Therapie bei beginnender Demenz: (K) Ein Thema für die Logopädie?

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Sprache und Demenz
Was sollten Angehörige wissen, was können sie tun?
Brixen, Do 24.03.2011, 20.00-21.00 Uhr
Stationen des Vortrages:
1. Kurze Bemerkungen zu den Stichworten „Sprache“, „Logopädie“,
„Alter“, „Demenz“
2. Gibt es Ressourcen?
3. Sprachdiagnostik: Zum Beispiel Z-DD (HfH)
4. Sprach- und Kommunikationstherapie: Zum Beispiel KODOP (HfH)
5. Kommunikationstipps
6. Perspektive: www.demenzsprache-hfh.ch
[email protected]
Sprache und Kommunikation
intrapsychisch
Laute – Worte – Sätze
interpsychisch
Thema - Konventionen - Verhalten
Arbeitsbereiche der Logopädie
Phonologie
Sprache:
Informationsaufnahme
Informationsspeicherung
Informationsabruf
Phonetik
Kommunikation
Sprechwerkzeuge:
Sprachstörungen
Lippen, Mundraum
Rachenraum
Gaumen
Transport
über Nervenbahnen
Körper
Sprechstörungen
Gesicht
Stimme
Stimmbänder
Kehlkopf
Schlucken
Schluckstörungen
Mimik, Gestik
ATMUNG
Stichwort „Demografischer Wandel“
Alter als Last:
Überalterung der Gesellschaft
Lebenserwartung des Einzelnen
Lebensspanne versus Gesundheitsspanne
Alter = kognitiver / mnestischer Abbau?
© 2010 HfH Jürgen Steiner
Alter als Chance:
Lebensarbeitszeit
ehrenamtliche Ressource
Neuordnung der Zuteilung
Neue Wohnformen
Definition Demenz / Demenzbehandlung
-
Erkrankung
chronisch-progredientem
kognitiv-mnestischer
Orientierungsstörungen
Zeitraum über halbes Jahr
Veränderungen des Verhaltens, des Empfindens und der
Kommunikation
selbständige Lebensführung
Beziehung zu anderen Menschen.
Standard der Behandlung ist die Triage medikamentös – nichtmedikamentös – beratend; die Logopädie ist Teil eines
multidisziplinären Angebots.
© 2011 HfH Jürgen Steiner
Stichwort „Demenz“ (Swiss Medical Weekly)
Problem: (Sonntags-Zeitung 12.09.10)
2007:102 T / 2030: 196 T / 2050 311 T (Betroffene)
2007: 2,8 Milliarden SFR (Pflegekosten jährl.)
2007: 3,5 Milliarden SFR (Gesundheitskosten jährl.)
2007: 107 T SFR (Pflegeheim pro Pers. jährl.)
Lösung / Auftrag:
Teilhabe durch
Aktivität, Sinn, Orientierung
Kontakt z.B. über
Lesen, Schreiben, Gespräch
Sprache / Kommunikation  Kognition / Gedächtnis
© 2010 HfH Jürgen Steiner
Zahlen für die Schweiz (7,7 Mio. Einwohner, Südtirol: 0,5
Mio.)
•
•
•
diagnostizierte Fälle gesamt: 120-150.000
nicht diagnostizierte aber manifestierte Fälle gesamt: 60-75.000
nicht diagnostizierte Fälle unter Erkennungsschwelle: unklar (4-8fach?)
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•
Stichworte Dunkelziffer:
Mild Cognitive Impairment
DIAS-Studie
Sandholzer-Studie
© 2011 HfH Jürgen
Steiner
Ressourcen im Umfeld: Multiprofessionelle Zugänge und Angebote
Neuropsychologie
Physiotherapie
Facharzt
Hausarzt
Logopädie
Krankenhaus
Familie
Ergotherapie
PB
gesetzl.
Betreuer
Pflegedienst
Selbsthilfe
Rhea─Klinik
© 2010 HfH Jürgen Steiner
Kognition: Ressource beim Primärbetroffenen
Quelle: Oswald
Sprache: Ressourcen beim Primärbetroffenen
Sprachlich-kommunikative Ressourcen in verschiedenen Stadien der
Alzheimerschen Erkrankung
Stadium
erwartbare sprachliche Ressourcen
frühes Stadium
intakte Phonologie und Syntax
gute Lese- und Schreibfähigkeit (Texte)
gute Konzentrationsfähigkeit
Fehlerbewußtsein
mittleres Stadium
intakte Phonologie und Syntax
gute Lese- und Schreibfähigkeit (mindestens auf
Wortebene)
spätes Stadium
adäquate emotionale Reaktionen
ansprechbar für Musik
ansprechbar für taktile und visuelle Reize
Wunsch nach Kommunikation
Nonverbale Kommunikation: Ressourcen der
Gesprächspartner
•
PB: Emotionen als Festung
•
SB: Achtsamkeit eigenen Emotionen gegenüber
•
SB: Aufgreifen der beobachteten Gefühle des Gegenübers
(Aufmerksamkeit, Freude, Ärger, Angst, Traurigkeit)
© 2010 HfH Jürgen Steiner
Tipp: Film „Zeichensprache“
www.zfg.uzh.ch
Kommunikation: Ressourcen beim Sekundärbetroffenen
Die drei Hauptsäulen des gelingenden Gesprächs
Tempo
Klima
• Rhythmus und
Zeit
• Beispiel: turntaking
• Ziel: das
langsamere
Gespräch
• Missverständnisse
• Beispiel: repairs
• Ziel: das
entspannte
Gespräch
Informationsgehalt
• Thema
• Beispiel: Kohärenz
• Ziel: das weniger
informative
Gespräch
Die drei Hauptsäulen des gelingenden Gesprächs
© 2010 HfH Jürgen Steiner
Appell: Verwirrt nicht die Verwirrten
ja!
