03WahrnehmungPartner

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Wahrnehmung in Partnerschaften (Felser in
Grau & Bierhoff, 2003)
Zum Thema Partnerwahrnehmung gehören jene
Punkte in der Partnerschaft, in denen
die Deutung der (sozialen) Umwelt bzw.
der subjektive Anteil in einem Urteil oder einer
Wahrnehmung wirksam werden.
z.B.
subjektive Idealvorstellungen
Wahrnehmungsverzerrungen
der Blick durch die „rosa Brille“
Wahrnehmungsdiskrepanzen zwischen den Partnern
Selbst- und Fremdwahrnehmung
Beispiel (vgl. nächste Seite)
Gerhard soll vorhersagen, wie sich seine Partnerin
Doris anhand einer Merkmalsliste beschreibt.
Hierzu steht ihm eine Skala von 0 (gar nicht) bis 8
(sehr) zur Verfügung (siehe Abbildung):
Differenzen (hier sehr hoch: 1.75)
Korrelation r = .76, p < .01, hoch signifikant
Korrelationsmaß ist nicht sensibel ist für die (meist
unwichtige) Frage, auf welchem Niveau eine
Person ihre Kreuzchen anbringt.
Die Korrelation bildet vor allem Profilähnlichkeit ab,
das Differenzmaß Niveauähnlichkeit.
Partnerwahrnehmung: ideal oder korrekt?
„Aufwertungs-Theorie“: Je positiver, desto besser
„Konsistenz-Theorie“: Je näher am eigenen Selbstbild, desto
besser
Bei Personen mit positivem Selbstbild machen beide Theorien
gleiche Vorhersagen, unterscheiden sich aber in ihren
Vorhersagen für Personen mit negativem Selbstwertgefühl.
Personen mit geringem Selbstwert berichten geringe
Partnerschaftsqualität; allerdings ist die dann noch geringer,
wenn der Partner sie zudem auch noch ‚verkennt’, indem er
ihnen positive Merkmale zuschreibt.
Der wahrnehmende Partner berichtet dagegen eine höhere
Partnerschaftsqualität.
Zu Beginn der Partnerschaft besteht noch nicht der Anspruch, dass
die Partner einander kennen. Die Idealisierung kann in dieser
frühen Phase noch ganz als Ausdruck der Wertschätzung und
Zuneigung gelten. Genau das kann sie bei einer lange
bestehenden Beziehung nicht mehr.
Partnerwahrnehmung: ideal oder korrekt?
Eine wesentliche Rolle spielt auch der Grad, bis zu dem
jemand die Merkmale seines Partners für veränderlich hält.
Es ist einfacher, Schwächen des anderen zu akzeptieren,
wenn man gleichzeitig glaubt, diese Schwächen könnten
prinzipiell auch wieder abgelegt werden.
Ob eine Idealisierung durch den Partner angenehm ist, wird
wohl auch damit zusammenhängen, welche Ideale der
wahrgenommene Partner hat. Wenn ich zum Beispiel gerne
einfühlsamer wäre als ich bin, dann ist es vielleicht
angenehm, wenn mein Partner mich bereits für einfühlsam
hält. Zumindest ist diese Situation weniger problematisch,
als eine andere, in der mich mein Partner für sportlich hält,
was ich aber weder zu sein glaube noch sein möchte.
Das Michelangelo-Phänomen
Wenn mein Partner mich so sieht, wie ich selbst gerne wäre,
dann besteht die Möglichkeit, dass sich das
„Michelangelo-Phänomen“ einstellt. Michelangelo
Buonarroti soll in großer Bescheidenheit die Arbeit des
Bildhauers darin gesehen haben, dass er lediglich die
Ecken und Kanten aus dem Steinblock entferne, die die
darin enthaltende Figur verbergen.
So sollen Partner, die den anderen so sehen, wie er
idealerweise gerne wäre, den anderen auf der
Verhaltensebene in diesem Ideal bestätigen. Dies soll dazu
führen, dass der andere seine Selbstwahrnehmung im
Laufe der Zeit seinem Ideal annähert
Empathie und Perspektivenübernahme
Wer weiß, wie der eigene Partner urteilt, dem bleiben eine
Menge Probleme in der Partnerschaft erspart.
Konflikte lassen sich leichter vermeiden oder doch
wenigstens vorhersehen.
Verständnis ist das zentrale Merkmal, das Menschen sich in
der Partnerschaft erhoffen.
Wenn die Partnerschaft scheitert, wird sehr häufig fehlendes
Verständnis dafür verantwortlich gemacht.
Es wird nun vermutet, dass hinter dem Verständnis eine
bestimmte Fähigkeit, ein bestimmtes Merkmal steht, das
Personen dazu disponiert, andere entweder gut oder
weniger gut zu verstehen (‚Empathie‘=mitfühlendes
Verstehen, ‚Perspektivenübernahme‘=korrekte
Vorhersage).
Ein korrektes Vorhersagen des Partnererlebens hängt
ab von:
Ähnlichkeit der Partner (Projektion der eigenen
Meinung; Korrektur: eigene Meinung
herauspartialisieren)
Durchschnittlichkeit der Merkmale (Korrektur:
Herauspartialisieren der Ergebnisse einer
beliebigen Stichprobe)
Offenheit und Kommunikation (Verstanden wird,
wer offen ist).
