UNESCO-Vorlesung SS 2007 Prof. Dr. Hans Jörg Sandkühler Deutsche Abteilung „Wissenskulturen, Transkulturalität, Menschenrechte“ des europäischen UNESCO-Lehrstuhls für Philosophie (Paris) www.unesco-phil.uni-bremen.de Vom Nationalstaat zur transnationalen Rechtsordnung und zu den Vereinten Nationen Philosophische, ethische und rechtliche Grundlagen der UN 1 Annan, K., 2005, In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle. Bericht des Generalsekretärs: www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/vn/vereinte_nationen/reform/vn-reformstand_html Gareis, S.B./ J. Varwick, 2003, Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen, Opladen. [Zur Charta der VN, Erklärungen, Resolutionen etc. siehe www.unesco-phil.uni-bremen.de] Graefrath, B., 1956, Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, Berlin. Hüfner, K., 1991/1994, The United Nations System - International Bibliography. Das System der Vereinten Nationen - Internationale Bibliogpahie, Bde. 4A und 4B sowie 5A, München. Knipping, F./Mangoldt, H. von/Rittberger, V. (Hrsg.), Das System der Vereinten Nationen und seine Vorläufer, 3 Bde., München 1995/96. Nowak, M., 1993, Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte. In: Bielefeldt, H./ Deile, V./ Thomsen, B. (Hrsg.), Menschenrechte vor der Jahrtausendwende, Frankfurt/M. Opitz, P.J. (Hrsg.), 2002, Die Vereinten Nationen. Geschichte, Struktur, Perspektiven, 4. überarb. und aktualisierte Aufl., München. Simma, B. (Hrsg., 1991, Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, München. Tomuschat, Ch., 1992, Einführung. Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte. In: ders. (Hrsg.), Menschenrechte. Eine Sammlung internationaler Dokumente zum Menschenrechtsschutz, Bonn. UNESCO, 2002, Philosophie et droits humains. Journée de la philosophie à l’UNESCO 2002, Paris. United Nations, Alternative Approaches and Ways and Means within the United Nations System for Improving the Effective Enjoyment of Human Rights and Fundamental Freedoms, National Institutions for the Promotion of Protection of Human Rights, U.N. Doc. A/ 36/ 440 & 462 United Nations. 1988, Everyone's United Nations, 10th edition, New York, United Nations, 1988. United Nations: www.un.org/ Vereinte Nationen, Dokumente in deutscher Sprache: www.un.org/Depts/german/ Volger, H., 2000 (Hrsg., Lexikon der Vereinten Nationen, München/Wien. Volger, R. (Ed.), 2002, A Concise Encyclopedia of the United Nations. With a Preface by the Secretary-General of the United Nations Kofi Annan. The Hague/London/New York. 2 Thema der Vorlesung Der Staat der europäischen Neuzeit entsteht im 15. und 16. Jahrhundert in zentralistischen oder dezentralisierten Ordnungsstrukturen (Frankreich vs. Deutschland, Italien) als Territorial- und Nationalstaat mit Souveränen, die als absolutistische Herrscher ›von den Gesetzen entbunden‹ sind. Der bald beginnende Kampf der bürgerlichen Gesellschaft um den Rechtsstaat geht einher mit dem Kampf um Grund- und Menschenrechte: Die zunächst als Abwehrrechte gegen den Staat begründeten Ansprüche gegen staatliche Bevormundung bzw. Unterdrückung entwickeln sich mit den unterschiedlichen Vertragstheorien zunehmend zur Konzeption ›Freiheit gesichert durch Recht, Recht gesichert durch den Staat‹ und damit zu einer problematischen Struktur. Seit dem beginnenden 19. Jahrhundert setzen der Liberalismus auf Entstaatlichung und der Sozialismus/Kommunismus auf das ›Absterben des Staates‹. Zugleich entwickeln sich im internationalen Staatensystem und Recht neue Formen transnationaler Konfliktbewältigung, im 20. Jahrhundert zunächst u.a. als Völkerbund und dann nach den Unrechtserfahrungen des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust als Vereinte Nationen und deren Unterorganisationen wie die UNESCO. In diesem Prozeß entstehen transnationale Bündnissysteme wie NATO, Europäische Gemeinschaft, ASEAN u.a. Die Vorlesung ist (philosophisch begründeten) Staatskonzeptionen und der Frage nach Rechts- und Sozialstaatsfunktionen unter den Bedingungen nationalstaatlicher Souveränitätsabtretung gewidmet. 3 Bei der Gründung und Entwicklung des kollektiven Rechts- und Sicherheitssystems der Vereinten Nationen und deren Unterorganisationen haben bis in die Gegenwart philosophische, ethisch-politische, ideologische und juristische Kontroversen eine wichtige Rolle gespielt – von der antifaschistischen Koalition im und nach dem Zweiten Weltkrieg über die Systemauseinandersetzung im Kalten Krieg bis hin zur heutigen Probematik der Inanspruchsnahme kulturell begründeter Eigenrechte bei der Implementierung des internationalen Rechts. In der Vorlesung sollen u.a. am Beispiel der zentralen Rolle der Philosophie in der UNESCO Zusammenhänge zwischen Ethik, Politik und Recht analysiert werden. 4 Perspektiven auf den Staat I Theoretische Perspektiven auf den Staat Der Staat wird in der Theoriegeschichte und aktuell von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen – vor allem: Rechts- und Staatswissenschaft, Politikwissenschaft, Soziologie, Philosophie, Theologie – in unterschiedlichen Perspektiven thematisiert. Der wichtigste Unterschied ist der zwischen deskriptiven und normativen Theorien: - Deskriptive Theorien sind ihrem Anspruch nach wertfreie Theorien, die auf der Grundlage der empirischen Untersuchung faktischer Staaten entstehen; · - Normative Theorien sind durch Werturteile geprägte, kritische oder aber Zustände verteidigende Theorien, die als Konstruktionen dessen entstehen, was der Staat sein soll. 5 Wesentliche Unterschiede zwischen den Theorien bestehen auch in den Rechtfertigungen des Staates, den Fragen nach dem Grund des Staates, und in den Grundtypen staatstheoretischer Legitimation: - aus dem faktischen bzw. historiographisch konstruierten Anfangszustand, - aus dem gewollten Endzustand, - aus dem Willensursprung bzw. aus dem Zweck. Die Soziologin grenzt sich vom Philosophen ab, „denn der interessiert sich nur für den Staat, wie er sein soll“ (Oppenheimer) Praktische Perspektiven auf den Staat: Unrechtserfahrungen Staat und Recht, gesellschaftliche Wirklichkeit und Verfassung, Demokratie und Abbau des Rechtsstaats – dies sind brisante Themen, gegen deren wissenschaftliche Behandlung sich viele aufgrund negativer Erfahrungen mit dem Staat und des Wissens um weltweite Probleme mit dem Rechtsstaat, dem Sozialtaat und der Demokratie sperren. Von Abu Ghreib bis Guantánamo, von Hartz IV bis zu schlechten Studienbedingungen – die Liste des Negativen ist schier unerschöpflich. Wie soll man in der Staatstheorie, in der Rechtswissenschaft und in der Rechtsphilosophie damit umgehen? 6 Der Status und die Aufgabe der UNESCO-Vorlesung Ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Situation von Staat und Recht bzw. Unrecht wäre eine Vorlesung zur Geschichte und Theorie des modernen Staates empirisch blind und dementsprechend begrifflich leer. Eine Vorlesung an der Universität Bremen ist deren Leitzielen verpflichtet, in denen es u.a. heißt: „Lehrende und Lernende der Universität Bremen orientieren sich an den Grundwerten der Demokratie, Menschenrechte und sozialen Gerechtigkeit“. Und eine UNESCO-Vorlesung an der Universität Bremen ist mit den Zielen der Vereinten Nationen und der UNESCO dem Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (2005) verpflichtet, d.h. sie steht ein „für die volle Verwirklichung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in anderen allgemein anerkannten Übereinkünften verkündeten Menschenrechte und Grundfreiheiten [...]“. In dieser Perspektive hat die Vorlesung den Status einer Einführung in die normative Theorie des Staates und des Rechts und die Aufgabe, im Blick auf die geschichtliche Entwicklung der Staatstheorien zu erklären, was der Staat sein soll und sein kann. Hieraus ergibt sich ihre kritische Funktion: Von ‘Kritik’ ist hier in zweifacher Bedeutung die Rede: (i) geht es entsprechend dem philosophischen Begriff von Kritik darum, die Bedingungen der Möglichkeit (Kant) des Staates zu analysieren; und (ii) geht es um die praktische Kritik an Deformationen des Staates und seiner normativ begründeten Funktionen. 7 Was ist die Grundlage der Kritik? Die Ethik? Aber welche? Also eine Ethik? Gegen die Annahme, Ethik könne nicht nur in der Theorie, sondern auch mit praktischer Wirkung die – gar die einzige – Grundlage einer Staatskritik sein, sprechen zwei Gründe: (i) Der erste Grund ergibt sich daraus, daß Menschen nicht uneingeschränkt gut sind und nach Maßstäben des Guten handeln. Mit den Worten, die Kant in seiner Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht gibt: „aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden“. (ii) Der zweite Grund ergibt sich daraus, daß de facto moderne Gesellschaften durch einen Pluralismus von moralischen Einstellungen, Bedürfnissen, Interessen und Kulturen charakterisiert sind. Eine allgemeine, in der Praxis durchsetzbare Verpflichtung auf die eine Ethik gehört nicht zu den Merkmalen moderner Gesellschaften. Bedeutet dies die Ohnmacht ethischer Normen im Verhältnis zu Staat und Recht? 8 Otfried Höffe schreibt hierzu in seinen ‘Philosophischen Versuchen zur Rechts- und Staatsethik’: Die „moralische Beurteilung [wird] an die Rechts- und Staatsverhältnisse nicht von außen herangetragen. Sie ist ihnen vielmehr in gewisser Weise immanent. Denn ob wir politische Kritik üben, ob wir gegen Unrecht protestieren oder aber eine legitime Rechts- und Staatsordnung frei anerkennen: in all diesen Fällen werfen wir die Frage auf, ob die gegebenen politischen Verhältnisse auch gut und richtig seien. Und diese Frage nach dem Guten und Richtigen beschränken wir nicht auf die Angemessenheit an beliebige Ziele oder Zwecke. Wir geben uns auch nicht mit dem Wohlergehen von Minderheiten oder Mehrheiten zufrieden. Wir beanspruchen ein darüber hinausgehendes, ein moralisches Gutsein. Die moralische Beurteilung von Recht und Staat kann in unterschiedlicher Radikalität erfolgen. Entsprechend gibt es verschiedene Stufen einer Rechts- und Staatsethik.“ 9 Die aus theoretischen (anthropologischen) und praktischen Gründen zu ziehende Schlußfolgerung lautet, daß nicht (private) Ethiken und (private) Moralvorstellungen die in der gesellschaftlichen Praxis wirksame Grundlage der Kritik von Staat und Recht sein kann, sondern dies vom Recht geleistet werden muß. Es muß dann allerdings gesagt werden, von welchem Recht. Die Rede kann hier nicht von Recht schlechthin sein, sondern vom Recht, das nach dem Maßstab der Menschenwürde, der Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit genügt. Das Recht, das Grundlage der Staatskritik ist, muß selbst permanent im Lichte dieses Maßstabs der Kritik unterzogen werden. Um zu vermeiden, daß diese Argumentation zirkulär wird, führe ich zwei Prämissen ein: 10 Prämisse 1: Die Basis einer Staats- und Rechtskritik kann aus pragmatischen Gründen nicht aus einer bestimmten materialen wertethischen Begründung gewonnen werden – sie wäre nicht konsensfähig –, sondern nur im Rahmen einer formalen Rechtskonzeption. Wenn der Pluralismus und das Recht auf Dissens auch die Antworten auf die Frage nach dem richtigen Recht dominieren, dann ist zu fragen, welche Begründungen des Rechts und Legitimationen des Staates Chancen einer möglichst breiten Anerkennung eröffnen. Die moderne Demokratie verlangt nach formalen, den Weltinterpretationen gegenüber neutralen Prinzipien der Gerechtigkeit, der Gleichheit und der Allgemeinheit des Rechts. [1] Prämisse 2: Die formale Rechtskonzeption ist verwirklicht im System der aus den Menschenrechten entwickelten bzw. zu entwickelnden Grundrechte. Die Legitimation des Staates und die Gesetzgebung aus richtigem Recht ist ohne die Tieferlegung der Begründung der Grundrechte durch die Menschenrechte nicht möglich. Die einzige heute denkbare materiale Grundlage der ‘Grundnorm Verfassung’ und der in ihr positivierten Grundrechte besteht in der Gesamtheit der positivierten Menschenrechte. Die Verfassung muß sich mit der Entwicklung des positiven Menschenrechte-Rechts weiterentwickeln. So wird sie zur letzten Grundlage der Kritik an Zuständen in Staat und Recht. 