zusammenhang mit dem Alten Testament:
Gottes Aufforderung an die Menschen, sich „die Erde untertan zu
machen“, prägt unser Verhältnis zu und unseren Umgang mit der
natürlichen Umwelt.
 Allerdings gibt es auch andere Interpretationen/Gegenentwürfe,
z.B. die Amish People in Nordamerika, die den Materialismus der
westlichen Gesellschaft ablehnen.
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Rituale und Symbole
Ritual
• die organisierte Durchführung von festgelegten, stets gleich
bleibenden Handlungen oder Handlungssequenzen mit dem Ziel,
mit übernatürlichen Mächten in Kontakt zu kommen und diese zu
beeinflussen.
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… Rituale und Symbole
Rituale haben symbolischen Gehalt:
• Sie werden oft an Orten mit symbolischer Bedeutung durchgeführt
(z.B. dort, wo mythologische Ereignisse stattfanden; in Kirchen usw.),
• beinhalten häufig das Zur-Schau-Stellen, Berühren und Manipulieren
von Objekten, die ein Ereignis symbolisieren (z.B. das Kreuz), eine
heilige Person symbolisieren (z.B. Statuen von Jesus und Maria),
eine Beziehung symbolisieren (z.B. Hochzeitsringe) usw.
• Auch sind die verwendete Sprache und Verhaltensweisen mit
symbolischer Bedeutung belegt (z.B. im christlichen Kontext: religiöse
Gesänge, Gebete, Taufe, Kommunion, Beichte).
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Zweck und Zeitpunkt von Ritualen
Rituale werden zu unterschiedlichen Zwecken durchgeführt,
z.B.:
• um Gesundheit, Fruchtbarkeit, Regen, Wachstum der Feldfrüchte
usw. zu bewirken,
• um Seelen zu retten, Menschen in andere Lebensphasen zu
geleiten usw.
Auch unterscheiden sich Rituale im Hinblick auf den Zeitpunkt der
Durchführung:
• Kalendrische Rituale werden regelmäßig wiederkehrend –
saisonal, jährlich, monatlich, täglich - durchgeführt (z.B.
Sonntagsmesse, Erntedank),
• Krisenrituale werden nach individuellem Bedarf oder Bedarf von
Gruppen durchgeführt (z.B. Beerdigung, Heilung, aber auch vor
einer Jagd).
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(2)
Theorien zu Religion
Verschiedene theoretische Ansätze betrachten die universelle Existenz
Existenz von Religion im Zusammenhang mit den Funktionen von
Religion:
• kognitionswissenschaftliche Ansätze  fokussieren die kognitive
Funktion von Religion,
• psychologische Ansätz  fokussieren die psychische Funktion
von Religion,
• soziologische Ansätze  fokussieren die soziale Funktion von
Religion.
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Kognitive Funktion
auch: Erklärungsfunktion
Vermittels der Religionen versuchen die Menschen, das
Unerklärliche zu erklären – also Phänomene wie Existenz,
Krankheit, Tod (Warum-Fragen).
Die kognitive Funktion wird in unterschiedlichen theoretischen Ansätzen
propagiert.
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… kognitive Funktion
• Sir James Frazer (1890, The Golden Bough) interessierte sich für die
Entwicklung des menschlichen rationalen Denkens:
Ihm zufolge war im Verlauf der Menschheitsgeschichte
• zunächst Magie das Mittel der Menschen, die Welt zu kontrollieren,
• dem folgte der Glaube an übernatürliche Wesen, d. h. Religion,
• schließlich, nachdem die Mängel der vorherigen Systeme
offenkundig wurden, entwickelte sich die Wissenschaft.
• Hierzu lässt sich kritisch einwenden, dass die mit der Vorstellung von
klar abgrenzbaren Entwicklungsstufen verbundene Erklärung von
Religion als Vorstufe von Wissenschaft/Rationalität zu kurz greift:
• So operierten beispielsweise so genannte „savages“ – z.B.
Trobriander – nicht nur mit Magie, um z.B. ihren Gärten gute
Erträge abzugewinnen; sie kannten sehr wohl Techniken der
Bodenbearbeitung, setzen magische Praktiken hierzu ergänzend
ein.
• In vielen Fällen koexistieren Wissenschaft, Religion und Magie.
