Grunwald, Armin (ppt, 390 KB, nicht barrierefrei)

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Technikfolgen von Biotechnologien:
ändern sich unsere Vorstellungen vom
Leben?
Prof. Dr. Armin Grunwald
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Institut für Philosophie
Berlin, BVL-Symposium2014, 6. 11. 2014
Prof. Dr. Armin Grunwald
KIT – die Kooperation von
Forschungszentrum Karlsruhe GmbH
und Universität Karlsruhe (TH)
Überblick
1. Technikfolgenabschätzung als Hermeneutik
2. Leben und Technik – traditionelle Konzepte
3. Charakteristika moderner Biotechnologien
4. Sprache als Medium der Technisierung
5. Was bedeutet die Technisierung des Lebens?
Prof. Dr. Armin Grunwald
KIT – die Kooperation von
Forschungszentrum Karlsruhe GmbH
und Universität Karlsruhe (TH)
1. Technikfolgenabschätzung als Hermeneutik
•
Technikfolgenabschätzung (TA) entstanden im Wunsch,
möglichst belastbare Aussagen über mögliche zukünftige
Technikfolgen zu bekommen (Chancen/Risiken)
•
Entscheidungsbezug über klassische Ansätze der
Entscheidungstheorie (z.B. Risiko/Chance-Abwägungen)
•
funktioniert nicht in allen Bereichen – z.B. nicht bei den ‚new
and emerging sciences and technologies‘ (NEST)
•
stattdessen: TA als Hermeneutik des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts
•
Frage nach den ‚Bedeutungen‘ neuer Entwicklungen (in
kultureller, philosophischer, ethischer etc. Hinsicht)
Prof. Dr. Armin Grunwald
KIT – die Kooperation von
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und Universität Karlsruhe (TH)
2. Leben und Technik – traditionelle Konzepte
•
Genesis-Geschichte der Bibel: Rangordnung der Schöpfung
•
Gustav Mahler: Dritte Sinfonie, Seinsordnung vom Unbelebten
über das Leben und den Menschen bis zur Liebe
•
Aristoteles I: Unterscheidung des Gemachten vom
Gewordenen
•
Aristoteles II: Unterscheidung des physischen Lebens (zoon 
Leben als Objekt) vom eigenen Leben (bios  Leben als
Subjekt)
•
Lebensphilosophie: gegen Reduktion des Lebendigen auf
physikalisch-chemische Prozesse
•
élan vital (Henri Bergson) als Unterscheidung von Leben und
Technik (Lebenstrieb bei Nicole Karafyllis)
Prof. Dr. Armin Grunwald
KIT – die Kooperation von
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und Universität Karlsruhe (TH)
Zum Begriff des Lebens
•
Adorno: „Das Leben lebt nicht“ – der Lebensbegriff als
Abstraktum
•
Gutmann: die Biologie braucht weder den Begriff des Lebens
noch den des Lebewesens (sondern Begriffe wie Organismus
oder Zelle)
•
enge Verbindung zum Begriff der Selbstorganisation –
während ‚Technik‘ traditionell ‚fremdorganisiert‘ ist
•
Ethik und Lebensphilosophie (z.B. Albert Schweitzer, Würde
des Lebens)
•
implizite Rangordnung des Lebens bei bioethischen Konzepten
(biozentrisch, pathozentrisch, anthropozentrisch)
Prof. Dr. Armin Grunwald
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3. Charakteristika moderner Biotechnologien
Definitionen Synthetische Biologie
•
the design and construction of biological parts, devices and
systems, and the redesign of existing, natural biological
systems for useful purposes (LBNL 2006);
•
the design and synthesis of artificial genes and complete
biological systems, and on changing existing organisms, aimed
at acquiring useful functions (COGEM 2006);
•
the engineering of biological components and systems that do
not exist in nature and the re-engineering of existing biological
elements; it is determined on the intentional design of artificial
biological systems, rather than on the understanding of natural
biology (Synbiology 2005).
