DIAGNOSTIK UND THERAPIE DER MITTELOHRSCHWERHÖRIGKEIT Operative Therapien mit hoher Erfolgsrate Diffizile mikrochirurgische Techniken Cholesteatom: potenziell gefährlich, Operation empfohlen PD Dr. med. Andreas Schmelzer Facharzt FMH für ORL Hirslanden Klinik Aarau In der Schweiz leiden mehrere hunderttausend Menschen unter einer mehr oder weniger ausgeprägten Schwerhörigkeit. Die Ursachen dieser Hörstörungen sind vielfältig und reichen von akuten oder chronischen Lärmlastungen über altersbedingte physiologische Veränderungen bis hin zu krankhaften Prozessen im Hörorgan. Grundsätzlich lassen sich Hörstörungen in zwei grosse Gruppen gliedern: einerseits die Schallleitungsschwer hörigkeit, die den Übertragungsmechanismus der Schallwellen vom Trommelfell durch das Mittelohr zum Innenohr betrifft, und andererseits die Schallempfindungsschwerhörigkeit, die im Innenohr oder in den weiterleitenden Nervenbahnen entsteht. Der folgende Beitrag befasst sich mit Formen der Schwerhörigkeit, die auf einer gestörten Schallleitung im Mittelohr beruhen, und erläutert die heute verfügbaren Optionen für deren Behandlung. Schwerhörigkeit des Mittelohres Leitsymptom einer Mittelohrerkrankung ist in der Regel eine progrediente Schwerhörigkeit, die von einem rezidivierenden Ohrenlaufen begleitet sein kann. Die Diagnose erfolgt nach einer Inspektion des Trommelfells mit Hilfe des Stimmgabelversuchs nach Weber und evtl. eines Reintonaudiogramms. Die Stimmgabel wird im Fall einer Mittelohrschwerhörigkeit auf dem erkrankten Ohr lauter gehört. Eine mittelohrbedingte Hörstörung kann in den meisten Fällen durch eine Operation erfolgreich behandelt werden. Otosklerose Bei einer Schwerhörigkeit bei trockenem Ohr und intaktem Trommelfell kann es sich um eine Otosklerose handeln. Diese Erkrankung tritt meistens im mittleren Lebensalter auf; Frauen erkranken wesentlich häufiger als Männer. Typischerweise wird eine langsam zunehmende Hörminderung über mehrere Jahre beklagt. Bei der Otosklerose handelt es sich um eine Verknöcherung der Umgebung des Steigbügels, die dazu führt, dass dieser immobilisiert wird und dadurch nicht mehr in der Lage ist, die Schallwellen weiterzuleiten. In den letzten Jahrzehnten wurden Operationsmethoden entwickelt, mit denen eine Otosklerose erfolgreich behandelt werden kann. Bei diesem Eingriff, der auch unter Lokalanästhesie erfolgen kann, werden via Gehörgang Teile des Steigbügels entfernt und durch eine 4,5 mm lange Prothese aus Edelmetalldraht und Kunststoff ersetzt. Die Prothese wird am Amboss fixiert und im Bereich der ovalen Nische positioniert, so dass die Schallübertragung wieder gewährleistet ist (Abb. 2). Die Erfolgsraten hinsichtlich der Hörverbesserung liegen bei ca. 95 Prozent. Abb. 1: Hörverbessernde Operation nach chronischer Mittelohrentzündung: Der beschädigte Amboss (Bildmitte) wurde nach dem Verschluss des Trommelfells zugeschliffen und neu positioniert, um die Schallübertragung wieder herzustellen. Abb. 2: a: Gesunde Anatomie mit fixiertem Steigbügel. b: Präparierter Steigbügel c: Zustand nach Präparation und Fraktur des Steigbügel-Oberbaus. Chronische Mittelohrentzündung Das Leitsymptom der chronischen Mittelohrentzündung ist ein meist einseitiges, hartnäckiges bzw. rezidivierendes Ohrenlaufen, verbunden mit einer Schwerhörigkeit. Bei der ohrenärztlichen Kontrolle sieht man in der Regel eine mehr oder weniger grosse Perforation am Trommelfell. Die Sekretion wird von den Patienten als sehr belastend empfunden, weitaus mehr als die infolge der Entzündung aufgetretene Schwerhörigkeit. Bei der chronischen Mittelohrentzündung unterscheidet man zwischen einer Schleimhauteiterung mit einer zentral gelegenen Perforation (Abb. 4) und einer Knocheneiterung (Cholesteatom) mit einer randständigen Perforation, in seltenen Fällen auch mit intaktem Trommelfell (Abb. 5). Ein Cholesteatom gilt als gefährlich, da es nach Jahren oder Jahrzehnten das Felsenbein und die in ihm liegenden wichtigen Strukturen (Labyrinth, Nervus facialis) zerstören kann. In Einzelfällen kann ein Cholesteatom sogar zu lebensbedrohlichen Komplikationen (z.B. Hirnabszess) führen. Die Therapie der Wahl ist bei beiden Formen der chronischen Mittelohrentzündung die Operation. Der Eingriff hat zum Ziel, den Entzündungsherd auszuräumen und die Gehörknöchelchen und das Trommelfell so zu rekonstruieren, dass eine Schallübertragung wieder Abb. 3: a: Normale Anatomie mit intakter Schallübertragung. b: Amboss defekt: Eine Schallübertragung ist nicht mehr möglich. d: