Das Olbers-Paradoxon Vortrag bei der Astronomischen Vereinigung Lilienthal 3. Mai 2002 Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik Immanuel Kant: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels 1755 Wo wird die Schöpfung selber aufhören? Man merket wohl, dass, um sie in einem Verhältnisse mit der Macht des unendlichen Wesens zu gedenken, sie gar keine Grenzen haben müsse. Man kommt der Unendlichkeit der Schöpfungskraft GOttes nicht näher, wenn man den Raum ihrer Offenbarung in einer Sphäre mit dem Radius der Milchstraße beschrieben, einschließet, als wenn man ihn in eine Kugel beschränken will, die einen Zoll im Durchmesser hat. Alles was endlich, was seine Schranken und ein bestimmtes Verhältnis zur Einheit hat, ist von dem unendlichen gleich weit entfernet. Nun wäre es ungereimt, die Gottheit mit einem unendlich kleinen Theile ihres schöpferischen Vermögens in Wirksamkeit zu setzen .... Ist es nicht vielmehr anständiger, oder besser zu sagen, ist es nicht nothwendig, den Inbegriff der Schöpfung also anzustellen, als er seyn muss, um ein Zeugnis von derjenigen Macht zu seyn, die durch keinen Maaßstab kan abgemessen werden? Aus diesem Grunde ist das Feld der Offenbarung göttlicher Eigenschaften eben so unendlich, als diese selber sind. Die Ewigkeit ist nicht hinlänglich, die Zeugnisse des höchsten Wesens zu fassen, wo sie nicht mit der Unendlichkeit des Raumes verbunden wird. Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 3 Wilhelm Olbers 1823: Über die Durchsichtigkeit des Weltraums Es bleibt also höchst wahrscheinlich, dass nicht bloß der Theil des Raums, den unser auch noch so stark bewaffnetes Auge übersehen hat, oder übersehen kann, sondern der ganze unendliche Raum mit Sonnen und ihren Gefolgen von Planeten und Kometen besetzt ist. Ich sage höchst wahrscheinlich. Gewissheit kann uns unsere beschränkte Vernunft nicht geben. ... ... so wird es uns doch höchst wahrscheinlich bleiben, dass die schöne Ordnung, die wir, so weit unsere Sehkraft irgend reicht, wahrnehmen, auch durch den ganzen unendlichen Raum fortgesetzt sei, und wir haben nur zu untersuchen, ob andere Gründe diese Annahme verwerflich machen. Da zeigt sich nun gleich ein sehr wichtiger Einwurf. Sind wirklich im ganzen unendlichen Raum Sonnen vorhanden, sie mögen nun ungefähr gleichen Abstand voneinander, oder in MilchstraßenSysteme vertheilt sein, so wird ihre Menge unendlich, und da müsste der ganze Himmel eben so hell sein, wie die Sonne. Denn jede Linie, die ich mir von unserm Auge gezogen denken kann, wird nothwendig auf irgend einen Fixstern treffen, und also müsste uns jeder Punkt am Himmel Fixsternlicht, also Sonnenlicht zusenden. Wie sehr dies der Erfahrung widerspricht, braucht wohl nicht gesagt zu werden. Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 4 Warum also ist es nachts dunkel? Wäre die Welt unendlich weit unendlich alt gleichförmig mit Sternen erfüllt (homogen) im Zustand des Gleichgewichts dann müsste der Nachthimmel von überall her so hell leuchten wie die Sonne Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 5 Das einfache Argument 1. Die Waldanalogie: Der mittlere Abstand der Bäume sei a. Dann stehen in einem Ring von Radius R und Dicke T circa 2pRT/a2 Bäume. Ihr mittlerer Durchmesser sei d. Ein Baum erscheint dann unter dem Winkel d/R; zusammen decken die Bäume des Rings einen Winkel 2pTd/a2 am Horizont ab. Die Bäume aus N = a2 /Td Ringen decken den ganzen Horizont (Winkel 2p) ab. Man kann also bis zur Entfernung NT = a2 /d sehen. Beispiel: a = 10 m, d = 0.5 m, T = 2 m dann ist N = 100 und NT = 200 m Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 6 Das einfache Argument 2. Übertragung auf Sterne im Raum Der mittlere Abstand der Sterne sei a. Dann enthält eine Schale von Radius R und Dicke T circa 4pR2T/a3 