Prof. Dr. Armin Grunwald
KIT – die Kooperation von
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und Universität Karlsruhe (TH)
Nanobiotechnologie
•
grundlegende Lebensprozesse spielen sich im Nanomaßstab ab,
wesentliche Bausteine haben diese Größenordnung (subzellulärer
Bereich, Größe der DNA z.B. ca. 2 nm)
•
unterstützt durch Nanotechnologie sollen biologische Prozesse und
Systeme analysiert, verstanden, imitierbar, kontrollierbar und
manipulierbar gemacht werden
•
Vernetzung natürlicher biologischer Prozesse mit technischen
Prozessen möglich, keine „Wesensunterschiede“ auf beiden Seiten
•
technischer Nachbau biologischer Prozesse auf der molekularen
Ebene möglich (z.B. Künstliche Fotosynthese)
•
‚bionischer‘ Gedankengang: verstehen wie das Leben „funktioniert“
und es dann nachbauen – vom Verstehen zum Konstruieren
Prof. Dr. Armin Grunwald
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Natur/Technik-Verhältnis
•
die Frage der Biotechnologie an die Natur ist: wie funktioniert
etwas?
•
lebende Systeme werden als Ideenlieferant für technische
Lösungen angesehen
•
um diese heraus zu präparieren, werden lebende Systeme als
technische Systeme gedeutet
•
sie interessieren nicht als solche, z.B. in ihrem jeweiligen
ökologischen Kontext, sondern in ihrem technischen
Funktionszusammenhang
•
die Natur wird als 'Ingenieur' mit Vorbildcharakter angesehen
•
die Biologie transformiert sich über Biotechnologien zu einer
Ingenieurwissenschaft (engineering life)
Prof. Dr. Armin Grunwald
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3. Sprache als Medium der Technisierung
•
Ausweitung der klassischen Maschinensprache auf den
Bereich des Lebendigen
•
Beispiele für derartige Sprachregelungen sind, das
Hämoglobin als Fahrzeug, die Adenosin-Triphosphat-Synthase
als Generator, Nukleosome als digitale Datenspeicher,
Polymerase als Kopiermaschine oder Membranen als
elektrische Zäune
•
an technischen Artefakten (vor allem in Maschinenbau und
Elektrotechnik) entwickelte Begriffe, Konzepte und Verfahren
werden auf lebende Systeme übertragen
•
Beispiele sind: Strömungsbilder, Kräfteparallelogramme,
Stoffe- und Energiebilanzen, Schaltkreise
Prof. Dr. Armin Grunwald
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Leben als Maschine und die Natur als Ingenieur
•
"Die Natur … baut funktionelle, hochkomplexe 'Maschinen' im
molekularen Größenbereich" (Nachtigall 2002, S. 125).
•
“Nature has made highly precise and functional nanostructures
for billions of years: DNA, proteins, membranes, filaments and
cellular components. These biological nanostructures typically
consist of simple molecular building blocks of limited chemical
diversity arranged into a vast numbers of complex threedimensional architectures and dynamic interaction patterns.
Nature has evolved the ultimate design principles for nanoscale
assembly by supplying and transforming building blocks such as
atoms and molecules into functional nanostructures” (Wagner
2005, S. 39 ).
•
„nature ist nanotechnology that works“
Prof. Dr. Armin Grunwald
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Der Mensch als Macher der Evolution
•
“Another example is given by the ribosome present in each
cell, which is actually a nano-assembling machine which
reads the DNA and translates the code into protein. It works
wonderfully in nature. The difficulty is to mimic the idea and
to use it in practicable technology. This type of Nanobionic
requires a second type of evolution. This evolution II is the
whole idea of Nano” (Heckl 2004).