11 Der Staat: Definitionen Allgemein kann ‘Staat’ als der gesellschaftliche Gesamt-Apparat bezeichnet werden, die über eine institutionalisierte Zentralgewalt mit funktionsfähigem Apparat von ausreichender Stabilität und territorialer Erstreckung verfügt und die in einer durch Interessenkonflikte strukturierten Gesellschaft das Gewaltmonopol ausübt. Der Pluralismus der Erwartungen gegenüber dem Staat und der faktischen Staatsformen und -funktionen ist die Ursache dafür, daß ein einheitlicher und allgemein konsentierter Staatsbegriff nicht existiert. Die klassische Bestimmung Max Webers, der Staat sei „ein auf das Mittel der legitimen [...] Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen“ ist zu einseitig auf das Merkmal der Gewalt abgestellt, als daß sie die heute feststellbaren Staatsfunktionen erfassen könnte. Eine dynamischere und dem Staat in seiner historischen Entwicklung und Veränderbarkeit angemessenere Definition findet sich bei H. Heller: „Der Staat ist ein durch repräsentativ aktualisiertes Zusammenhandeln von Menschen dauernd sich erneuerndes Herrschaftsgefüge, das die gesellschaftlichen Akte auf einem bestimmten Gebiet in letzter Instanz ordnet“. 12 Def. 1: „Staat (von lat. status, Stand, Zustand; engl. state, franz. état, ital. stato), Terminus der Politikwissenschaft und der politischen Philosophie [...] zur Bezeichnung einer politischen Herrschaftsordnung und ihrer konkreten, territorial und historisch abgegrenzten Ausformungen. (1) Der Terminus >S.< bezieht sich auf die allge’meine Form rechtlich geordneter, gebietsbezogener politischer Herrschaft als Versuch, dem Zusammenleben der Menschen eine dauerhafte, gerechte und friedliche Ordnung zu geben. Ein vereinfachter, die geschichtliche und kulturelle Gebundenheit staatlicher Herrschaftsorganisation beiseite lassender S.sbegriff reiht die drei >Elemente< S.svolk, S.sgebiet und S.sgewalt aneinander. Im engeren Sinne bezeichnet der Terminus >S.< den Nationalstaat der europäischen Neuzeit, der sich in einer vielgestaltigen Entwicklung seit dem Zerbrechen des mittelalterlichen Universalismus von Kaiser und Papst, dem Hundertjährigen Krieg Englands und Frankreichs, der italienischen Renaissance, der Reformation und den konfessionellen Bürgerkriegen bis zu den bürgerlichen Revolutionen herausgebildet hat, gekennzeichnet durch Souveränität nach innen und außen, territoriale Ausschließlichkeit der Herrschaftsausübung und eine selbständige positive Rechtsordnung.“ 13 Def. 2: „Staat. 1. Eine unabhängige, politisch organisierte Gemeinschaft, näher bestimmt als die selbständige, politische Organisatìon einer solchen Gemeinschaft, die über ein eigenes Rechtssystem und eine zentrale Regierungsmacht verfügt und die die Souveränität über ein bestimmtes Gebiet (Territorium) innehat. 2. Das System politischer Institutionen, das durch seine Autoritätsstruktur die souveräne oder letztlich entscheidende Macht in einer Gesellschaft ausübt. 3. Ein konzentrierter (zentralisierter) institutioneller Apparat, der in größerem oder kleinerem Maß die Verhältnisse zwischen den Individuen und den Gruppen in einer Gesellschaft beherrscht. Inhaltlich läßt sich diese Bestimmung in verschiedener Weise verstehen: Als ein notwendiges, aber grundsätzlich begrenztes Machtinstrument. eine Rechtsordnung sicherzustellen, die die Freiheit der Individuen (Liberalismus) schützt; als ein Macht- oder Unterdrückungsapparat, der für die bestehende Kluft zwischen Herrschenden und Beherrschten in einer Gesellschaft verantwortlich ist (die negative Einschätzung des S. wird etwa im Anarchismus vertreten); oder den Interessen der ökonomisch herrschenden Klasse dient (vgl. Marxismus).“ 14 Def. 3: „The modern state has been defined in different ways by anthropologists, sociologists, political scientists, historians and lawyers, as well as by philosophers. There is much overlap between the definitions and broad agreement on the main features which a political organization must exhibit in order to belong to the class ‘the state’ […] (1) There is a population which reproduces itself and whose members are socially related. (2) There is territory. (3) There is a single government, which: (a) is a distinct body of rule, supported by a judicial, administrative and military machine; (b) is the ultimate prescriber and enforcer of law for all those within its jurisdiction; (c) claims exclusive control of the use of force within the territory and has preponderant control of its use; (d) claims authority for its existence and actions and is generally accepted as authoritative. (4) The state is legally and politically independent from other states, and recognized by other states as an independent or sovereign state.” 15 Def. 4: „ÉTAT [pol.] Si l´étymologie renvoie au latin status (de stare), le sens du mot renvoie au grec pólis (cité) et au latin Civitas. Le mot Etat n'apparaît qu'au xviè siècle chez Guichardin et Machiavel. Il désigne alors une «physionomie historique» du politique. L'Etat ne se confond donc pas avec la catégorie entière du politique. […] L'idée d'Etat n'apparaîtra qu'avec la volonté de distinguer les rapports de gouvernants à gouvernés, c'est-à-dire d'autorité à obéissance, des rapports privés de chef à sujets. La notion d'Etat implique, comme telle, l´idée d'un Pouvoir qui transcende les volontés particulières de ceux qui commandent. […] Le concept d'Etat, qui naît avec la Modernité et qui correspond, historiquement, à la transformation politique de l´Europe, implique que l´on dissocie la réalité politique qui représente de tous les autres phénomènes communautaires qui, tels le clan, la tribu on même la nation, sont naturels. En conséquence, on ne peut réduire l´Etat aux éléments qui - territoire, réalité ethnique et même nation - sont assurément subsumés par son concept, mais ne le constituent pas en son essence. Toutefois, L´Etat n'est pas une entité purement formelle: il a bel et bien une réalité, que nous ressentons d'ailleurs quotidiennement lorsque, par exemple, nous accusons l'Etat d'être injuste ou trop exigeant. Mais cette réalité est celle d'une idée. L'Etat, qui procède de l´institutionnalisation du Pouvoir conformément à des exigences rationnelles d'ordre, est d'abord et fondamentalement une réalité pensée: la réalité de l´Etat est d'ordre conceptuel. Elle requiert, en son existence même, un artifice intellectuel. L'Etat n'est donc pas un donnée de la nature ; il est une construction de l´esprit. C'est pourquoi ce ne sont pas des éléments de fait mais seulement des éléments de droit qui en déterminent 16 l'essence.” Staatsformen Klassische Einteilung (nach Platon und Aristoteles) Einherrschaft Herrschaft weniger Volksherrschaft Positiv Monarchie: Monarch regiert im Interesse des Gemeinwohls Aristokratie: Herrschaft der Besten zum Wohle aller Demokratie: Gerechtigkeit durch Herrschaft aller Negativ Despotie/Tyrannis: Willkürherrschaft Ochlokratie/Plutokratie: Eigennützige, willkürliche Gruppenherrschaft Ochlokratie: Keine Herrschaft, es gilt das Recht des Stärkeren 17 Staatsformen: Moderne Einteilung (seit Machiavelli) Einzelherrschaft Diktatur Mehrherrschaft, Herrschaft von Gruppen oder aller Fürstenherrschaft/Monarchie Gruppenherrschaft Mittelbare Demokratie Absolute Monarchie Ständische Monarchie Volksherrschaft Unmittelbare Demokratie Beschränkte Monarchie Konstitutionelle Monarchie Parlamentarische Monarchie Präsidialdemokratie Parlamentarische Demokratie 18 Staat und Kapitalismus Stefan Breuer: Der Staat Es ist [...] für die gegenwärtige Identifikation von Staat und Wirtschaft kennzeichnend, dass der Staat in eine Dienstfunktion gegenüber dem industriell-wirtschaftlichen Prozeß gerät. Es wächst zwar die Weite seiner Aufgaben, aber in gleichem Maße wächst die Schwäche seiner eigenen Entscheidungsmacht. Bei seiner Regulierungs- und Steuerungsfunktion ist er nicht in der Position des <höheren Dritten>, der selbst die Zügel in der Hand hält, sondern Träger einer Komplementärfunktion für den industriellwirtschaftlichen Prozeß. Er setzt nicht seinerseits die für die Entwicklung und Regulierung des wirtschaftlichen Prozesses maßgeblichen Daten, sondern handelt reaktiv auf die aus dem wirtschaftlichen Prozeß ihm gegenüber autonom sich ergebenden Daten und Tendenzen. Subjekt des sogenannten globalen Steuerungsprozesses ist nicht der Staat, sondern der industriell-wirtschaftliche Prozeß selbst; der Staat ist ihm gegenüber <Erfüllungsgehilfe>, leistet die <Ausfallbürgschaften>, um sein immanentes, auf Wachstum, Produktivität und Ertrag ausgerichtetes Funktionieren zu gewährleisten [...]. 19 Staat und Recht Man kann nicht über den Staat reden, ohne über das Recht zu sprechen. Die Situation ist paradox. In der Moderne hat die Durchsetzung von Subjektivität und Individualrechten Interessenkollisionen bewirkt und deshalb eine Verrechtlichung von Lebensbeziehungen der Menschen, die zuvor als durch Konformität in Moral und Sittlichkeit geregelt galten. Das Paradox läßt sich auf die einfache Formel bringen: Je mehr Freiheit, desto mehr Recht; je mehr Recht, desto mehr Staat; je mehr Staat, desto weniger Freiheit; je weniger Freiheit, desto größer der Bedarf an Recht – und Staat, und Recht usf. Die Grundrechte und Menschenrechte sind Ausgestaltungen des Rechts auf Rechte, sie kommen jedem Individuum ‘von Natur’ aus zu. Will man naturalistische oder metaphysische Mißverständnisse vermeiden, so kann ‘von Natur aus’ nur bedeuten: vor ihrer Positivierung durch den Staat. ‘Vor’ bezeichnet nicht die Genesis (Enstehung) dieser Rechte in der Zeit, sondern ist Merkmal der Geltungsbegründung: Rechte kommen den Menschen als Menschen zu und werden nicht vom Staat ‘gewährt’; der Staat hat vielmehr die Funktion, den Individuen als Rechtspersonen Menschenwürde, Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit als Menschen- und Grundrechte zu garantieren, die Rechte zu schützen und für Bedingungen ihrer Verwirklichung zu sorgen. 20 1. Die Ideale der Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit wurden in der Moderne auf der Basis der Trennung von Gesellschaft und Staat entwickelt. In diesem Prozeß spielt die Trennung von Staat und Religion eine wichtige Rolle (ein aktuell diskutiertes Thema: „Der Islam ist Religion und Staat“). Die Idee der Rechte, die jedem Individuum von (Vernunft-) Natur aus zukommen, ist die Idee der Sicherung der Freiheit durch Recht gegen staatliche Bevormundung bzw. Unterdrückung. Gleichwohl wird ihre Verwirklichung dem Staat als Recht erzwingender Institution überantwortet. Die Grundrechte sind in ihrer Beschränkung auf politische, vom Staat gewährte Bürgerrechte eine problematische „Antwort auf die gleichbleibende Grundfrage des Verhältnisses zwischen individueller Freiheit und politischer Ordnung.“ 21 2. Angesichts der widersprüchlichen Wechselbedingtheit von Rechtsidee und Rechtsdurchsetzung, von Recht und Staat, haben die meisten Rechtsphilosophien in der Moderne die Strategie verfolgt, Gründe des richtigen Rechts in substantiellen Voraussetzungen zu finden: im Menschen als Kreatur Gottes, in der Natur und Vernunft des Menschen. Aus dieser Strategie gehen der normative Status und die doppelt kritische Funktion der Rechts- und Staatstheorie hervor: a) Recht als Kritik (Zähmung) des Staats; b) Staat als Kritik (Unterbindung) individueller Willkür. Zunehmend kritisch und normativ, wird die Rechts- und Staatsphilosophie zum Spiegel schwindenden Vertrauens in verwirklichte Gerechtigkeit und somit in die Geltung des Rechts; ein wesentlicher Grund hierfür ist, daß – in Kompensation der Pluralität der Interessen und subjektiven Rechts-Verständnisse – Institutionen des Rechts, der Herrschaft und des Staats eine Ordnung garantieren müssen, die zunehmend als abstrakt und der Lebenswelt fremd wahrgenommen werden. „Ständige Ausbreitung [des Rechts], Auseinandertreten von Moral und Recht, zunehmende Verflechtung von Recht und Politik“ kennzeichnen diesen historischen Prozeß. Die „ständige Ausbreitung staatlicher Herrschaft“ ist aber zugleich „verbunden mit Bemühungen, sie auf dem Rechtswege wieder einzuschränken. Beides ist die Funktion von Recht heute. Auf der einen Seite ist es ein Herrschaftsinstrument. [...] Auf der anderen Seite dient es der Einschränkung staatlicher Macht.