Ingo Rechenberg PowerPoint-Folien zur 2. Vorlesung „Bionik I“ Wundersame Technologien in der Natur Geschichte der Bionik und die Leistung der Evolution Zahl der Tier- und Pflanzenarten Ergebnisse der Evolution Beschrieben: 1,5 Millionen Geschätzt Σ = 15 Millionen Ein Wunder der Evolution Wundersame Technologien in der Natur 1 Lassospinne in Cowboy-Manier Wundersame Technologien in der Natur 2 Tiefsee-Anglerfisch mit Leuchtköder Wundersame Technologien in der Natur 3 Bombardierkäfer mit Flammenwerfer Wasserstoffperoxid + Hydrochinon + Enzym = Wasser + Sauerstoff Wundersame Technologien in der Natur 4 Ein Schützenfisch zielt auf seine Beute Wundersame Technologien in der Natur 5 Die Spritzgurke, eine Wasserpistole Wundersame Technologien in der Natur 6 Deckelblatt als Regenschutz Rutschbahn mit Nektar Die Kannenpflanze Wässrige Lösung mit Verdauungsenzymen Wundersame Technologien in der Natur 7 Fangreuse der Köcherfliegen Larve Wundersame Technologien in der Natur 8 Fallgruben des Ameisenlöwen Wundersame Technologien in der Natur 9 Scarabeus sacer bei der Rollarbeit Wundersame Technologien in der Natur 10 Wasserspinne in ihrer Taucherglocke Wundersame Technologien in der Natur 11 Pistolenkrebs mit Wasser-Colt Wundersame Technologien in der Natur 12 Jesus-Echse beim Überwasser-Sprint Aus der Geschichte der Bionik Dädalus 88 (23.4.1988 Flug Kreta→Santorin) Der erste Bioniker Dädalus und Ikarus Federast Fahne Federstrahl Schaft Das Wunder Spule der Vogelfeder Bogenstrahl Federast Hakenstrahl Schaft Hakenfortsatz Es ist schwer die Feder technisch zu kopieren ! Die Fledermaus: Einfach zu kopierendes fliegendes Vorbild Leonardo da Vinci (1452-1519) Leonardo da Vinci Entwürfe für eine Flugmaschine (1497 - 1500) Clément Ader (1841-1925) Vor der Prüfungskommission – 14. Oktober 1897 Der Avion III von CLÉMENT ADER macht nur kleine Hüpfer Kann nicht fliegen: Es fehlt das Höhenleitwerk zur Längs-Stabilisierung ! S Auftriebswanderung am gewölbten Profil führt zur Instabilität des singulären Flügels S S S Keine Auftriebswanderung am ebenen Profil Ein ebenes Profil fliegt eigenstabil ! S Zwei „Bionik-Schriften“ Hermann Dingler: Bewegung der pflanzlichen Flugorgane (1889) Friedrich Ahlborn: Die Stabilität der Flugorgane (1897) Profil ebene Platte: fliegt längsstabil ! Flugsamen von Macrozanonia macrocarpa als Modell für ein Nurflügelflugzeug von Igo Etrich Igo Etrich (1879-1967) Zanonia-Gleiter von Igo Etrich 1906 Zanonia-Form Etrich Taube Tauben-Schwanz Otto Lilienthal (1848-1896) Otto Lilienthals systematische Studien zum Vogelflug Die Entdeckung der gerundeten Profilnase . . . Wider Erwarten zeigte sich aber auch dann noch kein Nachteil, wenn die Flügelverdickung abgerundet an der Vorderkante lag, wie bei Fig. 43. Es hatte sogar den Anschein, als ob diese Form besonders günstige Luftwiderstandsverhältnisse besitze, . . . Aus Otto Lilienthal: „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“ Im Sommer 1891 erreicht Lilienthal mit seinem Flugzeug Nr. 3 in Derwitz (Potsdam) Flugweiten bis zu 25 m. Rekonstruktion des Derwitz-Apparats von Otto Lilienthal Text Das Höhenleitwerk - Das A und O der Fliegekunst Otto Lilienthal 16. August 1894 Der Gleiter imitiert die Flügelaufspreizung eines Storches Entwicklung des Flugzeugs: Größte bionische Pioniertat 1801 stellte der Physiker Thomas Young die Hypothese auf, dass unser Auge alle Farbempfindungen aus drei Grundfarben zusammensetzt Normierte Empfindlichkeit Young-Helmholtz Dreifarbentheorie Thomas Young (1773-1829) Farbfilm Auge 400 500 600 Wellenlänge / nm 700 3-Chip Kamera Monitor Friedrich Gottlob Keller (1816-1895) Die Erfindung des Holzfaserpapiers durch Friedrich Gottlob Keller 1845 wurde das Frankenberger Kreisblatt auf „Wespenpapier“ gedruckt Die aufmerksame Betrachtung der Natur war es, die dem Webermeister Gottfried Keller in Sachsen dazu führte, das geschliffene Holz zu erfinden. Wespen waren seine Lehrmeister, die ihn auf den Gedanken brachten, ähnlich wie diese zernagte Holzfasern zum Bau ihres Nestes verwandten, durch Schleifen von Holz gutes Papiermaterial zu erhalten. Aus dem Buch „Reich der Erfindungen“ von 1901 Text Große Klette (Arcticum lappa) George de Mestral (1907-1990 Velcro ® („velours“ und „crochet“ ) Patent für einen technischen Klettverschluss 1951 Text Über weiche und harte Bionik Victoria amazonica Der Gärtner und Hobbyarchitekt Sir Joseph Paxton nutzte seine botanischen Kenntnisse über das Bauprinzip der Victoria amazonica zum Entwurf des „Crystal Palace“ für die Weltausstellung 1851 in London. Der Londoner Kristallpalast von 1851 und das Blatt der Victoria amazonica Buckminster Fuller Radiolarien USA-Pavillon – Expo ’67 Architekturbionik Weiche Bionik Bionik als Kreativitätstechnik Harte Bionik Angewandte Evolutionsbiologie Winning Team Ingo Rechenberg A2-ModellflugWeltmeisterschaft 1954 Beispiel für evolutionistische Bionik Oskar Czepa (Weltmeister 1951) mit seinem A2-Flugmodell „Zahnstocher“ Regeln für die A2-Klasse: Gewicht > 410 g Fläche 32-34 dm2 Formel für die Sinkgeschwindigkeit eines Flugmodells: vSink 2 c 2g G w F ca3 Nicht zu beeinflussen Durch Bestimmungen gegeben Aerodynamische Güte g = Erdbeschleunigung = Luftdichte G = Gewicht F = Flügelfläche cw = Widerstandsbeiwert ca = Aufriebsbeiwert Für Vogel und A2-Modell gilt die gleiche Strömungsphysik Gleiche Reynoldszahl ! ! Flugmodell „Zahnstocher“ mit Vogelprofil - A2-Weltmeister 1951 Harte Bionik: 1. Evolutionsdenken 2. Kapieren vor Kopieren Bioniker Die bionische Lösung verlässt die Fabrik Die platte Naturkopie ist nicht das Ziel der Bionik ! Mikro Air Vehikel (MAV) Vorbild Libelle Schlagbewegung oder Rotation 2. Weltkrieg: Ewak, eine Insel im Pazifik. Ureingeborene sehen in Flugzeugen des dortigen US-Stützpunktes Göttervögel. Sie bauen Imitate aus Stroh und schlagen Landebahnen in den Urwald. Auch unsere Kultur kopiert überlegene Techniken, nicht von Aliens, sondern von der Natur, auch dann, wenn es keinen Sinn macht und sie missverstanden wurden. Käfer - Vorbild für moderne Sitze ??? Foto: Klaus Fiedler Rätselhaftes Insekt mit Pinselschwanz aus dem brasilianischen Urwald Unverstanden und deshalb nicht technisch nachbaubar Das A und O der Bionik: Kapieren vor Kopieren LEONARDO DA VINCI Der auf den Arbeitstisch LEONARDOs „gebeamte“ PC ist ohne Wert Die Biotechnik ist der Gipfel der Technik überhaupt Raoul Heinrich Francé (1874 – 1943) Evolutionsbiologische Aufgabe der Mohnkapsel: Den Samen möglichst weit zu streuen ! und sein bionischer Salzstreuer (Patent Nr. 723 730) Text Fliegende