Colin Allen: Tierbegriffe neu betrachtet

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Colin Allen: Tierbegriffe neu
betrachtet
=> Ausgangsfrage: sind wir berechtigt – und
wenn ja, auf welcher Grundlage – Tieren
Begriffe zuzuschreiben?
=> Tauben und Schweine geben durch ihr
Verhalten Anlass zur Annahme, dass sie über
gewisse Begrifflichkeiten bzw.
Begriffsstrukturen verfügen.
=> Was könnte prinzipiell gegen diese
Annahme sprechen?
Chater und Heyes: das enge Verhältnis von
Sprache und Begriffen bei Menschen
=> eine überzeugende Theorie pro
Tierbegriffe müsste nach Chater und Heyes
die folgenden 3 Anforderungen erfüllen. Sie
müsste
1) dem engen Verhältnis von Sprache und
Begriffen beim Menschen Rechnung tragen.
2) auf nicht-sprachliche Lebewesen
anwendbar und
3) mit verhaltenswissenschaftlichen
Methoden empirisch feststellbar sein.
Chater und Heyes: eine solche Theorie
findet sich weder in der Philosophie, in der
Kognitionspsychologie noch in der
vergleichenden Psychologie!
=> Chater und Heyes kommen zu dem
Schluss „[...] dass der Behauptung, nichtsprachliche Lebewesen verfügten über
Begriffe, kein klarer Sinn gegeben worden
ist“ und dass „wir einfach nicht wissen, wie
wir die Behauptung, dass nicht-sprachliche
Lebewesen über Begriffe verfügen, in eine
empirisch gehaltvolle Frage umsetzen
können.“ (S. 192)
Colin Allen fragt nun: ist diese Kritik Grund
genug, nicht länger von Begriffen bei Tieren
auszugehen? (S. 192)
=> war wären die Konsequenzen /
„Kosten“?
1) Verständnis der Evolution von
menschlichen Begriffen würde erschwert
2) Theorie für den Gehalt der
intentionalen Zustände von Tieren wäre
schwer möglich
Allen spricht einen Aufsatz von ihm und
seinem Kollegen Marc Hauser aus dem
Jahre 1991 an, wo auch er selbst die
angemessene Begründung von Tierbegriffen
durch Forschungsergebnisse bezweifelte. Er
und Allen hätten – im Unterschied zu
Chaters und Heyes‘ skeptischer Haltung –
den Versuch unternommen, Anregungen für
eine empirische Untersuchung der Begriffe
bei nicht-menschlichen Lebewesen zu
geben (vgl. S. 192).
Allen und Hauser, 1991: vertraten die Auffassung,
dass die Zuschreibung von Begriffen gerechtfertigt
ist, „wenn es eine Evidenz dafür gibt, dass eine
mentale Repräsentation vorhanden ist, die von
reiner Wahrnehmungsinformation unabhängig ist“
Dazu führten sie Gedankenexperimente aus und
gaben damit an, wie ihrer Ansicht nach eine
solche Evidenz gewonnen werden könnte
Problem, das Allen an diesem Aufsatz nun sieht:
„In diesem Aufsatz aus dem Jahre 1991 war die
theoretische Grundlage für die Rückschlüsse aus
diesen Experimenten hin zu Behauptungen in
Bezug auf Begriffe nicht sorgfältig artikuliert.“ Er
und Hauser verließen sich auf eine vergleichende
Herangehensweise (siehe Mitte 193)
Im vorliegenden Aufsatz will Allen nun den
theoretischen Rahmen, der dieser Anregung
für eine empirische Untersuchung von
Tierbegriffen zugrunde liegt, explizit machen.
Zunächst unterscheidet er zwischen:
1) was ist der Begriff (oder unser) von einem Baum
(=> legt nahe, dass es einen Begriff gibt, den
zahlreiche Individuen teilen).
2) was ist Freds Begriff von einem Baum? (=> hat
nicht jeder seinen eigenen Begriff von etwas?)
=> Bezug auf soziale bzw. individuelle
Vorstellung von einem Begriff
es könnte viell. unwahrscheinlich scheinen,
dass es so etwas wie „den“ Begriff von
irgendetwas geben sollte und nicht einfach
eine Ansammlung von mehr oder weniger
verknüpften individuellen Begriffen von X
(z.B. von einem Baum)
Diese Spannung zwischen sozialen und
individuellen Vorstellungen von einem
Begriff wird in der Alltagspsychologie
meistens gar nicht analysiert.
beide Aspekte eines Begriffs sind aber für
die wiss. Psychologie von Bedeutung!
soziale Begriffe spielen bei der Erklärung
von Kommunikation und Kooperation unter
Individuen eine Rolle
individuelle Begriffe sind in der Struktur von
individuellem Verhalten und in den
Unterschieden zwischen dem Verhalten von
Individuen vorausgesetzt.
