reThink! Engagierte Bildung – Bildung mit Engagement? Civic Education, Schulöffnung und demokratische Schulentwicklung als Herausforderung und Chance für eine aktive europäische Bürgerschaft Birger Hartnuß Budapest, 17. März 2008 Gliederung 1. Zur Krise des schulischen Lernens 2. Ein neues Verständnis von Bildung 3. Bürgerschaftliches Engagement als Bildungsfaktor 4. Schule und Zivilgesellschaft 5. Civic Education – Community Education: Chancen für die Bildung des Active European Citizen 6. Engagement Lernen in Kooperation von Schule und Gemeinwesen: Beispiel Service Learning 7. Leitbild: Schule als demokratischer Ort und partnerschaftlich orientiertes Lernzentrum im Gemeinwesen Vorbemerkungen Zivilgesellschaft analytisch- empirischer Begriff, Zustandsbeschreibung Raum zwischen Staat, Markt und Familie, in dem sich freiwillige Zusammenschlüsse bilden, Teilhabe- und Mitgestaltungsmöglichkeiten genutzt werden und Bürgerinnen und Bürger Gemeinwohlverantwortung übernehmen Bürgergesellschaft normativer Begriff, regulative Idee gesellschaftliche Vision von mehr Selbstbestimmung, Teilhabe und Verantwortungsübernahme; Höchstmaß an Teilhabe, Mitbestimmung und Mitgestaltung der Bürgerinnen und Bürger an allen sie betreffenden Belangen; neue Verantwortungsbalance zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Vorbemerkungen Bürgerschaftliches Engagement bestimmender Handlungsmodus der Zivilgesellschaft: • freiwillig, nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtet, gemeinwohlorientiert • Sammelbegriff für verschiedene, bislang eher separat betrachtete Aktivitätsfelder • traditionelle und neue Formen ehrenamtlicher Tätigkeiten in Vereinen, Verbänden, Kirchen, Selbsthilfe, öffentliche Funktionen, politische Beteiligung und Mitbestimmung • • mehr als das traditionelle Ehrenamt öffentlich, transparent, anschlussfähig, Gemeinwohlbezug, Schaffung von Sozialkapital ,Bezug zum Bürgerstatus; Begriff Bürgerschaftliches Engagement schlägt Brücke zwischen empirischem Begriff Zivilgesellschaft und gesellschaftlicher Leitvorstellung von Bürgergesellschaft 1. Zur Krise schulischen Lernens Tiefgreifende Veränderungen in Europa und der Welt: globalisierte Wissensgesellschaft, Umbrüche im System der Arbeit und der Arbeitsbiographien, soziale Ausgrenzungsprozesse, … Wir brauchen neue Formen des Lernens und der Bildung, um gesellschaftliche Herausforderungen meistern zu können! Manuela du Bois-Reymond: „In Europa befindet sich Schule als Institution und das schulische Lernen in einer Krise.“ 2. Ein neues Verständnis von Bildung Erziehungswissenschaftliche Debatte: erweitertes Bildungsverständnis (12. Kinder- und Jugendbericht) Vier Dimensionen: 1. kulturelles Erbe (Symbole, Sprache, ...), 2. materielle Reproduktion (materiell-dingliche Welt verstehen, beherrschen, weiterentwickeln) , 3. soziale Integration (Sozialordnung der Gesellschaft, Regeln der Kommunikation und politischen Gestaltung des Gemeinwesens, Partizipation), 4. soziales Lernen (Identitätsbildung, Persönlichkeitsentfaltung) Bildung: anhaltender und kumulativer Prozess des Erwerbs der Fähigkeit zur Selbstregulierung; subjektive Aneignung der Welt in der aktiven Auseinandersetzung mit und in diesen Weltbezügen ( vier Dimensionen) 2. Ein neues Verständnis von Bildung • Bildung ist in diesem Sinne vor allem Selbstbildung • Bildung ist mehr als Schule! • Bürgerschaftliches Engagement – integraler Bestandteil • es kommt jedoch nicht „von selbst“ zustande, sondern bedarf entgegenkommender normativer Orientierungen und Handlungsdispositionen, die erworben werden müssen • Verantwortungsübernahme auch in Situationen, in denen die Kosten des eigenen Handelns ihre möglichen Erträge für das Individuum übersteigen und in denen es keine sanktionierte Pflicht zur Verantwortungsübernahme gibt (Herfried Münkler: „freiwillige Selbstverpflichtung“) 3. Bürgerschaftliches Engagement als Bildungsfaktor • bürgerschaftliche Kompetenzen: Fähigkeiten zur demokratischen Teilhabe und Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme für sich, für andere und die Gesellschaft • zentrale Voraussetzung für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft – bürgerschaftliches Engagement ist wichtiger Bildungsfaktor • gesellschaftliches Engagement wird gelernt: es braucht Vorbilder, Lern- und Erfahrungsräume • insofern ist bürgerschaftliches Engagement nicht nur Bildungsziel, sondern auch Bildungsort • Wichtig: frühzeitiges Lernen von Engagement ermöglichen! 