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… kognitive Funktion
Andere Theorien:
• Clifford Geertz: Für die Gläubigen verschafft Religion dem Dasein
Bedeutung und hilft, nicht normale Ereignisse, die im Widerspruch
mit der Weltsicht stehen können (z.B. Leid infolge von Naturkatastrophen, Kriegen, Ungerechtigkeit) einzuordnen und folglich die
Welt nicht als chaotisch zu erleben.
• Stewart Guthrie: Menschen tendieren dazu, die Welt anthropomorph zu sehen, ihren Erscheinungen menschliche Motive, Absichten, Gefühle etc. zuzuweisen und anzunehmen, dass ihnen von
diesen nichts Schlechtes widerfahren wird, wenn sie diese
Erscheinungen menschlich behandeln (Bsp.: „Mutter Erde“).
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Diskussion
Zur kognitiven Funktion von Religion und von Wissenschaft:
?
Sind Sie der Meinung, dass in unserer Gesellschaft die
Wissenschaft der Religion in dieser Hinsicht den Rang abgelaufen
hat?
Oder hat Religion weiterhin eine die Wissenschaft diesbezüglich
ergänzende Funktion? -- oder aber inzwischen eine ganz und gar
andere Funktion als die Wissenschaft?

bitte kurz darüber nachdenken und mit den unmittelbaren
Banknachbar/innen diskutieren!
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Psychische Funktion
auch: psychische Verstärkungsfunktion
Religion hilft den Menschen, mit Furcht, Angst, Unsicherheit im
Falle von Krankheiten, Unfällen, Tod, Missgeschick und Ungerechtigkeiten umzugehen,
• aufgrund der Annahme, dass es für persönliches oder
kollektives Leid einen höheren Grund gibt/ein Sinn dahinter
steht;
• sowie dadurch, dass Leid durch rituelle Mittel kontrolliert
oder gelindert werden kann.
• so argumentiert u.a. B. Malinowski:
Religion und Magie geben den Menschen Hoffnung und Zuversicht in
Situationen, in denen sie sie trotz großer Anstrengungen erfolglos
bleiben.
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… psychische Funktion
Andere theoretische Ansätze:
fokussieren das Bewusstsein der Endlichkeit der eigenen Existenz und
das Erleben des Todes nahe stehender Personen, was Ängste erzeugt,
welche durch den Glauben an ein Leben nach dem Tod reduziert
werden.
Diesen Ansätzen ist eine ethnozentrische Annahme implizit:
Zwar gehen die meisten Religionen von einem Leben nach dem Tod
aus, jedoch längst nicht alle! Und nicht immer wird das Leben nach dem
Tod als angenehm vorgestellt (siehe Beispiele im Lehrbuch, S. 278).
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Diskussion
Zur psychischen Funktion von Religion:
?
Ist Religion für die Gläubigen immer psychisch entlastend?
Oder kann Religion auch psychisch belastend sein?

bitte kurz darüber nachdenken und mit den unmittelbaren
Banknachbar/innen diskutieren!
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… psychische Funktion
Religion ist keineswegs immer psychisch beruhigend:
• Bsp.: Vorstellungen vom Leben nach dem Tod, das ganz und gar
nicht paradiesisch ist (Hölle),
• Bsp.: ausgeprägte/s Sündenvorstellungen/-bewusstsein.
Religion ist zudem häufig der Rahmen für mystische Erfahrungen, d. h.
tiefe emotionale Erlebnisse, Erleuchtungen, Ekstasen, die verbal nur
unzulänglich mitzuteilen sind; in manchen Religionen ist das
Herbeiführen dieser Erfahrungen zentral:
• Bsp.: Sufismus,
• Bsp.: Zen-Buddhismus.
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Soziale Funktion
auch: Unterstützungsfunktion
Gemeinsame Glaubensvorstellungen tragen zur Kohäsion und
Solidarität einer Gesellschaft bei.
Religion ist sozial nützlich, da sie gemeinsame Wertvorstellungen nahe
legt und perpetuiert, Normen stützt, Kooperation fördert und so einem
harmonischen sozialen Zusammenleben zuträglich ist,
• direkt über moralische Vorschriften: Gut und Schlecht werden
definiert und für gute und für schlechte Taten ewiger Lohn bzw.
ewige Verdammnis in Aussicht gestellt;
• indirekt über Rituale: Menschen kooperieren in der Ausübung von
Ritualen, was ihnen Gemeinschaftserlebnis und Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt.
