Vorlesung 5

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Physiologie 5
Plastizität
Die neuronale Plastizität
Die Fähigkeit des Gehirns, sich zu reorganisieren und
ausgefallene Funktionen auf verschiedene Weise zu
kompensieren
Die neuronale Plastizität als Grundlage des Lernens
Neubildung von Neuronen,-die Anzahl der Synapsen und
der synaptischen Dornen (Spines) nimmt zu
anregende Umgebung -Deprivation -Hebb-Synapsen
Die neuronale Plastizität und die Regeneration
„Sprouting" - das Aussprossen von Axonkollateralen
Entwicklung und Lernen I
Frühe Erfahrungen und Interaktion mit der Umgebung
steuern Wachstum und Verbindung von Nervenzellen
Lernen und Reifung.
Alle Lernprozesse sind Ausdruck der Plastizität des
Nervensystems, aber nicht jeder plastische Prozess
bedeutet Lernen. Unter Lernen verstehen wir den Erwerb
eines neuen Verhaltens.
Damit wird Lernen von Reifung unterschieden, bei der
genetisch programmierte Wachstumsprozesse zu
Veränderungen des zentralen Nervensystems führen, die
als unspezifische Voraussetzung für Lernen fungieren.
Neuronale Wachstumsvorgänge und Abbau überflüssiger
Verbindungen stellen die Grobverbindungen im
Nervensystem her; die Entwicklung von geordneten
Verhaltensweisen und Wahrnehmungen hängt aber von
der adäquaten Stimulation des jeweiligen neuronalen
Systems in einer frühen, kritischen Entwicklungsperiode
ab.
Entwicklung und Lernen II
Wirkung früher Deprivation. Neben der genetisch gesteuerten
Reifung synaptischer Verbindungen ist die Ausbildung
spezifischer synaptischer Verbindungen unter dem
Einfluss früher Umweltauseinandersetzung unabdingbare
Voraussetzung für Lernvorgänge aller Art.
Erfolgt die Deprivation in einer kritischen Periode, so bilden
sich die synaptischen Verbindungen für eine bestimmte
Funktion nicht aus, und das zugehörige Verhalten kann
auch später häufig nicht mehr erlernt werden.
Isoliert man z.B. junge Affen… Auch beim Menschen wurden
immer wieder anekdotisch Beispiele solcher dauerhafter
Störungen nach Isolation (Kaspar Hauser-Befunde)
berichtet.
Inaktivierung und Absterben unbenutzter Neurone
Durch simultanes Feuern wird nicht nur die Stärke der
Verbindung der kooperierenden Synapsen erhöht,
sondern gleichzeitig die der inaktiven benachbarten
Synapsen geschwächt.
Durch die simultan aktiven Synapsen wird aktivitätsabhängig
der Nervenwachstumsfaktor (Nerve Growth Factor, NGF)
von den benachbarten Synapsen »abgezogen«.
Bei Nicht-Vorhandensein des Nervenwachstumsfaktors oder
eines ähnlichen, auf den postsynaptischen Zellen
aktivierten Wachstumsfaktors sterben die benachbarten
nicht-aktiven Zellen ab (»pruning«).
Der Abbruch alter, störender Verbindungen durch Absterben
oder Funktionslosigkeit nicht benutzter Zellen ist somit
für die Entwicklung neuer Verhaltensweisen mindestens
genau so wichtig wie der Aufbau neuer neuronaler
Verbindungen.
Hebb-Synapsen I.
Hebb-Regel. Dabei zeigt sich ein fundamentales Prinzip
neuronaler Plastizität, das auch Lernvorgängen zugrunde
liegt und das nach seinem Entdecker, dem kanadischen
Psychologen Donald Hebb als Hebb-Regel bezeichnet
wird:
»Wenn ein Axon des Neurons A nahe genug an einem
Neuron B liegt, sodass Zelle B wiederholt oder anhaltend
von Neuron A erregt wird, so wird die Effizienz von
Neuron A für die Erregung von Neuron B durch einen
Wachstumsprozess oder eine Stoffwechseländerung in
beiden oder einem der beiden Neurone erhöht.«
Arbeitsweise von Hebb-Synapsen. Während die meisten
Neurone des Zentralnervensystems bei wiederholter
Erregung durch ein anderes Neuron ihre Feuerrate
reduzieren oder nicht verändern, haben Hebb-Synapsen
eben diese Eigenheit, bei simultaner Erregung ihre
Verbindung zu verstärken.
