Folien zur Vorlesung

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INFORMATIONSETHIK
Rafael Capurro
Hochschule der Medien
2004
1
Lernziele
 Grundkenntnisse ethischer Theorien
und Begriffe
 Selbständige Problematisierung
ethischer Konflikte im
Informationsbereich
 Übung im interkulturellen Dialog
 Sensibilisierung für
informationsethische Fragen
2
Übersicht
-> Warm up
1. Ethik – Angewandte Ethik
2. Informationsethik
2.1 Historische Aspekte
2.2 Systematische Aspekte
3. World Summit on the Information
Society
4. Fallbeispiele aus “telepolis”
3
Warm up






Aus dem Leben gemailt
ICIE
telepolis
Chaos Computer Club: Hackerethik
Infoethik an der Uni Saarbrücken
WSIS
4
Warm up: Aus dem Leben
gemailt
Aus dem Leben gemailt
von Christoph Drösser, DIE ZEIT 31.7.03
Jochem Müller geht nicht ins Internet. Jochen Müller ist
im Internet - fast immer.
Aus Angst, nicht erreichbar zu sein, verliert die Info-Elite
den Anschluss an die Wirklichkeit (information
overkill).
Die Sucht nach der nächsten Mail zerstückelt den Tag:
Leben im “Multitasking”-Modus.
Für Stunden der Ruhe wird die Verbindung gekappt.
5
Warm up: ICIE
icie/zkm.de
- gegründet 1999 von Rafael Capurro.
- Internationales und interkuturelles Forum mit ca. 150
Mitgliedern weltweit.
- Kooperation mit dem ZKM Karlsruhe seit 2001.
- Kooperation mit der Universität Augsburg seit 2002
(Buchreihe beim Fink Verlag München), regelmäßige
Symposien.
- Internationales Symposium 2004 “Localizing the
Internet. Ethical Issues in Intercultural Perspective”.
- Website: Bibliografie, Meetings, Virtual Library,
Teaching, Institutionen.
6
Warm up: telepolis
www.heise.de/tp/
7
Warm up: Hackerethik
Chaos Computer Club
www.ccc.de/hackerethics
8
Warm up: Infoethik
Universität Saarbrücken:
Virtuelles Handbuch
Informationswissenschaft
Informationsethik
9
Warm up: WSIS
World Summit on the Information
Society
Genf, 10-12 Dezember 2003
Tunis 2005
10
1. Einführung in die Ethik
 Menschliches Handeln ist
“begründungsbedürftig”: Natur und Freiheit
 Kants Fragen: “Was können wir wissen? Was
sollen wir tun? Was dürfen wir hoffen? Was ist
der Mensch?”
 “Wollensethik” und “Sollensethik” (H. Krämer)
 Das “anstößige” der Moral und der “An-Stoß”
der Ethik
 Allgemeine Ethik und angewandte Ethik
11
1. Einführung in die Ethik
Ethik zur Einführung:
- M. Düwell, Chr. Hübenthal, M. H. Werner
Hrsg.: Handbuch Ethik. Stuttgart 2002
- O. Höffe: Lexikon der Ethik. München 1997
- H. Hastedt, E. Martens Hrsg.: Ethik. Ein
Grundkurs. Reinbek b. Hamburg 1994
- Bernard Williams: Ethik und die Grenzen der
Philosophie. Hamburg 1999
- Thomas Gil: Ethik. Stuttgart 1993
12
1. 1 Historische Aspekte
 Herkunft und Bedeutung der Worte ‘Ethik’ und
‘Moral’ (oder ‘ethos’)
 Plato und die Idee des Guten: Ethik als ‘Ideologie’
 Sokrates und die Sophisten: Selbstdenken
 Aristoteles als Begründer der Ethik: “Ethik”,
“Ökonomie” und “Politik” (Praktische
Philosophie): das ‘gute Leben’
13
1. 1 Historische Aspekte
 Hellenismus: Die Kultur der “Selbstsorge” und
ihrer Aktualität (Michel Foucault)
 Christliche Ethik: Thomas von Aquin: “bonum”,