“ 22 Transformation der Menschenrechte in positives Recht Als moralische Rechte können Menschenrechte zwar eingefordert werden, und es ist auch möglich, ihre Verletzung moralisch zu verurteilen, derartige Durchsetzungsinstrumente bestehen aber [...] treffend bemerkt hat, »aus einem sehr ätherischen Material«. Niemand wäre »vor Gewaltthätigkeit gegen einander sicher«. Wenn es ein moralisches, also gegenüber jedem begründbares Recht zum Beispiel auf Leben gibt, dann muß es auch ein gegenüber jedem begründbares Recht darauf geben, daß eine gemeinsame Instanz geschaffen wird, die jenes Recht durchsetzt. Andernfalls wäre die Anerkennung moralischer Rechte keine ernsthafte Anerkennung, was ihrem fundamentalen und vorrangigen Charakter widerspräche. Die zur Durchsetzung der Menschenrechte einzurichtende gemeinsame Instanz ist der Staat. Es gibt also ein Menschenrecht auf den Staat. Durch die Einrichtung eines Staates als Durchsetzungsinstanz werden die moralischen Rechte, die die einzelnen gegeneinander haben, in inhaltsgleiche Rechte des positiven Rechts transformiert. Zusätzlich entstehen als neue Rechte die Rechte der einzelnen gegen den Staat auf Abwehr, Schutz und Verfahren. (R. Alexy) 23 24 Freiheitsanspruch und Freiheitssicherung Die Doppeldeutigkeit des Staates gründet in der Problematik der Differenz, oft auch Gegensätzlichkeit von Freiheitsanspruch und Freiheitssicherung: „Damit die Individuen ihre Rechte genießen und ihre Interessen fördern können, brauchen sie den Staat. Er schützt die Freiheit eines jeden und schränkt sie zugleich so ein, daß sie die gleichartige Freiheit jedes anderen nicht beeinträchtigt.“ Andererseits: „Insofern der Staat zur Erfüllung dieser Aufgabe mit Macht und Zwangsmitteln ausgestattet ist, muß diese Macht des Staates ihrerseits so beschränkt werden, daß sie die Freiheit der Individuen nicht bedroht.“ Auf eine knappe Formel gebracht: „Der Rechtszustand, der Freiheit gewährleistet, macht sich nicht von selbst, er bedarf auch der Instanz, die das Recht gegebenenfalls festlegt, es konkret ausspricht und seine Befolgung gegenüber Widerstrebenden sichert. Recht fordert den Staat als Institution seiner eigenen Gewährleistung“. Die Debatten über Funktionen und Grenzen des Staates seit dem ausgehenden 18. Jh. pendeln zwischen Positionen, die von den Freiheitsrechten und Schutzbedürfnissen des Individuums ausgehen und die Staatsfunktionen minimieren oder aber die Notwendigkeit des Staates angesichts einer antagonistischen bürgerlichen Gesellschaft aus dem kollektiven Interesse an einer rechtlich verfaßten Gemeinschaft begründen und Staatsfunktionen maximieren. 25 Paradigmenwechsel vom „Staatsdenken“ zum „Verfassungsdenken“ Staats-, rechts- und demokratietheoretisch ist heute von einem Befund auszugehen, der folgenreich ist für den Status und die Funktion von Staat und Recht: es gibt – nicht nur in Deutschland – einen Paradigmenwechsel vom „Staatsdenken“ zum „Verfassungsdenken“. Mit der Konzeption des Sozialstaats, der „planender, verteilender, gestaltender, individuelles wie soziales Leben erst ermöglichender Staat“ geworden ist, erweisen sich die Lösung aus bisheriger „Staatsfixiertheit“, die „Orientierung an der auf Staat und Gesellschaft bezogenen Verfassung“ und an der „Demokratie als ‘Lebensform’“ als Momente eines Übergangs „vom Bezugspunkt ‘Staat’ auf den Bezugspunkt ‘Verfassung’.“ War in der deutschen Rechts- und Staatstradition die Verfassung primär „Staatsverfassung“ im Dienste „der nachträglichen Rechtsbindung der als immer schon bestehend gedachten Staatsmacht“, so reagiert das nun im Zentrum stehende Verfassungsdenken „auf die in der modernen interessenpluralistischen Gesellschaft offensichtliche Tatsache, daß politische Macht und gesamtgesellschaftliche Entscheidungsfähigkeit nicht einfach vorausgesetzt, sondern in komplexen Prozessen der politischen Einheitsbildung erst gebildet werden müssen“. Entsprechend kann Demokratie nicht mehr allein „als bloßes Staatsorganisationsprinzip“ verstanden werden; Demokratie ist vielmehr – das gesamte gesellschaftliche Leben umfassend – „das die verfassungsmäßige Ordnung ‘primär bestimmende Prinzip’“. Die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung galt in den Vereinigten Staaten schon 1803; in Deutschland wurde sie erst mit dem Grundgesetz 1949 eingeführt; dieser Paradigmenwechsel ist nichts Selbstverständliches. 26 Nicht jede Konzeption von Staat und Recht erfüllt in gleicher Weise die Funktionen, den Staat von der Verfassung her zu begründen (und nicht umgekehrt), die Autonomie des Rechts gegenüber politischer Herrschaft rational zu begründen, den Steuerungs- und Integrationserfordernissen einer pluralistischen Gesellschaft angemessen zu sein und Demokratie als Form der Gestaltung aller Bereiche des Sozialstaats und der Gesellschaft zu begründen und zu verwirklichen. 27 Demokratie „Daß sich Staatsverfassung und Gesellschaftsverfassung nicht trennen lassen, kann am Beispiel der Grundrechte verdeutlicht werden. [Sie] enthalten [...] eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. Jedenfalls verpflichten sie die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung dazu, auch im Bereich der Gesellschaft für die Verwirklichung der Grundentscheidungen zu sorgen, die der Verfassungsgeber durch Normierung der Grundrechte getroffen hat. Hierbei geht es nicht um das Problem der Drittwirkung. Vielmehr ist der Staat selbst als primärer Adressat der Grundrechtsartikel verpflichtet, diese Bindungen der Staatsgewalt auch bei der rechtlichen Regelung, Überwachung und Lenkung der Gesellschaft zu beachten. Was aber für die Grundrechte gilt, trifft auch auf die Grundprinzipien der Sozialstaatlichkeit, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie zu. Auch sie sind verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts. [...] das moderne Demokratieprinzip [beinhaltet] auch eine Entscheidung gegen jede Unterdrückung, insbesondere gegen eine Unterdrückung der unteren Gesellschaftsschichten. Ihr hat der Staat auch außerhalb seiner eigenen Organisation entgegenzuwirken, soweit sein Einfluß reicht. Daher folgt aus dem Demokratieprinzip unmittelbar das Gebot der Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche, in denen es Macht und damit die Möglichkeit ihres Mißbrauchs zur Unterdrückung gibt.“ 28 Hierarchie der Rechtsnormen Achtung und Schutz der menschlichen Würde Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Nachfolgende Menschenrechtspakte Speziellere Konventionen, z.B. gegen Folter, zum Schutz der Frauen, zum Schutz der Kinder... Nationale Verfassungen Allgemeine Grundrechtenormen Spezielle Normen 29 Jus cogens A peremptory norm (also called jus cogens, Latin for "compelling law") is a fundamental principle of international law considered to have acceptance among the international community of states as a whole. Unlike ordinary customary law that has traditionally required consent and allows the alteration of its obligations between states through treaties, peremptory norms cannot be violated by any state. Under the Vienna Convention on the Law of Treaties (1960, 1980), any treaty in violation of a peremptory norm is null and void. The treaty allows for the emergence of new peremptory norms, but does not itself specify any peremptory norms (see Art. 53 of the Vienna Convention). The number of peremptory norms is considered limited but not exclusively catalogued. They are not listed or defined by any authoritative body, but arise out of case law and changing social and political attitudes. Generally included are prohibitions on waging aggressive war, crimes against humanity, war crimes, piracy, genocide, slavery, and torture. Article 53 Treaties conflicting with a peremptory norm of general international law (jus cogens) A treaty is void if, at the time of its conclusion, it conflicts with a peremptory norm of general international law. For the purposes of the present Convention, a peremptory norm of general international law is a norm accepted and recognized by the international community of States as a whole as a norm from which no derogation is permitted and which can be modified only by a subsequent norm of general international law having the same character. Article 64 Emergence of a new peremptory norm of general international law (jus cogens) Erga omnes 30 Die rechtslogische Struktur der Verfassung – die Grundrechte und die Hierarchie der Normen (am Beispiel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland) Um die Bindungswirkung der Grundrechte für alle staatliche Gewalt und für alles individuelle Verhalten unter den heute gegebenen Bedingungen zu begründen, leiten Interpretationen, die nicht naturrechtlich, sondern vorrangig gesellschaftsgeschichtlich argumentieren, den Grundrechtskatalog des GG und die rechtslogische Struktur der Verfassung von gesellschafts- und staatshistorischen Unrechts- und Leidenserfahrungen aus: „1. die in der Kriegs-und Nachkriegsnot des Ersten Weltkriegs erlebte Unsicherheit der ´bürgerlichen Existenz´, das Ohnmachtserlebnis im Hinblick auf die elementaren Daseinsbedingungen, der Verlust an individuell ´beherrschten Lebensraum.´ [...]; 2. das Bewußtsein von den menschheitsbedrohenden Risiken des technischen ´Fortschritts´, von der akuten Gefahr der Selbstzerstörung der species Mensch durch ausbeutende oder gar durch militärische Vernichtung der natürlichen Daseinsgrundlagen; 3. Wirklichkeit und Wiederholungsmöglichkeit einer kollektiven und individuellen sittlichen Rebarbarisierung in einem für unvorstellbar gehaltenen Ausmaß: die Erfahrung der nationalsozialistischen Vernichtungslager und der menschenverachtenden Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges; 4. schließlich der in Deutschland nach 1945 nur mühsam und hindernisreich in Gang gekommene Prozeß einer aktivbürgerlich demokratischen Bewußtseinsbildung, mithin die Vorstellung, daß grundrechtlich geschützte Freiheit auch zur Hervorbringung eines auf Bürgeraktivität gegründeten demokratischen Staates genutzt werden kann und genutzt werden soll.“ 31 Staatliche Gewalt und Rechtsbindung durch Grundrechte: Menschenwürde CHARTA DER VEREINTEN NATIONEN (1945) Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können, den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern, [...] 32 Internationaler Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (1966, 1976) Die Vertragsstaaten dieses Paktes, In der Erwägung, daß nach den in der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Grundsätzen die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnenden Würde und der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet, In der Erkenntnis, daß sich diese Rechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde herleiten, In der Erkenntnis, daß nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Ideal vom freien Menschen, der bürgerliche und politische Freiheit genießt und frei von Furcht und Not lebt, nur verwirklicht werden kann, wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder seine bürgerlichen und politischen Rechte ebenso wie seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte genießen kann, In der Erwägung, daß die Charta der Vereinten Nationen die Staaten verpflichtet, die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern, [...] 33 Verfassung der Europäischen Union, Verfassungsvertrag vom 29. Oktober 2004, Teil II, Die Charta der Grundrechte der Union, Titel I, Art. II-61 – Menschliche Würde. In der Präambel heißt es: „In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität.“ In der „Erklärung betreffend die Erläuterungen zur Charta der Grundrechte“ heißt es hierzu: „Die Würde des Menschen ist nicht nur ein Grundrecht an sich, sondern bildet das eigentliche Fundament der Grundrechte. [...] In seinem Urteil vom 9. Oktober 2001 [...] bestätigte der Gerichtshof, dass das Grundrecht auf Menschenwürde Teil des Unionsrechts ist. Daraus ergibt sich insbesondere, dass keines der in dieser Charta festgelegten Rechte dazu verwendet werden darf, die Würde eines anderen Menschen zu verletzen, und dass die Würde des Menschen zum Wesensgehalt der in dieser Charta festgelegten Rechte gehört. Sie darf daher auch bei Einschränkungen eines Rechtes nicht angetastet werden.