FukuyamaPopper - Philosophische Fakultät

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Christian Thies
Kultur-, Sozial- und
Geschichtsphilosophie
Vorlesung
an der Philosophischen Fakultät
der Universität Passau
im Wintersemester 2009/10
(Neunte Sitzung 15.12.2009)
Neunter Termin (15.12.2009)
(1) Wiederholung – Ergänzungen – Fragen
(2) Ein (rechts)hegelianischer Ansatz der aus jüngerer
Vergangenheit: Francis FUKUYAMA
(3) Ein kantianischer Ansatz aus dem 20. Jahrhundert:
Karl POPPER
(4) Ausblick auf den nächsten Termin
15.12.2009
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Vorlesung WS 2009/10
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Karl MARX – ein Fazit (I)
(I)
die Leistungen
(1) Zusammenhang von Sozialphilosophie (Gesellschaftstheorie
 Gegenwartsdiagnose) und Geschichtsphilosophie (
Ausblick in die Zukunft)
(2) Komplementarität einer ‚objektivistischen‘ (theorie-orientierten)
und einer ‚subjektivistischen‘ (praxis-orientierten) Lesart
(3) Zusammenhang von Theorie und Empirie, von Philosophie
und (Geschichts-/Sozial-)Wissenschaften
(4) „Leitfaden“ für historische Selbstverortung
(5) Modell für eine endogene Erklärung gesellschaftlicher
Entwicklung
(6) materielle Bedingtheiten menschlichen Handelns
(geographisch-ökologisch, demographisch, ökonomisch …)
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Karl MARX – ein Fazit (II)
(II) die Defizite
(1) dialektischer Materialismus (ENGELS)
(2) Geschichtsmetaphysik
(3) Arbeitsanthropologie, dagegen Pluralität menschlichen
Daseins (Arbeit – Interaktion – Sprache – Religiosität …)
(4) Klassentheorie  Idee eines kollektiven Großsubjekts
(5) Ökonomismus, dagegen Pluralität sozialer Sphären
(Ökonomie, evtl. Technik als separater Bereich –
Politik/Verwaltung/Staat – „Kultur“ …)
(6) Schwächen, Unklarheiten, Lücken in der normativen
Begründung
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Literaturhinweise
• Leszek KOLAKOWSKI: Die Hauptströmungen des
Marxismus, 3 Bände. Entstehung – Entwicklung –
Zerfall. München/Zürich 1977-79
• Lutz NIETHAMMER: Posthistoire. Ist die Geschichte
zu Ende? Reinbek 1989
• Jörg BABEROWSKI: Der Sinn der Geschichte.
Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault.
München 2005
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Francis FUKUYAMA
1952 in Chicago geboren als
Sohn japanischer Eltern
Studium der Altertums- und
Politikwissenschaften
Arbeit in US-Ministerien und für
eine „Denkfabrik“, später
auch als Uni-Professor
Sommer 1989 „The End of
History?“ (1992 als Buch)
2002 „Our Posthuman Future“
(dt. „Das Ende des
Menschen“)
2006 „After the Neocons: When
the Right went Wrong“
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Ende der Geschichte
• in Anlehnung an Kant, Hegel und Marx
• engl. „end“ = Ende und Zweck/Ziel
• es wird noch bedeutende historische Ereignisse
geben, aber der „Endpunkt der ideologischen
Evolution der Menschheit“ ist erreicht
• es gibt keine besseren Alternativen mehr
• es gibt keine Barbaren mehr, die das System stürzen
könnten
• insofern kann die Universalgeschichte als Fortschritt
bewertet werden
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Das Ideal: „Liberalismus“
• Demokratie plus Marktwirtschaft
• Rolle der Naturwissenschaften und Technik
In Systemen des doppelten Liberalismus werden die
drei Dimensionen der menschlichen Natur befriedigt:
• Vernunft  Bildung
• Begehren  Konsum
• „thymos“  Anerkennung
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Zwei Kritikrichtungen
die „Linken“ (isothymotisch):
• Kritik an zu großer Ungleichheit  Ungerechtigkeit
dagegen: nur noch durch Begabungen bedingt
die „Rechten“ (megalothymotisch):
• Kritik an zu großer Gleichheit  Mittelmäßigkeit
dagegen: Möglichkeiten zum ‚Ruhmgewinn‘ in
Ökonomie, Sport, Kultur usw.
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Andere Versionen
vom Ende der Geschichte (1)
Alexandre KOJÈVE
(eigentlich Koschevnikov, 1902-1968)
in seinen Pariser Vorlesungen 1933-39
Mit den Ideen der Französischen
Revolution ist das Ende der
Geschichte erreicht.
Entscheidend ist die gegenseitige
Anerkennung von Herr und Knecht.
Die Menschen können sich nun Spiel,
Liebe und Kunst widmen.