“lex aeterna” und Gottesebenbildlichkeit
(theologische Ethik)
 Neuzeitliche Ethik: Descartes, Kant, Bentham,
Mill: Utilitarismus und Pflichtethik (Kant)
14
1. 1 Historische Aspekte
 Ethik im 19. und 20. Jahrhundert
 Hegel: Moralität und Sittlichkeit oder die
Vernünftigkeit des Realen
 Marx: Protest gegen
Geistmystifikationen; die Macht des
historischen Subjekts
 Kierkegaard: das Ästhetische, das
Ethische und das Religiöse als
Dimensionen der menschlichen Existenz
15
1. 1 Historische Aspekte








Nietzsche: Kritik der Moral
Max Scheler: die materiale Wertethik
Analytische Ethik: Moore und Hare
Existentialistische Ethik: Camus, Sartre, Beauvoir,
Levinas
Liberale/libertäre Ethik: von Hayek, Rawls, Nozick
Kommunitaristische Ethik: Etzioni, Taylor, Walzer
Diskursethik: Apel und Habermas
Postmoderne: Foucault
16
1. 1 Historische Aspekte
www.capurro.de/raffael.htm
17
1.2 Systematische Aspekte
 Die Rolle der Moral in der
Alltagserfahrung
 Gruppenmoral und Universalmoral
 Berufs- und Standesethos
 Normenpluralismus, “goldene Regel”
und Verallgemeinerungsprinzip
 Freiheit, Autonomie und
Menschenwürde (Moralität)
18
1.2 Systematische Aspekte
 Moral, Ethik und Recht:
 Moral = gelebte Sitten und Traditionen
 Ethik = kritischer Diskurs über Moral und
Recht
 Recht = staatlich sanktionierte Normen
Strafandrohungen: Geldstrafe ,
Freiheitsentzug (Todesstrafe) (BGB,
StGB)
19
1.2 Systematische Aspekte
 Vorrang der Moral über Ethik und
Recht (Fundamentalismus)
 Vorrang des Rechts über Ethik und
Moral (Legalismus)
 Vorrang der Ethik über Moral und
Recht (Ethischer Rigorismus)
 > Abwägungsprozesse
20
1.2 Systematische Aspekte
 Code-orientierte vs. Ethik-orientierte
Moralen (M. Foucault): Vorrang eines
bestimmten Codes gegenüber der
bleibenden Aufgabe der
Lebensgestaltung
 Ethik als “Ästhetik der Existenz” (M.
Foucault): Technologien der
Produktion, der Zeichen, der Macht
und des Selbst
21
1.2 Systematische Aspekte
 Handlungen = von Personen wissentlich und
willentlich hervorgerufene Ereignisse (Subjekt,
Vollzug, Absicht, Ziel)
 Herstellende (‘poiesis’) und selbstzweckhafte
Handlungen (‘praxis’) (Ziel außerhalb des
H.vollzugs oder nicht)
 Gesinnungs- und Verantwortungsethik (Max
Weber): Handlung und Verantwortung
22
1.2 Systematische Aspekte
Einige











Topthemen der Ethik:
Glück
Lebenshaltungen (Tugenden) und Lebensformen
Natur und Technik
Pflicht und Verantwortung
Krieg und Frieden
Freiheit und Existenz
Liebe und Freundschaft
Lebenssinn
Selbst sein und ‘Niemand sein’
Wohlstand und Gerechtigkeit
Werte und Orientierung
23
1.2 Systematische Aspekte
Die Güter und das Gute:
 Güter sind äußere Strebensziele
 das Gute verweist auf die Art des
Lebensvollzugs (der Person)
(Tugendethik)
 > rationale Güterabwägung und
vernünftige Entscheidung bei
Zielkonflikten (Gemeinwohl,
Gerechtigkeit): sittliche Urteilskraft
24
1.2 Systematische Aspekte
 Die “Goldene Regel” (Konfuzius, Sieben
Weisen, Indien, NT...) negativ und positiv
formuliert:
 Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’
auch keinem andern zu
 Behandle andere so, wie du auch von ihnen
behandelt sein willst.