“ 34 In diesem Horizont des internationalen Rechts entfaltet das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland das Prinzip Menschenwürde als Basisnorm der Grundrechte. (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. 35 Der Satz über die ,Unantastbarkeit der Menschenwürde’ ist ein Gesellschaft und Staat bindender Rechtssatz. ,Menschenwürde’ ist die „Basisnorm für die nachfolgenden Grundrechte“. Erst im Rechtssatz wird die Würde – jenseits der Fronten des Streits über moralische Begründungen – zur letzten Grundlage von Ansprüchen, auf die wir als Individuen ein Recht haben und deren Schutz interindividuell und kollektiv, politisch, sozial und kulturell, als unbedingt garantiert werden muß. Das Würdeprinzip ist zwar für ethische Reflexion offen; die Würdenorm aber bleibt hiervon in ihrem Kern unberührt; sie ist durch die Wesensgehaltssperre des Art. 79 Abs. 3 GG geschützt. Die Unbedingtheit der Garantie schließt den staatlichen Zugriff auf die Rechtsnortm aus: „Würde ist Bedingung der Demokratie und daher ihrer Verfügung entzogen.“ ,Würde der menschlichen Person’ ist zu einem operationalen rechtlichen Begriff geworden, um zu bezeichnen, was im Menschen menschlich und deshalb schützenswert ist. Alles, was zur Entmenschlichung des Menschen führt, gilt als Beschädigung dieser Würde. Man kann also bilanzieren: das Prinzip der Menschenwürde fordert die Unbedingtheit der Garantie; zugleich ist ,Menschenwürde’ ein dynamischer Rechtsbegriff. [5] 36 Im demokratischen Rechtsstaat wissen die Bürger als Normadressaten, daß ihnen ihre Zustimmung zur Demokratie als gesellschaftlicher und staatlicher Ordnung nur unter einer bestimmten Bedingung abverlangt werden kann; diese Bedingung ist, daß die Rechts- und Staatsordnung bestimmte minimale Garantien der Würde gewährt: • • die Sicherheit des Lebens und die Freiheit von Existenzangst wird garantiert; tatsächliche Ungleichheit von Geschlecht, Rasse, Sprache, soziale Herkunft etc. sind kein Grund zu normativer Ungleichheit; • das selbstverantwortliche Individuum kann im Rahmen der Grundrechte der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der Gleichbehandlung verschiedener Glaubensüberzeugungen und religiöser und politischer Anschauungen, der Gewissens- und Religionsfreiheit und anderer Grundrechte frei handeln; • der Rechtsstaat schützt vor willkürlicher Gewaltanwendung; • die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrheit werden geachtet. 37 Staatsziele: GG Art. 20 (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. 38 Der Rechtsstaat (Aus: GG-Kommentar H. Dreier zu Art. 20) Die Idee der Herrschaft des Rechts im Verfassungsstaat Rn. 1: Der Rechtsstaat formuliert verfassungstheoretisch den Anspruch, politische und gesellschaftliche Macht im Gemeinwesen primär nach Maßgabe von Recht und Gerechtigkeit auszuüben, auch im Widerspruch zur politischen Opportunität der Macht. Rechtsstaatlichkeit prägt die Strukturen und die Ziele staatlichen Handelns, das nicht nur begrenzt, sondern auch gewährleistet wird. 39 Voraussetzungen und Kontexte des Rechtsstaats Rn. 17: Die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats, seiner Institutionen und Verfahren, setzt bestimmte tatsächliche personale Fähigkeiten und organisatorische Rahmenbedingungen in der gesellschaftlichen Infrastruktur voraus Die Gesamtheit dieser Bedingungen läßt sich unter die Begriffe der Rechts- oder Verfassungskultur [...] oder der Verfassungsvoraussetzungen einordnen. Dazu gehören etwa: eine funktionsfähige Behörden- und Gerichtsorganisation; ein leistungsfähiger Öffentlicher Dienst einschließlich der freien Berufe in der Rechtspflege; das Bewußtsein aller Amtswalter in Staatsorganen, um der Bürger willen dazusein; [...] das Ethos des Respekts vor dem Recht; eine Sozialisation in Familie, Gesellschaft und Schule, die private und öffentliche Verantwortung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und politisches und soziales Engagement in Vereinen, Kirchen oder politischen Parteien ale freiwillige und selbstverständliche Aufgaben annimmt; partnerschaftliche Toleranz im weltanschaulich-religiösen, politischen und sozialen Pluralismus; Verhandlungs- und Kompromißfähigkeit. Solche kulturellen Rechtsstaatsvoraussetzungen wachsen über Jahrzehnte und müssen von Generation zu Generation weitervermittelt und gewandelt werden; ohne sie könnten komplexe Gesellschaften und ihre politischen Institutionen ihr Entwicklungsniveau nicht halten. Der Rechtsstaat ist mithin weit mehr als ein »System rechtstechnischer Kunstgriffe zur Gewährleistung gesetzlicher Freiheit«: Seine Institutionen und Verfahren sind auf Menschen angewiesen, die die politische Kultur des Rechtsstaats leben. 40 Rn. 36: Der Rechtsstaat schützt seine Bürger durch die Gewährleistung elementarer Rechtlichkeit. Verfassungsrechtsdogmatisch umfaßt der grundgesetzliche Rechtsstaat die Gesamtheit der Regeln, Grundsätze und Prinzipien, die in Anknüpfung an internationale Traditionen wie in spezifisch deutscher Ausbildung im Grundgesetz normativen Niederschlag gefunden haben und als Ausprägung des Rechtsstaats gelten, indem sie staatliche Machtausübung rechtlich binden, organisieren und begrenzen. Der Rechtsstaat läßt sich deshalb nicht auf eine gewaltenteilige Organisation des Staates und das »Verteilungsprinzip« reduzieren, demzufolge die Freiheit des einzelnen prinzipiell unbegrenzt und die staatliche Macht durch den Rechtsstaat limitiert werde, weil der Staat nicht der Freiheit antinomisch vorgelagert ist, sondern im Rechtsstaat alles staatliche Handeln auch dem Bürger gegenüber von vornherein durch Recht konstituiert, maßgebend geregelt und angemessen abgestimmt wird. 41 Rn. 37: Zu nennen sind als Kernelemente vor allem die grundrechtlichen Freiheits- und Gleichheitsrechte um der Menschenwürde des einzelnen willen; die staatsorganisatorische Gewaltenteilung (Art.20 II GG), insbesondere die Unabhängigkeit neutraler Richter (Art. 92, 97 GG); die Herrschaft des demokratischen und ausreichend bestimmten Gesetzes unter Berücksichtigung der ungeschriebenen Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie die Rechtsgebundenheit von Verwaltung und Gerichten (Art.20 III GG) einschließlich der Rechtmäßigkeitsrestitution bzw. der Entschädigung bei staatlichen Eingriffen. Hinzu treten als Konkretisierungen und/oder Ergänzungen zumindest die Garantie umfassenden gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber Akten der öffentlichen Gewalt einschließlich wirksamen Rechtsschutzes für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten, das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) und auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG), die Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung und ihre verfassungsgerichtliche Kontrolle, vor allem bei Grundrechtsbeschränkungen am Maßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und bei der Lösung rechtsstaatlicher InSich-Konflikte, und die Orientierung staatlichen Handelns an der Idee materieller Gerechtigkeit. 42 Rechtsstaat und materielle Gerechtigkeit Rn. 48: Das Grundgesetz kodifiziert mit dem Rechtsstaatsprinzip grundlegende Gerechtigkeitspostulate der naturrechtlichen Verfassungstraditionen; sie verpflichten durch den Vorrang der Verfassung das gesamte Staatshandeln auf das Ziel materieller Gerechtigkeit als Rechtsprinzip und binden auch den verfassungsändernden Gesetzgeber (Art. 79 III). Alle maßgeblichen Gerechtigkeitsprinzipien sind im Grundgesetz konstitutionalisiert und i.S. eines »ethischen Minimums« u. a. in Art. 20 II, III GG verankert. Rn. 49: Der Begriff der Gerechtigkeit zielt auf ein offenes Prinzip, ohne Einfallstor für »beliebige« Gerechtigkeitsvorstellungen zu sein: Die materiellen Anforderungen müssen vielmehr aus der Verfassung abgeleitet werden, weil das Grundgesetz selbst zahlreiche Anknüpfungspunkte für Gerechtigkeitsvorstellungen enthält; man denke nur an den Gleichheitssatz (Art. 3 I GG), der einen allgemeinen Rechtsgrundsatz formuliert, der aus dem Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit folgte, oder an das Sozialstaatsprinzip als Gebot sozialer Gerechtigkeit. Vor allem ist es geboten, statt eines bloßen Vertrauens in den politischen Entscheidungsprozeß im Wege einer »Reformalisierung des Rechtsstaats« die materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen inhaltlich als Verfassungsprinzipien zu diskutieren, um ggf. Verfassungsmaßstäbe gegen eine Instrumentalisierung des Gerechtigkeitsprinzips durch Ideologien zu gewinnen. Zudem verlangt das Streben nach Gerechtigkeit, bei der Anwendung des Rechts die fallspezifischen Besonderheiten im Sinn einer angemessenen Einzelfallgerechtigkeit in Rechnung zu stellen. 43 Phasen der neuzeitlichen Staats- und Rechtstheorie Mittelalterliche Doktrin Weltliche Ordnung in Analogie zur göttlichen Ordnung: Gottesstaat Legitimation der weltlichen Ordnung, Kirche Staat Begründungsmerkmal der neuen Doktrinen: negative Anthropologie 1. Phase: Renaissance, 15.-16. Jh. (Machiavelli, Bodin u.a.): Krisen (Zersplitterung, Religionskriege, Bürgerkriege) sind Ursache der Legitimation absoluter souveräner Macht ohne rechtliche Kontrolle des Souveräns. Legitimitätsbegründung ohne Zurückführung auf Gott noch nicht möglich. 2. Phase: Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft/Vertragstheorien, 17. –18. Jh. (Hobbes, Locke, Montesquieu, Rousseau u.a.) Ausgang aus dem vorstaatlichen Naturzustand mittels Hypothese des Vertrags aller mit allen. Sicherheit durch absolute staatliche Souveränität (Hobbes) bzw. rechtliche Gestaltung der Herrschaft (Locke, Montesquieu): Völkerrecht, Staatsrecht, bürgerliches Recht. Entstehung der Idee der Gewaltenteilung und der Volkssouveränität. Repräsentative Ordnung (Locke) vs. direkte Volksherrschaft (Rousseau). 44 Begründungsmerkmal: Natur- und geschichtsphilosophische Idee des Fortschritts und der Perfektibilität der Menschengattung 3. Phase: Naturrechtliche Begründung der Menschen- und Grundrechte und Revolutionen, 18. Jh.: Virginia Bill, Amerikanische Unabhängigkeitserklärung, Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 4. Phase: Nachrevolutionäre Theorien der Begrenzung staatlicher Macht und der Definition des Staates als Rechtsstaat, 18. Jh.: W. v. Humboldts liberale Theorie der Grenzen des Staates, Kants Theorie universeller bürgerlicher Rechtsverhältnisse zwischen Individuen und zwischen Staaten. Begründungsmerkmal: Kritik der bürgerlichen Gesellschaft und metaphysische Rechtfertigung eines die Freiheit substantiell ermöglichenden Staates: 5. Phase: Kritik des Fortschritts- und Perfektibilitäts-Optimismus und metaphysische Begründungen von Recht und Staat, frühes 19. Jh.: Der Staat als Zweite Natur bzw. als Ausdruck des Absoluten und Kritik am Staat der bürgerlichen Gesellschaft (Schelling), die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft und der Staat als Explikation der sittlichen Idee (Hegel). Begründungsmerkmal: Kritik der politischen Ökonomie des Kapitalismus und revolutionäre Überwindung des Staates 6. Phase: Sozialistisch-kommunistische revolutionäre Kritik am feudalen Staat und am bürgerlich-gesellschaftlichen Rechtssystem 45 Der Gesellschaftsvertrag (Theorie des Kontraktualismus) ‘Gesellschaftsvertrag’ bezeichnet den (fiktiven) Akt, mit dem die Menschen eine feste Form des Zusammenlebens mit gegenseitigem Einverständnis geschaffen haben, um damit einer natürlichen Situation, die durch den Mangel an politischen Institutionen gekennzeichnet war (Naturzustand), ein Ende zu setzen. Entsprechend unterschiedlichen Traditionen der politischen Theorie ist zwischen Gesellschaftsvertrag (pactum societatis: der Pakt ist, mittels dessen sich eine Menge von Individuen vereinigt) und Herrschaftsvertrag/Unterwerfungsvertrag (pactum subjectionis oder dominationis: in dem die Gesellschaft eine höchste Autorität anerkennt und sich dieser unterwirft) zu unterscheiden. Einige Theorien unterstellen den Vertrag als wirkliche historische Tatsache (so Locke), andere aber – die Mehrzahl – unterstellen ihn als ein theoretisches Konstrukt, das geeignet ist, die Grundlage eines politischen Programms (Hobbes) oder die Beurteilungsgrundlage für die Gesetzmäßigkeit der bestehenden politischen Regierungen zu bilden (Rousseau, Kant). Vertragstheorien sind politikphilosophische Konzeptionen, die die „rationale Grundlage der institutionellen gesellschaftlichen Ordnung und die Legitimationsbedingungen politischer Herrschaft in einem hypothetischen, zwischen freien und gleichen Individuen in einem wohldefinierten Ausgangszustand geschlossenen Vertrag erblicken und damit die allgemeine Zustimmungsfähigkeit zum fundamentalen normativen Gültigkeitskriterium erklären. Vertragstheorien basieren wie die ihnen eng verwandten Konsenstheorien auf einem rechtfertigungstheoretischen Prozeduralismus.