Vorlesung 6

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Physiologie 6
Assoziationskortex
Die Assoziationsareale des Neokortex: Höhere
geistige Funktionen
Unter Assoziationsarealen verstehen wir Rindenfelder, die keine
eindeutigen sensorischen, sensiblen oder motorischen Funktionen
aufweisen, sondern das Zusammenwirken zwischen den einzelnen
Sinnessystemen und den motorischen Arealen integrieren
(»assoziieren«).
Der präfrontale Assoziationskortex ist für die zielorientierte, exekutive
Planung des Verhaltens und das Arbeitsgedächtnis wichtig
Evolution des präfrontalen Kortex.
Der präfrontale Assoziationskortex ist beim Menschen ungleich
größer als es im Vergleich zur phylogenetischen Entwicklung anderer
Hirnstrukturen zu erwarten wäre. Aus diesem Grund wurde der
präfrontale Kortex schon im vorigen Jahrhundert mit »spezifisch
menschlichen« Eigenschaften in Verbindung gebracht. Bei genauer
Analyse lassen sich allerdings auch hier die Verhaltensfunktionen auf
einige elementare Eigenheiten in verschiedenen Abschnitten des
Frontalkortex zurückführen.
Verbindungen des präfrontalen Kortex.
Zum Verständnis der Ursachen dieser Ausfälle und der
Funktionen des Frontallappens ist die genaue Kenntnis der
anatomischen Verbindungen notwendig.
Während der orbitofrontale Kortex primär von limbischen
Afferenzen aus der Amygdala und dem unguium sowie den
olfaktorischen Rindenregionen vor allem der Inselregion
versorgt wird, erhält der dorsolaterale Teil Afferenzen vom
parietalen und temporalen Kortex sowie vom medialen
Thalamus und den motorischen und sensorischen
Regionen.
Die Tatsache, dass all diese Verbindungen reziprok sind, gibt
einen ersten Eindruck von der z.Z. kaum zu verstehenden
Komplexität der Aufgaben dieser Systeme.
Bei höheren Säugern scheinen ein Teil der subkortikalen
Afferenzen in den Frontalkortex dopaminerg zu übertragen;
sie bilden somit die Endstrecke (oder Ursprungsstrecke)
des dopaminergen Verstärkersystems und auch vieler
serotonerger und noradrenerger Faserzüge
Verhaltenskontrolle durch den präfrontalen Kortex
Die multisensorische Konvergenz im dorsolateralen
Frontalkortex hängt anscheinend mit einer seiner zentralen
Funktionen, der Ausbildung von konsistenten Erwartungen
durch Hinauszögern von Verstärkern zusammen. Bei
bilateraler Läsion des Frontalkortex fällt vor allem die
Irregularität des Verhaltens und das Fehlen langfristiger
Verhaltenspläne sowie die Unfähigkeit auf, Selbstkontrolle
zu erzielen.
Selbstkontrolle bedeutet, dass die Person in der Lage ist, auf
eine unmittelbar vorhandene Belohnung zu verzichten und
sie zugunsten langfristiger Belohnungen aufzuschieben.
Diese Störung hängt auch mit einer Störung des
Arbeitsgedächtnisses zusammen, das mit den
motivationalen Analysesystemen des orbitalen und
medialen Frontalkortex oft gemeinsam beeinträchtigt ist.
Auch einige Schizophrenie formen sind eng mit einer
Dysfunktion dorsolateraler und dorsomedialer präfrontaler
Areale (vor allem links) und des dorthin projizierenden
mediodorsalen Thalamus korreliert
Selbstkontrolle I
Das Ausüben von Selbstkontrolle ist eine beim Menschen am
weitesten fortgeschrittene Funktion, die an präfrontale
Hirnregionen gebunden ist
Um Selbstkontrolle zu erzielen, muss
-die gegenwärtige oder vergangene (Langzeitgedächtnis)
Information über den Reizkontext aus den Parietalregionen in den
ventro- und dorsolateralen Präfrontal-Kortex transportiert werden;
dort muss diese Information auch in Abwesenheit der Reize
zumindest für Sekunden bis Minuten präsent gehalten werden
{Arbeitsgedächtnis im ventromedialen und dorsolateralen
präfrontalen Kortex);
-es muss eine Entscheidung für einen bestimmten Handlungsplan
auf der Grundlage der antizipierten positiven oder negativen
Konsequenzen (Informationsfluss aus limbischen in orbitofrontale
Regionen) und der gegenwärtig vorhandenen oder erinnerten
(vorgestellten) Situationen (aus den Parietalregionen) erfolgen;
-diese Entscheidung muss von einem generellen Handlungsplan
(präfrontal) in zunehmend spezifische Handlungsziele und abfolgen bzw. deren Hemmung um
gesetzt werden (über supplementär-motorisches Areal zu
motorischem Kortex unter Einschluss der Basalganglien und des
Thalamus).
