Bergische Universität Wuppertal Fachbereich E Bachelor Electrical Engineering Univ.-Prof. Dr. T. Riedl Hinweis: Praktikum Werkstoffe und Grundschaltungen WS 20 ...... / 20 ...... Zu Beginn des Praktikums muss die Ausarbeitung der unter II. genannten Versuchsvorbereitung in handschriftlicher Form vorliegen, um den Versuch durchführen zu können! Versuch 1: Bestimmung der relativen Dielektrizitätszahl εr Name: Matrikelnr: Termin: Endtestat: Vorname: I. Grundlagen Isolatoren im elektrischen Feld Unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes werden in einem Isolierstoff elektrische Dipole (Dipolmomente) erzeugt und vorhandene Dipole teilweise in Feldrichtung ausgerichtet. Man spricht von elektrischer Polarisation. Vom molekularen und atomaren Aufbau der Stoffe her lassen sich drei Grundformen von Polarisationsmechanismen unterscheiden. 1. Elektronenpolarisation Ein äußeres elektrisches Feld verschiebt die Schwerpunkte der positiven und negativen Ladungen im Atom gegeneinander. Es entsteht ein elektrisches Dipolmoment. Schwerpunkte der Ladungen positiv geladener Kern - ++ + R negativ geladene Elektronenhülle E=0 Bild 1 E Elektronenpolarisation Elektronenpolarisation tritt naturgemäß in allen Stoffen auf. Substanzen, bei denen nur dieser Polarisationsmechanismus zu beobachten ist, nennt man unpolar. Werkstoffbeispiele: Ethylen-Tetrafluorethylen, Mineralöl, Polypropylen 2. Ionenpolarisation In Kristallgittern, die aus Ionen aufgebaut sind, bewirkt ein äußeres elektrisches Feld eine Verschiebung der positiven und negativen Untergitter gegeneinander, so dass ein Dipolmoment entsteht. - + - + - - E=0 Bild 2 + - + E Ionenpolarisation Werkstoffbeispiele: Al2O3, Glimmer, NaCl (Kochsalz) -2- - Diese beiden Arten der Polarisation fasst man auch als Verschiebungspolarisation zusammen. Von dieser unterscheidet sich eine dritte Art der Polarisation, nämlich die Orientierungspolarisation. 3. Orientierungspolarisation Viele Stoffe sind aus Molekülen, die bereits ein permanentes Dipolmoment besitzen, aufgebaut – sogenannte polare Stoffe. Solche Substanzen erscheinen aber wegen der thermischen Bewegung der Elementarbausteine elektrisch neutral. Erst ein äußeres elektrisches Feld richtet die Dipole teilweise in Feldrichtung aus. E=0 Bild 3 E Orientierungspolarisation Werkstoffbeispiele: ZrO2, TiO2, Wasser (H2O), BaTiO3 Zusammenfassung: Der Isolierstoff ist außerhalb des elektrischen Feldes elektrisch neutral. Im E-Feld polarisiert er sich, und eine Ladungsverschiebung entsteht. Diese Ladungsverschiebung im Isolator ergibt ein eigenes E-Feld, das sich entgegen dem vorhandenen Feld aufbaut. Es findet somit eine Überlagerung von elektrischen Feldern statt. Hier soll angemerkt werden, dass es auch Materialien gibt, bei denen eine durch ein äußeres elektrisches Feld einmal erzeugte Polarisierung nach Wegfall des erzeugenden Feldes als permanente Polarisierung bestehen bleibt. Dies sind sogenannte ferroelektrische Materialien oder Elektrete (z.B.: Polyethylen, BaTiO3) Sie bilden ein Analogon