Prof. Dr. Dr. Christian Kirchner, LL.M. (Harvard) Humboldt Universität zu Berlin Juristische Fakultät / Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Ziele von Wettbewerbspolitik und -recht: Ein institutionenökonomischer Ansatz Vortrag am 4. Dezember 2006 Josef von Sonnenfels-Center Universität Wien Disposition 1. Vorweg 2. Einführung 3. Der verstärkt ökonomische Ansatz (more economic approach) 4. Konsumentenwohlfahrt vs. totale Wohlfahrt 5. Allgemeine Kritik am ‚more economic approach‘ 6. Spezifisch rechtswissenschaftliche Fragen 7. Institutionenökonomischer Ansatz (Methodenfragen) 8. Institutionenökonomischer Ansatz: Positive Analyse 9. Institutionenökonomischer Ansatz: Normative Analyse 10. Normative Konsequenzen für den ‚more economic approach‘ 11. Schlußfolgerungen für L&E-Ansätze Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 2 1. Vorweg 1. ‚Economics of Antitrust‘ - einer der Wurzeln von Law & Economics 2. Ökonomische Zielsetzung / ökonomische Instrumente / juristische Begriffe entliehen aus der ökonomischen Terminologie / Verrechtlichung der juristischen Begriffe (Beispiel: marktbeherrschende Stellung) 3. Streit um die Frage ausschließlich ökonomischer Ziele 4. Einführung ökonomischer Tests zur Präzisierung wettbewerbsrechtlicher Normen (beginnend im US-Antitrustrecht) 5. Methodik: neoklassische Wohlfahrtsökonomik 6. L&E-Fragestellung: Reduzierung auf den wohlfahrtsökonomischen Ansatz? 7. Methodenfrage paradigmatisch für Weiterentwicklung von L & E Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 3 2. Einführung 1. US-Einfluß auf die Zielsetzung des europäischen Wettbewerbsrechts 2. Konvergenz von US-Antitrustrecht und europäischem Wettbewerbsrecht? 3. Druck der Europäischen Gerichte auf die Kommission: Forderung nach einer besseren ökonomischen Fundierung der Entscheidungen 4. Einführung eines ‚more economic approach‘ in der FusionskontrollVerordnung 5. Generalisierung des ‚more economic approach‘ / Beispiel: Übertragung des Ansatzes auf die Kontrolle mißbräuchlicher Ausübung von Marktmacht (Art. 82 EG) 6. Kritik am ‚more economic approach‘ innerhalb des wohlfahrtsökonomischen Ansatzes (consumer surplus vs. total welfare) 7. Methodenkritik am ‚more economic approach‘ 8. Die L&E-Problematik Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 4 3. Der verstärkt ökonomische Ansatz 1. Ausgangspunkt: Präzise Erfassung der Wettbewerbsauswirkungen eines Unternehmenszusammenschlusses (übernommen aus dem US-Antitrustrecht) 2. Konzept: Messen von Wohlfahrtswirkungen veränderter Marktstrukturen, bewirkt durch ‘wettbewerbsbeschränkende Praktiken von Marktteilnehmern 3. Beispiel: Messen der Auswirkungen eines Unternehmenszusammenschlusses auf die Wahlmöglichkeiten der Marktteilnehmer der Marktgegenseite mit Hilfe von Kreuzpreiselastizitäten 4. Berücksichtigung von Verbesserung der produktiven Effizienz (Effizienzverteidigung) 5. Wohlfahrtsauswirkungen reduzierter Wahlmöglichkeiten auf die gesamte Wohlfahrt (total welfare) und auf die Konsumentenwohlfahrt (consumer surplus) Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 5 4. Konsumentenwohlfahrt vs.totale Wohlfahrt 1. Langfristige Betrachtung: Vorrang der totalen Wohlfahrt 2. Konsumentenwohlfahrt: Schutzaspekte im Anblick systematisch unvollkommener Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen 3. Pfadabhängigkeit: Konsumentenwohlfahrt schon in der alten Fassung der Fusionskontrollverordnung (auch in Art. 91 Abs. 3 EG!) 4. Konsumentenwohlfahrt beim Effizienztest (Nrn. 76 ff. Leitlinien) 5. Zwischenfazit: Ökonomische Ziele werden politisch gesetzt / Public Choice-Überlegungen (Vorteil der Politiker!) Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 6 5. Allgemeine Kritik am ‚more economic approach‘ 1. Verdrängung des Pluralismus ökonomischer (Wettbewerbs-) Theorien 2. Ausblenden langfristiger Effekte 3. Ausblenden dynamischer Effekte (insbesondere von Innovationseffekten) 4. Scheinpräzision Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 7 6. Spezifisch rechtswissenschaftliche Fragen 1. Kritik an der Verabsolutierung der ökonomischen Zielsetzung (allerdings auch Rückdrängung industriepolitischen Lobbying) 2. Kritik an der Einzelfallbeurteilung (case by case-approach) [allerdings: SIEC-Text als ausfüllungsbedürftige Generalklausel] 3. Kritik an der Einengung der Autonomie der Gerichte Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 8 7. Der institutionenökonomische Ansatz (Methodenfragen) 1. Die Änderung in den methodischen Annahmen - beschränkte Rationalität (bounded rationality) - systematisch unvollkommene Information - positive Transaktionskosten 2. Strenge Unterscheidung zwischen positiver und normativer Analyse 3. Unterscheidung zwischen der Handlungsebene und der Ebene der Handlungsbedingungen 4. Unterscheidung zwischen hierarchisch geordneten Ebenen von Handlungsbedingungen (de lege lata / de lege ferenda) 5. Bedeutung der positiven Analyse in einem gegebenen institutionellen Rahmen (Verabschiedung von Nirvana-Ansätzen) Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 9 8. Institutionenökonomischer Ansatz: Positive Analyse 1. Verzicht auf eine de lege ferende-Betrachtung in Bezug auf primäres Gemeinschaftsrecht 2. Frage nach den relevanten Akteuren - Parlament und Rat - Gericht Erster Instanz und Europäischer Gerichtshof - Europäische Kommission 3. Vorhersagen in Bezug auf die Entscheidungen der Akteure und das Zusammenspiel der Akteure 4. Public Choice-Anmerkungen 5. Zwischenergebnis: der ‚more economic approach‘ als ein Schritt in der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von ‚wettbewerbsbeschränkenden Praktiken‘ Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 10 9. Institutionenökonomischer Ansatz: normative Analyse 1. Philosophische Hintergründe unterschiedlicher normativer Ansätze - utilitaristischer Hintergrund der Wohlfahrtsökonomik - vertragstheoretische Ansätze: die Funktion der hypothetischen Konsenses (Konsensethik!) 2. Die Bedeutung systematisch unvollständiger Information: stärkere Gewichtung von Innovationspotentialen und offener Lösungen 3. Bedeutung der Entscheidungskosten - Kostennachteile von Fall-zu-Fall-Vorgehen - (unvollkommene) Regeln als Mittel der Kostensenkung [das Vorhersageproblem!] 4. Wachsamkeit gegenüber Rentseeking-Aktivitäten von politischen Entscheidungsträgern (Aufnahme der Public Choice-Argumente) Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 11 10. Normative Konsequenzen für den ‘more economic approach‘ 1. Verwendung des ‚more economic approach‘ als eines ersten AnalyseSchritts 2. Frage nach den Auswirkungen der Entscheidung auf Innovationspotentiale 3. Entwicklung von Regeln auf mittlerer Ebene Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 12 11. Schlußfolgerungen für L&E-Ansätze 1. Klare Trennung zwischen positiver und normativer Analyse 2. Modifizierung der Verhaltensannahmen (vgl. auch behavioural law and economics) 3. Vorrang der positiven Analyse 4. Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ebenen der Handlungsbedingungen 5. Beachtung von Rentseeking-Aktivitäten politischer Entscheidungsträger 6. Wohlfahrtstheoretisch begründete Vorschläge als erster Schritt, der im konsenstheoretischen Paradigma zu überprüfen ist 7. Suche nach pareto-superioren Lösungen (Win-Win-Situationen) Christian Kirchner Wettbewerbspolitik-Ziele /Wien 13