 > Abstand vom Selbstinteresse und
Vergeltung
 > Aufforderung zum wechselseitigen
Respekt
25
1. 2 Systematische Aspekte
Kants Moralgesetz: “Handle so, daß die
Maxime deines Willens jederzeit zugleich
als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung
gelten könne.”




Prinzip der Willensautonomie
kategorischer Imperativ
Kausalität durch Freiheit
theoretische Deduktion des m.G. nicht möglich:
“Faktum der reinen Vernunft”
26
1.2 Systematische Aspekte
Interkulturelle Aspekte und die Frage nach
einem “Weltethos” (H. Küng)
 Ethnozentrismus und Eurozentrismus
 Islamische Ethik: Glaubensbekenntnis, Gebet,
Abgaben, Fasten, Pilgerfahrt
 Jüdische Ethik: Gotteswille, Gesetz (Dekalog),
Gerechtigkeit
 Hinduistische Ethik (Veden)
 Chinesische Ethik (Konfuzius, Daoismus)
 Buddhistische Ethik (Siddharta, Meditation)
27
1. 2 Systematische Aspekte
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Universal Declaration of Human Rights (UDHR)
 Achtung vor der Menschenwürde (Art. 1)
Vertraulichkeit (Art. 1, 2, 3, 6)
(Chancen-)Gleichheit (Art. 2, 7)
Recht auf Privatheit (Art. 3, 12)
Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 19)
Recht auf Beteiligung am kulturellen Leben (Art.
27)
 Schutz der materiellen und geistigen Arbeit (Art.
27)





28
1.2 Systematische Aspekte
Ziele der Ethik:
 Reflexive Aufklärung von Praxis
 Einübung in die kritische Beurteilung von
Praxis und Geltungseinsprüchen
 Reflexive Aufklärung des Handelnden
bezüglich seines Handelns
29
1.2 Systematische Aspekte
Grenzen der Ethik:
 Die Ethik ist nicht die Praxis, aber ihr Ziel ist die
Praxis
 Die Ethik macht uns nicht moralisch(er)
 Die Ethik ist keine Supermoral
 Die Ethik ist keine Fallsammlung (Kasuistik):
Rolle des Fallbeispiels: die Vermittlung von Norm
und Situation veranschaulichen
 Die Ethik gibt uns keine konkreten
Handlungsanweisungen, sondern fordert uns
auf, zu problematisieren und selbst zu
entscheiden
30
1.2 Systematische Aspekte
Grundformen ethischer Argumentation oder was
sind “gute Gründe”?
 Moralische Begründungen: Bezugnahme auf ein
Faktum, auf Gefühle, auf mögliche Folgen, auf einen
Moralkodex, auf moralische Kompetenz, auf das
Gewissen
 Ethische Begründungen: logische Methode
(deontische Logik), diskursive Methode
(Konsensustheorie), dialektische Methode (Platon),
Analogische Methode (Klugheit, Lebensformen:
Aristoteles), transzendentale Methode (Maximen:
Kant), analytische Methode (begrifliche Zerlegung),
hermeneutische Methode (Auslegung)
31
1.2 Systematische Aspekte
Grundtypen ethischer Theorie:
 Deskriptive Ethik: beschreibt menschliche
Praxis als ein empirisches, geschichtliches
Geschehen.
 Normative Ethik: systematische Begründung
moralischer Geltungsansprüche und Normen in
bezug auf ein höchstes Gebot (Moralprinzip)
(Theologische E., utilitaristische E., teleologische
E., deontologische E.).
 Emanzipatorische Ethik (marxistische E.,
feministische Ethik, Philosophie der
Befreiung...): gegen Bevormundung und
Diskriminierung.
32
1.2 Systematische Aspekte
 Metaethik: ob und wie sich moralische Urteile
(sprachanalytisch) rechtfertigen lassen:
 Non-Kognitivismus (Hume): der Bereich des
Sittlichen ist keiner wissenschaftlichen Erkenntnis
fähig
 Kognitivismus: Prinzipielle Erkennbarkeit des
Sittlichen. Moral als empirische Wiss. Problem:
naturalistischer Fehlschluß oder Sein-SollenFehlschluß (Moore)
 Logizismus (deontische Logik): Analyse der
moralischen Argumentationsmethodik
 Realismus/Antirealismus: Gibt es moralische
Tatsachen unabhängig von unseren moralischen
Urteilen?