So argumentiert u.a.Emile Durkheim, frz. Soziologe, frühes 20. Jh.,
der die Rolle von Religion zur Schaffung sozialer Solidarität betonte.
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Diskussion
Zur sozialen Funktion von Religion:
?
Ist Religion in unserer multireligiösen Gesellschaft ein Faktor, der zu
Solidarität und Kohäsion beiträgt? Spielt sie keine Rolle? Oder ist
das Gegenteil der Fall?

bitte kurz darüber nachdenken und mit den unmittelbaren
Banknachbar/innen diskutieren!
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… soziale Funktion
• Nicht alle Religionen formulieren moralische Vorschriften und
Strafen für „Sünder“ !
• Nicht alle Religionen harmonisieren Gesellschaften, schon gar
nicht in multireligiösen Situationen (z. B. Fundamentalismen).
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Kognitive, psychische und soziale Funktion
Die drei Funktionen von Religion schließen sich nicht aus, sondern
ergänzen sich.
Spezifische Religionen unterscheiden sich in der Betonung der
einzelnen Funktionen:
• Bsp.: heutiges Christentum in unserer Gesellschaft:
Hier steht zunehmend die soziale Funktion von Religion im
Vordergrund. Die psychische Funktion ist hingegen im Abnehmen
begriffen: zwar glauben viele Menschen nach wie vor an ein Leben
nach dem Tod, aber kaum noch an jenseitige Interventionen, wie dies
in Heiligenkulten angenommen wird. Die kognitive Funktion verliert
ebenfalls an Bedeutung: die Erklärung des Zustands der Welt nach
dem Urknall obliegt inzwischen den Wissenschaften.
• Andere Beispiele:
• Shintoismus in Japan: keine nennenswerte Morallehre;
• Zen-Buddhismus: starke Betonung der psychischen Dimension.
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(3)
Übernatürliche Erklärungen für Unglück
Zauberei und Hexerei
Persönliches Unglück in Form von Tod, Krankheit und
Unglücksfällen findet in vielen Kulturen zweierlei Arten von
Erklärung:
• ist eine Folge der Intervention/Strafe übernatürlicher Wesen
(z. B. Geister, die Tabuverletzungen bestrafen, Ahnengeister, die
Konflikte in der Verwandtschaftsgruppe ahnden);
• ist eine Folge des Handelns Übel wollender Menschen mit
besonderen Fähigkeiten und Kräften – also Zauberei und
Hexerei.
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… Zauberei und Hexerei
Zauberei (sorcery) und Hexerei (witchcraft):
 beides: Herbeiführen von Unheil mit übernatürlichen Mitteln;
aber:
• Zauberei (sorcery)
 Durchführung von feststehenden Handlungen/Ritualen und
Sprechen von Zauberformeln mit der Absicht, einer anderen
Person durch übernatürliche Mittel Unheil zuzufügen.
• Hexerei (witchcraft)
 Einsatz von geistigen Kräften mit der Absicht, einer anderen
Person durch übernatürliche Mittel Unheil zuzufügen.
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Magie
Im Falle der Zauberei ist Magie im Spiel.
Magie (magic)
 die direkte Manipulation von Ursache und Wirkung zwischen
Dingen und Ereignissen, die dem außen stehenden, wissenschaftlich orientierten Beobachter als zusammenhanglos
erscheinen (keine naturwissenschaftliche Nachweisbarkeit);
 beruht auf den übersinnlichen Fähigkeiten eines Menschen und
den übersinnlichen Kräften eines Objekts, eine anvisierte Wirkung
zu erreichen.
Dem zufolge ist Magie von Religion, d. h. dem Glauben an übernatürliche
Wesen, zu unterscheiden: Magie braucht die letzteren nicht – die Wirkung
geht direkt vom Menschen aus.
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Religion und Magie
Allerdings ist die Differenzierung zwischen Religion und Magie idealtypisch. Realiter sind Religion und Magie verwoben:
•
•
•
Die mit Religion und Magie verbundene Praxis zielt darauf, eine vom
Menschen erhoffte Wirkung herbeizuführen, die der Mensch unter
"normalen", den Naturgesetzen gehorchenden Umständen nicht
herbeiführen kann.