Einfühlungsvermögen und
Personwahrnehmungskompetenz
Ähnlichkeit
der
Partner
Durchschnittlichkeit
der vorherzusagenden
Merkmale
Offenheit
und
Kommunikation
Einfühlungsvermögen
Personwahrnehmungskompetenz
Felser, 2002
Verstehen
(korrekte Vorhersage von
Partnererleben)
Die Enge der Beziehung und das Verstehen
Verstehen ist in lang andauernden Partnerschaften
geringer als in kurzen. Gründe:
 Partner beobachten einander immer weniger
 Stereotype und Vorurteile sind oft valider als wir
glauben
 In manchen Situationen ist es Partnern sogar ganz
recht, wenn sie nicht genau wissen, was der
andere denkt und fühlt
 Möglichkeit der Validierung durch andere
Personen fällt wegen der Intimität der Inhalte oft
weg.
Geschlechtseffekte
Für eine grundsätzliche Überlegenheit der Frauen in diesem
Kompetenzbereich findet sich bei einer meta-analytischen
Betrachtung vorgängiger Forschungsergebnisse keine
Evidenz (Eisenberg & Lennon, 1983).
Starke Geschlechtseffekte zeigen sich allenfalls bei sehr
reaktiven Maßen für Empathie und
Perspektivenübernahme.
Geschlechtsunterschiede lassen sich möglicherweise deshalb
nicht nachweisen, weil Frauen den Männern gleich auf
zwei Gebieten der interpersonellen Wahrnehmung
überlegen sind: Einerseits sind sie bessere
Personwahrnehmer, andererseits sind sie aber auch
expressiver und teilen sich anderen eindeutiger mit.
Überprüfung möglich bei gleichgeschlechtlichen Dyaden.
Prototypen einer Liebesbeziehung
Hassebrauck (1995) untersuchte in einer
Prototypenanlyse, welche Merkmale zum Konzept
einer „guten Beziehung“ gehören.
1. welche Merkmale fallen Ihnen ein? (Studie 1)
2. wie zentral sind diese Merkmale? (Studie 2)
Unterschiedliche Ergebnisse für Häufigkeit und
Zentralität:
Ähnlichkeit, Toleranz häufig, aber nicht zentral
Vertrauen häufig und zentral
Wahrnehmungsverzerrungen
Verzerrte Wahrnehmung, Wahrnehmungsverzerrung:
Von einer verzerrten Wahrnehmung kann man
sprechen, wenn
(a) diese Wahrnehmung von anderen Personen nicht
geteilt wird, wenn sie
(b) bei unwesentlichen Änderungen der Situation
(z.B. beim gleichen Gegenstand zu einem
späteren Zeitpunkt) völlig anders ausfällt, oder
wenn sie
(c) dem wahrnehmenden Subjekt schadet.
Irrationale Vorstellungen von gelingender
Partnerschaft
Eidelson und Epstein (1982) beschreiben fünf irrationale
Ideen
1. Männer und Frauen sind grundverschieden. Zwischen
ihnen liegt ein unüberwindlicher Graben.
2. Mein Partner ist, wie er ist. Ändern kann er sich nicht.
3. Wenn es zum Streit kommt, ist alles verloren. Eine
Auseinandersetzung bedeutet einen katastrophalen
Misserfolg für unsere Beziehung.
4. In einer guten Beziehung muss man einander auch ohne
Worte verstehen.
5. Unser Sexualleben muss 1a sein! Alles, was schlechter ist,
würde beweisen, dass unsere Beziehung ein Fehlschlag
ist.
Realismus und „rosa Brille“
Eine unverzerrte Wahrnehmung der Realität gilt oft als Zeichen der
seelischen Gesundheit. Andererseits: gerade depressive
Personen geben in gewissen Situationen validere und
realistischere Urteile ab als nicht depressive.
Belastete und glückliche Paare erinnern negative PartnerInteraktionen präziser als positive. Während Personen aus
belasteten Partnerschaften positive Informationen unterschätzen,
neigen Personen aus glücklichen Partnerschaften zu einer
deutlichen Überschätzung der Positiv-Interaktionen.
Die Befunde zeigen aber auch, dass die Wahrnehmungsverzerrung
keineswegs in erster Linie bei belasteten Personen stattfindet.
Simpson meint, dass Partner einander gezielt immer dann
missverstehen, wenn ein korrektes Verstehen die Beziehung
gefährden würde. Zudem werten glückliche Partner alternative
Beziehungen stark ab, was funktional für die Beziehung ist.
Zusammenfassung
Wenn Partner einander wahrnehmen, übersehen sie gerne die
Schwächen und negativen Eigenschaften des anderen.
Diese Wahrnehmungstendenz hat für den wahrnehmenden
Partner positive Seiten. Der wahrgenommene Partner
dagegen erlebt dieselbe Situation als ambivalent.
Eine übertrieben positive Wahrnehmung des anderen kann
aber auch ein Klima schaffen, in dem sich der
wahrgenommene Partner in Richtung auf das Ideal
weiterentwickeln und positive Anlagen entfalten kann.
Wenn Partner voneinander wissen, was sie denken und
fühlen, dann verdanken sie das unterschiedlichen
Bedingungen (Ähnlichkeit, Durchschnittlichkeit,
Kommunikation, Perspektivenübernahme).
Zusammenfassung
Die Kenntnis des Partners verbessert sich über die Zeit
hinweg nicht so stark, wie die Dauer der Partnerschaft
erwarten ließe.
Entgegen dem geläufigen Geschlechtsstereotyp finden sich
kaum empirische Belege für die Erwartung, dass sich
Frauen wesentlich besser in andere einfühlen können als
Männer.
Die Vorstellungen, die man von einer Beziehung mitbringt,
bestimmen auch gleichzeitig die Beziehungsqualität. So
sind etwa Partnerschaftsideale, die auf Individualität und
persönliche Freiheit abzielen, der Beziehung weniger
zuträglich als zum Beispiel Ideale, die vom Wunsch nach
Zuwendung und Intimität geprägt sind.
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