Samen Wie gut arbeitet die biologische Evolution ? Evolution einer Augenlinse F dk 2 q Min k k und d k k Min Verformbarer Glaskörper als Evolutionsobjekt qk dk 0 Evolutionsstrategische Optimierung eines Freiträgers mit minimalem Gewicht Evolutionsstrategische Optimierung einer Fachwerkbrücke mit minimalem Gewicht BrückenKonstruktionen Fischbauchbrücke Bogenbrücke Melancholie, Kupferstich von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1514 Magisches Quadrat Ende www.bionik.tu-berlin.de Lilienthal - der lange Weg zu Erfolg Das Flugzeug 1 – noch ohne stabilisierenden Schwanz – dient nur für Stehübungen im Wind. Mit dem Flugzeug 2 werden Laufübungen gegen den Wind durchgeführt. Und mit dem Flugzeug 3 führt Lilienthal Sprungübungen im Garten seiner Villa von einem 2 m hohen Sprungbrett durch. Der Schritt vom Sprung zum Flug findet schließlich in Derwitz bei Potsdam statt. Hier erreicht Lilienthal im Sommer 1891 mit dem Flugzeug 3 Flugweiten bis zu 25 m. Im Sommer 1893 wird dann mit dem Flugzeug 6 in den Rhinower Bergen bei Stölln bereits die Rekordweite von 250 m erreicht, die Lilienthal bis zu seinem tragischen Absturz am 9. August 1896 nicht mehr überbieten konnte. Aus: „Die Pflanze als Erfinder“ „Ich trat eines Morgens in mein Laboratorium, nachdenklich und mißmutig, denn ich war mit meinen Arbeiten wieder einmal stecken geblieben und konnte nicht weiter. Ich studierte um jene Zeit das Leben des Ackerbodens. Längst war festgestellt, daß die tote, schwarze Erde nicht tot sei, sondern durchsetzt und erfüllt von Myriaden kleinster Lebewesen, die alle einen bestimmten Einfluß auf das Gedeihen der Brotfrucht haben, Und es lag nahe, anzunehmen, daß es gelingen würde, vielfältige Frucht zu ernten, wenn es zuvor gelänge, die nützlichen Erdbewohner zu vermehren. Der einfachste Weg schien zu sein, den Boden mit ihnen zu impfen. Ganz gleichmäßig, jeden Quadratmillimeter mit einem Dutzend der kleinen Lebenskeime bestreuen. Das war die Aufgabe des Tages. Sie konnte ich nicht lösen, und darum war ich mißmutig und nachdenklich. Ich versuchte zuerst verschiedenes. Ich hatte schon Erde bereit, die reichlich die in Frage kommenden Kleinpflanzen enthielt. Ich schüttelte sie mit viel Wasser durch und begoß mein „Versuchsfeld“ mit dieser „Aufschwemmung“ aus einer kleinen Kanne. Dann untersuchte ich das Ergebnis; alles war ungleich verteilt. Ich versuchte, den Boden gleichmäßig zu überschwemmen. Es mißlang. Es wurde mir klar, man müsse die „Impferde“ in einem halbtrockenen Zustand ganz gleichmäßig ausstreuen. Das sei der einzige Weg zum Erfolg... ...Am nächsten Morgen brachte ich Streuer mit. Mehrere Modelle, so wie ich sie auftreiben konnte. Ein gewöhnliches Salzfaß, wie es auf jedem Wirtstische steht. Einen Puderstreuer für Ärzte und kleine Kinder, einen Zerstäuber, wie man ihn als Retter der Nachtruhe vorsorglich auf die Reisen nach Osten mitnimmt. Dann ging es ans Versuchen. Auf Bogen weißen und schwarzen Papiers, die mit numerierten Quadraten bedeckt waren, wurde mein Material leicht ausgestreut und dann auf den Quadraten gezählt, wie viele Körnchen sich darauf befanden. Mit dem Zerstäuber ging es überhaupt nicht. Und Puderbüchse und Salzfaß streuten Reihen. Die Quadrate der unteren Reihe enthielten das Doppelte