21.09.2013 Dr. med. Verena Meyer 1 Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Anästhesie bei adipösen Patienten und ihre Versorgung im Rettungsdienst Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Gliederung: • • • • • • • • • • Relevanz des Themas Definition Adipositas Ursachen Pathophysiologie der Atemwege Technische Voraussetzungen/Schwierigkeiten Lagerung Intubation/Airwaymanagement-Devices Beatmung Rettung und Transport Fazit Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • • • Relevanz des Themas Derzeit gelten 23,3 % der Männer und 23,9 % der Frauen als adipös (laut DEGS = Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland) (8) Über 50 % der Erwachsenen sind übergewichtig (4) Seit 1985 offiziell als weltweit chronische Krankheit anerkannt, nicht nur als Risikofaktor (6) Behandlung und Folgen kosten knapp 5 % der Gesundheitsausgaben in den Industrieländern (7) => Trotzdem nur sehr wenige, wissenschaftliche Studien und Leitlinien, umso wichtiger pathophysiologische Grundlagen (6) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Definition der Adipositas • „…eine über das normale Maß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts…“ (4) (7) • BMI [kg/m²]= Körpergewicht (kg)/Körpergröße² (m²) (5) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • • Ursachen In seltenen Fällen durch D. Mellitus oder M. Cushing (5) Meist durch „modernen Lebensstil“, Medikamente, Bewegungsmangel und Umweltfaktoren (4) Häufige Begleiterkrankungen: Arterieller Hypertonus Pulmonalarterielle Hypertonie Kardiomyopathie mit Links- und Rechtsherzinsuffizienz Koronare Herzerkrankung Diabetes Mellitus Typ 2 (4) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Mit steigendem BMI (und damit auch steigende Komorbiditäten) steigt die medizinisch und einsatztechnische Herausforderung! (4) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • • • Pathophysiologie der Atemwege Lunge wächst bei Zunahme der Fettmasse nicht mit! (6) Tidalvolumen in Relation zum Körpergewicht klein: Ventilation besonders apikal, Perfusion besonders basal => mäßige arterielle Hypoxämie (6) Erhöhte Tidalvolumen erzielen keine Verbesserung der arteriellen Oxygenierung (4) Anpassung der Beatmung an Idealgewicht, sonst Gefahr von Barotrauma und beatmungsassoziierten Lungenschäden (VALI) (6) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • Pathophysiologie der Atemwege In Blutgasanalysen oder Lungenfunktionstests lassen sich fast immer Abweichungen finden: Niedrige Compliance (verdickten Thorax durch Fettgewebe und oft thorakale Kyphose, niedrige Compliance der Lunge selbst) => Atemarbeit , O2 Verbrauch , CO2 Produktion (6) durch Compliance und intraabdominellen Druck nach oben verschobenes Zwerchfell => FRC und RV (Verstärkung im Liegen) (7) Insgesamt Bild einer restriktiven Lungenerkrankung (4) Verschluss kleiner Atemwege in der Exspiration aufgrund einer FRC unterhalb des critical closing volume (bei normalgewichtigen Gesunden immer oberhalb) (6) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) (7) 1: gesunder schlanker Patient 3: stark adipöser Patient, Rückenlage 2: adipöser Patient, sitzende Position 4: adipöser Patient in Allgemeinanästhesie Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Pathophysiologie der Atemwege (7) • Obere Atemwege: Primäres Ziel bei der Narkose oder NIV => offenhalten der Atemwege und Oxygenierung • Adipositas ist per se ein Hinweis für erschwerte Maskenbeatmung • Schwierigkeiten durch Fettgewebseinlagerungen in die Pharyxwand, Uvula, Tonsillen, Zunge und Aryfalten => Einengung der Atemwege und Kollapsneigung • Überproportional großer Zungengrund mit oft erschwerte Laryngoskopie und Intubation Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • Pathophysiologie der Atemwege (7) Respiratorische