Als Unterschied wird die Anrufung übernatürlicher Wesen durch eine
Person (religiöse Praxis) bzw. die von einer Person oder durch ein
Objekt direkt erzeugte Wirkung (magische Praxis) geltend gemacht.
In der auf das Übernatürliche sich richtenden Praxis aller
Glaubensgemeinschaften fließen de facto jedoch religiöse und
magische Handlungen ineinander.
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Formen der Magie
Im Falle von Magie wird etwas – z.B. ein Objekt oder eine Handlung – mit
etwas anderem – z.B. einem Menschen oder ein Ereignis – identifiziert.
Man unterscheidet:
• imitative Magie (imitative magic), auch: nachahmende Magie,
• Kontaktmagie (contagious magic), auch: Übertragungsmagie.
Diese Unterscheidung geht zurück auf den im Laufe des Seminars bereits
mehrfach erwähnten Sir James Frazer (1890).
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Imitative/nachahmende Magie
• beruht auf dem Prinzip der Ähnlichkeit oder der Vermutung, dass
Gleiches wieder Gleiches hervorbringt bzw. dass eine Wirkung ihrer
Ursache gleicht.
• Ein Objekt wird beispielsweise analog zu einer Person gesetzt; wenn
nun das Objekt manipuliert wird – so die Annahme –, überträgt sich
diese Handlung auf die Person.
• Bsp.: Voodoo-Puppen: Stecken von Nadeln in die Puppe, um einen
Feind zu verletzen oder zu töten;
• Bsp.: Azande, Sudan - kreisrunder Stein, der in Astgabeln gelegt
wird, um somit den Sonnenlauf aufzuhalten und mit der Feldarbeit
noch am selben Tag fertig werden zu können.
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Kontakt-/Übertragungsmagie
• beruht auf dem Prinzip der Berührung oder der Vermutung, dass
Dinge, die einmal in Kontakt miteinander gewesen sind, auch dann
weiter aufeinander einzuwirken, wenn sie von einander entfernt sind
und der physische Kontakt unterbrochen wurde.
• Objekte, die in Kontakt mit einer Person gestanden haben oder von
ihrem Körper stammende, abgetrennte Teile können – so die Annahme
– dazu verwendet werden, ihr Schaden zuzufügen.
• Bsp.: Manipulation mit Dingen, die zum Körper des Opfers gehörten
oder mit ihm in Berührung waren (Schmuck, Haare, Fingernägel),
• Bsp.: „böser Blick“ (Mittelmeerraum).
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Magisches Können
• Magisches Können ist in vielen Kulturen allgemein verbreitetes
Können, d.h. zumindest Grundkenntnisse werden von vielen
Personen erlernt;
• elaborierte Praktiken werden jedoch meist nur von besonderen
Personen beherrscht, die diesbezüglich irgendeine Form der
Ausbildung durchlaufen.
• Zauberei wird oft eingesetzt, um sich gegen Hexerei zu wehren. Dann
dient sie zwar der Schädigung des Hexers, aber gleichzeitig auch dem
Schutz des Opfers.
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Schwarze Magie und weiße Magie
Magie wird zudem ihrer Absicht nach unterteilt in
• schwarze Magie  Zauberei: Zufügen von Leid oder Unglück;
• weiße Magie  wohlwollende Magie (Bsp.: Krankenbehandlung).
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Hexerei
• In Bezug auf Hexer/Hexen – die im Gegensatz zu Zauberern keine
Paraphernalia zur Durchführung ihrer üblen Absichten benötigen –, wird
mitunter angeführt, dass ihre Kräfte angeboren sind.
• So kann – wie im Falle der Azande (Sudan) – die „Hexereisubstanz“
im Körper eines Hexers ohne seinen Willen und sein Wissen
wirken; diese Substanz verlässt den Körper des nachts, um das
Fleisch und die inneren Organe der Opfer zu verzehren.
• Weitere Beispiele: siehe Lehrbuch, S. 281.
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Interpretationen von Zauberei und Hexerei
In Bezug auf weltweit verbreitete Überzeugungen der Existenz von
Zauberei und Hexerei und darauf bezogene, weltweit verbreitete
Anschuldigungen gibt es zwei Interpretationsrahmen:
• Interpretationen, welche die kognitive Dimension fokussieren,
• Interpretationen, welche die soziale Dimension fokussieren.