=> Beide Vorstellungen haben auch eine
intuitive Entsprechung in der
Tierpsychologie (vgl. Bsp.
S. 194 Mitte)
Problem, das Allen in wissenschaftlichen
Kontexten sieht: der Akzent liegt eigentlich
auf individuellen Begriffen, man findet
jedoch ziemlich häufig die Verwendung von
Ausdrücken, die für die soziale Konzeption
besser geeignet sind. Ebenso ermangeln
philosophische Argumente hinsichtlich der
Kognition von Tieren einer solchen
Unterscheidung
=> Allen: es besteht z.B. kein Grund zu der
Annahme, dass ein Hund eine bestimmte
Überzeugung nicht hat, da er keinen Begriff
etwa eines Eichhörnchens hat
Die Vorstellung, die Allen untersuchen
möchte, ist die individuelle Vorstellung von
einem Begriff (S. 195):
=> Verhältnis von Begriffen und
Wahrnehmung ist hierbei von besonderem
Interesse
=> einige Organismen erstellen
Einteilungsschemata, die in einem Sinn, der
noch erklärt werden muss, über die
besonderen Wahrnehmungsreize
hinausgehen. Begriffe sind diejenigen
mentalen Repräsentationen, die gleichsam
die Knoten in diesen Einteilungsschemata
bilden.
Bsp.: Repräsentation des Todes
Zahlreiche Organismen haben
Wahrnehmungsmechanismen, deren
Funktion darin besteht, den Organismen
eine unterschiedliche Reaktion auf tote oder
lebendige Artgenossen zu ermöglichen
Etwa die Ameisen: sie liefern aber keine
evidenten Anzeichen dafür, dass sie die
Fähigkeit haben, den Tod unabhängig von
der Wahrnehmung eines chemischen
Indikators zu repräsentieren!
Allen schreibt über die Ameisen (S. 195): „Die
biologische Funktion ihrer chemischen Sensoren
besteht zwar darin, tote Artgenossen aufzuspüren,
doch diese Fähigkeit zum Aufspüren ist rein
perzeptiv und nicht begrifflich“
Menschen hingegen: können den Status eines
Organismus unabhängig von bestimmten
Wahrnehmungsreizen repräsentieren.
=> begriffliche Repräsentation des Todes:
ermöglicht es, über einen besonderen Reiz
hinauszugehen. Dies wiederum ermöglicht ein
flexibleres Verhalten („[…] ermöglicht dem
Organismus, neue Beziehungen zwischen
Wahrnehmungsindikatoren und dem zugrunde
liegenden Zustand des Totseins herzustellen“;
S. 196)
Können wir jetzt den Einwand entkräften,
man könne der Behauptung, ein
sprachloses Geschöpf besitze Begriffe,
keinen empirischen Gehalt geben?
Allen: „Man sucht nach Evidenz für die eben
erwähnten nicht-perzeptiven
Repräsentationen. Dies mag auf
verschiedene Weise geschehen; hier soll
jedoch ein Schema für die Untersuchung
von Begriffen vorgeschlagen werden. Man
kann einem Organismus O
vernünftigerweise einen Begriff von X (z.B.
BAUM) zuschreiben, wann immer gilt:“
1. O unterscheidet systematisch einige X von
einigen Nicht-X; und
2. O ist imstande, einige seiner eigenen
Fehlunterscheidungen zwischen X und
Nicht-X festzustellen; und
3. O ist aufgrund der Fähigkeit 2. imstande
zu lernen, besser zwischen X und Nicht-X
zu unterscheiden.
Die 3 Bedingungen beziehen sich auf die Frage,
wann es vernünftig ist, einem Tier einen Begriff
zuzuschreiben, nicht so sehr darauf, was es für
dieses Tier heißt, einen Begriff zu besitzen =>
wichtiger Unterschied
Allen, S. 196 unten: „Den genannten Bedingungen
[…] zu genügen, kann eine gute Grundlage dafür
bilden, Tieren Begriffe zuzuschreiben, auch wenn
dies weder notwendige noch hinreichende
Bedingungen für den Besitz eines Begriffs sein
müssen […]“
=> zwar meint Allen, dass, „um zu erklären, warum
die Erfüllung der drei Bedingungen als gute
Evidenz für den Besitz von Begriffen bei Tieren
betrachtet werden sollte“, man auch etwas
darüber sagen muss, was es bedeutet, einen
Begriff zu besitzen, jedoch nicht in Form einer
vollständigen Analyse der letzteren Frage!