Funktionsstörungen sehr variabel und korrelieren nicht immer mit Schweregrad der Adipositas Störungen durch Atemmechanik und Gasaustausch Rippenbewegung eingeschränkt Relative Fixierung des Thorax in Inspirationsstellung Diaphragma steht hoch und ist von der Bewegung eingeschränkt Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Adipositas und COPD/SAS • Atemwegswiderstand durch funktionelle und strukturelle Schädigung der kleinen Atemwege => chron. air trapping und intrinsic peep (6) • Gesteigerte Totraumventilation mit Störung des Ventilations-Perfusions-Verhältnis (6) =>Atelektasenbildung , CO2-Retention und Hypoxämie (6) • Häufig auch Kombination mit Pickwick-Syndrom oder SAS => verstärkt CO2-Retention und Hypoxämie (6) • Etwa die Hälfte aller krankhaft adipösen Patienten leitet unter einem SAS (3) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • • • Technische Voraussetzungen/Schwierigkeiten (6) Große RR-Manschetten => mindestens 2/3 der Oberarmlänge (sonst RR zu hoch gemessen) Punktion peripherer Venen Ggf. zentraler Zugang/intraossärer Zugang Höchstbelastung für Trage, Stuhl und Belastung der Kollegen Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • • • Lagerung Unterschätzte Wichtigkeit Generell: leichte Linksseitenlage wegen V.-CavaKompressionssysndrom (4) Falls möglich OK-Hochlagerung: verbessert pulmonalen Gasaustausch, arterielle Oxygenierung, niedrigere Beatmungsdrücke (6) Jackson-Position, wenn möglich (4) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) (7) Erschwerte Lagerung durch massives nuchales Fettpolster und Mißverhältnis zwischen Skelett und Weichteilen Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • • • • Intubation Ausreichend Personal (6) und sichere Indikation (4) Gute und lange (richtige!) Präoxygenierung / Denitrogenisierung (7) (3-5 min bei Normalgewichtigen wächst 95 % des Stickstoffs aus) (6) Beatmungshilfen (Guedel) sind bei Maskenbeatmung zu empfehlen (7) Kissen zur Anhebung der Thoraxapertur, der Schultern und des Kopfes => oropharyngolaryngeale Achse optimieren (7) In 13-24 % schwierige Intubation (7), besonders bei „zentraler Gewichtsverteilung“, Vollbart, prominente Zähne, Schnarchen (6) => Plan B bereithalten/alternatives Atemwegsmanagement Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) (7) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Intubation (6) • Zusäztliche Probleme: Erhöhter abdomineller Druck Verzögerte Magenentleerung mit großem Magensaftvolumen und niedrigem pH Inzidenz von gastroösophagealem Reflux => Erhöhte Gefahr von Regurgitation und Aspiration • häufig RSI-Einleitung (empfohlen ab BMI > 30 kg/m2) mit „ramped position“ (OK hoch) • Sellick-Handgriff (Krikoiddruck): soll Magensäurereflux verhindern verschlechtert laryngoskopische Sicht, eventuell Würgen/Erbrechen Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Intubation (6) • RSI-Einleitung: durch längere Atmung von reinem Sauerstoff (FiO2 von 1,0) Bildung von Resorptionsatelektasen ABER: durch erheblich reduzierte FRC ist nichthypoxämische Apnoephasen deutlich verkürzt => Ideallösung: FiO2 100% und PEEP von 10 cmH2O • Nach Intubation Recruitmentmanöver empfohlen, cave kardiovaskuläre NW, besonders bei hypovolämen Patienten Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • • Intubation Verifizierung der Tubuslage: Auskultation Magen/Lunge Kapnographie (4) Magensonde erwägen zur Entlastung des Magens Verbesserung der FRC Vermeidung von Regurgitation (6) Bei Fehllage vorsichtige Maskenbeatmung, ggf. supraglottische Beatmungshilfe (6) CAVE: häufig reduzierter Auskultationsbefund aufgrund der Weichteildämpfung (4) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • Airwaymanagement-Devices (4) Larynxmaske: Einfache Handhabung Kein Aspirationsschutz Keine hohen