“ (W. Kersting) 46 Begründungsmerkmal: Natur- und geschichtsphilosophische Idee des Fortschritts und der Perfektibilität der Menschengattung 4. Phase: Nachrevolutionäre Theorien der Begrenzung staatlicher Macht und der Definition des Staates als Rechtsstaat, 18. Jh.: W. v. Humboldts liberale Theorie der Grenzen des Staates, Kants Theorie universeller bürgerlicher Rechtsverhältnisse zwischen Individuen und zwischen Staaten. 47 Grundrechte von Virginia vom 12. Juni 1776 Art. 1. Alle Menschen sind von Natur aus gleichermaßen frei und unabhängig und besitzen gewisse angeborene Rechte, deren sie, wenn sie den Status einer Gesellschaft annehmen, durch keine Abmachung ihre Nachkommenschaft berauben und entkleiden können, und zwar den Genuß des Lebens und der Freiheit und dazu die Möglichkeit, Eigentum zu erwerben und zu besitzen und Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen. 48 Die Unabhängigkeitserklärung der dreizehn Vereinigten Staaten von Amerika vom 4. Juli 1776 Wenn es im Zuge der menschlichen Geschichte für ein Volk notwendig wird, die politischen Bande zu lösen, die es mit einem anderen Volke verbunden haben, und unter den Mächten der Erde den selbstständigen und gleichen Rang einzunehmen, zu dem Naturrecht und göttliches Gesetz es berechtigen, so erfordert eine geziemende Rücksichtnahme auf die Meinung der Menschheit, dass es die Gründe darlegt, die es zur Trennung veranlassen. Folgende Wahrheiten halten wir für selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören; dass zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt werden, die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung der Regierten herleiten; dass, wann immer irgendeine Regierungsform sich als diesen Zielen abträglich erweist, es Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen und diese auf solchen Grundsätzen aufzubauen und ihre Gewalten in der Form zu organisieren, wie es ihm zur Gewährleistung seiner Sicherheit und seines Glückes geboten zu sein scheint. Gewiss gebietet die Weisheit, dass von alters her bestehende Regierungen nicht aus geringfügigen und vorübergehenden Anlässen geändert werden sollten; und demgemäß hat jede Erfahrung gezeigt, dass die Menschen eher geneigt sind zu dulden, solange die Missstände noch erträglich sind, als sich unter Beseitigung altgewohnter Formen Recht zu verschaffen. Aber wenn eine lange Reihe von Missbräuchen und Übergriffen [...] die Absicht erkennen lässt, sie absolutem Despotismus zu unterwerfen, so ist es ihr Recht und ihre Pflicht, eine solche Regierung zu beseitigen und neue Wächter für ihre künftige Sicherheit zu bestellen. 49 Weltbürgerrecht: Kant Das Recht ist [...] der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann. Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermannns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann. 50 Freiheit (Unabhängigkeit von eines Anderen nöthigender Willkür), sofern sie mit jedes Anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht. Die Staatsverfassung oder „bürgerliche Verfassung“, deren Begriff in § 45 der Rechtslehre angegeben wird, ist der Kernbegriff der öffentlichrechtlichen „bürgerlichen“ (politischen) Ordnung: Ein Staat (civitas) ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen. So fern diese als Gesetze a priori nothwendig, d.i. aus Begriffen des äußeren Rechts überhaupt von selbst folgend, (nicht statutarisch) sind, ist seine Form die Form eines Staats überhaupt, d.i. der Staat in der Idee, wie er nach reinen Rechtsprincipien sein soll, welche jeder wirklichen Vereinigung zu einem gemeinen Wesen (also im Inneren) zur Richtschnur (norma) dient. Die Verfassung ist „Republik“, wie der „erste Definitivartikel zum ewigen Frieden“ der gleichnamigen Schrift aus dem Jahre 1795 zeigt: Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein. Die erstlich nach Principien der Freiheit der Glieder einer Gesellschaft (als Menschen), zweitens nach Grundsätzen der Abhängigkeit aller von einer einzigen gemeinsamen Gesetzgebung (als Unterthanen) und drittens die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung – die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volks gegründet sein muß – ist die republikanische. Diese ist also, was das Recht betrifft, an sich selbst diejenige, welche allen Arten der bürgerlichen Constitution ursprünglich zum Grunde liegt; und nun ist nur die Frage: ob sie auch die einzige ist, die zum ewigen Frieden hinführen kann. [...] 51 Kants Völkerrechtstheorie ist systematisch integriert in eine umfassende rechtsphilosophische Konzeption. Sie richtet sich nach den drei möglichen Dimensionen rechtlich-politischer Beziehungen. Alle rechtliche Verfassung aber ist, was die Personen betrifft, die darin stehen, 1) die nach dem Staatsbürgerrecht der Menschen in einem Volke (ius civitatis), 2) nach dem Völkerrecht der Staaten in Verhältnis gegeneinander (ius gentium), 3) die nach dem Weltbürgerrecht, sofern Menschen und Staaten, in äußerem aufeinander einfließendem Verhältnis stehend, als Bürger eines allgemeinen Menschenstaats anzusehen sind (ius cosmopoliticum). Das Völkerrecht soll auf einen Föderalism freier Staaten gegründet sein. 52 Begründungsmerkmal: Kritik der bürgerlichen Gesellschaft und metaphysische Rechtfertigung eines die Freiheit substantiell ermöglichenden Staates: 5. Phase: Kritik des Fortschritts- und Perfektibilitäts-Optimismus und metaphysische Begründungen von Recht und Staat, frühes 19. Jh.: Der Staat als Zweite Natur bzw. als Ausdruck des Absoluten und Kritik am Staat der bürgerlichen Gesellschaft (Schelling), die Kritik der bürgerlichen Gesellschaft und der Staat als Explikation der sittlichen Idee (Hegel). 53 Verfassung „Verfassung“ bedeutet im modernen Verfassungsstaat seit der Nordamerikanischen und Französischen Revolution Verfassung im formellen Sinne. Sie besteht aus allgemeinen, historisch entstandenen und veränderbaren Normen. Demokratische Verfassungen regeln • im Interesse politischer Einheitsbildung • unter Bedingungen und Berücksichtigung der Pluralität, der Konkurrenz und des Dissenses von Bedürfnissen, Interessen und präferierter Werteinstellungen • als rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens und • als alle gleichermaßen verpflichtende Wertordnung • mit inhaltlicher Weite und Offenheit für Entwicklung • grundlegende Rechte und Pflichten mit Rechtssicherheit und • Verfahren ihrer Verwirklichung bzw. Durchsetzung. Die Verfassung begründet eine Normenhierarchie: • Verfassung • Einfaches Gesetz • Rechtsverordnung • Öffentlich-rechtliche Satzung Ein Gesetz, das mit der Verfassung, bzw. eine Rechtsverordnung, die mit einem Gesetz nicht vereinbar ist, kann grundsätzlich keinen Bestand haben. (Kollisionsprinzip) 54 Vorrang der Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit[1] Der Vorrang der Verfassung enthält nicht nur das formelle Kollisionsprinzip und seine Ausformung als entweder ursprüngliche Nichtigkeit oder spätere Vernichtbarkeit, sondern er drückt in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes mehr und Wichtigeres aus, nämlich die Verbindlichkeit, Maßgeblichkeit und Durchsetzbarkeit der Verfassung gegenüber dem einfachen Gesetzesrecht. Für das Grundgesetz ist der Zusammenhang zwischen materieller Überordnung der Verfassung und ihrer prozessualen Durchsetzung durch die Verfassungsgerichtsbarkeit konstitutiv: die Verfassung ist nicht nur die höchste Autorität, sondern sie ist der juristische Maßstab für eine Gerichtsbarkeit geworden. Damit ist nicht nur ein weiterer Adressat für die materiellen Regeln des Verfassungsrechts hinzugekommen, sondern damit ist die Verfassung in einer vorher unbekannten Weise in rechtlich-gerichtsförmige Zusammenhänge hineingestellt worden Das Verfassungsrecht wird durch die Verfassung effektuiert, zugleich wird der Rechtscharakter der Verfassung gesteigert [...] Die Einführung und Entfaltung einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit verankert und zentriert die Bedeutung der Verfassung vorwiegend im Rechtlichen und Gerichtsförmigen. Das Denken über die Verfassung muß in Rechnung stellen, daß alle Aussagen über die Bedeutung der Verfassung und über ihren Gehalt Aussagen über einen rechtlichen Maßstab in einer besonders sensiblen Gerichtsbarkeit sind. [...] 55 Als Maßstab eines Gerichtsverfahrens muß das Verfassungsrecht zum einen höchstmögliche Klarheit und Exaktheit über den Umfang und. die Abgrenzbarkeit der Verfassungsnormen erhalten. Der Maßstab muß von dem daran zu Messenden ausdrücklich unterschieden sein und gegenüber dem einfachen Gesetzesrecht unterscheidbar interpretiert werden. [...] Der Vorrang der Verfassung bedeutet den Nachrang des Gesetzes. Dies wiederum heißt zugleich Nachrang des Gesetzgebers [...] gegenüber der Instanz, die die Verfassung verbindlich auslegt. Rainer Wahl, in: ders. Verfassungsstaat, Europäisierung, Internationalisierung, Frankfurt/M. 2003, 122 f. 56 Es ist der Staat, dem in höchster Instanz die Verfügung über das normative Steuerungsinstrument (die ‘Kompetenzenhoheit’) zugeschrieben wird. Die Normenbefolgung und die Akzeptanz einer solchen „höchstrangigen Regelungsmacht“ hängt wesentlich ab • • • von der Legitimität des Staates, der ‘Richtigkeit’ des Rechts, der Homogenität des Rechts. Diese drei Momente müssen • • in der Verfassung ihren Niederschlag gefunden haben und in einem für allgemeine Zustimmung hinreichenden Maße auch als gesellschaftliche Wirklichkeit erfahren werden können. 57 Pluralismus, Relativismus und Rechtsstaat Gustav Radbruch hat in Der Relativismus in der Rechtsphilosophie geltend gemacht, die Verfassung müsse „im Dienste der sozialen Ordnung und der Rechtssicherheit“ stehen und die Kraft entfalten, „den Kampf der Überzeugungen“ in Formen der Koexistenz konkurrierender Einstellungen und Interessen überführen zu können, in denen sich die Individuen wechselseitig ihre Grundrechte und die aus ihnen ableitbaren Rechte gewähren. Es ist gerade die mit dem faktischen Pluralismus verbundene Relativität der Interessen, die eine rechtsstaatliche Ordnung erforderlich macht: Relativität der Interessen und Interessendurchsetzung in Relation zum Recht. Die rechtsstaatliche Ordnung kann – so Radbruch – die Sicherheitsaufgabe nur unter der Voraussetzung erfüllen, daß [sie] nicht allein die Rechtsunterworfenen verpflichte, sondern auch den Gesetzgeber selbst. [...] Die Gesetzgebung ist dem Gesetzgeber anvertraut nur unter der Bedingung, daß er sich selbst der Herrschaft des Gesetzes unterwerfe. Ein Staat, der sich seinem eigenen Gesetz unterworfen weiß, heißt [...] Rechtsstaat. Der Relativismus fordert den Rechtsstaat.“ 58 Verfassung: Die semantische und strukturelle Offenheit der Grundrechtsbestimmungen Das im Staat geltende Rechtssystem hat „den Charakter eines durch die Verfassung inhaltlich determinierten Rechtssystems“. Die sich hieraus ergebende Problematik sieht R. Alexy in der „Art der inhaltlichen Determination. Die inhaltliche Determination wäre eine recht unproblematische Sache, wenn stets feststünde, was aufgrund der Grundrechtsnormen gesollt ist. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Grund hierfür liegt nicht nur in der semantischen und strukturellen Offenheit der Grundrechtsbestimmungen, sondern wesentlich auch im Prinzipiencharakter der Grundrechtsnormen. Ihr Prinzipiencharakter impliziert die Notwendigkeit von Abwägungen. Das Verfahren der Abwägung ist zwar [...] ein rationales Verfahren, es ist aber kein Verfahren, das in jedem Fall zu genau einer Lösung führt. Welche Lösung nach einer Abwägung für richtig gehalten wird, hängt von Wertungen ab, die durch das Verfahren der Abwägung selbst nicht kontrollierbar sind. In diesem Sinne ist die Abwägung ein offenes Verfahren. Die Offenheit der Abwägung aber führt zu einer Offenheit des inhaltlich durch Grundrechtsnormen determinierten Rechtssystems.