Sterne. Ihr mittlerer Radius sei r. Ein Stern erscheint dann unter dem Raumwinkel pr2/R2; zusammen decken die Sterne der Schale einen Raumwinkel 4p2Tr2/a3 am Himmel ab. Die Sterne aus N = a3 /pTr2 Schalen decken den ganzen Himmel (Raumwinkel 4p) ab. Man kann also bis zur Entfernung NT = a3 / pr2 sehen. Beispiel: 5 Sterne der 1. Schale decken 1/600 des Himmels ab, 20 Sterne der 2. Schale ebenfalls u.s.w. – 600 Schalen ergäben einen Olbers-Himmel, die gezeigten 6 Schalen decken aber nur 1% ab Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 7 Olbers-Himmel Wohl uns! dass doch die Natur die Sache anders eingerichtet hat: wohl uns! dass nicht jeder Punkt des Himmelsgewölbes Sonnenlicht auf die Erde herabsendet. Die unerträgliche Helligkeit, die alle Vergleichung übersteigende Hitze, die dann herrschen würde, nicht einmal betrachtet; (denn für diese, wenn sie gleich über 90 000 mal größer sein würden, als wir sie jetzt empfinden, hätte die schaffende Allmacht unsere Erde und die auf ihr vorhandenen Organismen einrichten können). Ich will nur der höchst unvollkommenen Astronomie gedenken, die dann uns Erdbewohnern noch möglich bleiben würde. Vom Fixsternhimmel würden wir nichts wissen; unsere eigene Sonne nur mühsam an ihren Flecken entdecken, und bloß den Mond und die Planeten als dunklere Scheiben auf dem sonnenhellen Himmelsgrund unterscheiden. Der wahre Himmel 1. Innerhalb der Milchstraße Mittlerer Abstand der Sterne a = 10 Lichtjahre Mittlerer Durchmesser 2r = 1 Mio km Die erste Schale enthalte 12 Sterne Sichtbarkeitsgrenze: 1016 Schalen, das sind 1017 Lichtjahre Die Milchstraße ist aber nur 105 Lichtjahre groß Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik M 51 9 Der wahre Himmel 2. Das Universum im Großen a = 1000 Lichtjahre Mittlerer Durchmesser 2r = 1 Mio km Sichtbarkeitsgrenze: 1023 Lichtjahre Wir sehen aber nur 1010 Lichtjahre weit Es fehlt ein Faktor 1013 zum OlbersHimmel: wir müssten 1013 mal weiter sehen können, und die Sterne müssten 1013 mal länger strahlen, als sie das tun Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 10 Wie also löst sich das Paradox? Die Welt ist vielleicht nicht unendlich weit wahrscheinlich nicht älter als 1010 Jahre weit weg vom Zustand des Gleichgewichts: die heißen Sterne (6000 K) strahlen in ein kaltes Universum (3K) hinein Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 11 Aber: die Welt hat eine Geschichte! 300 000 Jahre nach dem Urknall ... waren alle Abstände 1000 mal kleiner war das Universum 3000 K heiß waren Materie und Strahlung im Gleichgewicht ... war überall Olbers-Himmel Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 12 Auch das Paradoxon hat eine Geschichte Kepler nahm es als Indiz für ein endliches Universum Halley und Newton nahmen den Kosmos als unendlich an und ignorierten Keplers Argument Jean-Philippe Loys de Chéseaux diskutierte es 1743 und schlug als Lösung eine schwache Absorption des Lichtes im Kosmos vor Kant folgte Newton, ohne auf de Chéseaux einzugehen Olbers wiederholt im Wesentlichen de Chéseaux John Herschel weist den Lösungsvorschlag zurück Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 13 Entwicklung im 20. Jahrhundert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie gibt der Kosmologie eine neue Grundlage (1915) Hubble entdeckt die kosmische Expansion endliches Alter des Universums (1929) Hermann Bondi kreiert den Ausdruck Olbers-Paradoxon (1952) Penzias und Wilson entdecken die Hintergrundstrahlung (1967) Stanley Jaki publiziert „The Paradox of Olbers‘ Paradox“ (1969) Edward Harrison erklärt das Paradoxon mit der geringen Energiedichte des Kosmos (1974) Diese nun aber in einem plausiblen Modell der Kosmogonie zu erklären, bleibt ein Problem für das dritte Jahrtausend Peter H. Richter - Institut für Theoretische Physik 14