33
1.2 Systematische Aspekte
Drei Arten sozialkritischer
Moralphilosophie nach Michael
Walzer:
 “Pfad der Entdeckung”: Rückgriff auf
göttliche Offenbarung
 “Pfad der Erfindung”: Rückgriff auf die
menschliche Vernunft (Habermas, Rawls)
 “Pfad der Interpetation”: Rückgriff auf
die reale moralische Praxis (Walzer)
Vgl. M. Walzer: Kritik und Gemeinsinn, Berlin 1990
34
1.2 Systematische Aspekte
Ethische Theorien in der aktuellen Diskussion:
Kommunitarismus: betont das Gewicht (kleinere)
Gemeinschaften (engl. communities) mit ihren
kulturellen Besonderheiten (vs. anonyme und
pluralistische Gesellschaften. Autoren:
Kommunitarismus: Amitai Etzioni, Alasdair MacIntyre,
Michael Walzer, Charles Taylor. Herkunft: Aristoteles,
Locke, J.S. Mill, Rousseau, Hegel.
Liberale/libertäre Positionen: Vorrang der Freiheit
und Autonomie der Person gegenüber dem Staat.
Autoren: Friedrich A. von Hayek, John Rawls, Robert
Nozick. Herkunft: Locke, Kant, J.S. Mill.
35
1.2 Systematische Aspekte
Utilitarismus (lat. utilis=nützlich): Das
Kriterium der Sittlichkeit ist die
Optimierung des Glückes (oder...) aller
Betroffenen aufgrund einzelner Handlungen
(Handlungs-U.) , von Handlungsregeln
(Regel-U.) oder von Präferenzen
(Präferenz-U.) (-> Konsequentialismus)
(vs. deontologische E.)
Autoren: J.J.C. Smart, J.O. Urmson. Herkunft:
J. Bentham, Th. Hobbes, J.S.Mill
36
1.2 Systematische Aspekte
Deontologische Ethik (gr. to deon=das
Erforderliche): Eine Handlung gilt als sittlich
richtig, wenn sie Maximen folgt, die an sich
gut sind (vs. empirisch-pragmatische oder
utilitaristische Überlegungen)
(kategorischer Imperativ) (vs.
utilitarische E.)
Autoren: O. Höffe, R. Wimmer, D. Mieth.
Herkunft: christliche Ethik, Kant
37
1.2 Systematische Aspekte
Diskursethik: strittige soziale und
politische Fragen sollten nach dem Prinzip
einer gewaltfreien, rationalen und allgemein
zustimmungsfähigen Lösung aufgrund eines
auf Konsens hin geführten Diskurses gelöst
werden.
Autoren: Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas.
Herkunft: Kant, Ch. S. Peirce
38
1.2 Systematische Aspekte
Angewandte Ethik (Bereichsethiken):
Politische Ethik
Rechtsethik
Wirtschaftsethik
Bioethik (Ökologische Ethik, Genethik,
Medizinethik)
 Technikethik
 Wissen(schafts)ethik,
 Informationsethik (Medienethik, Netzethik)




Vgl.: J. Nida-Rümelin Hrsg.: Angewande Ethik, Stuttgart 1996
39
2 Informationsethik: Einführung
Informationsethik im weiteren Sinne
umfaßt ethische Fragen:
 in der Informatik (Computerethik)
 in den Massenmedien (Medienethik,
journalistische Ethik)
Informationsethik im engeren Sinne
umfaßt ethische Fragen:
 im Internet (Netzethik, Cyberethik)
40
2 Informationsethik: Einführung
 Informationsethik als deskriptive Theorie:
beschreibt die verschiedenen moralischen
Strukturen und Machtverhältnisse, die das
Informationsverhalten in verschiedenen
Kulturen und Epochen bestimmen
 Informationsethik als normative und
emanzipatorische Theorie: befaßt sich mit
der Kritik der Entwicklung moralischen
Verhaltens im Informationsbereich. Sie umfaßt
individuelle, kollektive und menschheitliche
Aspekte.