Selbstkontrolle II
Diese Integrationsleistung geht nach frontaler Läsion
ohne Einschränkung der sonstigen intellektuellen
Leistungsfähigkeit verloren, was oft zu einem
»pseudopsychopathischen« Zustandsbild führt; d. h.
die Patienten beachten scheinbar die Regeln und
Sitten sozialen Zusammenlebens nicht mehr
konsistent.
Da Erwartungen wesentlich an der Steuerung der
selektiven Aufmerksamkeit beteiligt sind, ist auch
diese nach Läsion oder Dysfunktion erheblich
beeinträchtigt, wenn auch nicht völlig aufgehoben.
Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere
hineinzuversetzen und deren Absichten
abzuschätzen, ist daher auch an präfrontale
Regionen gebunden, da solche Funktionen soziale
Erwartungen voraussetzen.
Schizophrenie als genetisch bedingte
Entwicklungsstörung I
Symptome. Schizophrenien sind eine Gruppe von Denkund Verhaltensstörungen, die durch eine erstmalige
Manifestation nach der Pubertät, extrem lose
Assoziationen, mangelhafte selektive
Aufmerksamkeit, Wahnideen und akustische
Halluziationen gekennzeichnet sind.
Ursachen und Pathogenese. Es besteht eine
polygenetische Verursachung, deren Manifestation
von familiären und psychischen Umweltbelastungen
und dem Alter abhängt. Bereits prä- und perinatal
kommt es zu veränderter Genexpression, deren
Proteine entscheidende Bedeutung für die
Entwicklung von präfrontalen und vermutlich auch
mediotemporalen Hirnarealen haben.
Schizophrenie als genetisch bedingte
Entwicklungsstörung II
Die veränderte Genexpression führt im Laufe der Entwicklung
bis etwa zum 20. Lebensjahr zu einer kumulativen
Anhäufung von Hirndefekten, die allerdings nur dann zum
»Ausbruch« der Erkrankung führen, wenn starke externe
Belastungen (»Stress«) oder Anwachsen der Komplexität
der Umwelt (z.B. Urbanisierung, »Überschwemmung« mit
Information) auftreten.
Eine Vielzahl von histologischen Veränderungen und
Änderungen der Konnektivität von Nerven- und Gliazellen
im Präfrontalkortex, Thalamus und im mediotemporalen
Hippokampus-System wurden bei Schizophreniepatienten
gefunden, von denen aber keine ausreicht, die Schwere,
die Art und den Verlauf der Erkrankung zu erklären.
Einige Symptome der Schizophrenien werden aus einer
präfrontal-temporalen Unterfunktion bei gleichzeitigem
Anstieg der Variabilität frontaler Hirnaktivität erklärt.
Perzeptive Funktionen
Der parietale Assoziationskortex ist mit der Steuerung
komplexer, sensorischer Reizverarbeitung, der visuellen
Aufmerksamkeit, mit Handlungsplanung und mit
räumlichen Funktionen befasst
Läsionen des Parietallappens. In den parietalen
Assoziationskortex konvergieren die benachbarten
sensorischen Rindenareale sowie links die sensorischen
Sprachregionen; die Resultate somatosensorischer
(taktil, propriozeptiv, nozizeptiv), optischer und
akustischer Analysen sowie Zuflüsse aus den
vestibulären Afferenzen werden hier verarbeitet.
Dementsprechend vielfältig sind die neuropsychologischen
Ausfälle nach Läsionen der rechten oder linken parietalen
Region. Bei Läsionen im rechten Parietallappen stehen v.
a. Störungen der visuell-räumlichen Fähigkeiten im
Vordergrund.