aber:
aktiviert die noch Aktiven,
stiftet Sinn, Orientierung und Kontakt (über
Lesen, Schreiben und Gespräche)
Diagnostik: Multimorbidität erfordert Multiprofessionalität
Neuropsychologie
Physiotherapie
Facharzt
Hausarzt
Logopädie
Krankenhaus
Familie
Ergotherapie
PB
gesetzl.
Betreuer
Pflegedienst
Selbsthilfe
Rhea─Klinik
© 2010 HfH Jürgen Steiner
Symptomatik: Logopädisch relevante Kernsymptome
Zwei Kernsymptome
sprachstrukturell:
• semantische Organisations-,
Einspeicherungs- und
Abrufstörungen mit
assoziativen
Beeinträchtigungen
(Reduzierung der
Wortabrufgeschwindigkeit und
-menge als quantitativer
Aspekt und Verlust im
Verstehen von und im Umgang
mit übertragenen
Bedeutungen, wie z.B. in
Sprichworten oder Metaphern)
• Schrift: Veränderung des
Schriftbildes als konstruktive
Störung, Aktivitätsrückzug im
Lesen und Schreiben
Drei Kernsymptome
kommunikativ:
• Hilflosigkeit im
kommunikativen Kontakt sowie
in der Aufrechterhaltung und
Beendigung von Gesprächen
• Verlust der diskursiven
Struktur (der „rote Faden“ ist
gefährdet), eigene
Gesprächsanteile sind
ungenau, uninformativ,
irrelevant oder weitschweifig
• kommunikativer Rückzug
Nichtmedikamentöse Therapie
Indikation: Stadien
und Interventionsformen
1) Verunsicherung
2) Ziellosigkeit
3) Schutzlosigkeit
1) Th+PB, Th+PB+SB, Th+PBs (Aktivierung, Selbstwirksamkeit)
2) Th+SB (Kommunikationsstrategien, Entlastung)
3) Th+SB (Schutz, Validation)
Grundvoraussetzung jeder Therapie / Beratung: Wunsch nach Wandel
Ziele und Inhalte: Kompetenzfacetten
Selbstwert &
Identität,
Selbstgewahrsein
der Ressourcen
etwas können
Lust & Freude,
Zugehörigkeit
Aufträge
annehmen, Erfolg
haben
Orientierung &
Kontrolle
etwas/ sich selbst
kontrollieren
Sinn,
Kontakt,
Sicherheit,
Konstanz
Fokus der Logopädie:
Niveauangepasstes Lesen, Schreiben,
Strategien in Gesprächen
© 2010 HfH Jürgen Steiner
Therapie in der Übersicht: 5 Zieldimensionen, über 35 Verfahren unter
Beteiligung von mindestens drei Disziplinen (Pflege – Neuropsychologie –
Logopädie), wenig Spezifisches für den Fokus Sprache – Kommunikation (rot =
wird im Buchtipp unten ausführlich dargestellt, unterstrichen = wird im
Filmausschnitt dargestellt)
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•
•
Verfahren zur kognitiv-mnestische Aktivierung, die im aktuellen Werk von
Bourgeouis & Hickey 2009 als „Functional Approach“ bezeichnet werden. Beispiel:
Computerunterstützte Gedächtnistrainings.
Verfahren für eine unspezifische allgemeine oder kommunikative Aktivierung.
Beispiele: Musiktherapie, Kunsttherapie, Tiertherapie, Tanztherapie, Gartentherapie.
Vorschläge für eine kommunikative Balance, die von einer „communicative
Wellness“ (vgl. Lubinski & Orange 2000), bis hin zu gezieltem Strategie-Coachings
(vgl. Steiner 2010) reichen. Beispiele: TanDem von Haberstroh 2006 et al. und
Dialogcoaching von Steiner 2010, Vorschläge zur Gruppentherapie Steiner 2010.
Vorschläge zur sprachlicher Aktivierung (Lesen, Schreiben, Gespräche). Beispiele:
ASTRAIN von Köpf 2001, KODOP von Steiner 2010 und HOT von ReddemannTschaikner 2002 (derzeitige Konzeption bezieht sich auf die Kindertherapie und
wartet auf eine Adaptation).
Angebote zur Entlastung (Gespräch) und Entspannung (Musik, Phantasiereisen,
Entspannung durch Atmung usw.)