41
2 Informationsethik: Einführung
Informationsethik soll:
 Die Entwicklung moralischen Verhaltens
im Informationsbereich beobachten und
bewerten.
 Die Strukturen und Machtverhältnisse,
die das Informationsverhalten
bestimmen, analysieren und bewerten.
 Die neuen Informationsmythen
aufdecken und kritisieren.
42
2 Informationsethik: Einführung
 Verdeckte Widesprüche der
herrschenden theoretischen und
praktischen Sprachregulierung
offenlegen.
 Die Entwicklung informationsethischer
Fragestellungen beobachten.
43
2. Informationsethik: Einführung
 Die Grundfrage der Informationsethik lautet:
Wie gestalten wir individuell und als
(Welt-)Gesellschaft unsere Freiheit im
Kontext der digitalen Weltvernetzung?
 Diese Frage betrifft einen formalen (den
„code“) und einen inhaltlichen Aspekt
(„knowledge sharing“). Sie zielt auf eine Kultur
des freien Einschlusses zur digitalen
Kommunikation.
44
2 Informationsethik: Einführung
Hauptthemen der Informationsethik:
- Produktion von Information:
Eigentumsrecht (copyright) (vs. freies
Gut)
- Selektion von Information: Recht auf freie
Meinungsäußerung (vs. Zensur)
- Verbreitung von Information: Recht auf
Privatheit und auf freie Meinungsäußerung
(vs. Bevormundung)
Vgl. ICIE: http://icie.zkm.de/research
45
2 Informationsethik: Einführung
Leitende moralische und rechtliche
Grundsätze:
-> Grundsatz der “informationellen
Selbstbestimmung” (Schutz personenbezogener
Daten)
-> Recht auf informationelles Eigentum
-> Grundsatz der “informationellen
Grundversorgung” (Recht des freien Zugangs zum
Netz, als “negatives” und/oder “positives” Recht,
d.h. als gesell. Aufgabe zur Verhinderung des digital
divide)
46
2 Informationsethik: Einführung
 Recht auf freie Meinungsäußerung:
 Art. 5 GG: “Jeder hat das Recht, seine
Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu
äußern und zu verbreiten und sich aus
allgemein zugänglichen Quellen
ungehindert zu unterrichten. Die
Pressefreiheit und die Freiheit der
Berichterstattung durch Rundfunk und
Film werden gewährleistet. Eine Zenstur
findet nicht statt.”
47
2 Informationsethik: Einführung
 Recht auf Privatheit:
 Art. 13 Abs. 1 GG: “(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei
Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen
vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der
dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. (3)
Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur
Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für
einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur
Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der
Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum
Schutze gefährderter Jugendlicher vorgenommen werden.”
48
2 Informationsethik: Einführung
 Allg. Erklärung der Menschenrechte, Art.
12: “No one shall be subjected to
arbitrary interference with his privacy,
family, home or correspondence, nor to
attacks upon his honour and reputation.
Everyone has the right to the protection
of the law against such interference or
attacks.”
49
2 Informationsethik: Einführung
 Recht auf informationelle Privatheit
 Freie Entscheidung, wer in den privaten
informationellen Raum eintreten darf
 Informierter Konsens (informed consent)
 Einschränkung der Verbreitung und/oder
des Zugangs zu bestimmten Inhalten im
Netz?
 Filterung oder Überwachung?
 Wer kontrolliert die Kontrolleure? ->
starke/schwache Rolle des Staates?
50
2 Informationsethik: Einführung
Wie lassen sich das Wohl der Individuen und
das der Gesellschaft im Medium der
digitalen Weltvernetzung fördern?
 auf nationaler Ebene: durch Gesetze sowie durch
demokratisch legitimierte Institutionen
 zwischen den Nationen (und ihren Bürgern): durch
Deklarationen und Verträge, die sich aber nur
schwach durchsetzen lassen.