Hebb-Synapsen II.
(An der Realisierung der Hebb-Regel sind im Allgemeinen zwei
präsynaptische Elemente (Synapse 1 und 2) und eine
postsynaptische Zelle beteiligt: Nehmen wir an, Synapse 1 wird durch
einen neutralen Ton erregt, der allein nicht ausreicht, die
postsynaptische Zelle, an der sowohl Synapse 1 wie Synapse 2
konvergieren, zum Feuern zu bringen. Nun wird Synapse 2, die z. B.
aus einer Zelle im Auge erregt wird, kurz nach oder gleichzeitig mit
Synapse 1 durch einen Luftstoß auf das Auge erregt, der in der
postsynaptischen Zelle z. B. die Aktivierung eines Blinkreflexes
auslöst. Dieser Akt des Feuerns der postsynaptischen Zelle,
ausgelöst durch Synapse 2, verstärkt nun die Aktivität aller
Synapsen, die an dieser postsynaptischen Zelle gerade gleichzeitig
aktiv waren, so auch die Erregbarkeit der »schwachen« Synapse 1.
Nach mehreren zeitlichen Paarungen der beiden Reize, Ton und
Luftstoß, wird die Synapse 1 zunehmend »stärker« und es genügt
dann der Ton allein, um die postsynaptische Zelle zum Feuern zu
bringen und damit einen Blinkreflex auszulösen: »Klassisches
Konditionieren« des Blinkreflexes wurde somit aufgebaut.)
Beispielsweise ist für die Ausbildung der okularen Dominanzsäulen die
simultane Aktivierung prä- und postsynaptischer Elemente im
visuellen Kortex aus beiden Augen notwendig. Zeitlich simultane
Aktivierung von präsynaptischen und postsynaptischen Elementen
führt also zu einer funktionellen und anatomischen Stärkung der
Verbindung zwischen prä- und postsynaptischem Element in HebbSynapsen.
Plastizität des Gehirns und Lernen II
Hebb-Synapsen (Donald Hebb)
Die Hebb-Regel stellt die neurophysiologische Grundlage der
Bildung von Assoziationen dar. Hebb-Synapsen haben die
Eigenheit, bei simultaner Erregung ihre Verbindung zu
verstärken
Einfluss der Umgebung
Lernen und Erfahrung sind auf Reize aus der Umgebung angewiesen und
führen zu verschiedenen strukturellen Änderungen, vor allem an
kortikalen Dendriten
Wirkung anregender und eintöniger Umgebung. Lernen und Erfahrung zu
einer Vielzahl spezifischer und unspezifischer histologischer und
mikrobiologischer Änderungen führen.
(Tiere, die in einer stimulierenden Umgebung aufwachsen, haben
dickere und schwerere Kortizes, eine erhöhte Anzahl dendritischer
Fortsätze und dendritischer Spines, erhöhte
Transmittersyntheseraten, v.a. des Azetylcholins und Glutamats,
Verdickungen der postsynaptischen (subsynaptischen) Membranen,
Vergrößerungen von Zellkörpern und Zellkernen sowie Zunahmen der
Anzahl und der Aktivität von Gliazellen. Wenn man die Tiere
zusätzlich zu ihrem normalen Verhalten noch in spezifischen
Lernaufgaben trainiert, so kommt es zu einem vermehrten
Auswachsen von Verzweigungen der apikalen und basalen Dendriten
der kortikalen und hippokampalen Pyramidenzellen. Dieses
Wachstum geht mit einer Vergrößerung der dendritischen Spines
einher.