4. Bürgerschaftliches Engagement und Schule • auch die Institutionen des Bildungswesens tragen dafür Verantwortung • Civic Education muss selbstverständlicher Teil des schulischen Bildungs- und Erziehungsauftrags werden • Schule als Ort des Erlernens von Gemeinsinn, Verantwortungsübernahme und demokratischer Mitbestimmung • Schule als multiprofessionell wirkendes Bildungszentrum • Bildung braucht Kooperation und Vernetzung: Schule als Ort des Zusammenwirkens mit zivilgesellschaftlichen Akteuren 4. Bürgerschaftliches Engagement und Schule Verschränkung formeller, nonformaler und informeller Bildungsprozesse und –orte • Formales Lernen üblicherweise in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung, strukturiert und zielgerichtet in Bezug auf Lernziele, Lernzeit und Lernförderung, formale Zertifizierung (z.B. Schule, Universität) • Nonformales Lernen üblicherweise nicht in einer Bildungseinrichtung, dennoch systematisch strukturiert und zielgerichtet, meist keine formale Zertifizierung (z.B. Qualifizierungskurs im Verein) • Informelles Lernen Lernen im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Familie oder im bürgerschaftlichen Engagement; nicht intentionales, beiläufiges Lernen, keine curriculare Struktur; keine Zertifizierung 5. Civic Education – Community Education: Chancen für die Bildung des Active European Citizen • beide Perspektiven gehören zusammen und bedingen einander • Civic Education braucht Kooperation mit lokalem Gemeinwesen • Gemeinwesenorientierung erschließt außerschulische Kompetenzen und Ressourcen • Schule kann sich zum Zentrum des lokalen Gemeinwesens entwickeln • Ganztagsschule als Chance 5. Civic Education – Community Education: Chancen für die Bildung des Active European Citizen • These: Schule ist zur Erfüllung ihres Kernauftrages zunehmend auf bürgerschaftliches Engagement angewiesen • dies gilt auch für die Bildung des Active European Citizen • Fachwissen und politische Bildung allein machen Europa nicht erfahrbar • Notwendig: Erfahrbarkeit, Sinnbezüge, Begegnung, Austausch und Dialog Kompetenzen des Active European Citizen • • • • • • • Wissen (Geschichte, Geographie, Politik, Philosophie,...) Respekt und Toleranz Empathie Artikulations- und Kommunikationsfähigkeit (sowohl Sprache als auch Meinung und Interessen einbringen können) Kooperations- und Teamfähigkeit Solidarität und Verantwortungsübernahme ... (Diskussion) Civic Education Entwicklung einer gemeinsamen Identität als Active European Citizen trotz weiterhin wirkender unterschiedlicher Traditionen, historischer Wurzeln, regionaler und lokaler Differenzen 6. Engagement lernen in Kooperation von Schule und Gemeinwesen: das Beispiel Service Learning • Lehr-Lern-Methode • Verknüpfung von kognitiven Lernprozessen des Unterrichts mit dem Erproben und Erlernen von Verantwortungsübernahme im Gemeinwesen • Erwerb von Fachwissen erfahrungsorientiert, verständnisintensiv und nachhaltiger; gleichzeitig werden bürgerschaftliche Kompetenzen erworben • dabei innere und äußere Öffnung der Schule • Filmbeispiele 7. Leitbild: Schule als demokratischer Ort und partnerschaftlich orientiertes Lernzentrum im Gemeinwesen • äußere und innere Öffnung der Schule • innere Öffnung: neue Formen des Unterrichtens und Lernens (Handlungsorientierung, Sinnorientierung, eigentätiges und verständnisintensives Lernen, …) • multiprofessionelle Zusammenarbeit • Verankerung des Bildungsziels „mündiger und kompetenter Bürger“ in den pädagogischen Konzepten der Schule • demokratische Gestaltung des Schulalltags 7. Leitbild: Schule als demokratischer Ort und partnerschaftlich orientiertes Lernzentrum im Gemeinwesen • Mitbestimmung von Schülern und Eltern im Alltag • äußere Öffnung: enge Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Wirtschaftsunternehmen • Aufbau von Partnerschaften und Bündnissen, Einbettung der Schule in das lokale Gemeinwesen, Verankerung europäischer Bezüge • Veränderung des schulischen Selbstverständnisses, der Schulphilosophie und Schulkultur – Schlüssel für Erfolg und Wirksamkeit