Politische Parteien PD Dr. Silvia von Steinsdorff Vorlesung: Demokratien, Autokratien, Grauzonenregime. Die politischen Systeme in Ost- und Südosteuropa 12. Juni 2007 Fazit zu Wahlen und Wahlsystemen • Wahlrecht als klassisches Thema des „institutional engineering“ Direkter Zusammenhang zwischen Wahlsystem und Parteienentwicklung? Mehrheitssicherung versus Repräsentativität • Vier „Modelltypen“ in Osteuropa: - Verhältniswahl (im Mehrpersonenwahlkreis) (12 + 2 Länder) - Grabensysteme (5 1) - Kompensatorische Wahlsysteme (2) Absolute Mehrheitswahl (3 1) • „Institutional engineering“ führte in MOE zu sehr komplizierten Wahlsystemen, die beabsichtigten Effekte sind aber nur sehr bedingt eingetreten! PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 2 Gliederung 0. Wahlen als Gradmesser der Demokratiequalität 1. 1.1 1.2 Bedeutung politischer Parteien im demokratischen Konsolidierungsprozess Parteien und Wahlen Parteien im Parlament 2. 2.1 2.2 2.3 Gründe der defizitären Parteientwicklung Sozio-kulturelle Erklärungsansätze Institutionelle Erklärungsansätze Akteurs- und wählerzentrierte Erklärungsansätze PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 3 Wahlen als Gradmesser der Demokratiequalität • Allgemeine, gleiche, geheime und freie Wahlen in allen Verfassungen verankert • Genauere Regelungen meist in eigenen Gesetzen (leichter zu ändern ständiger Wandel des Wahlrechts in einigen Ländern; Demokratiedefizit oder demokratischer Lerneffekt?) PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 4 Allgemeine Wahlen • De jure fast überall gewährleistet Problemfälle: Estland und Lettland exklusive Staatsbürgerschaft (Diskriminierung der ethnischen Russen) • De facto überall dort problematisch, wo ethnische Konflikte bzw. Sezessionsbestrebungen existieren (Bosnien, Serbien, Moldova) PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 5 Freie Wahlen • In allen Staaten der ehemaligen Sowjetunion und des ehemaligen Jugoslawien sowie in Polen: zunächst halbfreie „Vorgründungswahlen“ entscheidende Weichenstellungen bereits vorab vollzogen • De jure: seither überall freie Wahlen verankert • De facto: Beeinträchtigungen ex-ante (Behinderung von Oppositionskandidaten, Parteiverbote etc.) und ex-post (Fälschungen) nehmen zu: Weißrussland, Ukraine, Russland als Beispiele ABER: besondere Sensibilität der Bevölkerungen! PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 6 Faire Wahlen Größtes Problem, da Verstöße oft nur schwierig zu messen/nachzuweisen Häufige Mängel: • Ungerechte Wahlkampffinanzierung • Ungleicher Medienzugang • Missbrauch des „Amtsbonus“ • Beeinflussung der Wähler (Geschenke, Militär in den Wahllokalen etc.) ABER: Unterscheidung zwischen „technischen“ Mängeln (mangelnder Erfahrung) und bewusster Verletzung der Fairness PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 7 Bedeutung politischer Parteien im demokratischen Konsolidierungsprozess • Repräsentative Ebene der Konsolidierung Artikulation und Aggregation gesellschaftlicher Interessen große Defizite in MOE (Gewerkschaften, Parteien etc.) • Scheinbares (?) Paradox: Gefährdung der Demokratie in Westeuropa durch zu dominante Parteien, in Osteuropa durch zu schwache Parteien PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 8 Definitionen • Politische Partei: auf Dauer gerichtete Vereinigung politisch gleichgesinnter Teile der Bevölkerung, die am Wettbewerb um poitische Macht teilnimmt MOE: Proto-, Pseudo-, „Sofapartei“ • Parteiensystem: Gesamtheit der in einem politischen Gemeinwesen agierenden Parteien und die Regelmäßigkeiten ihrer wechselseitigen Beziehungen Unterscheidung der Rolle von Parteien - bei Wahlen - im Parlament PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 9 Parteien und Wahlen (1) Verschiedene Indikatoren zur Performanz von Parteien bei den (Parlaments)wahlen: • Proportionalität: Anteil „verlorener Stimmen“ im Vergleich zu Westeuropa (Dtl: ca. 98%) geringer und schwankend, aber starke Stabilisierungstendenzen (zw. 60 und 90%); generell höher in Ländern mit VW (Slowakei, Tschechien, Slowenien, Rumänien, Bulgarien…) oder kompensator. System (Ungarn) PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 10 Parteien und Wahlen (2) • Fragmentierung/effektive Parteienzahl: Anzahl und relative Größe der Parteien im Parlament Bsp. Polen 1991: 27 Parteien im Parlament EP = 13,9 Bsp. Ungarn 2006: 5 Parteien im Parlament EP = 2,7 PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 11 Parteien und Wahlen (3) • Volatilität: Veränderung der Wahlergebnisse für jede Partei in zwei aufeinander folgenden Wahlen MOE: „bereinigte Volatilität“ wegen starker Fluktuation der Parteien bzw. Parteinamen PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 12 Land Effizente Volatilität (V) Parteienzahl (eF) Wahljahr Anzahl (N) Fragmentierung (F) Deutschland 2005 2002 7 6 0,8 0,7 4,5 3,9 10,6 6,8 Frankreich 2002 1997 9 9 0,65 2,8 26,2 Großbritannien 2005 2001 6 5 0,73 0,7 3,7 3,3 5,5 3,2 Italien 2006 2001 10 10 0,82 0,84 5,6 6,5 8,1 Ungarn 2006 2002 5 7 0,63 2,7 10,0 Polen 2005 10 0,83 5,9 2001 8 0,78 4,5 1991 16 0,93 13,8 2002 11 0,86 7 1998 10 0,86 7 Lettland PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 44,8 13 Parteien im Parlament Fraktionen als wichtigste Handlungseinheit Problem des „Fraktionstourismus“ Zusammenhang mit der Regierungsstabilität Beispiel Litauen: 4/1/4 Regierungswechsel während der ersten drei Legislaturperioden, aber keine einzige vorzeitige Parlamentsauflösung Beispiel Tschechien: monatelanges Tauziehen um Regierungsbildung (Patt) 2006/07, aber keine Parlamentsauflösung! PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 14 Gründe für die defizitäre Parteientwicklung in MOE (1) • Sozio-kulturelle Ansätze (Cleavage-Theorie, Frage der Programmatik) gesellschaftliche Interessenstrukturen bilden sich erst allmählich! • Institutionelle Begründungen - ständig veränderte Rahmenbedingungen (Wahlrecht, Regierungssystem) - Hang zu informellen Regelungen fluide Parteisysteme als logische Folge PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 15 Gründe für die defizitäre Parteientwicklung in MOE (2) • Akteurs- und wählerzentrierte Erklärungen: Wähler stimmen rational nach ihrer individuellen Interessenlage ab Programmatik der Parteien entscheidend! ABER: - Rechts-Links-Achse funktioniert nur teilweise - zunächst keine Programmparteien vorhanden (H. Kitschelt: Führer-Partei Klientel-Partei Programmpartei PD Dr. Silvia von Steinsdorff Demokratie, Autokratien, Grauzonenregime 16