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Fokussierung der kognitiven Dimension
Dem zufolge
• erklären Hexerei und Zauberei persönliche Unglücksfälle und
Missgeschicke;
• halten Hexer/Hexen und Zauberer/Zauberinnen als
Sündenböcke für Unerklärliches her; bieten die Möglichkeit,
durch Identifikation, Beschuldigung und Bestrafung mit einer
Situation persönlichen Unglücks/Missgeschicks umzugehen.
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… Fokussierung der kognitiven Dimension
Zauberei und Hexerei werden häufig als ultimate Ursache hinter
proximaten/unmittelbaren, nahe liegende Ursachen betrachtet, deren
„Natürlichkeit“ nicht angezweifelt wird:
•
Beispiel Azande, Sudan
Einstürzen der Getreidespeicher wegen Termitenfraß, der Person
tötet, die sich in der Mittagshitze darunter gesetzt hat:
Den Azande ist klar, dass Termiten das Holz zerfressen haben –
als nicht natürlich wird das Zusammentreffen der Ereignisse
betrachtet (warum der Speicher gerade in dem Moment einstürzt)
 die Koinzidenz wird mit Hexerei erklärt.
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Fokussierung der sozialen Dimension
Dem zufolge
• unterstützt der Glaube an Hexerei und Zauberei Normen und
Werte und damit ein harmonisches Zusammenleben,
• Hexer/Hexen und Zauberer/Zauberinnen halten als Gegenbild
zur normenkonformen Lebensweise her; die über sie und
ihre Untaten erzählten Geschichten stützten die Normen
(Antithese des kulturellen Ideals einer Person);
• Die Angst, selbst wegen abweichendem oder unsozialem
Verhalten als Hexer/Hexe oder Zauberer/Zauberin verdächtigt
zu werden, begünstigt Konformität.
• Hexereianklagen und –gerüchte bieten zudem ein Ventil für das
Ausleben von Aggressionen.
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Psychische Entlastung
Sowohl die Interpretationen, welche die kognitive Dimension fokussieren,
als auch die Interpretationen, welche die soziale Dimension fokussieren,
problematisieren auch die menschliche Psyche:
Erklärungen für persönliches Unglück oder Missgeschick zu haben
sowie einer Person dafür die Schuld geben zu können, ist psychisch
entlastend.
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(4)
Formen der religiösen Organisation
Klassifikation von Religionen auf der Basis des KultKonzeptes von Anthony Wallace (1960er Jahre):
Kult (cult)
Der Begriff bezeichnet nicht die oft kurzlebigen, durch eine
Person („cult leader“) propagierten Überzeugungen im
Rahmen von Sekten;
sondern:
ein organisiertes System von Überzeugungen und
Praktiken, die der Kontrolle oder Verehrung bestimmter
übernatürlicher Mächte dienen.
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Kult und Religion
•
•
•
Ein Kult verfolgt einen bestimmten Zweck (z. B. Fruchtbarkeit, Heilung,
Schutz o. ä.).
Religionen können eine Vielzahl von Kulten zu unterschiedlichen
Zwecken beinhalten.
Wallace unterscheidet vier Kultformen:
• individualistische Kulte,
• schamanistische Kulte,
• kommunale Kulte,
• ekklesiastische oder kirchliche Kulte.
In jeder Gesellschaft findet sich nicht nur eine, sondern finden
sich immer mehrere dieser Formen !
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Individualistische Kulte
Hier treten Individuen direkt mit übernatürlichen Mächten in Kontakt.
• Jedes Individuum hat eine persönliche Beziehung zu einer oder
zu mehreren übernatürlichen Mächten, die es beschützen;
• von diesen wird dann Beistand erbeten, wenn dieser zur
Erreichung persönlicher Ziele notwendig erscheint.
Beispiel:
Visionssuche (vision quest) der Plains-Indianer:
unter Entbehrungen Suche nach einem persönlichen Schutzgeist, der
eine Person im weiteren Leben begleitet.
!
In keiner Gesellschaft gibt es ausschließlich individualistische
Kulte.
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Schamanistische Kulte
Hier haben einzelne Individuen – Schamanen oder Medizinmänner –
besondere Beziehungen zu übernatürlichen Mächten;
sie nutzen diese,
• um anderen Personen, die sich in Not befinden, zu helfen (häufig:
Krankenheilung);
• oder, um im Auftrag ihrer Gruppe (Band oder Dorf) den Feinden
der Gruppe zu schaden.