Perforation und Teilentnahme der Fussplatte. e: Eine Platin-Teflon-Prothese stellt die Schallübertragung wieder her und wird mit Bindegewebe ummantelt. möglich ist und das Ohrenlaufen sistiert. Bei sorgfältig durchgeführter Operation liegt die Erfolgsrate über 90 Prozent. Die Rezidivrate liegt zwischen 10 und 25 Prozent, in Abhängigkeit von Ausmass und Art der Erkrankung. Ein Cholesteatom kann sehr ausgedehnt sein, so dass gelegentlich unter Hinwegnahme der hinteren Gehörgangswand eine Radikalhöhle angelegt werden muss. Diese bedarf dann einer mehrjährigen Nachbehandlung. Der Verschluss der Trommelfellperforation kann mit verschiedenen Materialien erfolgen. Bewährt haben sich intraoperativ gewonnene Muskelfaszie (meist vom M. temporalis) bzw. Knorpel (z.B. Tragusknorpel), mit deren Hilfe es in den meisten Fällen gelingt, das Trommelfell auf Dauer zu verschliessen. Etwas komplizierter gestaltet sich der hörverbessernde Teil der Operation, der entweder während der Erstoperation oder in einem zweiten Eingriff durchgeführt wird. Infolge der Entzündung sind die kleinen Gehörknöchelchen oft in Mitleidenschaft gezogen, und die Schallübertragung ist entsprechend eingeschränkt. Ziel einer hörverbessernden Operation ist es, entweder das rekonstruierte Gehörknöchelchen oder ersatzweise Draht-, Keramik-, Metallund Edelmetallimplantate so im Mittelohr zu positionieren, dass zwischen der Trommelfellebene und dem Innenohr Schwingungen über- c: Amboss extrahiert, zugeschliffen … d: …und interponiert. Die Schallübertragung ist durch die Bildung einer Columella wieder möglich Abb. 4: Zentrale Trommelfellperforation bei chronischer Otitis media (rechtes Trommelfell). tragen werden können (Abb. 1, 3 und 6). In 80 bis 90 Prozent der Fälle führt dieser Eingriff zu einer deutlichen Hörverbesserung. Die Operation ist anspruchsvoll, da ein kleines Gehörknöchelchen so zurechtgeschliffen oder ein vorgefertigtes Implantat so eingesetzt werden muss, dass es zwischen Steigbügel bzw. Fussplatte und Trommelfellebene fest interponiert wird, ohne dass das Material geklebt oder genäht werden kann. Mit Erfahrung und etwas Geschick lassen sich auch hier gute Resultate erzielen. Der hörverbessernde Teil der Operation gilt als erfolgreich, wenn die Hörminderung postoperativ nicht mehr als 10 bis 20 Dezibel beträgt. In diesem Fall ist der Patient in der Lage, mit dem operierten Ohr Gesprächen zu folgen. Die Einheilungsrate der Transplantate liegt bei einem erfahrenen Operateur bei ca. 90 Prozent. Gelegentlich kommt es erneut zu einer Trommelfellperforation, die dann entweder per secundam heilt oder in seltenen Fällen durch eine Nachoperation verschlossen werden muss. Abb. 5: Mittelohrcholesteatom. Sichtbar ist die weisse, kugelige Vorwölbung unter dem Trommelfell die bis in das Mastoid reichen kann. Ergebnisse Die Ergebnisse der Mittelohrchirurgie hängen nicht nur von der Qualität der Operationstechnik und vom Können des Chirurgen, sondern auch von vielerlei weiteren Faktoren ab. So kann beispielsweise die von Patient zu Patient unterschiedliche Belüftung des Mittelohres das Resultat mitbeeinflussen. Der Operationserfolg misst sich einerseits an der Einheilungsrate der Transplantate und andererseits am Hörgewinn. Regelmässige Kontrollen sind erforderlich. Der Autor wendet die beschriebenen Operationstechniken an der Hirslanden Klinik Aarau seit 2001 regelmässig an. Dabei profitiert er von den Erfahrungen, die er zuvor während zwölf Jahren als Oberarzt an einer grossen Universitätsklinik sammeln konnte. Dort wurden pro Jahr ca. 800 grosse Mittelohreingriffe durchgeführt. 10 Prozent dieser Operationen betrafen Patienten mit Otosklerose, bei denen durch den Eingriff fast ausnahmslos ein deutlicher Hörgewinn erzielt werden konnte. Bei 93 Prozent der Patienten bestand nach der Operation eine Normalhörigkeit bzw. eine verbleibende geringe Hörminderung von höchstens zehn Dezibel. Die übrigen 90 Prozent der Mittelohreingriffe erfolgten bei einer chronischen Mittelohrentzündung. Die Einheilungsrate nach einem Trommelfellverschluss betrug 88 Prozent bei Verwendung von Faszie und 94 Prozent bei Einsatz von Knorpel bezogen auf den primären Eingriff. Die Rezidivrate lag bei 14 Prozent nach einer Cholesteatomoperation und bei 8 Prozent nach Operationen infolge einer Schleimhauteiterung. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit den in der Literatur veröffentlichten Resultaten und können als gut bezeichnet werden. Abb.6: Verschiedene Mittelohrimplantate im Grössenvergleich.