“ 59 Darüber hinaus bedeutet die „Geltung der Grundrechtsnormen [...], daß das Rechtssystem ein gegenüber der Moral offenes System ist. Am deutlichsten wird dies bei den materialen grundrechtlichen Grundbegriffen, den Begriffen der Würde, der Freiheit und der Gleichheit. Diese Begriffe sind zugleich Grundbegriffe der praktischen Philosophie. Mit ihnen sind die wichtigsten Prinzipien des neuzeitlichen Vernunftrechts in die Verfassung und damit ins positive Recht inkorporiert. Die Präzisierung dieser Prinzipien und die Abwägung zwischen ihnen führt zu Problemen der Gerechtigkeit. [...] Wenn das Bundesverfassungsgericht sagt, daß der Verfassungsgeber bemüht war, ‘im Grundgesetz die Idee der Gerechtigkeit zu verwirklichen’, dann ist dies vor allem auf die grundrechtlichen Prinzipien zu beziehen. Das Ausstrahlen der Grundrechte als positives Recht auf alle Bereiche des Rechtssysterns schließt also ein positiv-rechtlich gefordertes Ausstrahlen der Idee der Gerechtigkeit auf alle Bereiche des Rechts ein.“ 60 Rechtskultur Erst unter dieser Bedingung entsteht die „Integrität einer Rechtskultur“. Sie „besteht darin, daß Verfassungsbestimmungen, Gesetze und Einzelfallentscheidungen, die für richtig gehalten werden, sich mit allgemeinen Prinzipien und Zielsetzungen in eine allgemeine politische Theorie einfügen lassen. Dies ist dann der Rechtfertigungszusammenhang von Rechtsnormen. Die Integrität einer Rechtskultur ist die regulative Idee, die jede Setzung und Anwendung von Recht anzustreben hat.“ (G. Mohr) Sie geht – so J. Habermas – „aus einem der Verfassungswirklichkeit eingeschriebenen normativen Selbstverständnis rechtsstaatlicher Ordnungen hervor“. Sie muß unter Pluralismus-Bedingungen interpretiert werden, und zwar mit dem Ziel, daß die „durch den Gründungsakt der Verfassung bezeugte Verpflichtung der Bürger“ berücksichtigt wird, „die Integrität ihres Zusammenlebens dadurch zu wahren, daß sie sich an Prinzipien der Gerechtigkeit orientieren und einander als Mitglieder einer Assoziation von Freien und Gleichen achten.“ 61 Bestimmungen dessen, was ‘gerecht’ oder ‘rechtens’ ist, sind mit dem Problem der ‘Faktizität des Pluralismus’ konfrontiert. J. Habermas formuliert dies so: „In einer pluralistischen Gesellschaft wird die Theorie der Gerechtigkeit nur dann auf Akzeptanz rechnen dürfen, wenn sie sich auf eine Konzeption beschränkt, die im strikten Sinne nachmetaphysisch ist, nämlich vermeidet, im Streit konkurrierender Lebensformen und Weltanschauungen Partei zu ergreifen. Auch der öffentliche Gebrauch der Vernunft führt in vielen theoretischen, erst recht in praktischen Fragen nicht zu dem angestrebten rational motivierten Einverständnis. [...] Nun muß eine auf moderne Lebensverhältnisse zugeschnittene Theorie der Gerechtigkeit mit einer Mannigfaltigkeit gleichberechtigt koexistierender Lebensformen und Lebenspläne rechnen; über diese wird aus der Perspektive verschiedener Traditionen und Lebensgeschichten vernünftigerweise Dissens bestehen. Sie muß sich deshalb auf den engen Kreis jener politisch-moralischen Grundsatzfragen beschränken, in denen ein ‘überlappender Konsens’ vernünftigerweise erwartet werden darf; dies sind nämlich genau die Fragen, die weltanschaulich neutrale und allgemein akzeptable Werte betreffen. Gesucht werden Grundsätze oder Normen, die verallgemeinerungsfähige Interessen verkörpern.“ 62 Unter Bedingungen, unter denen das Rechtsbewußtsein und die Anerkennung von Rechtsnormen schwindet, weil der Wert der Gerechtigkeit nicht mehr gesehen und Gerechtigkeit in der Gesellschaft immer weniger erlebt wird, kommt es darauf an, den Relativismus zu relativieren: Der mit der Freiheit und dem Pluralismus verbundene Relativismus kann nicht absolut, sondern nur relativ sein. Dies bedeutet, die Beziehungen zwischen den Individuen so zu regeln, daß der Dissens verträglich ist mit gleichen Freiheitsansprüchen und Rechten aller. Die Verträglichkeit wird hergestellt durch rechtliches Sollen, d.h. durch Normen, die mit Sanktionen bewehrt sind. Pluralismus und Relativismus sind insofern keine Bedingungen, die aufzuheben wären, sondern Bedingungen, unter denen die rechtliche Ordnung ermöglicht werden muß – und ermöglicht werden kann. 63 Entwicklungen vom Ersten Weltkrieg bis zu den Vereinten Nationen Lektüre-Empfehlung: Norman Paech/ Gerhard Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen. Ein Studienbuch, Hamburg 2001. Wichtige Dokumente: www.unesco-phil.uni-bremen.de Das 14-Punkte-Programm: Grundzüge einer Friedensordnung für das vom 1. Weltkrieg erschütterte Europa, die Präsident Woodrow Wilson am 8 Januar 1918 in einer programmatischen Rede vor beiden Häusern des US-Kongresses umriss. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. Öffentliche Friedensverträge und Abschaffung der Geheimdiplomatie Vollkommene Freiheit der Seeschifffahrt Aufhebung sämtlicher Wirtschaftsschranken Rüstungsabbau (soweit verantwortlich) Schlichtung aller kolonialen Ansprüche Souveränität Russlands, sowie seine Anerkennung als vollwertiger Staat Belgien muss geräumt & wiederhergestellt werden alle französischen Gebiete sollen geräumt & wiederhergestellt werden, Rückgabe von Elsass-Lothringen Italienische Grenzziehung nach dem Nationalitätenprinzip Autonomie der Völker der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, keine Unterdrückung mehr Wiederherstellung Rumäniens, Montenegros und Serbiens, das einen Zugang zum Meer erhalten solle (politische / wirtschaftliche Unabhängigkeit) Autonomie der osmanischen Völker (jedoch ohne Unterdrückung der Minderheiten), Durchfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus Errichtung eines polnischen Staats, unabhängig von Deutschland oder Russland mit Zugang zum Meer Gründung einer „allgemeinen Gesellschaft der Nationen“ zur friedlichen Regelung 64 von Streitigkeiten (Grundlage für den Völkerbund) Der Völkerbund Internationale Staaten-Organisation mit Sitz in Genf. Er nahm am 10. Januar 1920 seine Arbeit auf, um den Frieden dauerhaft zu sichern; er wurde 1946 wieder aufgelöst. Da der US-Senat die Ratifizierung des Versailler Vertrages ablehnte, waren die Vereinigten Staaten nie Mitglied des Völkerbundes. Dies geschah, da sich der Senat in seiner Autorität von Woodrow Wilson übergangen fühlte, der die Ratifizierung der Satzung des Völkerbundes eigenmächtig (ohne vorherige Rücksprache mit dem Senat) vorantrieb. Die Weimarer Republik wurde erst am 10. September 1926 Mitglied des Völkerbundes und trat am 14. Oktober 1933 unter dem NS-Regime wieder aus. Anfangs hatte der Völkerbund einige Erfolge bei der Lösung kleiner Konflikte. Die großen Streitfälle wie der Ruhrkonflikt, der Spanische Bürgerkrieg und die Sudentenkrise wurden außerhalb des Völkerbundes ausgetragen. Eine Vorreiterrolle spielte er aber bei der Entkolonialisierung, der Hungerbekämpfung und der Betreuung von Flüchtlingen. Umstritten war das Nichteingreifen des Völkerbundes beim japanischen Angriff auf China im Jahre 1931. Endgültig demonstrierte er 1935 seine Machtlosigkeit beim italienischen Angriff auf Abessinien: Obwohl der Bund als stärkste Maßnahme Sanktionen verhängte, blieben diese wirkungslos; sowohl die USA (Öl) als auch das Deutsche Reich (Kohle) belieferten Italien weiterhin. Die Sowjetunion, seit 1934 Mitglied, wurde 1939 wegen des Angriffs auf Finnland wieder ausgeschlossen. 65 Briand-Kellogg-Pakt (auch Kellogg-Pakt oder Pariser Vertrag): Kriegsächtungs-Pakt, der am 27. August 1928 von zunächst 11 Nationen unterzeichnet wurde und seinen Namen vom US-Außenminister Frank Billings Kellogg und dem französischen Außenminister Aristide Briand bekam. Die 11 Erstunterzeichner waren die USA, Australien, Kanada, die Tschechoslowakei, Deutschland, Großbritannien, Indien, der Freistaat Irland, Italien, Neuseeland und Südafrika. Vier weitere Staaten unterzeichneten den Vertrag noch vor der Proklamation: Polen, Belgien und Frankreich im März 1929 und Japan im April. Am 24. Juli 1929 trat der Vertrag in Kraft. Bis Ende 1929 ratifizierten noch 40 weitere Staaten den Kellogg-Pakt, letztlich wurde er von insgesamt 62 Nationen unterzeichnet. Die unterzeichnenden Staaten verzichteten darauf, den Krieg zum Werkzeug ihrer Politik zu machen. Sie erklärten, in Zukunft Streitigkeiten friedlich zu lösen. Insbesondere der aus nationalen Interessen geführte Angriffskrieg wurde für völkerrechtswidrig erklärt. Davon ausgenommen blieb das Recht auf Selbstverteidigung und die Teilnahme an Sanktionen des Völkerbundes. Da der Vertrag außerhalb des institutionalisierten Völkerbundes verhandelt und abgeschlossen wurde, behielt er seine Gültigkeit über das Ende des Völkerbundes hinaus. 66 [Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Die Kinder von Bjelaja-Zerkow] Bald sprach sich die Lage der Kinder unter den im Ort stationierten Soldaten herum. Am Nachmittag des 20. August saßen der katholische Kriegspfarrer Ernst Tewes und sein evangelischer Kollege Gerhard Wilczek im Offizierskasino beim Mittagessen. Ein völlig verstörter Unterolfizicr informierte die beiden Geistlichen über das Schicksal der jüdischen Kinder und bat, Abhilfe zu schaffen. Das fragliche Gebäude wurde begutachtet, der katholische Divisionspfarrer erstattete auf dem Dienstweg folgenden Bericht darüber: »Wir fanden in zwei Räumen etwa 90... Kinder im Alter von wenigen Monaten bis zu 5, 6 oder 7-Jahren. ... Die beiden Räume, in denen die Kinder untergebracht waren, waren in schmutzigstem Zustand. Die Kinder lagen oder saßen auf dem Boden, der von ihren Ausscheidungen bedeckt war. Fliegen saßen zum großen Teil auf den teilweise nur halb bekleideten Kindern an Beinen und Unterleib. Einige größere Kinder (2, 3, 4 Jahre) kratzten den Mörtel von der Wand und aßen ihn. Die Luft war abscheulich verpestet, die kleinen Kinder, besonders die, die erst einige Monate alt waren, weinten und wimmerten dauernd.« Weiter wurde ihm berichtet, dass dies Kinder bereits erschossener Juden und Jüdinnen seien, die jetzt nur noch auf die eigene Erschießung warten würden. Entsetzt über die Tatsache, dass Kinder ermordet werden sollten, ergriff der 1. Generalstabsoffzier, Oberstleutnant Helmuth Groscurth, die Initiative. Umgehend wandte er sich an seinen Vorgesetzten, Feldmarschall von Reichenau. Der für den Ort zuständige Feldkommandant hatte vorher erklärt, dass er die »Ausrottung der jüdischen Frauen und Kinder für dringend erforderlich halte, gleichgültig, in welcher Form diese erfolge«. Groscurths Hoffnung, die Kinder doch noch retten zu können, wurde jedoch schnell zunichte gemacht. Reichenau, ein Karrierist des »Dritten Reiches«, antwortete Groscurth und ordnete an: »Grundsätzlich habe ich entschieden, dass die einmal begonnene Aktion in zweckmäßiger Weise durchzuführen ist.« Und dann wetterte der deutsche Feldmarschall gegen den Oberstleutnant, der geschrieben hatte, dass diese »Maßnahmen gegen Frauen und Kinder« sich in nichts von den »Gräueln des Gegners« unterschieden, die »fortlaufend der Truppe bekanntgegeben werden«: »Ich muss diese Feststellung als unrichtig und in höchstem Maße ungehörig und unzweckmäßig bezeichnen. Sie steht zudem in einem offenen Schreiben, das durch viele Hände geht. Der Bericht wäre überhaupt besser unterblieben.« So viel zur Moral des Feldmarschalls von Reichenau. Der Oberbefehlshaber der 6. Armee billigte und befahl die Ermordung jüdischer Kinder. Aus: G. Knopp, Holokaust, München 2001, S. 78-79. 67 Atlantik-Charta vom 14. August 1941 Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und der Premierminister Churchill, der die Regierung Seiner Majestät im Vereinigten Königreich vertritt, sind zusammengetroffen und halten es für richtig, gewisse Grundsätze der nationalen Politik ihrer Länder bekanntzugeben, auf die sie die Hoffnung für eine bessere Zukunft der Welt gründen. •Ihre Länder streben keine Bereicherung an, weder in territorialer noch in anderer Hinsicht. •Sie wünschen keine territorialen Veränderungen, die nicht im Einklang mit dem Willen der betreffenden Völker stehen. •Sie achten das Recht sämtlicher Völker, jene Regierungsform zu wählen, unter der sie leben wollen. Sie wünschen, dass die Souveränität und die Eigen-Verwaltung jenen zurückgegeben werden, denen sie gewaltsam entrissen wurden. •Sie sind bestrebt, mit Rücksicht auf bestehende Verpflichtungen dahin zu wirken, dass alle Staaten, ob groß oder klein, ob Sieger oder Besiegte, gleichermaßen Zutritt zum Handel und zu den Rohstoffen der Welt erhalten, um zu wirtschaftlichem Wohlstand zu gelangen. •Sie erstreben die größtmögliche wirtschaftliche Zusammenarbeit aller Völker mit dem Ziele, allen Menschen bessere Arbeitsbedingungen, wirtschaftlichen Aufstieg und soziale Sicherheit zu bieten. 