17. und 19.01.2005
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Sibirischer Schamane, 19.Jh.
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Schamanen
• sind in einigen Gesellschaften – insbesondere in Jäger-SammlerGesellschaften – die einzigen religiösen Experten.
• sind keine Vollzeit-Spezialisten; praktizieren immer dann, wenn ihre
Dienste gebraucht werden, wofür sie eine Gegenleistung in Form
eines Geschenkes oder Geld erhalten; ansonsten leben sie wie
andere Mitglieder ihrer Gruppe auch.
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… Schamanen
•
haben Beziehungen zu Hilfsgeistern, die sie in ihrem Tun
unterstützen, zu denen sie in verändertem Bewusstseinszustand
(Trance) Kontakt aufnehmen;
•
in diesem Zustand, in den ein Schamane durch Einnahme von
Drogen, rituelle Gesänge, rhythmisches Trommeln u.ä. gerät, nehmen
die Hilfsgeister von seinem Körper Besitz und sprechen durch
seinen Mund.
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… Schamanen
Schamanen erwerben ihre besonderen Fähigkeiten auf mehreren
Wegen:
•
sie lernen bei praktizierenden Schamanen;
•
sie unterziehen sich Entbehrungen, z.B. langem Fasten,
begeben sich in soziale Isolation oder andere schwierig zu
bewältigende Situationen,
•
sie haben ein Berufungserlebnis, sind z.B. unerwartet von einer
mysteriösen Krankheit heimgesucht worden und dann von ihr
genesen, wurden von einem Geist, der in ihre Träume drang,
aufgefordert, sein Sprachrohr zu werden u.ä.
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Kommunale Kulte
• Hier treffen sich Gemeinschaften - eine Verwandtschaftsgruppe, eine
Altersgruppe, ein Dorf, eine Kaste u.v.a. - periodisch, um Rituale
durchzuführen, während derer sie direkt mit übernatürlichen Mächten in
Kontakt treten, um Anliegen der gesamten Gemeinschaft oder
einzelner Mitglieder vorzubringen.
• Ritualführer sind entweder die Ältesten der Gemeinschaft oder eine
Person, die ein besonderes Interesse an den Folgen des rituellen
Tuns hat (keine religiösen Vollzeit-Spezialisten!).
• Zwei weit verbreitete Arten kommunaler Kulte, die Deszendenzgruppen organisieren, sind
• Ahnenkulte,
• Totemismus.
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Ahnenkulte
Ahnenkulten oder Ahnenverehrung
• Diesen liegt die Annahme zugrunde, dass die Seelen der Toten
oder Ahnengeister mit den Lebenden in Kontakt bleiben –
insbesondere mit ihren Nachfahren – und deren Dasein beeinflussen
können.
• Diese führen Rituale durch, um zu bewirken, dass die Ahnengeister ihnen wohl gesonnen sind; oder um sie zu bitten, sie
schlicht und einfach in Ruhe lassen.
• Ahnenkulte sind häufig in Gesellschaften anzutreffen, in denen die
Verwandtschaftsgruppe eine wichtige Rolle spielt im
Zusammenhang mit Entscheidungen, Ressourcenzugang,
Rollenzuweisung, Verhaltenskontrolle usw.
• Beispiele: Lugbara, Uganda und Ndembu, Zambia – siehe Lehrbuch,
S. 286f.
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Totemismus
•
Gruppen, häufig unilineale Deszendenzgruppen und hier Clane,
identifizieren sich mit einem bestimmten Wesen aus der Natur – oft
eine Pflanze, ein Tier, eine Naturerscheinung –, dem so genannten
Totem.
•
Der Clan wird dann nach dem Totem benannt (z.B. Bärenclan,
Sonnenclan).
•
Mitunter bleibt es bei der Namensgebung, manchmal kommt jedoch die
Annahme der Schicksalsverbundenheit hinzu und entsprechende
Bemühungen um das Wohlergehen des Totems. Dieses wird dann
selbst als der Ahne des Clans betrachtet oder man sagt, dass es in
irgendeiner Weise eng mit seinem menschlichen Gründer verbunden gewesen sein soll.