und Dreifache an Material, wie die der höheren Reihen, und ringsum gab es entweder weniger oder, wenn man dann nachhalf, wieder mehr davon, als man haben wollte. Da war mein Schiff festgefahren und blieb tagelang stecken, bis ich den richtigen Weg fand... Ein beiläufiger Einfall brachte die Wendung: Die am Anfang ganz bedeutungslos erscheinende Frage, wie denn die Natur das Ausstreuen besorge. Die Pflanzen sind darauf angewiesen, und zwar wie ein wenig Nachdenken sofort sagt, auf genau dasselbe gleichmäßige Ausstreuen, das auch ich anstrebte... Moose streuen ihre Sporen aus Kapseln in die Luft. Wenn sie nicht gleichmäßig ausgestreut werden, keimen zwei oder noch mehr dicht nebeneinander und machen sich dann in jeder Weise den Lebensraum streitig. Sofort sah ich ein, daß die Natur eine Lösung des meines Problems gefunden haben müsse. Ich brauchte sie nur nachzuahmen und war dann jeder Sorge enthoben... Und ich fand die Lösung in den Kapseln des Mohns. Jedermann kennt sie; jedermann weiß, daß die unter dem Deckel im Kreise angeordneten Löcher dazu dienen, die kleinen Mohnkörner auszustreuen, aber noch nie hat jemand daran gedacht, daß hier eine Erfindung der Pflanze gegeben sei, welche die unsrigen übertrifft. Ich weiß das deswegen so genau, weil ich es geprüft habe. Eine Mohnkapsel, gefüllt mit den Körnchen meiner Erde, streute sie viel gleichmäßiger aus, als es mir bis dahin gelungen war. Staunend, verwirrt, voll unbestimmter Freude stand ich am Anfang eines Weges. Mit einem kühnen Entschluß wollte ich Gewißheit haben. Ich zeichnete einen Streuer für Salz, für Puder und sonst medizinische Zwecke nach dem Modell der Mohnkapsel und meldete das als Erfindung zum Musterschutz an. Die Erfindung des Klettbandes 1941 ging De Mestral im französischen Jura auf die Jagd. An seiner Kleidung und dem Fell seines Hundes blieben Kletten haften, und er fragte sich, wie das möglich war. Später untersuchte er eine Klette unter dem Mikroskop und fand heraus, dass sie aus winzigen Härchen bestand, die sich in die gleichermaßen winzigen Schlingen und Härchen von Textilien und Fell festsetzten. Daraufhin kam er auf die Idee, die Entdeckung für eine neue Art von Verschlüssen an Kleidungsstücken zu nutzen. De Mestral brauchte 8 Jahre, um das Problem zu lösen, wie man die winzigen Häkchen und Schlaufen auf einer Unterlage befestigen konnte. Er fand auch einen Weg, Velcro mit 50 Nylon-Häkchen und Schlaufen pro Quadratzentimeter mechanisch herzustellen und gründete schließlich eine Firma Zur Erfindung des Holzschliffpapiers Papier wurde seit dem Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert aufgrund einer alten chinesischen Erfindung aus Lumpen hergestellt. Um das Jahr 1840 las der Webermeister FRIEDRICH GOTTLOB KELLER, dass die Papierindustrie in einen verzweifelten Rohstoffmangel geraten war. Nun, dachte er, habe ich nicht selbst gesehen, wie Wespen sich Nester bauen, die aussehen, als wären sie aus Papier? Und habe ich nicht selbst beobachtet, dass die Wespen dieses „Papier“ aus winzigen Holzfäserchen zusammenkleben? Im Jahre 1845 konnte KELLER an eine Papiermühle zu Alt-Chemnitz eine von ihm nach Wespenart hergestellte Holzfasermasse liefern. Aus „Wespenpapier“ wurde dann erstmals das Frankenberger Kreisblatt gedruckt.