Prof. Dr. Johann Graf Lambsdorff Universität Passau WS 2006/07 Yr Y r A * D A * 0 D 4. Geldpolitische Regeln T P( K 0) R Yr KD KR KT 1 Literatur: Jarchow, H.-J. (2003), Theorie und Politik des Geldes, 11. Aufl. Göttingen, S. 334-352. Bofinger, P. (2001), Monetary Policy, Oxford University Press, S. 240-274. Weiterführende Literatur: Ball, L. (1997), Efficient Rules for Monetary Policy Rules, NBER Working Paper No. 5952 Ball, L. (1998), Policy Rules for Open Economics, NBER Working Paper No. 6760 2 • Neben der Art des Zwischenziels ist auch dessen Quantifizierung wichtig. • Für ein Geldmengenziel wird zumeist die Quantitätsgleichung für die Quantifizierung herangezogen: MV=pYr, wobei V die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes kennzeichnet. • Werden beide Seiten logarithmiert und nach der Zeit differenziert, so lässt sich dies in Wachstumsraten ausdrücken: m+v=+yr. 3 • Anders geschrieben gilt: m=+yr-v. • Die Wachstumsrate der Geldmenge (m) entspricht also der Summe aus der Wachstumsrate der Inflationsrate (), der Wachstumsrate des realen Inlandsprodukts (yr) abzüglich der Wachstumsrate der Umlaufgeschwindigkeit (v). • Sofern für diese Werte Vorgaben gemacht werden, kann hieraus ein Zielwert für die Geldmenge bestimmt werden. • Dies hat die Deutsche Bundesbank früher gemacht. Die Europäische Zentralbank hat dies übernommen, allerdings ohne diesem Referenzwert die gleiche 4 Bedeutung beizumessen. • Für die einzelnen Werte werden Prognosen und normative Setzungen herangezogen. • Die Inflationsnorm, *, setzt die EZB auf unter 2 v.H. • Das trendmäßige Potentialwachstum des Inlandsprodukts, yr*, im Euro-Währungsgebiet liegt bei 2 bis 2,5 v.H. • Die Orientierung am Potentialwachstum impliziert eine antizyklische Ausrichtung. In einer Rezessionsphase mit unterausgelasteten Kapazitäten fällt das Geldmengenwachstum höher aus, als zur Finanzierung des tatsächlichen Produktionswachstums erforderlich. • In einer Boomphase ist das Wachstum der Geldmenge hingegen geringer. 5 • Die Umlaufgeschwindigkeit verringert sich jährlich um 0,5 bis 1 v.H. • Diese Werte wurden von der EZB im Dezember der vergangenen Jahre zu einem Referenzwert für die Wachstumsrate von M3 von 4,5 v.H. aufaddiert. • Die Europäische Zentralbank betont hierbei, dass der Referenzwert nur mittelfristig beachtet wird und dass jährliche Abweichungen in Kauf genommen werden. • So hebt die EZB in ihrer Veröffentlichung vom 5.12.2002 die erhöhte Geldhaltung nach den Kurseinbrüchen am Aktienmarkt hervor, um hiermit ein Abweichen vom Referenzwert nach oben zu begründen. 6 • Bei der Verfolgung eines inflation targeting kann zur Quantifizierung eine Inflationsprognose verwendet werden, z.B. bezüglich der in zwei Jahren zu erwartenden Inflationsrate. • In diesem Fall wird auch der Begriff des inflation forecast targeting verwendet. • Ein Inflationsprognose ist allerdings selbst abhängig von der zukünftigen Politik der Zentralbank. • Um diesen Effekt zu eliminieren wird von der Bank of England, eine Inflationsprognose erstellt unter der Annahme eines kurzfristig konstanten Zinsniveaus. 7 Quelle: www.bankofengland.co.uk 8 • Wird im Rahmen eines inflation forecast targeting der kurzfristige Zinssatz als Zwischenziel verwendet, so lässt sich folgende Formel für die Zinsanpassung verwenden: it iˆ ( t T |it1 ) ; 0. • Hierbei ist iˆ der langfristig durchschnittliche kurzfristige Nominalzinssatz, der Zielwert für die Inflationsrate und t T |i die zum Zeitpunkt t geschätzte Inflationsrate für t+T. t 1 9 • Die Höhe von bestimmt dabei die Schnelligkeit des Anpassungsprozesses. • Für die Inflationsprognose können neben der Entwicklung der Geldmenge diverse weitere Größen berücksichtigt werden, wie z.B. Rohstoffpreise, Löhne, Wechselkurse, Vermögenspreise, Zinsstrukturkurve, Staatsausgaben, Kapazitätsauslastung sowie Umfragen bei Haushalte und Unternehmen. 