•
der Mensch nicht mehr Gegenstand oder Beobachter,
sondern Gestalter der Evolution
•
"In fact, if synthetic biology as an activity of creation differs
from genetic engineering as a manipulative approach, the
Baconian homo faber will turn into a creator" (Boldt/Müller
2008, S. 387)
Prof. Dr. Armin Grunwald
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Technisierung: Fragen nach dem „Leben“
•
“Additionally, synthetic biology forces us to redefine 'life'. Is life in
fact a cascade of biochemical events, regulated by the heritable
code that is in (and around) the DNA and enabled by a biological
machinery? Is the cell a bag of biological components that can be
redesigned in a rational sense? Or is life a holistic entity that has
metaphysical dimensions, rendering it more than a piece of
rational machinery?” (de Vriend 2006, S. 11)
•
Leben – vom ‚Gewordenen‘ zum ‚Machbaren‘ oder zum
‚Gemachten‘ (?)
•
Biofakte (Nicole Karafyllis) als neuer Typ von Artefakten, Anteile
des ‚Gemachten‘ im Leben
•
Aufhebung bzw. Verwischung traditioneller Grenzen zwischen
Leben und Technik
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Findet Technisierung statt?
•
ja – beobachtbar in der Art und Weise, wie über Leben(diges) (inkl.
des Menschen) geredet wird
•
nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch in der öffentlichen
Berichterstattung darüber
•
„Hier verbindet sich ein naturwissenschaftlich-reduktionistisches mit
einem mechanisch-technischen Weltbild, dem zu Folge die Natur auch
nur ein Ingenieur ist …. Da wir uns nun angeblich ihre
Konstruktionsprinzipien zu Eigen machen können, sehen wir überall
nur noch Maschinen – in den menschlichen Zellen einerseits, in den
Produkten der Nanotechnologie andererseits“ (Nordmann 2007, S.
221)
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4. Was bedeutet die Technisierung des Lebens?
•
Technisierung ist notwendig – der wissenschaftliche Blick auf das
Funktionieren lebender Systeme ist nicht ohne Technisierung
möglich
•
„Das Organische ist wissenschaftlich nur erforschbar, wenn der
Organismus zuvor einer Maschine angeglichen worden ist“
(Bergson 1912)
•
auch Ärzte technisieren teils ihre Patienten und reduzieren sie auf
Funktionssysteme
•
das ist für bestimmte Zwecke und Situationen nicht nur
unproblematisch, sondern sogar notwendig
•
Biotechnologien erfordern notwendigerweise eine Technisierung
des Lebens
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Unterscheidungen
•
Technisierung im Modus des „als ob“ notwendig und legitim
•
die Modellierung von Lebewesen als technische
Funktionszusammenhänge ist solange kein Problem wie sie die
Lebewesen nicht auf die Modelle reduziert
•
Probleme entstehen nur, wenn die entsprechende Redeweise von
diesen Zwecken und Situationen abstrahiert und auf „den
Menschen“ oder „das Leben“ verallgemeinert wird
•
Immanuel Kant: es werde wohl niemals einen „Newton des
Grashalms“ geben
•
menschliches Leben: Risiko der Reduktion des bios auf das zoon
wächst (z.B. Unbehagen an der „Apparatemedizin“)
•
Unterscheidung zwischen zweckbezogen notwendiger/legitimer
Technisierung des Lebens und ontologischer Technisierung wird
entscheidend
Prof. Dr. Armin Grunwald
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Schlussfolgerungen und Fragen
•
pragmatische Technisierung im Modus des „als ob“ unproblematisch
•
kein disruptiver Schritt, sondern graduelle Entwicklung – auch Möpse
und Pinscher sind Biofakte und somit „reduziert“
•
mit der rasch wachsenden Eingriffstiefe des Menschen in lebende
Systeme durch moderne Biotechnologien steigen Potentiale wie
Risiken gleichermaßen
•
das Tempo der Eingriffe vergrößert sich und erhöht Anforderungen an
das Lernen aus Fehlentwicklungen
•
Reduktion des Lebens (Leben ausschließlich als Objekt) kann zum
Risiko werden
•
kritische (hermeneutische) Begleitung und Reflexion sind gefordert
Prof. Dr. Armin Grunwald
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Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Armin Grunwald
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