-> Spannung zwischen Gemeinwohl- und
Individualwohl orientierten Ethiken
51
2 Informationsethik: Einführung
 Orientierungsrahmen:
 Herstellung informationeller
Gerechtigkeit
 Wahrung informationeller Autonomie
 Wahrung informationellen Eigentums
 Wahrung des freien Zugangs zum Netz
 Wahrung kultureller Vielfalt und
informationeller Selbstbestimmung
 Wahrung des Rechts auf Kommunikation
52
2 Informationsethik: Einführung
“Informationsethik / Informationskultur
Die Frage nach der Ethik im
Zusammenhang mit Information und
Informationsarbeit stellt sich nicht erst seit
der Globalisierung der Computernetze
durch das Internet. Informationsethik und
Informationskultur sollen ein
„Informationsklima“ schaffen, in dem ein
freier Zugang zu und Austausch von
Information jederzeit möglich ist.”
Zitat: Virtuelles Handbuch Inf.wiss. Uni Saabrücken
53
2 Informationsethik: Einführung
“In der (Informations-)Wirtschaft treten ethische Fragen
z.B. im Zusammenhang mit Informations- und
Wissensmanagement auf ( z.B. Mobbing durch
Informationsvorenthaltung). Ein Problem des
Wissensmanagements könnte der gläserne Mensch
sein: was ich weiß, gehört (auch) meiner Firma; meine
Firma weiß, was ich (nicht) weiß. Ganz allgemein
formuliert könnte der ethische Grundsatz für die
Informationswirtschaft lauten: Das Interesse der
Nutzer ist auch das Interesse der
Informationswirtschaft.” Zitat: Virtuelles Handbuch
Inf.wiss. Uni Saabrücken
54
2 Informationsethik: Einführung
“Informationswirtschaft und Informationskultur” von HeinzDirk Luckhardt in Anschluß an Dieter Schumacher,
ONLINE gmbh
- “Das Hauptziel der Informationswirtschaft ist die
Verbreitung qualitativ hochstehender
Informationsprodukte.
- Den Kern der Informationswirtschaft bilden die klassischen
Informationsproduzenten, die Informationsanbieter und
die Informationsvermittler.
55
2 Informationsethik: Einführung
- Das Interesse der Nutzer ist auch das
Interesse der Informationswirtschaft.
- Die Nutzer sollen informationell autonom
sein: dazu gehört die bedarfsgerechte,
ungehinderte Versorgung mit reichhaltigen,
langlebigen, nicht manipulierbaren
Informationsgütern.
- Einmal produziertes Wissen soll auch (im
Idealfall immer) abrufbar bleiben.”
Zitat: Virtuelles Handbuch Inf.wiss. Uni Saabrücken
56
2 Informationsethik: Einführung
Daraus ergeben sich für Luckhardt/Schumacher
folgende Thesen:
1. Die Informationskultur wird unter der
Überschrift “Globalisierung” zunehmend rein
wirtschaftlichen und branchenfremden
Interessen unterworfen.
2. Die Großkonzerne nutzen die
Informationsbranche zur eigenen
Machtvergrößerung, ohne ein wirkliches
Interesse an Produkt “Information” zu haben.
57
2 Informationsethik: Einführung
3. Branchenfremde instrumentalisieren die
Informationsbranche: sie behaupten, dem
Informationswesen dienen zu wollen,
stimulieren aber nur ihr Wachstum, um ITTools, Netzwerkverbinbungen und PR-Gags
zu verkaufen.
4. Einziges Ziel vieler Websites ist es, Traffic
auf ihren Seiten zu erzeugen. In dem Sinne
sind gute Informationsdienste kein Ziel an
sich, sondern bestenfalls Mittel zum Zweck.
58
2 Informationsethik: Einführung
5. Information Retrieval mit Suchmaschinen
bedeutet einen Rückfall in die frühen 80er
Jahre
6. Gravierende Nachteile von
Webinformationen sind: Manipulierbarkeit
und ungewisse Lebensdauer von
Webseiten.
7. Zu jeglicher Informationskultur gehört,
dass einmal produzierte Informationen
auch abrufbar bleiben.
59
2 Informationsethik: Einführung
8. Die Regierungsprogramme zur Förderung
der Informationskultur
(Fachinformationsprogramme, seit 1974)
sind oft den aktuellen Entwicklungen
hinterhergehinkt.”