10 • Insoweit ist das inflation forecast targeting gegenüber einer reinen Steuerung der Geldmenge ein breiter angelegtes Konzept, bei dem viele weitere Einflussgrößen Verwendung finden. • Diese methodische Offenheit hat den Nachteil, dass die hieraus resultierenden Handlungsanweisungen unklarer sind und schwerer nach außen zu kommunizieren. • Zur Erhöhung der Transparenz wird zumeist empfohlen, die Inflationsprognose der Zentralbank zu veröffentlichen. 11 • Alternativ könnte die Zentralbank auch auf rein private Prognosen zurückgreifen. • Diese haben aber den Nachteil, Erwartungen bezüglich zukünftiger Aktionen der Zentralbank selbst in die Prognose einfließen zu lassen. • So könnte die hohe Reputation einer Zentralbank bewirken, dass private Akteure bei Inflationsgefahren ein rasches Gegensteuern erwarten – und gerade deshalb ihre Inflationserwartung nicht nach oben anpassen. Eine solche Inflationsprognose wäre dann aber im Rahmen des inflation forecast targeting problematisch. 12 • Auf diese Problematik weist die EZB in einer jüngeren Veröffentlichung hin. Siehe hierzu auch den Monatsbericht der Bundesbank, Oktober 2006, S. 15-28: http://www.bundesbank.de/download/volkswirtschaft/mba/2006/200610mba_umfragedaten.pdf • Die EZB verbindet die Idee der Inflationsprognose mit einer Orientierung an der Geldmengenentwicklung. In ihrem Monatsbericht vom Juni 2006, S. 22-25, erstellt sie eine Inflationsprognose basierend auf der Entwicklung von M3 (bereinigt um Portfolioumschichtungen). Die zugrunde liegenden Regressionsgleichungen werden allerdings nicht klar dargestellt: http://www.ecb.int/pub/pdf/mobu/mb200606en.pdf 13 • Anstatt einer einseitigen Ausrichtung auf die Inflation werden im Rahmen der Taylor-Regel auch Abweichungen der Produktion berücksichtigt. • Als operatives Ziel für den Zinssatz, i, gilt: i i r ' I ( ) P Y r Y r Y r 100, Inflationslücke Produktionslücke • Hierbei ist ir‘der langfristig realisierte Gleichgewichtswert des kurzfristigen Realzinssatzes, der Zielwert für die Inflationsrate und Y r der Zielwert für das reale Inlandsprodukt. • Im Falle des inflation targeting würde p 0 gelten. 14 • Taylor schlägt als Gewichte für die Zielabweichungen I und P jeweils die Werte 0,5 vor. • Die Taylor-Regel besagt dann, dass der von der Zentralbank gesteuerte Taylor-Zins über dem nominalen Gleichgewichtszins i r ' fixiert werden soll, wenn – wie für eine Boomphase typisch – die aktuelle Inflationsrate über dem Inflationsziel liegt und (oder) das Inlandsprodukt sein potentielles Niveau überschreitet. • Bei einem Anstieg der Inflationsrate um einen Prozentpunkt sollte der kurzfristige Zinssatz um 1,5 Prozentpunkte erhöht werden. • Fällt das reale Inlandsprodukt um einen Prozentpunkt unter das potentielle, dann ist der Zinssatz um 0,5 15 Prozentpunkte zu senken. • Ein Vorteil der Taylor-Regel gegenüber einer einfachen Steuerung des Zinssatzes (Zwischenziel) besteht darin, dass Störungen auf dem Gütermarkt zu einer Anpassung des Zinssatzes führen. • Eine Kritik an der Taylor-Regel bezieht sich darauf, dass sie nicht vorausschauend der zukünftigen Entwicklung der Variablen, insbesondere der Preisentwicklung, Rechnung trägt. • Dem kann Rechnung getragen werden, indem statt der tatsächlichen Inflationsrate, t, die für die Zukunft erwartete