68 •Nach der endgültigen Zerstörung der Nazi-Herrschaft erhoffen sie die Gestaltung eines Friedens, der es allen Völkern ermöglicht, innerhalb ihrer Grenzen in Frieden zu leben und der allen Menschen in allen Ländern ein Leben frei von Not gewährleistet. •Dieser Friede soll es allen Menschen ermöglichen, ohne Hindernisse die Meere und Ozeane zu bereisen. •Sie hegen die Überzeugung, dass alle Völker dieser Welt aus ethischen und praktischen Gründen zum Verzicht auf Gewaltanwendung gelangen müssen. Der künftige Friede kann nicht erhalten werden, wenn die Rüstung zu Lande, zu Wasser und in der Luft durch Nationen weitergeführt wird, die mit Angriffen über ihre Grenzen hinaus drohen oder zu drohen bereit sind, daher glauben sie, dass die Abrüstung dieser Nationen nötig ist, solange nicht ein umfassendes und dauerhaftes System allgemeiner Sicherheit besteht. Sie werden in gleicher Weise alle anderen praktischen Maßnahmen fördern und ermutigen, den friedliebenden Völkern die erdrückenden Rüstungslasten zu erleichtern. 69 Die Konferenz von Jalta Auf Einladung des sowjetischen Staatschefs trafen sich vom 4. bis zum 11. Februar 1945 Josef W. Stalin, Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill im Seebad Jalta auf der Halbinsel Krim, um sich über das militärisch-politische Vorgehen in der Schlußphase des Zweiten Weltkriegs zu verständigen. Im Mittelpunkt der Beratungen standen die Behandlung des Deutschen Reichs und der von ihm besetzten Gebiete nach dessen Niederlage sowie die vor allem von den USA angestrebte Gründung der United Nations Organisation (UNO). 70 Aus dem offiziellen Bericht über die Jalta-Konferenz: „9. Einigkeit im Frieden wie im Kriege Unsere Zusammenkunft hier in der Krim hat unseren gemeinsamen Entschluß von neuem bestätigt, die Einheitlichkeit der Zielsetzung und des Vorgehens, welche den Vereinten Nationen den Sieg in diesem Krieg ermöglicht und gesichert hat, im kommenden Frieden aufrechtzuerhalten und zu stärken. Wir glauben, daß dies eine heilige Pflicht ist, deren Erfüllung unsere Regierungen ihren eigenen Völkern sowie den Völkern der Welt schulden. Nur durch fortlaufende und wachsende Zusammenarbeit und Verständigung unter unseren drei Ländern und unter allen friedliebenden Nationen können die höchsten Bestrebungen der Menschheit verwirklicht werden, nämlich ein sicherer und dauerhafter Frieden, der, in den Worten der Atlantik-Charta, "Gewähr dafür bietet, daß alle Menschen in allen Ländern ihr Leben frei von Furcht und Not verbringen können". Wir sind der Ansicht, daß der Sieg in diesem Kriege und die Gründung der vorgeschlagenen internationalen Organisation die größte Gelegenheit in der Geschichte bieten wird, in den kommenden Jahren die für einen solchen Frieden wesentlichen Voraussetzungen zu schaffen. 71 Londoner Viermächte-Abkommen vom 8. August 1945 Während der Konferenz von San Francisco, Anfang Mai 1945, führten diplomatische Vertreter Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten Besprechungen über die Errichtung eines Internationalen Militärgerichtshofes zur Aburteilung der europäischen Kriegsverbrecher. In den Vereinigten Staaten wurde der Richter am Obersten Bundesgericht, Robert H. Jackson, am 2. Mai 1945 beauftragt, verbindliche Verhandlungen über die in Aussicht genommenen Verfahren zu führen. Am 26. Juni trat in London eine von den vier Besatzungsmächten beschickte Konferenz (International Conference on Military Trials) zusammen, die am 8. August 1945 das »Abkommen über die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse« unterzeichnete, in das ein »Statut für den internationalen Militärgerichtshof« eingeschlossen war. 72 Statut für den Internationalen Militärgerichtshof Die folgenden Handlungen, oder jede einzelne von ihnen, stellen Verbrechen dar, für deren Aburteilung der Gerichtshof zuständig ist. Der Täter solcher Verbrechen ist persönlich verantwortlich: (a) VERBRECHEN GEGEN DEN FRIEDEN: Nämlich: Planen, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen oder Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen; (b) KRIEGSVERBRECHEN: Nämlich: Verletzungen der Kriegsgesetze oder -gebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne jedoch darauf beschränkt zu sein, Mord, Mißhandlungen, oder Deportation zur Sklavenarbeit oder für irgendeinen anderen Zweck, von Angehörigen der Zivilbevölkerung von oder in besetzten Gebieten, Mord oder Mißhandlungen von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher See, Töten von Geiseln, Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums, die mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung; 73 (c) VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICHKEIT: Nämlich: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges2, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde, oder nicht. Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die am Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendeiner Person in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind. Der erste Nürnberger Prozess: Mit Anklageschrift vom 6. Oktober 1945 erhoben die 4 Hauptankläger Jackson (USA), de Menthon (Frankreich), Rudenko (UdSSR) und Shawcross (Großbritannien) Anklage gegen 24 Personen. Auch gegen sechs Gruppen und Organisationen, nämlich gegen Reichskabinett, Führerkorps der NSDAP, SS und SD, SA, Gestapo und Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht, wurde Anklage erhoben. 74 An 218 Tagen wurde verhandelt. Das Sitzungsprotokoll umfaßt 4 Millionen Wörter und füllte 16000 Seiten. Von der Anklage wurden 2360 Beweisdokumente vorgelegt, von der Verteidigung 2700. Das Gericht hörte 240 Zeugen und prüfte 300.000 eidesstattliche Erklärungen. 27 Hauptverteidiger traten auf, unterstützt von 54 Assistenten und 67 Sekretärinnen. Am 30. September 1946 wurde das Urteil verkündet; in diesem wurden die Angeklagten nach den vier Gesichtspunkten der Anklageschrift als schuldig oder nichtschuldig klassifiziert. Zum Tode durch den Strang wurden 12 Angeklagte verurteilt, zu lebenslänglicher Haft 2 und zu Freiheitsstrafen zwischen 10 und 20 Jahren 4 Angeklagte; 3 Angeklagte wurden freigesprochen. Durch Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 ermächtigten die Gouverneure der vier Besatzungszonen die Besatzungsbehörden, zur Aburteilung von Kriegsverbrechern »geeignete Gerichtshöfe« zu schaffen. In der amerikanischen Zone wurden in Nürnberg zwölf weitere, auch Nürnberger Nachfolgeprozesse genannte, Verfahren durchgeführt. 75 Internationaler Militärgerichtshof für den Fernen Osten In Tokyo wurden am 29. April 1946 führende Personen aus der Kaiserlichen Armee angeklagt. Die Verhandlungen begannen am 3. Mai 1946, die Urteilsverkündung erfolgte am 12. November 1948. Die Anklagepunkte 1. Verschwörung gegen den Weltfrieden (Klagegründe 1 bis 36) 2. Mord (Klagegründe 37 bis 52) 3. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Klagegründe 53 bis 55). Es wurde 7x die Todesstrafe und 16x eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt, u.a. gegen mehrere japanische Ministerpräsidenten. 76 Die Vereinten Nationen 1945 Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 WIR, DIE VÖLKER DER VEREINTEN NATIONEN - FEST ENTSCHLOSSEN, Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können, den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern, UND FÜR DIESE ZWECKE Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben,unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, daß Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, undinternationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern HABEN BESCHLOSSEN, IN UNSEREM BEMÜHEN UM DIE ERREICHUNG DIESER ZIELE ZUSAMMENZUWIRKEN. Die Charta als völkerrechtlicher Vertrag bindet alle Mitglieder aufgrund der entsprechenden Bestimmungen des Völkerrechts. 77 Ziele und Grundsätze Kapitel 1 Artikel 1 Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele: 1. den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen; 2. freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen; 3. eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen; 4. ein Mittelpunkt zu sein, in dem die Bemühungen der Nationen zur Verwirklichung dieser gemeinsamen Ziele aufeinander abgestimmt werden. 78 Artikel 2 Die Organisation und ihre Mitglieder handeln im Verfolg der in Artikel 1 dargelegten Ziele nach folgenden Grundsätzen: 1.Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder. 2.Alle Mitglieder erfüllen, um ihnen allen die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Rechte und Vorteile zu sichern, nach Treu und Glauben die Verpflichtungen, die sie mit dieser Charta übernehmen. 3.Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, daß der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. 4.Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt. 5.Alle Mitglieder leisten den Vereinten Nationen jeglichen Beistand bei jeder Maßnahme, welche die Organisation im Einklang mit dieser Charta ergreift; sie leisten einem Staat, gegen den die Organisation Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen ergreift, keinen Beistand. 6.Die Organisation trägt dafür Sorge, daß Staaten, die nicht Mitglieder der Vereinten Nationen sind, insoweit nach diesen Grundsätzen handeln, als dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist. 7.Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden; die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel II wird durch diesen Grundsatz nicht berührt. 79 Kapitel V Der Sicherheitsrat Zusammensetzung A r t i k e l 23 (1) Der Sicherheitsrat besteht aus fünfzehn Mitgliedern der Vereinten Nationen. Die Republik China, Frankreich, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie die Vereinigten Staaten von Amerika sind ständige Mitglieder des Sicherheitsrats. Die Generalversammlung wählt zehn weitere Mitglieder der Vereinten Nationen zu nichtständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats; hierbei sind folgende Gesichtspunkte besonders zu berücksichtigen: in erster Linie der Beitrag von Mitgliedern der Vereinten Nationen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und zur Verwirklichung der sonstigen Ziele der Organisation sowie ferner eine angemessene geographische Verteilung der Sitze. (2) Die nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats werden für zwei Jahre gewählt. Bei der ersten Wahl der nichtständigen Mitglieder, die nach Erhöhung der Zahl der Ratsmitglieder von elf auf fünfzehn stattfindet, werden zwei der vier zusätzlichen Mitglieder für ein Jahr gewählt. Ausscheidende Mitglieder können nicht unmittelbar wiedergewählt werden. (3) Jedes Mitglied des Sicherheitsrats hat in diesem einen Vertreter. 80 Aufgaben und Befugnisse A r t i k e l 24 (1) Um ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen zu gewährleisten, übertragen ihre Mitglieder dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit und erkennen an, daß der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung der sich aus dieser Verantwortung ergebenden Pflichten in ihrem Namen handelt. (2) Bei der Erfüllung dieser Pflichten handelt der Sicherheitsrat im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Die ihm hierfür eingeräumten besonderen Befugnisse sind in den Kapiteln VI, VII, VIII und XII aufgeführt. (3) Der Sicherheitsrat legt der Generalversammlung Jahresberichte und erforderlichenfalls Sonderberichte zur Prüfung vor. Abstimmung A r t i k e l 27 (1) Jedes Mitglied des Sicherheitsrats hat eine Stimme. (2) Beschlüsse des Sicherheitsrats über Verfahrensfragen bedürfen der Zustimmung von neun Mitgliedern. (3) Beschlüsse des Sicherheitsrats über alle sonstigen Fragen bedürfen der Zustimmung von neun Mitgliedern einschließlich sämtlicher ständigen Mitglieder, jedoch mit der Maßgabe, daß sich bei Beschlüssen auf Grund des Kapitels VI und des Artikels 52 Absatz 3 die Streitparteien der Stimme enthalten. 