1.2 Erzähltheoretische Grundlagen

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Prof. Ute L. Fischer – Institut für Soziologie
Qualitative Methoden
Vorlesung
„Methodologische Grundlagen
qualitativer Sozialforschung“
VFischer09
Sommersemester 2009
V10 Narrationsanalyse
Gliederung
1. Narrationsanalyse
1.1 Theoretische Einordnung
1.2 Erzähltheoretische Grundlagen I
1.3 Erhebung durch narratives Interview
1.2 Erzähltheoretische Grundlagen II
1.4 Prozess der Analyse
1.5 Biografieforschung und weitere Einsatzfelder
2. Zum nächsten Mal
Ute Fischer
24.6.2009
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V10
1. Narrationsanalyse
1.1 Bedeutung und Einordnung der Methode
• fast alle narrativen Verfahren in den SoWis beziehen sich auf Schütze
• narratives Interview wird häufig als Teil auch anderer Typen verwendet
• Bezugstheorie: Symbolischer Interaktionismus, Wissenssoziologie
• Forschungsinteresse: Grundlagentheorie zu Regeln des Alltags, Beitrag der Sprache zum Aufbau sozialer
Ordnung, Ordnungen des Sprechens UND Relation zwischen erzählter und erlebter Praxis (sinnhafte
Orientierung der Subjekte)
• Annahme von Basisregeln der Kommunikation: Reziprozität, Einheit, Handlungsfigur
• Konsequenz: kommunikative Verfahren der Forschung/Erhebung
• Entstehung: methodische Entwicklung folgte aus Forschung
Ute Fischer
24.6.2009
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V10
1. Narrationsanalyse
1.2 Erzähltheoretische Grundlagen
• Homologiethese: Konstitution von Erfahrung und Erzählung = homolog
• Zugzwänge des Erzählens: Detaillierung, Gestaltschließung, Relevanzfestlegung und Kondensierung
• Erzählprozess folgt kognitiver Figur = Ablaufstruktur
• Erhebungsinstrument muss dem entsprechen => narratives Interview
• es wird ein prozesshafter Ausschnitt sozialer Realität fokussiert
 subjektive Perspektive auf Entwicklungen, Langfristigkeit von Erfahrung, Außen- und Innenaspekt
• Ziel der Analyse: explizite und implizite Prozessstrukturen
Ute Fischer
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V10
1. Narrationsanalyse
1.3 Zur Erhebung: narratives Interview
• Ziel: Orientierungsstrukturen des Handelns
• Eignung: für erlebte Prozesse, Ereignisse, Entwicklungen
• Dominante Darstellungsform: Erzählung (nachgeordnet: Beschreibung, Argumentation)
• Ablauf: „Anwerbung“ und Information über Ablauf
1. Erzählstimulus (+ Aushandlung, Ratifizierung)
2. Haupterzählung (Stegreif) – Interviewer: aufmerksamer Zuhörer
3. Nachfragen immanent: „Erzählzapfen“ aufgreifen, Lücken erfragen
4. Nachfragen exmanent: Theoretisierungen, Beschreibungen
• Ab Stufe 4 Kombination mit weiteren Interviewtypen möglich
Ute Fischer
24.6.2009
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V10
1. Narrationsanalyse
1.2 Erzähltheoretische Grundlagen II
• Formale Struktur der Erzählung:
1. temporale Verknüpfung
2. struktureller Aufbau: Abstrakt, Orientierung, Handlungskomplikation, Evaluation, Resultat, Koda
• Formale Struktur der Argumentation:
1. Aussagemodus
2. formale Merkmale (Stellungnahme, Behauptung, Reflexion etc.)
3. Zeitbezug: Gegenwart
• Formale Struktur der Beschreibungen:
1. keine temporale oder kausale Verknüpfung
2. ereignisübergreifend, routinisierte Abläufe, typische Eigenschaften
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V10
1. Narrationsanalyse
1.4 Prozess der Analyse
1. formale Textanalyse: Bereinigung, Segmentierung (nach „Rahmenschaltelementen“, veränderte
Intonation, Themen etc.)
2. Strukturelle inhaltliche Beschreibung der Prozessstrukturen des Lebenslaufs; Segmente analysiert
nach a. Schemata der Darstellung auch bzgl. Relevanzabstufungen, b. Erzählketten, thematische Kreise,
c. Entwicklungspfade.
! beachte Markierungen: Verknüpfungen, Zeitfluss, mangelnde Plausibilität, Zusatzdetaillierung,
Widersprüche zwischen Argumentation und Erzählung, Verhältnis von Form und Inhalt
=> analytische Kategorie zur Charakterisierung der Darstellung
3. analytische Abstraktion: bezogen auf biografische Gesamtformung
und ihr inhärente Prozessstrukturen (Verlaufskurve, biografisches Handlungsschema, institutionelles
Ablaufmuster, Wandlungsprozess)
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V10
1. Narrationsanalyse
Analyseprozess II
4. Wissensanalyse: zielt nicht auf Information über ein soziales Feld, sondern auf Eigentheorien des
Biografen über seine Erfahrungen
=> Funktionen dieser Theorien: Orientierung, Verarbeitung, Legitimierung, Selbstdefinition etc.
5. Kontrastive Vergleiche (induktive Validierung)
•
Minimaler Kontrast: ersten Befund verdichten, vom Einzelfall lösen und abstrakteres Ergebnis
erreichen
•
Maximaler Kontrast: alternative abstrakte Ergebnisse in anders gelagertem, aber für
Forschungsfrage relevantem Zusammenhang erzielen und daraus ‚kleinsten gemeinsamen
Nenner‘ als Elementarkategorie bilden
6. Konstruktion eines theoretischen Modells: systematischer Bezug der Kategorien aufeinander,
Richtung: Prozessstrukturen
Ute Fischer
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V10
1. Narrationsanalyse
Diskussion: Eignung und Güte
- Angezielte Analyseebene: Orientierungsstrukturen des Handelns
- Angezielte Ergebnisse: Prozessmodell des Lebenslaufs, Prozessstrukturen (biographietheoretische
Forschung)
- Geeignete Fragestellungen: Was sind Biografieeigenschaften von erfolgreichen Müllern? Wie erleben
chronisch Kranke ihr Leben? Wie vollziehen sich Berufsverläufe (verschiedener Berufsgruppen, sozialer
Schichten etc.)?
- Qualitätssicherung der Ergebnisse und Verallgemeinerung: kontrastive Vergleiche ->
Katgeorienbildung, Theorie
- Beispiel für Darstellung und Verallgemeinerung -> V13:
Fritz Schütze (1991): Biographieanalyse eines Müllerlebens. In: Scholz, H.-D. (Hg.): Wasser- und Windmühlen in
Kurhessen und Waldeck-Pyrmont. Kaufungen, S. 206-227
Ute Fischer
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V10
2. Zum nächsten Mal
Vorbereitung für die nächste Sitzung
• Objektive Hermeneutik (Przyborski/Wohlrab-Sahr, S. 240-271)
• mit Augenmerk auf:
• Einordnung der theoretischen Ausrichtung
• Strukturtheoretische Annahmen und methodische Prinzipien
• Analyseschritte
• Fragen zur Diskussion:
• Welche Sinnebene wird in der Analyse angezielt?
• Für welche Fragestellungen ist die Methode geeignet?
• Wie überzeugend sind die Interpretationsschritte?
• Wie gelingt die Verallgemeinerung der Ergebnisse?
Ute Fischer
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