zu den Permanentmagneten, die auch ein magnetisches Dipolmoment oder eine Magnetisierung ohne äußeres Magnetfeld aufweisen. -3- Makroskopisches dielektrisches Verhalten E E U Bild 4 Ein Stück Isolierstoff in einem homogenen Feld Betrachten wir ein Stück Isolierstoff in einem homogenen Feld. Durch Polarisation entstehen elektrische Dipole. Im Endeffekt findet eine Ladungsverschiebung statt. (im Bild 4 ist die linke Seite des Isolierstoffes negativ und die rechte positiv geladen). Zur formelmäßigen Betrachtung der Ladungsverschiebung in einem Isolierstoff wird als physikalische Größe die Verschiebungsdichte D (auch Flächenladungsdichte oder elektrische Flussdichte genannt) eingeführt. Sie ist ebenso wie die Feldstärke ein Vektor. Man definiert sie als D= Q As ⇒ [D ] = 2 A m wobei Q die Ladung und A eine Fläche ist. Die Verschiebungsdichte D ist mit dem elektrischen Feld direkt proportional: r r r D = ε E = ε oε r E mit ε0 = 8,854 * 10-12 As/Vm εr ist ein dimensionsloser Faktor und wird Dielektrizitätszahl genannt. -4- In der nachfolgenden Tabelle ist εr für einige technisch relevante Stoffe aufgeführt. Werkstoff εr Epoxydharz 2,8 ... 5 Papier 3 ... 5 Mineralöl 2 ... 2,6 Naturglimmer 4 ... 8 Polyethylen 2,2 ... 2,4 Wasser 80 Tabelle 1 εr für einige technisch relevante Stoffe Der Kondensator als Bauelement Kondensatoren sind Bauelemente mit zwei voneinander isolierten, leitenden Flächen, zwischen denen sich ein elektrisches Feld bilden kann. Sie haben in der gesamten Elektrotechnik ein sehr breites Anwendungsspektrum. Entsprechend den verschiedenartigsten Anforderungen ist auch die Zahl der Bauformen sehr groß. Ein idealer Kondensator ist ein reiner Blindwiderstand, der elektrische Energie in Form einer Ladungstrennung speichern kann. Der Zusammenhang zwischen der elektrischen Ladung Q, der Kapazität C und der Kondensatorspannung U ergibt sich zu: Q = CU Bei Betrieb eines Kondensators an einer Wechselspannung u mit der Kreisfrequenz ω = 2π f ergibt sich der kapazitive Blindwiderstand nach folgender Formel: XC = 1 ωC Der Strom in dem Kondensator wird dabei iC = jω C ⋅ uC Der Phasenwinkel des Stroms iC eilt dem der Spannung uC am Kondensator um 900 voraus (siehe Bild 5). -5- Bild 5 Strom- und Spannungsverlauf eines Kondensators Die im Kondensator gespeicherte elektrische Energie W hat die Größe W = 1 1 1 Q2 Q ⋅U = C ⋅U 2 = 2 2 2 C Ersatzschaltbild des Kondensators Jeder technische Kondensator besitzt Verlust- und induktive Blindkomponenten, die von der Bauform und den Betriebsbedingungen abhängig sind. Allgemein lassen sich diese Einflüsse in einem Ersatzschaltbild zusammenfassen. Creal CErsatzschaltbild R1 L C Bild 6 Ersatzschaltbild eines Kondensators -6- R2 R3 Verluste Die in Kondensatoren verwendeten Dielektrika haben stets einen endlichen Isolationswiderstand. Er bewirkt bei Betrieb mit Gleichspannung einen Leckstrom und ist im obigen Ersatzschaltbild durch den Widerstand R2 symbolisiert. Bei Betrieb mit Wechselspannung entsteht durch dielektrische Absorption ein weiterer