Literaturtipp: Jürgen Steiner 2010 (Reinhardt-Verlag)
KODOP (Kommunikation-Dokumentation-Präsentation
nach Steiner 2007 / 2010)
• Ziel: Sinnstiftung und Kompetenzerleben mittels Sprache, Erleben
von Normalität im Dialog, Anknüpfung an die Biografie, Produzieren
eines „Werkes“
• Verantwortung: PB für Thema, Th für Ablauf, Gespräch und
Dokumentation
• Vorgehen: vom dichten Gespräch (KO) mit Fragen und Notizen zu
Vorschlägen für einen Textbaustein, die dem Erleben des PB
entsprechen (DO); das Ergebnis (fertiger Text) ist anderen
vorzeigbar, kann ergänzt und noch einmal angeschaut werden (P)
demenzgerecht kommunizieren
• Allgemein: langsamer, informationsarmer, ungeteilte
Aufmerksamkeit, Konflikt vermeiden, Gesagtes
anerkennen und wertschätzen, sich nicht angegriffen
fühlen, loben, Positives verstärken
• Beginnende und mittlere Phase: vertiefende Fragen,
Gesagtes aufgreifen, auf Erinnerungen Bezug nehmen
• Im weiteren Verlauf der Demenz: Berührungen und
gemeinsames Bewegen zur Kontaktstiftung, auf Gesicht
und Körper achten und verbalisieren, Sinne anregen
(Sprache begleitet)
21 Praktische Tipps zur Kommunikationsberatung Demenz-Mitbetroffener
(nach Steiner 1996 sowie Füsgen 2005)
Tempo
Klima
Information
1) Versuchen Sie die Gratwanderung zwischen „starker Führung“ (selbst mehr
Sprechen) und Geschehenlassen/Wahrnehmen (Pausen gemeinsam ertragen,
dem Partner Zeit und Raum geben).
2) Bitte Frage – Antwort als Gesprächsform vermeiden.
3) Übernehmen Sie die Verantwortung für das Thema und führen Sie die
Betroffenen immer wieder sanft zurück.
4) Bleiben Sie bezüglich Gestik, Mimik und Tonfall freundlich und positiv wenn
Sie etwas nicht verstehen.
5) Beruhigen Sie (vorsichtig) mit ihrer Stimme.
6) Hören Sie mit dem Herzen (nicht nur die Worte und Informationen), raten Sie
den Sinn und fragen Sie mit einer freundlichen Suggestivfrage nach.
7) Gespräche dienen mehr dem Kontakt als dem Wissensaustausch.
8) Diskussionen und Differenzen vermeiden – lieber gemeinsam ein Thema
anschauen.
9) Sehen Sie Ihren Gesprächspartner nicht nur in seiner Aktualität, sondern
auch in seiner Potentialität/Historizität.
10) Manchmal hilft ein freundlicher, taktvoller Körperkontakt.
© Steiner 2007
Tempo
Klima
Information
11) Manchmal kann man die Schrift (Lesen, Aufschreiben) oder Zeichnungen
als Hilfe einsetzen.
12) Sprechen Sie einfach und machen Sie Pausen, in denen Sie auf Ihren
Gesprächspartner achten.
13) Benutzen Sie in Sätzen viele (sonst redundante) Schlüsselworte.
14) Für den Betroffenen Wichtiges gehört an den Anfang Ihrer Äußerung;
Wiederholen Sie das Wichtige eventuell.
15) Benutzen Sie positive Sprache – suchen Sie aktiv das Positive im
Gespräch; bleiben Sie gleichzeitig ehrlich mit sich, wenn Sie sich überfordert
fühlen.
16) Schauen Sie sich Fotos und Erinnerungen aus der Vergangenheit an.
17) Singen Sie gemeinsam.
18) Handeln Sie gemeinsam.
19) Machen Sie gemeinsam Übungen mit Ihrem Körper; genießen Sie das
Verstehen ohne Worte und Zärtlichkeiten.
20) Seien Sie nachsichtig und geduldig mit sich selbst.
21) Haben Sie keine Scheu vor der Verstärkung von Aussenkontakten –
suchen Sie Entlastung
© Steiner 2007
Geistig fit bleiben
Es gilt die Formel UBS (als Symbol für Gewinn):
• use it or loose it
• go besides cognitive routines
• train new motor skills
• Alternativ-Formel: A-B-C-D-E+Tee+T
inspiriert durch Jäncke 2010, siehe auch
http://www.psychologie.uzh.ch/fachrichtungen/geronto/INAPIC.html
Buch und Film zum Vortrag
Im Buchhandel erhältlich:
Jürgen Steiner
Sprachtherapie bei Demenz
Aufgabengebiet und ressourcenorientierte Praxis
Mit einem Beitrag von Torsten Bur
(Praxis der Sprachtherapie und Sprachheilpädagogik; 5)
ca. 158 Seiten. ca. 20 Abb. ca. 19 Tab.
(978-3-497-02174-1) ca. € 24,90
Bestelladresse Film:
www.hfh.ch/shop
ca. € 25,--
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