Zitat: Virtuelles Handbuch Inf.wiss. Uni Saabrücken
60
2.1 Historische Aspekte
 Freiheit der Rede (‘parrhesia’) als
Grundlage der griechischen Demokratie
(Sokrates, Sophisten, Kyniker): Orale
Kulturen (freedom of speech)
 Freiheit des gedruckten Wortes: Buchkultur,
Reformation, Aufklärung, Zensurfreiheit,
Pressefreiheit (freedom of the press)
 Freiheit des Zugangs zum Internet
(freedom of access)
61
2.2 Systematische Aspekte:
Lawrence Lessig „Code“
 Regulierungsformen des Verhaltens
im Cyberspace:




Moralische Normen: Stigmatisierung
Markt: Preise
Architekturen (Code): Beschränkungen
Recht: Androhung von Strafen
L. Lessig: Code. Berlin 2001
62
2.2 Lawrence Lessig: „Code“
 „Die Regulierung des offenen Codes.
(…) Regulierbarer Code ist
geschlossener Code. (…) Ein offener
Code schränkt die Macht des Staates
ein. (…) Bücher sind offene Software:
Sie verbergen nichts; sie zeigen ihren
Quellcode, ja sind ihr eigener
Quellcode.“ (S. 191-192
63
2.2 Lawrence Lessig: Code
 Anwendungen:
 Übersetzung: ‚alte‘ Werte im neuen
Kontext
 Geistiges Eigentum
 Privatsphäre
 Freie Rede
 Souveränität
64
2.2 Lawrence Lessig: „Code“
 „Unser Problem ist allerdings nicht
staatliche Macht im Cyberspace,
sondern staatliche Macht schlechthin.
Es gibt keine speziellen
Schwierigkeiten, vor die uns der
Cyberspace hier stellte – es gibt
lediglich die vertrauten
Schwierigkeiten des modernen
Staates, nur an einem anderen Ort.“
(S. 379)
65
2.2 Lawrence Lessig: „Code“
 „Man sollte meinen, kollektive
Entscheidungen seien etwas für den
Staat. Doch nur wenige von uns
möchten, dass der Staat diese
Entscheidungen trifft. Der Staat
scheint für keines unserer Probleme
die Lösung zu sein, und wir müssen
verstehen lernen, warum das so ist.
Wir müssen den Iren in uns verstehen
lernen.“ (S. 379)
66
2.2 Lawrence Lessig: „Code“
 „Unsere Skepsis ist nicht grundsätzlicher
Art. Die meisten von uns sind keine
radikalen Freigeister. Wir mögen gegen den
Staat sein, doch in der Mehrzahl glauben
wir, dass es kollektive Werte gibt, die
privates Handeln leiten sollten. Wir sind
außerdem der Überzeugung, dass die
technische Welt, die da gerade entsteht,
einer Regulierung durch kollektive Werte
bedarf. Unser Problem ist nur, dass wir
nicht wissen, wie und durch wen diese
Regulierung erfolgen soll. Wie der Ire, sind
wir des Staates überdrüssig.“ (S. 379-380)
67
2.2 Lawrence Lessig: „Code“
 „Die Ziele des Staates werden durch
den offenen Code also nicht einfach
vereitelt, sondern vielmehr besteht
ein Konflikt zwischen Öffentlichkeit
und Macht, zwischen dem Gebot der
Transparenz und dem der
Gesetzestreue.“ (S. 389)
68
2.2 Lawrence Lessig: „Code“
 „Der offene Code würde solche
Transparenz gewährleisten – nicht für
jedermann (nicht jeder kann Codes
lesen) und nicht vollkommen
(schlecht geschriebene Codes
verbergen ihre Funktionen sehr gut),
aber immerhin vollständiger als ein
geschlossener Code.“ (S. 390)
69
2.2 Lawrence Lessig: „Code“
 „Der aus Sicht der in der Verfassung
niedergelegten Werte beste Code ist
sowohl modular als auch offen.