Verlustanteil R3, der frequenzabhängig ist. Dies ist der Anteil, der in diesem Versuch die wesentliche Bedeutung hat. R1 ist der Widerstand der Zuleitungen. L ist die Induktivität der Zuleitungen und des Kondensators. Wenn man die Zuleitungsverluste R1 und L vernachlässigt, erhält man das vereinfachte Parallel-Ersatzschaltbild eines Kondensators, bei dem Rp alle Parallelwiderstände zusammenfasst. RP C Bild 7 Vereinfachtes Ersatzschaltbild eines Kondensators iC i δ Δφ iR Bild 8 u Zeigerdiagramm zu dem Ersatzschaltbild von Bild 7 Die Verluste eines Kondensators werden allgemein durch den Verlustfaktor tanδ mit dem Verlustwinkels δ angegeben, der sich aus dem Zeigerdiagramm ergibt: tan δ = iR U X C 1 1 1 = ⋅ = ⋅ = iC RP U RP ω C ω CRP -7- Ist der Kondensator ideal, dann ist RP = ∞. Daraus folgt tanδ = 0 bzw. δ = 00. Hat der Kondensator Verluste, dann ist RP < ∞. Daraus folgt tanδ > 0 bzw. δ > 00. Bei der Versuchsdurchführung muss darauf geachtet werden, dass auf dem Oszilloskop nicht δ sondern Δφ = 900 − δ gemessen wird (siehe Bild 9). Bild 9 Vergleich zwischen idealem und realem Kondensator Bestimmung von εr Die Phasenverschiebung Δφ zwischen Strom und Spannung bei einer bekannten Frequenz f ist mit ω = 2 π f : [Beachte: tan(90°-α) = 1 / tanα] tan Δφ = ω CR P Für die Ersatzschaltung gemäß Bild 7 gilt (Addition komplexer Leitwerte bei Parallelschaltung): 1 + (ω CR P ) 2 1 1 1 = + = 1 Z 2 R P2 R P2 2 (ω C ) -8- Daraus ergibt sich der Betrag der Impedanz Z mit Hilfe des Ausdrucks für tanΔφ zu: Z = U eff I eff = 1 ω C tan 2 Δ φ 1 + tan 2 Δ φ Hieraus folgt für die Kapazität C: 1 C= 2π f Z tan 2 Δφ 1 + tan 2 Δφ Der Betrag von Z und die Phasenverschiebung Δφ werden im praktischen Teil des Versuchs für gegebene Frequenzen f gemessen. Damit ist C bestimmbar. Weiter gilt für einen Plattenkondensator: C= ε 0ε r A d wobei A die Fläche des Kondensators und d der Abstand zwischen den Platten ist. Durch Umstellen erhält man: εr = Cd εo A -9- II. Versuchsvorbereitung Bearbeiten Sie die nachfolgenden Unterpunkte der Versuchsvorbereitung, und bringen Sie ihre schriftliche Ausarbeitung zum Praktikumsversuch mit: • Wie reagiert ein Stück Isolierstoff im elektrischen Feld? • Welche Polarisationsmechanismen eines Isolierstoffes im elektrischen Feld gibt es? Erläutern Sie diese kurz! • Überlegen Sie, welcher der erläuterten Polarisationsmechanismen durch eine Veränderung der Temperatur des Werkstoffes am stärksten beeinflusst wird. • Wie hängt die Kapazität eines Kondensators von seinen geometrischen Eigenschaften ab? • Zeichnen Sie das Zeigerdiagramm zu dem Parallel-Ersatzschaltbild (Bild 7). • Berechnen Sie, unter Zuhilfenahme des Zeigerdiagramms die Phasenverschiebung Δφ zwischen U und I. • Berechnen Sie den Betrag der Impedanz Z der Schaltung in Bild 7. • Zeigen Sie durch Umformung unter zu Hilfenahme der Beziehung tanΔφ = ωCRP, dass aus 1 + (ω CR P ) 2 1 = Z2 R P2 • folgt: Z = 1 ω C Wie lässt sich die Dielektrizitätszahl εr bestimmen? - 10 - tan 2 Δ φ 1 + tan 2 Δ φ III. Versuchsaufbau und –durchführung Der Versuchsaufbau besteht aus einer einfachen Parallelplattenanordnung. Als Dielektrikum werden Luft und Papier eingesetzt. Der Kondensator besteht aus zwei quadratischen metallischen Platten, deren aktiven Fläche und der Abstand ermittelt werden müssen. Messen Sie den Strom und die Spannung des Kondensators mit einem Oszilloskop. Die Phasenverschiebung ermitteln Sie, indem Sie die Zeitdifferenz Δt zwischen den I- und UMaxima ablesen und dann die Phasenverschiebung Δφ berechnen: Δφ(rad) = 2πf Δt. Daraus folgt: Δφ(grad) = f Δt*360°. Signal- generator f Oszilloskop U I Metall Isolator Metall Stromzange Bild 11 Schematischer Versuchsaufbau 1. Bestimmen Sie die aktive Fläche der Parallelplattenanordnung und die Dicke des Dielektrikums. 2. Die erste Messung erfolgt bei 0,5 MHz Sinussignal mit maximaler Spannung U, die der Funktionsgenerator liefern kann. 3. Lesen Sie den Strom I, und die Spannung U am Oszilloskop ab. Den Strom ermitteln Sie, indem sie die abgelesene Spannung mit dem Umwandlungsfaktor der Stromzange multiplizieren. 4. Berechnen Sie den Betrag der resultierenden Impedanz Z. 5. Lesen Sie die Zeitdifferenz Δt auf dem Oszilloskop ab und berechnen die Phasenverschiebung Δφ. 6. Bestimmen Sie aus den gemessenen Werten die Kapazität des Kondensators C. 7. Berechnen Sie aus den nun bekannten Größen die Dielektrizitätszahl εr. 8. Wiederholen Sie die Punkte 2-7 für die in den Wertetabellen gegebenen Frequenzen und die anderen Werkstoffe. - 11 - 9. Vergleichen Sie die ermittelten Werte εr mit denen, die in Tabelle 1 dargestellt wurden. 10. Welche möglichen Fehlerquellen gibt es bei diesem Versuch? Wo sind in diesem Versuch die größten Messfehler? IV. Wertetabellen und Versuchsauswertung Luft: f (MHz) 0,5 1 1,5 0,5 1 1,5 U(V) I(μA) │Z│(Ω) Δt (μs) Δφ(grad) C(F) εr Papier: f (MHz) U(V) I(μA) │Z│(Ω) Δt (μs) Δφ(grad) C(F) εr - 12 - Vergleichen der gemessenen Werte von εr mit denen in Tabelle 1: Welche möglichen Fehlerquellen gibt es bei diesem Versuch? Wo sind in diesem Versuch die größten Messfehler? V. Fazit Die Polarisation, die ein elektrisches Feld in einem Isolator verursacht, wurde vorgestellt und die relative Dielektrizitätszahl εr eingeführt. εr wurde für verschiedene Materialien mit einem Plattenkondensator ermittelt, indem die Kapazität des Kondensators und die Verschiebung des Stroms gegenüber der Spannung gemessen wurden. Zur Bestimmung von εr aus den Messergebnissen wurde ein Ersatzschaltbild eines realen Kondensators verwendet. - 13 - VI. Abschließende Fragen • Welche Messtoleranz hat einen größeren Einfluss auf die Bestimmung der Kapazität? o Die Messung der Kantenlänge mittels Schieblehre und einer Ungenauigkeit von 0,1 mm o Die Messung der Dielektrikadicke mittels Messschraube und einer Ungenauigkeit von 0,005 mm Begründen Sie! • Wie groß müsste die Fläche eines Luftkondensators bei 0,1 mm Plattenabstand sein, damit er eine Kapazität von 1 µF erreicht? • Wäre dieser Kondensattor für den Betreib an Drehstrom (400 V) geeignet? Begründen Sie! - 14 -