Professor Dr. Gerhard Wegener Professor Dr. Günter Kamp Akad. Dir. Dr. Rudolf Jäger Seminar: Biologie und Gesellschaft (Montags, 17:15-19 Uhr, Seminarraum SR 275, Spezielle Botanik, Müllerweg 6, EG Für Biologiestudenten ab dem 2. Semester und für Hörer aller Fachbereiche Für Lehramtskandidaten gilt der Schein für dieses Seminar als Philosophieschein gemäß der Prüfungsordnung für das Lehramt an Hochschulen Die moderne Molekular- und Zellbiologie hat zu einem tieferen Verständnis von Lebewesen und biologischen Prozessen geführt. Gleichzeitig ermöglichen diese Erkenntnisse Eingriffe in Lebewesen und auch beim Menschen, die viele als Bedrohung empfinden. Beispiele hierfür sind das Klonieren von Lebewesen, den Menschen eingeschlossen, das Erzeugen von transgenen Lebewesen, die moderne Fortpflanzungsmedizin, die Nutzung von Stammzellen zur Erzeugung menschlicher Ersatzorgane etc. Zudem sind durch den gewinnorientierten Umgang mit Nutztieren in den letzten Jahren große Probleme und Gefahren entstanden. Am spektakulärsten ist das unerwartete Auftreten der Rinderseuche BSE und seiner menschlichen Variante, einer neuen Form der unheilbaren Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Ein weiteres Beispiel ist die Selektion gefährlicher Bakterien durch die zwar illegale, aber weitverbreitete (und bislang politisch tolerierte) Verwendung von Antibiotika für die Tiermast. Die Verwendung von Tieren in Experimenten zur Gewinnung von Erkenntnissen in Physiologie und Medizin hat bei manchen Tierfreunden und „Tierbefreiern“ große Emotionen und heftige Aggressionen, bis zu tätlichen Angriffen auf Forscher und ihre Familien, hervorgerufen. Zudem ist auch der Mensch selbst, insbesondere seine frühen Entwicklungsstadien, zum Objekt der Manipulation geworden, mit zur Zeit unabsehbaren Folgen für die Gesellschaft. Selbst die Botanik, vormals Scientia amabilis (die liebenswerte Wissenschaft), ist über genmanipulierte Nahrungsmittel in die Kritik geraten. Ist die Biologie dabei, zur Scientia horribilis, zur schrecklichen Wissenschaft, zu mutieren, in der Forscher Dinge tun (z.B. neue Lebewesen schaffen), die jahrhundertelang der Sphäre des Göttlichen zugeordnet waren? Diese Fragen sollten jungen Biologen nicht gleichgültig sein, dürften aber auch Nichtbiologen beschäftigen. Wir haben obige Entwicklungen vor einigen Jahren zum Anlaß genommen, für Hörer aller Fachbereiche ein Seminar anzubieten, in dem biologische, philosophische (ethische) und gesellschaftliche Aspekte der Biologie grundlegend erörtert werden sollen. Im ersten Teil des Seminars besprechen wir die Eigenschaften von Lebewesen (Was ist Leben?) und die Frühentwicklung von Säugerkeimen (einschließlich des Menschen), damit wir die biologischen Grundlagen zur Diskussion um die Verwendung embryonaler Stammzellen besser verstehen. Zudem werden die Lebensweisen solitärer und sozialer Tiere an einigen Beispielen vorgestellt (Ameisen, Bienen; Frösche, Kröten; Ratten), um zu zeigen wie biologische Organisation und gesellschaftliche Strukturen einander bedingen. Ein weiterer Teil ist der Frage gewidmet, ob es fundamentale oder nur graduelle Unterschiede zwischen Menschen und Tieren gibt. Hier wollen wir die Organisation und Funktion von Gehirnen und die höchsten Hirnleistungen von Tieren näher betrachten, aber auch Verhaltensunterschiede (z.B. im Bereich der Sexualität). Weitere Themen sind der Behandlung von Tieren in der Philosophie (Ethik) und in den Weltreligionen gewidmet. Dann interessiert uns die Bedeutung von Tieren in der individualisierten, modernen Mediengesellschaft, in der viele Menschen als "Singles" leben und sich die früher üblichen Netzwerke menschlicher Beziehungen (stabile Ehen, große Familien, Nachbarschaften) auflösen. Wie werden Tiere in den Medien porträtiert? Wie erleben Kinder Tiere? Welche Bedeutung haben Haustiere als Partner oder Partnerersatz für Kinder und Erwachsene? Ein großer Bereich ist schließlich der Nutzung von Tieren als Versuchstieren in Forschung und Lehre gewidmet. Sind Grundlagenforschung und/oder angewandte Forschung notwendig, wünschenswert oder ethisch nicht vertretbar? Wie reagieren Medien, die Politik und die Justiz auf dieses Problem? Der letzte Teil befaßt sich mit der Nutzung und Tötung von Tieren für menschliche und tierische Nahrung, für Kleidung etc. Wie sollten Nutztiere gehalten werden? Welche Probleme verursacht die Massentierhaltung, ist sie zu rechtfertigen? Wie entsteht Antibiotikaresistenz und welche Gefahren gehen von ihr aus? Zum Schluß behandeln wir Prionen und die biologischen Grundlagen des Rinderwahnsinns BSE. Wie und warum ist BSE entstanden? Welche Folgen hat BSE für die Aufzucht und Haltung von Rindern? Welche Gefahren drohen dem Menschen durch BSE? Zu manchen Themen planen wir, Spezialisten aus anderen Fachbereichen oder Universitäten als Diskussionspartner einzuladen.