Beatmungsdrücke oder nur unter erhöhtem Cuffdruck (cave: Mageninsufflation) Geringe Rotationsstabilität mit evt. insuff. Ventilation • Combitube Magenentlastung bei ösophagealer Lage möglich Durch starre/harte Beschaffenheit Weichteilverletzungen möglich Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Airwaymanagement-Devices (4) • Larynxtubus Einfache Handhabung Toleriert hohe Beatmungsdrück • Intubationslarynxmaske/Fastrach In zweiter Instanz endotracheale Intubation möglich Handhabung deutlich schwieriger (Erfolgsrate zwischen 50-90%) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • • • Beatmung (6) Tidalvolumen von max. 8-10 ml (Lunge relativ klein!) Neigung zu Alveolarkollaps durch Lagerung, Narkoseinduktion und –aufrechterhaltung => PEEP unverzichtbar Verbesserung der Oxygenierung ist signifikant mit alveolärem Recruitment assoziiert richtig: positiven Druck von 40-50 cmH2O über 10-15 s! => dann deutlich positive Effekte auf Gasaustausch, eventuell häufiger wiederholen bei nur kurzem Effekt Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Beatmung (6) • FiO2: Versuch durch erhöhte O2-Zufuhr Hypoxämie zu therapieren => falscher Ansatz, da Hypoxämie aufgrund von intrapulmonalem Rechts-Links-Shunt durch Atelektasenbildung entsteht => Erhöhung des mittleren Atemwegsdrucks, PEEP, Lagerung und Recuritment Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • Rettung und Transport (4) Schwierigkeiten bereits am Einsatzort Mobilisierung Spezifische räumliche Verhältnisse (Treppenhäuser, schmale Türen) Rettung über Türen/Fenster mit enormen Improvisationsvermögen und mit Hilfe der Technischen Rettung Erschwerte Bedingungen im Rettungsmittel Kleine Innenräume „relativ“ schmale Trage (meist bis 180 kg zugelassen) und Geräte Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Rettung und Transport • Zielklinik sorgfältig aussuchen Diagnostik über 150 kg möglich (CT/Rötgen)? OP möglich (Kapazität der OP-Tische)? Betten (BariAir) vorhanden? (1) => adäquate medizinische, logistische und technische Betreuung der Patienten möglich? (2) • Voranmeldung massiv adipöser Patienten in der Zielklinik (2) • Aus- und Weiterbildung für alle beteiligten Disziplinen im Bereich der Versorgung adipöser Patienten (1) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) • • • • • • • Fazit In Zukunft immer häufiger Behandlung von adipösen Patienten Fort- und Weiterbildung auf diesem Gebiet unerlässlich Neben Übung/Erfahrung auch logistische und technische Voraussetzungen prüfen Immer auf schwierigen Atemweg vorbereitet sein Lungenprotektive, druckkontrollierte Beatmung mit genügend PEEP Lagerung hat einen hohen Stellenwert Bei Bedarf großzügig um Hilfe bitten (Manpower) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) Quellen: (1)Bartels U E, Brinkmann A, Ziegler M, Schmidt A (2012) Eine schwere Aufgabe – adipöse Patienten im der Notfallmedizin. Notfall Rettungsmed 3: 241-244 (2)Giesel M, Wißuwa H, Puchstein C (2009) Adipositas permaxima in der Notfallrettung. Notfall Rettungsmed 3: 211-214 (3)Hartmann B, Junger A, Klasen J (2005) Anästhesie und Schlaf-Apnoe-Syndrom. Anaesthesist 7: 684-693 (4)Hauschild S W, Wirtz S, Köster N, Nölken W (2005) Der adipöse Patient im Rettungsdienst. Notfall Rettungsmed 3: 207-215 Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie (AINS) (5)Konrad F M, Kramer K M, Schroeder T H, Stubbig K (2011) Anästhesie bei bariatrischer Chirurgie. Anaestesist 7: 607-616 (6)Lewandowski K, Turinsky S (2008) Beatmung von Patienten mit Adipositas per magna in Anästhesie und Intensivmedizin. Anaesthesist 10: 1015-1034 (7)Reber A (2005) Atemwege und respiratorische Funktion bei Adipositas. Anaesthesist 7: 715-727 (8)Ried J (2013) Adipositas, Diskussion um Chancen und Risiken. Dtsch Arztebl; 110(29/30): A 1429-31