Läsionen des Parietallappens I
Kontralateraler Neglekt bedeutet völliges Ignorieren des
gegenüberliegenden (meist linken) Körper- und Außenraumes trotz
intakter sensorischer Verarbeitung. O Abbildung 12.6 gibt dafür ein
typisches Beispiel wieder. Neglekt tritt am häufigsten nach Läsionen
der rechten inferioren parieto-temporalen Region auf. Der Patient
kann die Aufmerksamkeit nicht mehr von der kontralateralen Seite
(meist linker Wahrnehmungsraum) lösen, weil die gesunde (meist
linke) Parietalregion über die gestörte (meist rechte) dominiert.
Agnosien (»Seelenblindheit«) treten auf, wenn die Regionen in der
Umgebung der sensorischen Projektionsfelder ausfallen. Taktile oder
visuelle Agnosie bedeuten das Nichterfassenkönnen der Bedeutung
einer Wahrnehmung (z.B. wird die Funktion eines Schlüssels erst
erkannt, wenn man damit Geräusche macht).
Prosopagnosie bedeutet das Nichterkennen von Gesichtern. Diese
Funktion wird allerdings vor allem vom Gyrus fusiformis im
Übergang zum inferioren Temporallappen (»ventraler visueller Pfad«)
gesteuert.
Läsionen des Parietallappens II
Intentionale Karten. Die multisensorische Integration im hinteren
Parietalkortex schafft erst die Voraussetzung für die Entwicklung von
Handlungsplänen. Vor allem Bewegungen im Raum hängen von der
Intaktheit dieser Areale ab. Antizipatorische KurzzeitHandlungsplanung ist daher nach Läsionen des Parietalkortex
ebenso gestört wie die oben beschriebene Aufmerksamkeitsstörung
bei Neglekt. Langfristige Handlungspläne benötigen allerdings den
präfrontalen Kortex zusätzlich.
Beim Gerstmann-Syndrom treten auf: rechts-links Verwechslungen,
Fingeragnosien (Nichterkennen, welcher Finger berührt wurde),
Dysgraphie (Schreibstörung trotz intakter Sensorik und Motorik) und
Dyskalkulie (Rechenstörung). Bei den letzten beiden Störungen ist
meist der linke untere Parietallappen zerstört.
Da der Parietallappen vor allem in frontale und temporale
Assoziationsareale projiziert und von dort reziprok versorgt wird,
sind weiterhin Störungen der Aufmerksamkeit (frontale Projektion),
des Kurzzeitgedächtnisses (präfrontal-dorsolateral) und der
Einprägung (temporale Verbindung) ebenfalls nach großen Läsionen
häufig.
Assoziationskortizes I
Assoziationsareale sind Rindenfelder, die keine eindeutigen
sensorischen, sensiblen oder motorischen Funktionen
aufweisen, sondern das Zusammenwirken zwischen den
einzelnen Sinnessystemen und den motorischen Arealen
integrieren (»assoziieren«).
Aufgaben der Assoziationskortizes
— Der präfrontale Assoziationskortex ist für die motorische
Planung und Bewegungskontrolle sowie das
Arbeitsgedächtinis wichtig.
Für die Selbstkontrolle über das eigene Verhalten und
normales Funktionieren des Arbeitsgedächtnisses ist der
Aufschub von unmittelbar von Trieben und Gefühlen
motivierten Verhaltensweisen (Verzögerung von
Verstärkung) notwendig. Dafür sind die präfrontalen
Hirnregionen verantwortlich.
Assoziationskortizes II
— Der parietale Assoziationskortex ist mit der Steuerung
sensorischer Reizverarbeitung (optisch, taktil, akustisch,
vestibulär) befasst. Die parietalen Felder ermöglichen
Aufmerksamkeit und Lokalisierung (»Wo«?) sensorischer
Reizquellen.
- Der Temporalkortex ist dabei in seinem unteren Abschnitt
mit Erkennen und Bedeutungsanalyse vor allem visueller
Reize (bei Ausfall Agnosie), in seinem medialen Teil mit
explizitem Gedächtnis und superior mit akustischen
Funktionen und Sprache verbunden.
Der anteriore Pol und Amygdala dienen höheren emotionalsozialen Funktionen.
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