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Andere Versionen (2)
Arnold GEHLEN
(1904-1976)
in seinen soziologischen
Schriften um 1960
Fortschritt in den Superstrukturen
post-histoire im Politischen
Kristallisation im Kulturellen
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Andere Versionen (3)
Jean-Francois LYOTARD
(1924-1998)
„Das postmoderne Wissen“
(zuerst frz. 1979)
Ende der großen Erzählungen
(vor allem von Hegel und Marx)
stattdessen: Pluralismus
keine universale Meta-Sprache
post-industrielle Gesellschaft
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Karl R. POPPER
1902 geboren in Wien
Arbeit als Tischler und Lehrer
1935 „Logik der Forschung“
1937-1945 Exil in Neuseeland
1944 „The Poverty of
Historicism“
1945 „The Open Society and Its
Enemies“
1945 nach Großbritannien
1961 Diskussion mit Adorno
1964 geadelt
1994 gestorben in London
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Poppers Schlüsselerlebnisse
15. Juni 1919, Wien, IX. Bezirk, Hörlgasse
Juni 1919, Wien, Penzinger Straße
29. Mai 1919, Principe im Golf von Guinea/Westafrika,
13:08 Uhr bis 13:14 Uhr
Zusatz:
25. Oktober 1946, Cambridge (GB), King‘s College,
Gibbs-Building, 1. Stock, Aufgang H, Raum 3, 19:30
Uhr
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Poppers Grundbegriffe
• Kritischer Rationalismus (nicht „Positivismus“ oder
„Logischer Empirismus“)
• Werturteilsfreiheit  Entscheidung für Vernunft
• offene und geschlossene Gesellschaften
• piecemeal social engineering (gegen Umbau des
Ganzen, aber für Umbau ganzer Institutionen)
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„Historizismus“
= die Menschheitsgeschichte folgt Gesetzen, die wir
erkennen können
verschiedene Varianten:
• theistisch (u.a. Lehre vom auserwählten Volk)
• naturalistisch (Rassenlehren)
• spiritualistisch (Hegel)
• ökonomistisch (Marx)
Einwände:
• nicht falsifizierbar
• nimmt uns die (individuelle) Verantwortung ab
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Hat die Weltgeschichte einen Sinn?
„Es gibt keine Geschichte der Menschheit, es gibt nur eine
unbegrenzte Anzahl von Geschichten, die alle möglichen Aspekte
des menschlichen Lebens betreffen. Und eine von ihnen ist die
Geschichte der politischen Macht. Sie wird zur Weltgeschichte
erhoben. Aber das ist eine Beleidigung jeder anständigen
Auffassung von der Menschheit. Es ist kaum besser, als wenn
man die Geschichte der Unterschlagung oder des Raubes oder
des Giftmordes zur Geschichte der Menschheit machen wollte.
Denn die Geschichte der Machtpolitik ist nichts anderes als die
Geschichte internationaler Verbrechen und Massenmorde (einige
Versuche zu ihrer Unterdrückung eingeschlossen – das ist wahr).
Diese Geschichte wird in der Schule gelehrt, und einige der
größten Verbrecher werden als ihre Helden gefeiert.“ (Die offene
Gesellschaft …, Bd. 2, Kap. 25 IV, S. 317)
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Der Sinn der Weltgeschichte
1. Es gibt keinen verborgenen Sinn, den wir in der
Weltgeschichte entdecken können.
2. Aber wir können der Geschichte einen (humanen)
Sinn geben.
(a) durch Deutung der historischen Tatsachen
(b) vor allem aber durch eigenes politisches Handeln, das sich an
realistischen normativen Idealen orientiert (gegen Utopien und
gegen einen bloß technischen Fortschritt)
3. Wir können aus der Geschichte lernen, dass diese
Bemühungen nicht vergeblich sein müssen.
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Fortschritt bei Popper
• Es gibt keinen Fortschritt der Geschichte. Denn die
Geschichte ist kein Subjekt, das fortschreiten kann.
• Aber es kann einen Fortschritt in den
demokratischen Institutionen geben, den wir durch
unser Handeln bewirken.
• Wissen sollte nicht der Naturbeherrschung dienen,
sondern der „Selbstbefreiung“ (vgl. KANTs
Definition der Aufklärung).
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Zwei wichtige Defizite
in den Geschichtsphilosophien von Kant, Hegel und
Marx sowie ihren Nachfolgern
(1) Fortschritt
•
•
•
Erfahrungen des 20. Jahrhunderts  Totalitarismus
Grenzen des Wachstums und ökologische Krise
generell Berücksichtigung der Kosten des Fortschritts
(2) Eurozentrismus
•
•
•
andere „Kulturkreise“
von der nationalen zur globalen Demokratie?
Begründung der normativen Maßstäbe
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