Modularität stellt sicher, dass
Komponenten durch bessere Module
ersetzt werden können.“
70
2.2 Lawrence Lessig: „Code“
 „Es ist gleichwohl einsichtig, dass sich
bestimmte Teile eines Codes nicht als
offener Code entwickeln ließen und das
geschlossene Codes unter gewissen
Umständen für ein Überleben im
Konkurrenzkampf unerlässlich sind. Wenn
das zutrifft, könnte der Kompromiß eines
modularen Systems die Vorzüge beider
Welten miteinander vereinigen –
Wettbewerbsvorteile und Transparenz der
Funktion.“ (S. 390)
71
2.2 Hackerethik
Hackerethik: 00. 1998 (webmaster)
“Was sind die ethischen Grundsätze des
Hackens - Motivation und Grenzen
- Der Zugang zu Computern und allem,
was einem zeigen kann, wie diese
Welt funktioniert, sollte unbegrenzt
und vollständig sein.
72
2.2 Hackerethik
- Alle Informationen müssen frei sein
- Mißtraue Autoritäten - fördere
Dezentralisierung
- Beurteile einen Hacker nach dem, was
er tut und nicht nach üblichen
Kriterien wie Aussehen, Alter, Rasse,
Geschlecht oder gesellschaftlicher
Stellung
73
2.2 Hackerethik
- Man kann mit einem Computer Kunst
und Schönheit schaffen.
- Computer können dein Leben zum
Besseren verändern.
- Mülle nicht in den Daten anderer Leute
- Öffentliche Daten nützen, private
Daten schützen.”
74
2.2 Gifpelthemen
gipfelthemen.de
 Digitale Spaltung: nur eine Frage der Technik?
 Medien & Kompetenz: was heißt Medienkompetenz?
 Inhalte & Vorbilder: Was ist ein guter Inhalt?
 Wissen & Besitz: Wem gehört das Wissen?
 Multi & Kulti: Vielfalt der Kulturen im Netz?
 Beteiligung & Spielregeln: Was ist eGovernment?
 Piraten & Terroristen: Wie gefährlich ist
Cyberkriminalität?
 Daten & Schutz: Wie lassen sich individuelle Rechte
ohne digitale Überwachung schützen?
75
2.2 Charta der Bürgerrechte
 “Charta der Bürgerrechte für eine
nachhaltige Wissensgesellschaft”
(Heinrich Böll Stiftung):
www.worldsummit2003.de
 “Die Ausgangsthese ist, dass die
Digitalisierung einen erheblichen
Neuordnungsbedarf im Hinblick auf
den Umgang mit Wissen hervorruft”
(Olga Drossou, Heinrich Böll Stiftung)
76
2.2 Charta der Bürgerrechte
Die ethischen Werte der “Charta”:
1. Wissen ist Erbe und Besitz der Menschheit
und damit frei.
2. Der Zugriff auf Wissen muss frei sein.
3. Die Verringerung der digitalen Spaltung
muss als Politikziel hoher Priorität
anerkannt werden.
4. Alle Menschen haben das Recht auf Zugang
zu den Dokumenten öffenlticher und
öffentlich kontrollierter Stellen.
77
2.2 Charta der Bürgerrechte
5. Die ArbeitnehmerInnenrechte müssen auch
in der elektronisch vernetzten Arbeitswelt
gewährleistet und weiterentwickelt werden.
6. Kulturelle Vielfalt ist Bedingung für
individuelle und nachhaltige
gesellschaftliche Entwicklung.
7. Mediale Vielfalt und das Angebot von
Information aus unabhängigen Quellen sind
unerlässlich für den Erhalt einer
aufgeklärten Öffentlichkeit.
78
2.2 Charta der Bürgerrechte
8. Offene technische Standards und offene
Formen der technischen Produktion
garantieren die freie Entwicklung der
Infrastrukturen und somit eine
selbstbestimmte und freie Kommunikation
9. Das Recht auf Achtung der Privatheit ist ein
Menschenrecht und ist unabdingbar für die
freie und selbstbestimmte Entfaltung von
Menschen in der Wissensgesellschaft.
79
3. Globalisierung: WSIS
www.itu.int/wsis/
 Declaration of Principles
 Action Plan
80
4. Fallbeispiele aus Telepolis
Telepolis
81
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