Die Fähigkeit, die in Klausel 1. spezifiziert wird,
wurde hinreichend untersucht und bei Tieren
bestätigt (vgl. S. 197)
Die Fähigkeiten aus Klausel 2. und 3. wurden noch
nicht hinreichend untersucht, liefern aber eine gute
Grundlage für eine empirische Untersuchung
gegen skeptische Einwände (vgl. Allen, S. 198
oben).
Klausel 2.: bezieht sich auf das Feststellen eines
Irrtums => ein Tier kann auf verschiedene Weise
durch einen äußeren Anhaltspunkt Informationen
darüber erhalten, dass es etwas falsch eingeteilt
hat.
Tieren ist es möglich, ohne einen äußeren
Anhaltspunkt eine Evidenz dafür zu liefern,
dass sie einen Irrtum feststellen, d.h., sie
können eine Selbstkontrolle ihrer Tätigkeiten
zeigen (Schweine, siehe S. 198 unten) =>
Allen, S. 198 unten: „[…] unabhängig davon,
was es in der besonderen
Versuchsanordnung aufzeigt, verdeutlicht
das Verhalten, dass einige Tiere unter
bestimmten Bedingungen eine nichtsprachliche Evidenz liefern können, die die
Zuschreibung einer endogenen Fähigkeit
zur Feststellung von Fehlern stützt.“
Klausel 3.: am schwierigsten zu artikulieren und zu
verteidigen!
=> Allen: sie liefert stärkeren Beweis für die Zuschreibung
von Begriffen als Klausel 1. und 2., weil sie eine
Verbindung herstellt zwischen den Fähigkeiten aus 1. und
2.
„Wenn die Fähigkeit, Klausel 2. zu erfüllen, für eine bessere
Leistung in Bezug auf 1. kausal verantwortlich ist, verfügen
wir über eine Evidenz dafür, dass es einen integrierten
Verarbeitungsmechanismus gibt, der die
Wahrnehmungseinteilung mit der Erkennung eines
Wahrnehmungsirrtums verknüpft. Somit gibt es ein
Repräsentationssystem, das den Wahrnehmungsinhalt mit
einer unabhängigen Repräsentation dessen, was die
Wahrnehmung repräsentieren soll (d.h. mit einem Begriff),
vergleicht.“ (S. 199 Mitte)
Allen, S. 199 unten:
„Die inneren Zustände, die in der Erklärung dieser
Fähigkeiten vorausgesetzt sind, verdienen es, als
Begriffe bezeichnet zu werden. Denn damit diese
Fähigkeiten implementiert werden, muss es
offensichtlich einen inneren Vergleichsstandard
geben, der die Welt des Organismus unabhängig
von seiner Wahrnehmungsrepräsentation zu
jedem beliebigen Zeitpunkt repräsentiert.
Derartige Evidenz stützt also die Behauptung,
dass Organismen mit diesen Fähigkeiten
Repräsentationen von der Welt besitzen, die von
der unmittelbaren Wahrnehmungsinformation
getrennt sind.“
Allen, S. 200:
„Die enge Verbindung von Sprache und Begriffen
beim Menschen hat viele zur Meinung verführt,
dass die Vorstellungen von Sprache und Begriff
nicht voneinander getrennt werden können. Diese
enge Verbindung lässt sich angesichts des
vorliegenden Schemas dadurch erklären, dass
Sprachen eine Struktur mit sich bringen, die
hinsichtlich der unmittelbaren Wahrnehmung
zahllose Abstufungen an Freiheit aufweist.
Sprachliche Repräsentation ist somit die
Grundlage für das feingliedrigste System
begrifflicher Repräsentation, das wir kennen. Es
wäre aber ein Fehler zu glauben, dies sei die
einzige zur Verfügung stehende Grundlage für
begriffliche Repräsentation. “
Allen hält als Resultat fest (S. 200 Mitte):
„Es ist sehr wohl möglich, dass andere Spezies
ihre Erfahrungen auf eine Weise strukturieren
können, die über das bloße Zusammenstellen
dieser Erfahrungen in Äquivalenzklassen zwecks
der Erzeugung von unmittelbaren Reaktionen im
Verhalten hinausgeht. Eine solche Fähigkeit
enthält die Grundbausteine für ein Begriffsschema.
Ich vertrete somit die These, dass es für die
Behauptung, sprachlose Lebewesen verfügten
über Begriffe, einen klaren Sinn gibt, und dass wir
wissen, wie wir diese Behauptung in eine
empirisch gehaltvolle Frage umsetzen können.“
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