Inflationsrate, t T |i , verwendet wird. • Schwierigkeiten bei der Messung der Produktionslücke wurden auch als Kritik vorgebracht. t 1 16 • Eine geldpolitische Regel bezeichnen wird dann als optimal, wenn hiermit die Abweichungen von Inflationsrate und Inlandsprodukt von vorgegebenen Zielwerten minimiert werden. • Im Falle einer Beschäftigungspräferenz werden dabei insbesondere starke Schwankungen des Inlandsprodukts vermieden. Bei einer Präferenz für Preisniveaustabilität werden demgegenüber starke Abweichungen vom vorgegebenen Inflationsziel stärker gewichtet. • Insgesamt gilt es, die folgende Kostenfunktion bei einer gewünschten Inflationsrate von Null und 2 2 y Y r Y r Y r zu minimieren: K y . 17 • Die optimale Höhe der Gewichte kann mit Hilfe eines theoretischen Modells bestimmt werden. Hierzu wird in der Literatur neben einer dynamischen IS-Kurve (2) die Verwendung einer erweiterten Phillips-Kurve (1) vorgeschlagen. (1) = 1+ y-1 (2) y y1 r1 • Gegenüber dem bisher verwendeten (monetaristischen) Modell ergeben sich folgende Abweichungen: • Das Inlandsprodukt wirkt nicht sofort auf die Inflationsrate, sondern mit Verzögerung von einer Periode. • Ein stochastischer Term, , wird berücksichtigt. 18 • Statt der Geldmengenwachstumsrate und der Inflationsrate wird direkt der (normalisierte) Realzins, r, berücksichtigt. • Er wirkt mit einer Verzögerung von einer Periode. • Auch bei der dynamischen IS-Kurve wird ein stochastischer Term, , berücksichtigt. • Das Inlandsprodukt der letzten Periode wirkt mit einem Parameter, , welcher kleiner als Eins ist. • Basierend auf diesem Modell kann mit Hilfe einer Excel-Tabelle die Entwicklung von Inlandsprodukt und Inflationsrate für verschiedene Gewichte, I und P, bestimmt werden. 19 • Die Taylor-Regel sollte im Falle von kleinen, offenen Volkswirtschaften modifiziert werden. • Der Wechselkurs wirkt hier auf zwei Arten auf die Inflationsrate ein. Ein Anstieg des Wechselkurses, w, erhöht die Inflationsrate aufgrund teurer werdender Importgüter. Zum anderen erhöht sich der Außenbeitrag (Exporte steigen und Importe gehen zurück) und die Inflationsrate steigt allmählich aufgrund der erhöhten gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. • Die dynamische Entwicklung der Inflationsrate lässt sich mit Hilfe des folgenden stochastischen Modells darstellen. 20 • Es gilt die Phillips-Kurve: (1) = 1+Y-1r + w1 -w2 • Ein steigender Wechselkurs, w-1-w-2, erhöht die Preise von Importprodukten und mit einer Verzögerung von einer Periode die Inflationsrate. • Es gilt die dynamische IS-Kurve: (2) Y Y r r 1 r1 w1 • Ein hoher Wechselkurs, w-1, erhöht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage mit einer Verzögerung von einer Periode. 21 • Das reale Zinsniveau und der Wechselkurs sind über den Devisenmarkt miteinander verbunden: (3) w r n Ein Anstieg des realen Zinsniveaus (r steigt) induziert sofortige Kapitalimporte, welche den Euro verteuern und den Dollar abwerten lassen (w sinkt). • Diese Beziehung kann von weiteren exogenen Variablen beeinflusst werden, wie z.B. zukünftigen Wechselkurs- und Zinserwartungen, dem Vertrauen der Investoren sowie dem ausländischen Realzinsniveau. • Diese Einflussgrößen werden in Form eines stochastischen Terms, n, berücksichtigt. 22 • Hier kann gezeigt werden, dass eine optimale Regel die folgende Form hat: (4) r aY r b cn dw1 ; a, b, c, d 0; c d . • Mit Hilfe einer Simulation können optimale Parameterwerte bestimmt werden: • Unter Berücksichtigung von (3) lässt sich dies umformen: (4 ') r aY r b c w r dw1 a b cd d r r Y w w w1 . 