Ort und Art des Lernens. Diese Befunde machen wahrscheinlich, dass die
apikalen dendritischen Synapsen und Spines als ein wesentlicher Ort
des Lernens betrachtet werden können.
Kortikale Karten I.
Die meisten Verbindungen zwischen
präsynaptischem und postsynaptischem Neuron
bestehen bereits vor der eigentlichen
Lernbedingung, sodass durch Lernen vor allem
»stumme« synaptische Verbindungen »geweckt«
werden. Die Herstellung neuer Verbindungen
scheint dagegen selten zu sein. Die
physiologischen und histologischen Änderungen
sind ortsspezifisch, d.h. sie finden dort statt, wo
der Lernprozess vermutet werden kann, nämlich
in der Umgebung der aktiven sensomotorischen
Verbindungen.
Kortikale Karten II.
Durch Lernprozesse kommt es zur Ausbreitung oder
Reduktion kortikaler Repräsentationen und Karten. Auf
anatomischer Ebene zeigen sich aktivitätsabhängige
Änderungen auch an den Modifikationen kortikaler Karten
im Gehirn. Wenn z. B. ein Tier eine bestimmte Bewegung
über einen längeren Zeitraum übt, so lässt sich eine
Ausbreitung des »geübten« somatotopischen Areals
(rezeptives Feld) auf benachbarte Areale nachweisen. Es
lassen sich dann Zellantworten, z. B. von der postzentralen
Handregion, über früher nicht aktiven Hirnarealen, ableiten.
Diese topographischen Karten sind von Individuum zu
Individuum verschieden, je nach der bevorzugten Aktivität
des Sinnessystems oder des jeweiligen motorischen
Outputs. Die erworbene Individualität eines Organismus (in
Abgrenzung von der genetischen) könnte somit in
unterschiedlichen topographischen (ortssensitiven) und
zeitsensitiven Hirnkarten repräsentiert sein. -
Phantomschmerz I
Nach Amputation eines Glieds, Armes oder der
Brust (bei Frauen) und auch bei
Querschnittslähmungen kommt es häufig zu
Phantomempfindungen und –schmerzen. Der
(die) Patient(in) spürt dabei deutlich und oft
quälend das nicht mehr vorhandene Glied oder
Teile desselben.
Dabei ist auffällig, dass nach Reizung von Stumpf
oder Lippe der amputierten Seite ein starkes
magnetisches Feld über dem Fingerareal auftritt.
Je größer die Verschiebung der Repräsentation
von Lippe oder Gesicht, um so größer der
Phantomschmerz.
Phantomschmerz II
Bei der Modifikation solcher topographischer
(ortssensitiver) oder zeitsensitiver Hirnkarten (z.
B. im akustischen System) zeigt sich wieder,
dass die Hebb-Regel Gültigkeit hat: die
Ausweitung einer topographischen
Repräsentation durch Lernen wird durch
gleichzeitige Aktivierung einzelner Zellen von
zwei benachbarten Fasern aus benachbarten
Haut- oder Handregionen, z. B. bei
sensomotorischen Aufgaben bewirkt. Es ist also
nicht nur der rein quantitative Anstieg der
Aktivität, der für die anatomischen
Veränderungen verantwortlich ist, sondern die
durch synchrone Aktivität ausgelösten
Veränderungen
Zusammenfassung
Für einen erfolgreichen Lernprozess sind verschiedene
Parameter notwendig:
Genetisch bestimmte Reifung des Nervensystems,
Ausbildung spezifischer synaptischer Verbindungen unter
dem Einfluss von Umwelteinflüssen,
Abbau »überflüssiger« synaptischer Verbindungen
(Pruning) unter dem Einfluss von Umwelteinflüssen.
Da eine stimulierende Umgebung die Voraussetzung für die
Modifikation der synaptischen Verbindungen darstellt,
gelingt diese in anregender Umgebung besser als in
verarmter.
Neuronale Grundlagen: Die makroskopischen und
mikroskopischen Veränderungen des Gehirns durch
Lernen folgen der Hebb-Regel: gleichzeitige Aktivierung
einer Zelle
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