81 Kapitel VI Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten A r t i k e l 33 (1) Die Parteien einer Streitigkeit, deren Fortdauer geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden, bemühen sich zunächst um eine Beilegung durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl. (2) Der Sicherheitsrat fordert die Parteien auf, wenn er dies für notwendig hält, ihre Streitigkeit durch solche Mittel beizulegen. A r t i k e l 34 Der Sicherheitsrat kann jede Streitigkeit sowie jede Situation, die zu internationalen Reibungen führen oder eine Streitigkeit hervorrufen könnte, untersuchen, um festzustellen, ob die Fortdauer der Streitigkeit oder der Situation die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit gefährden könnte. 82 Kapitel VII Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen A r t i k e l 39 Der Sicherheitsrat stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der Artikel 41 und 42 zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen. A r t i k e l 41 Der Sicherheitsrat kann beschließen, welche Maßnahmen - unter Ausschluß von Waffengewalt - zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen; er kann die Mitglieder der Vereinten Nationen auffordern, diese Maßnahmen durchzuführen. Sie können die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen einschließen. A r t i k e l 42 Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, daß die in Artikel 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen. 83 A r t i k e l 43 (1) Alle Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichten sich, zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dadurch beizutragen, daß sie nach Maßgabe eines oder mehrerer Sonderabkommen dem Sicherheitsrat auf sein Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung stellen, Beistand leisten und Erleichterungen einschließlich des Durchmarschrechts gewähren, soweit dies zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich ist. [...] A r t i k e l 50 Ergreift der Sicherheitsrat gegen einen Staat Vorbeugungs- oder Zwangsmaßnahmen, so kann jeder andere Staat, ob Mitglied der Vereinten Nationen oder nicht, den die Durchführung dieser Maßnahmen vor besondere wirtschaftliche Probleme stellt, den Sicherheitsrat zwecks Lösung dieser Probleme konsultieren. A r t i k e l 51 Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat. Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält. 84 Der Internationale Gerichtshof in Den Haag: 1946 gegründet, er arbeitet unter der Charta der Vereinten Nationen als „Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen“ (Art. 92). Der Gerichtshof ging aus dem von 1922 bis 1946 bestehenden Ständigen Internationalen Gerichtshof hervor, dem der Ständige Schiedshof (Permanent Court of Arbitration) vorausging, der am 6. Februar 1900 in Den Haag aufgrund der Haager Friedenskonferenz von 1899 eingerichtet wurde. Seine Funktionsweise und Zuständigkeit sind in der UN-Charta und im IGH-Statut] geregelt. Parteien vor dem IGH können nur Staaten sein. Zugang zum Gericht haben nur Vertragsstaaten des IGH-Status. Dies sind zum einen gemäß Art. 93 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen alle UN-Mitglieder und zum anderen solche Staaten, die kein Mitglied der UN sind, aber das Statut ratifiziert haben. 85 1948 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes 1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Art. 1 Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. Art. 2 Jeder Mensch hat auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung, wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum oder sonstigen Umständen. [...] 1952 Konvention über die politischen Rechte der Frau 1953 Übereinkommen betreffend die Sklaverei 1965 Internationale Konvention über die Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung 1966 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 86 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Vom 19. Dezember 1966 Artikel 6 (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht auf Arbeit an, welches das Recht jedes einzelnen auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen, umfaßt, und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz dieses Rechts. (2) Die von einem Vertragsstaat zur vollen Verwirklichung dieses Rechts zu unternehmenden Schritte umfassen fachliche und berufliche Beratung und Ausbildungsprogramrne sowie die Festlegung von Grundsätzen und Verfahren zur Erzielung einer stetigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung und einer produktiven Vollbeschäftigung unter Bedingungen, welche die politischen und wirtschaftlichen Grundfreiheiten des einzelnen schützen. Artikel 7 Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen an, durch die insbesondere gewährleistet wird a) ein Arbeitsentgelt, das allen Arbeitnehmern mindestens sichert i) angemessenen Lohn und gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit ohne Unterschied; insbesondere wird gewährleistet, daß Frauen keine ungünstigeren Arbeitsbedingungen als Männer haben und daß sie für gleiche Arbeit gleiches Entgelt erhalten, ii) einen angemessenen Lebensunterhalt für sie und ihre Familien in Übereinstimmung mit diesem Pakt; b) sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, c) gleiche Möglichkeiten für jedermann, in seiner beruflichen Tätigkeit entsprechend aufzusteigen, wobei keine anderen Gesichtspunkte als Beschäftigungsdauer und Befähigung ausschlaggebend sein dürfen; d) Arbeitspausen, Freizeit, eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit, regelmäßiger bezahlter Urlaub sowie Vergütung gesetzlicher Feiertage. 87 Artikel 8 (1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, folgende Rechte zu gewährleisten: a) das Recht eines jeden, zur Förderung und zum Schutz seiner wirtschaftlichen und sozialen Interessen Gewerkschaften zu bilden oder einer Gewerkschaft eigener Wahl allein nach Maßgabe ihrer Vorschriften beizutreten. [...] b) das Recht der Gewerkschaften, nationale Vereinigungen oder Verbände zu gründen, sowie deren Recht, internationale Gewerkschaftsorganisationen zu bilden oder solchen beizutreten; [...] Artikel 9 Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf Soziale Sicherheit an; diese schließt die Sozialversicherung ein. Artikel 11 (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. [...] (2) In Anerkennung des grundlegenden Rechts eines jeden, vor Hunger geschützt zu sein, [...] Artikel 12 (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an. [...] 88 1966 Internationaler Pakt über politische und Bürgerrechte vom 19. Dezember 1966 Präambel DIE VERTRAGSSTAATEN DIESES PAKTES, IN DER ERWÄGUNG, dass nach den in der Charta der Vereinten Nationen verkündeten Grundsätzen die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnenden Würde und der Gleichheit und Unveräußerlichkeit ihrer Rechte die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet, IN DER ERKENNTNIS, dass sich diese Rechte aus der dem Menschen innewohnenden Würde herleiten, IN DER ERKENNTNIS, dass nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Ideal vom freien Menschen, der bürgerliche und politische Freiheit genießt und frei von Furcht und Not lebt, nur verwirklicht werden kann, wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder seine bürgerlichen und politischen Rechte ebenso wie seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte genießen kann, IN DER ERWÄGUNG, dass die Charta der Vereinten Nationen die Staaten verpflichtet, die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern [...] Teil II Artikel 2 (1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen ohne Unterschied wie insbesondere der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status zu gewährleisten. 89 (2) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, im Einklang mit seinem verfassungsmäßigen Verfahren und mit den Bestimmungen dieses Paktes die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die gesetzgeberischen oder sonstigen Vorkehrungen zu treffen, die notwendig sind, um den in diesem Pakt anerkannten Rechten Wirksamkeit zu verleihen, soweit solche Vorkehrungen nicht bereits getroffen worden sind. (3) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, a) dafür Sorge zu tragen, dass jeder, der in seinen in diesem Pakt anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, das Recht hat, eine wirksame Beschwerde einzulegen, selbst wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben; b) dafür Sorge zu tragen, dass jeder, der eine solche Beschwerde erhebt, sein Recht durch das zuständige Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzgebungsorgan oder durch eine andere, nach den Rechtsvorschriften des Staates zuständige Stelle feststellen lassen kann, und den gerichtlichen Rechtsschutz auszubauen; c) dafür Sorge zu tragen, dass die zuständigen Stellen Beschwerden, denen stattgegeben wurde, Geltung verschaffen. 1968 Konvention über die Nichtanwendbarkeit von Verjährungsvorschriften auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit 1979 Konvention über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung der Frau 1984 Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe 1986 Erklärung über das Recht auf Entwicklung 90 Bürgerliche Rechte: Negative Freiheitsrechte Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Recht auf individuelle und kollektive Entwicklung 91 Vertrag über eine Verfassung für Europa (13. Oktober 2004) ARTIKEL I-2 Die Werte der Union Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet. [...] TEIL II DIE CHARTA DER GRUNDRECHTE DER UNION, PRÄAMBEL Die Völker Europas sind entschlossen, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine friedliche Zukunft zu teilen, indem sie sich zu einer immer engeren Union verbinden. In dem Bewusstsein ihres geistigreligiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet. Die Union trägt zur Erhaltung und zur Entwicklung dieser gemeinsamen Werte unter Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas sowie der nationalen Identität der Mitgliedstaaten und der Organisation ihrer staatlichen Gewalt auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bei. [...] 92 TITEL I, WÜRDE DES MENSCHEN ARTIKEL II-6, Würde des Menschen Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen. TITEL II, FREIHEITEN ARTIKEL II-66, Recht auf Freiheit und Sicherheit Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. [...] ARTIKEL II-70, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen. [...] 93 RÖMISCHES STATUT DES INTERNATIONALEN STRAFGERICHTSHOFS, Rom 17. Juli 1998. PRÄAMBEL Die Vertragsstaaten dieses Statuts - im Bewusstsein, dass alle Völker durch gemeinsame Bande verbunden sind und ihre Kulturen ein gemeinsames Erbe bilden, und besorgt darüber, dass dieses zerbrechliche Mosaik jederzeit zerstört werden kann, eingedenk dessen, dass in diesem Jahrhundert Millionen von Kindern, Frauen und Männern Opfer unvorstellbarer Gräueltaten geworden sind, die das Gewissen der Menschheit zutiefst erschüttern, in der Erkenntnis, dass solche schweren Verbrechen den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt bedrohen, bekräftigend, dass die schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, nicht unbestraft bleiben dürfen und dass ihre wirksame Verfolgung durch Maßnahmen auf einzelstaatlicher Ebene und durch verstärkte internationale Zusammenarbeit gewährleistet werden muss, entschlossen, der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen und so zur Verhütung solcher Verbrechen beizutragen, [...] 94 TEIL 2: GERICHTSBARKEIT, ZULÄSSIGKEIT UND ANWENDBARES RECHT Artikel 5 Der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen (1) Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs ist auf die schwersten Verbrechen beschränkt, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren. Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs erstreckt sich in Übereinstimmung mit diesem Statut auf folgende Verbrechen: a) das Verbrechen des Völkermords; b) Verbrechen gegen die Menschlichkeit; c) Kriegsverbrechen d) das Verbrechen der Aggression 95