•
Beispiel: Aborigines, Australien – siehe Lehrbuch, S. 287
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Ekklesiastische/kirchliche Kulte
Hier gibt es religiöse Vollzeit-Spezialisten – Priester –, die zwischen
Gläubigen und übernatürlichen Mächten vermitteln und in eine
Bürokratie eingebunden sind.
Charakteristisch für Priester - im Unterschied zu Schamanen - ist
• dass sie Spezialisten sind, die kooperieren, in einer Hierarchie
organisiert sind und vom Staat unterstützt werden;
• dass sie eine lange Lehrzeit durchlaufen - eine Voraussetzung, um
komplexe Rituale durchführen zu können,
• dass sie häufig kalendrische Rituale durchführen, seltener
Krisenrituale,
• dass sie (mit) an der Spitze der gesamtgesellschaftlichen
Hierarchie stehen,
• dass es eine deutliche Trennung zwischen Priestern und Laien
gibt – so dass Gläubige in der Ausführung ihrer religiösen Pflichten
von ihnen abhängen, wodurch die Stratifikation einer Gesellschaft
untermauert wird.
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Priester und Kardinal der katholischen Kirche
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… Ekklesiastische/kirchliche Kulte
Oft enge Verbindung zum Staat:
Diese reicht vom Eintreiben von Kirchensteuern durch den Staat (wie
in Deutschland) bis hin zur Theokratie (d. h. Ausübung der weltlichen
Herrschaft durch religiöse Funktionsträger, z.B. in Tibet vor der chinesischen Invasion oder im Iran).
• Häufig war/ist die enge personelle Verquickung (Bsp.: Europa im
Mittelalter).
• Die Priesterschaft ist zwar in vielen Fällen von der Herrschaftsschicht
getrennt, aber religiöse Legitimation für weltliche Herrschaft
war/ist trotzdem wichtig (Bsp.e: mittelalterliches Europa, vorkoloniales
Indien oder Bali).
• Viele Rituale dienen dem Wohlergehen der gesamten politischen
Einheit.
• Kirchliche Organisationen haben historisch auch Aufgaben
übernommen, die heute der Staat erledigt (Redistribution in
Mesopotamien durch Tempel, Bevölkerungsregister im vormodernen
Japan durch buddhistische Klöster) und übernehmen sie vielfach
auch heute bzw. kooperieren mit staatlichen Organen (Bsp.:
Krankenhäuser unter kirchlicher Trägerschaft in Deutschland).
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Hauptmerkmale der vier Kultformen
Nutznießende
rituelle Führung
individualistische Kulte
Individuen
individuell, keine
Experten/Spezialisten
schamanistische Kulte
Individuen
Schamanen –
Experten, keine
Vollzeit-Spezialisten
kommunale Kulte
Gemeinschaft
und einzelne
Mitglieder
Älteste oder bestimmte Individuen –
keine VollzeitSpezialisten
kirchliche Kulte
Gemeinschaft
Priester – VollzeitSpezialisten
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Diskussion
Zur Koexistenz der vier Kultformen:
? Können die vier Kultformen auch innerhalb derselben Religion und
Gesellschaft auftreten? Wie sieht es z. B. im Christentum aus?

bitte kurz darüber nachdenken und mit den unmittelbaren
Banknachbar/innen diskutieren!
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Koexistenz der vier Kultformen
Beispiel: Christentum
Hier existieren alle vier Kultformen:
• individualistisch: persönliches Gebet, Anrufung von Heiligen,
• schamanistisch: Heilungen oder Exorzismen durch Priester
(marginal, aber vorhanden),
• kommunal:
Gebete der Familie am Familiengrab u.a.,
• ekklesiastisch:
sonntägliche Gottesdienste u.a.
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(5)
Revitalisierungsbewegungen
• Die bisherige Diskussion von Religion betraf Gesellschaften, die sich
nur langsam wandeln.
• In schnell sich wandelnden Gesellschaften gibt es zudem so
genannte Revitalisierungsbewegungen
• Revitalisierung: Wiederbelebung;
• Ziel: Schaffung einer neuen Lebensweise, welche die derzeitige
ersetzen soll, die durch inakzeptable Bedingungen gekennzeichnet
ist.