1 c 1 c 1 c 1 c 23 • Der aktuelle Wechselkurs sollte bei der Bestimmung des Realzinsniveaus berücksichtigt werden. Ein steigender Wechselkurs induziert eine steigende gesamtwirtschaftliche Nachfrage und einen unmittelbaren Anstieg der Inflation. • Die Geldpolitik sollte bei einem steigenden Wechselkurs kontraktiv gegensteuern, also die Realzinsen erhöhen. • Bei einem sinkenden Wechselkurs (einer Aufwertung der heimischen Währung) sollte die Geldpolitik expansiv reagieren. 24 • Diese Art der geldpolitischen Regel kann auch so interpretiert werden, dass die Zentralbank nicht nur das Zinsniveau als operatives Ziel steuert, sondern eine Kombination aus Zins und Wechselkurs. • Dies entspricht der teilweise anzutreffenden Geldpolitik insbesondere in Kanada. Dort werden Zinsniveau und Wechselkurs zu einem monetary conditions index (MCI) zusammengefasst, welcher als operatives Ziel die Ausrichtung der Geldpolitik indiziert. • So gilt in Kanada: MCI = (i-7.9)+100/3.(ln(e)-ln(91.33)), wobei e=1/w ein Index (1992 = 100) für den gewichteten Wechselkurs in Mengennotierung 25 gegenüber den wichtigsten Handelspartnern ist. • Im Unterschied zum MCI wird bei der angesprochenen geldpolitischen Regel aber auf die dynamische Struktur des Modells Rücksicht genommen. • Wechselkursänderungen können nämlich schneller auf die Inflation einwirken als Zinsänderungen. • Daher wird auch der Wechselkurs der Vorperiode berücksichtigt, w-1. • Ein hoher Wechselkurs erhöht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und könnte durch einen hohen Realzinssatz ausgeglichen werden. • Zusätzlich bewirkt ein Anstieg des Wechselkurses eine temporär steigende Inflation. Dies wird zumeist 26 beim MCI aber nicht berücksichtigt. • Die Frage, inwiefern Wechselkursänderungen bei der Geldpolitik berücksichtigt werden sollten, wird allerdings kontrovers diskutiert. Diese Fragestellung ist analog zu dem Problem, ob die Zentralbank die oftmals relativ stark schwankenden Vermögenspreise bei der Steuerung der Inflation berücksichtigen sollte. • Hohe Vermögenspreise lassen manche Preise (z.B. Mieten) im Verbraucherpreisindex mit ansteigen. Zur Stabilisierung wären dann evtl. hohe Produktionseinbußen hinzunehmen. 27 • Die Zentralbank könnte solche Inflationseffekte hingegen hinnehmen, und nur eine um solche Effekte bereinigte Inflationsrate, die so genannte “Kerninflation”, steuern. • Im Rahmen der vorliegenden modellhaften Betrachtung könnte die Zentralbank Einflüsse von Wechselkursänderungen auf die Inflation hinnehmen, indem sie die Zielinflationsrate verändert. • Die Zentralbank minimiert dann Abweichungen der Inflationsrate, , von der Zielinflationsrate * d b w w1 . • In diesem Fall lautet die optimale Regel: a b cd r (4 '') r Y w. 28 1 c 1 c 1 c • Während manche Güter wie Aktien und Rohstoffe stark schwankende Preise aufweisen, sind andere durch starke Preisrigiditäten gekennzeichnet, z.B. Löhne auf dem Arbeitsmarkt oder Endprodukte. • Die Nachteile der Inflation lassen sich insbesondere für die zweite Art von Gütern konstatieren: Hier treten Menukosten bei Preisveränderungen auf, ausbleibende Preisanpassungen führen zu allokativen Verzerrungen und einer willkürlichen Umverteilung. • Dies begründet, warum die Zentralbank der Steuerung des Preisniveaus der zweiten Gruppe evtl. eine herausragende Bedeutung zuweisen sollte. 29 • Gerade in Zeiten steigender Rohstoffpreise liegt die Steigerung des Verbraucherpreisindex höher als diejenige der Kerninflation. • Ein Fokus auf der Kerninflation würde eine kontraktive Geldpolitik verhindern. 30 31 FTD, 2. September 2005, S. 23