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Auftreten von Revitalisierungsbewegungen:
Rahmenbedingungen
• Revitalisierungsbewegungen kommen meist in Gesellschaften vor, in
denen folgende Faktoren zusammen treffen:
• rapider Wandel mit kultureller Verunsicherung – oft infolge des
Zusammentreffens mit Menschen, Kulturen, Objekten anderer
Herkunft;
• Fremdherrschaft und dadurch verursachte Minderwertigkeitsgefühle;
• die Wahrnehmung relativer Deprivation, d.h. das Menschen
meinen, dass sie im Vergleich zu den Mächtigen arm, macht- und
wertlos sind.

17. und 19.01.2005
Dies ist häufig in kolonialen Situationen der Fall  hier viele
Fallbeispiele.
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Revitalisierungsbewegungen
• Revitalisierungsbewegungen beginnen häufig mit dem Auftreten eines
Propheten, der behauptet, eine Offenbarung gehabt zu haben und
deren Inhalte verbreitet:
• schließt meist Diagnose (was ist falsch) und Therapie (wie kann
man es verbessern) ein;
• die Prophezeiungen sind oft apokalyptisch, d. h. sie kündigen
weit reichende Weltzerstörung an, der nur die Gläubigen entgehen
werden;
• Revitalisierungsbewegungen sind oft synkretistisch, d. h. sie
verschmelzen traditionelle Elemente mit neuen Elementen.
• Viele Revitalisierungsbewegungen verschwinden wieder – aber
einige münden mitunter in formalen Kirchen, die Tausende, wenn
nicht Millionen Mitglieder haben.
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Cargo-Kulte, Melanesien
Cargo-Kulte:
• cargo – Frachtladungen/Reichtümer der Kolonisatoren –, die per
Schiff oder Flugzeug kamen, blieben den Einheimischen, die
Reziprozität gewohnt waren, vorenthalten,
• Cargo-Kulte richteten sich auf den Erwerb dieser Güter, von denen
man annahm, dass sie von den Göttern der Weißen gesandt
wurden,
• dies war durch Rituale zu erreichen, die bewirken sollten, dass man
Wohlstand in Form reichlicher Ladungen von neueren europäischen
Gütern erlangte.
Viele unterschiedliche Formen!  Beispiele: s. Lehrbuch, S. 289f.
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Revitalisierungsbewegungen: Weitere Beispiele
Nordamerikanische Indianer:
• Handsome Lake, Seneca, State of New York, 1799 ff.  christliche
Lehre zur Revitalisierung der alten Lebensweise  siehe Lehrbuch S.
290
• Peyote-Religion, Kiowa, Comanche, Apache u.a. – insgesamt 19
Gruppen in Oklahoma, Ende 19. Jh.  Gebrauch von Peyote, um mit
christlichem Gott zu kommunizieren  siehe Lehrbuch S.291
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… Revitalisierungsbewegungen
Revitalisierungsbewegungen geraten nicht selten in Konflikt mit ihrer
Umgebung, sind dort häufig als „Sekten“/cults verschrien.
Beispiel: Jim Jones und Peoples Temple
• Der protestantische Erweckungsprediger Jones gewann
Anhänger unter Schwarzen und in der US-amerikanischen
Unterschicht, scharte diese um sich, gründete in Kalifornien die
Kommune Peoples Temple;
• die Mitglieder zogen wegen ständiger Konflikte mit Nachbarn,
Verwandten der Mitglieder und dem Staat nach Guayana, wo sie
„Jonestown“ gründeten;
• ein Jahr später, 1979, ordnete Jim Jones zunächst die Ermordung
kritischer Besucher und dann den Selbstmord fast aller der über
900 Mitglieder an.
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… Revitalisierungsbewegungen
• Einige Revitalisierungsbewegungen erreichen mit der Zeit gesellschaftliche Etablierung:
• z. B. als politische Bewegung oder Partei  viele Cargo-Kulte,
• z. B. als Kirchen  die Bewegung von Handsome Lake wurde zur
Kirche Old Way of Handsome Lake, die Peyote-Religion wurde zur
Native American Church (deren Mitglieder als einzige legal Peyote
konsumieren dürfen!).
!
Auch Weltreligionen wie Judentum, Christentum, Islam oder
Buddhismus haben als Revitalisierungsbewegungen begonnen !
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Zur nächsten Stunde Kapitel 16 des Lehrbuchs (Seiten 317-344) lesen !
 „Globalization “
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