IKM Institut für Konsum- und Markenforschung Kai-Uwe Hellmann Soziologie der Marke 1. Ausweitung der Markenzone Der Verbreitung von Marken sind kaum noch Grenzen gesetzt. Nachdem es im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zum endgültigen Durchbruch der Markenidee kam, ist eine unaufhaltsame Ausweitung der Anwendbarkeit dieser Idee auch über den Bereich der Wirtschaft im engeren Sinne hinaus festzustellen. Versucht man, diesen Prozeß der allmählichen Ausweitung der Markenzone in eine zeitliche Ordnung zu bringen, so lassen sich näherungsweise drei Phasen unterscheiden. Die Anwendung der Markenidee hat demnach im Konsumgütermarkt ihren Anfang genommen, wurde sodann auf den Dienstleistungsmarkt übertragen und hat mittlerweile auch nicht-wirtschaftliche 'Märkte' erreicht. (1) Die ersten Waren, die dem heutigen Begriffsverständnis nach als klassische Markenartikel angesehen werden, sind im ausgehenden 19. Jahrhundert im Bereich der Konsumgüter entstanden. Hierzu zählen etwa Birkels Nudeln von 1874, Maggi's Suppenwürze von 1887, Dr. Oetkers Backpulver von 1892 und Odol Mundwasser von 1893 oder nach der Jahrhundertwende das Waschmittel Persil von 1907 und Nivea Creme von 1912. Es handelte es sich überwiegend um Sachleistungen für den täglichen Bedarf, die durch Merkmale wie Massenfertigung und Standardisierung der Beschaffenheit, einheitliche Verpackung und Verkaufsmenge, Preisbindung und Vermarktung durch Reklame gekennzeichnet waren. (2) Nach dem zweiten Weltkrieg begannen verstärkt auch Dienstleistungsunternehmen, ihre Leistungsangebote wie Markenprodukte zu vermarkten, wobei sie teilweise noch auf einen nicht unerheblichen Bekanntheits- und Vertrautheitsgrad aus der Weimarer Zeit zurückgreifen konnten, wie Daimler Benz, Lufthansa oder Allianz. Daneben kamen viele neue Dienstleistungsmarken wie Neckermann, Quelle oder ALDI auf, jedoch ohne die Möglichkeit zu haben, sich ins Markenregister eintragen zu lassen. Dies wurde erst 1979 geändert, und seitdem weisen die Anmeldezahlen von Dienstleistungsmarken die insgesamt höchsten Zuwachsraten auf. Überdies wurde die Anwendbarkeit der Markenidee auch auf den Bereich der Investitionsgüter ausgeweitet, also auf Vorprodukte von Endprodukten wie Intel, sowie ganze Unternehmen, wenngleich verstreut und nur zögerlich. (3) Im Laufe der neunziger Jahre ist die Bezeichnung 'Marke' als Vermarktungsstrategie schließlich auch außerhalb des eigentlichen Profit-Sektors immer öfters aufgetaucht. Dies betrifft nicht nur Sportclubs wie die 'Weltmarke Eintracht' Frankfurt oder Manchester United, Sportevents wie die Formel 1 oder Olympia, sondern auch kulturelle Veranstaltungen wie die Salzburger Festspiele oder die Love Parade, einzelne Personen wie Michael 'Air' Jordan, Claudia Schiffer oder Harald Schmidt, Institutionen wie die Nasdaq, politische Parteien oder Elite-Universitäten in England, vielbesuchte Touristenorte wie St. Moritz oder selbst ganze Nationen. Die Techniken des Markenaufbaus und der Markenführung werden dabei konsequent übertragen und den jeweiligen 'Markt'-Gegebenheiten entsprechend angepaßt. Vor allem für diese dritte Phase ist bemerkenswert, daß die Ausweitung der Markenzone hier erstmals die Grenze zum Non-Profit-Sektor überschritten hat, während sich –1– IKM Institut für Konsum- und Markenforschung die Markenanwendung bis dahin nahezu ausschließlich im Profit-Sektor vollzog. Sicher läßt sich für all die Jahre zuvor schon festzustellen, daß auch einzelne Prominente, Verbände oder Institutionen und deren Leistungsangebote wie Marken vermarktet wurden – nur eben nicht in dieser systematischen Weise, als erklärtes Ziel und mit entsprechender Resonanz im Publikum. 2. Paradigmen der Markenforschung Aber nicht nur die Anwendbarkeit der Markenidee erfuhr eine derartige Eigendynamik, wenn nicht Eigenevolution. Auch die Wissenschaft vom Markenwesen oder kurz Markenforschung hat im Laufe der Jahrzehnte eine bemerkenswerte Selbstveränderung durchgemacht. Mit Ludwig Berekoven kann man geradezu von einer wiederholten 'Revision' der Erklärungsansätze innerhalb der Markenforschung sprechen, die größtenteils durch die Eigendynamik der Märkte angeregt wurden. (1) Zunächst drehte sich alles um den Begriff der Marke als 'Technik', um die erste Phase der Markenforschung auf einen Nenner zu bringen, deren Beginn bis in die zwanziger Jahre zurückreicht. Charakteristisch für diese Phase ist, daß fast ausnahmslos die Herstellerperspektive im Vordergrund stand, derzufolge der Aufbau und Erfolg von Marken wie bei der Produktion von Produkten weitgehend in den Händen des Herstellers liegen und von ihm aus kontrolliert werden können. (2) Im Laufe der fünfziger Jahre wendete sich die Aufmerksamkeit zunehmend der Betrachtung der Marke als 'Persönlichkeit' zu, um dem sich abzeichnenden 'Eigenleben' der Marke im Markt Rechnung zu tragen; erklärungstechnisch bediente man sich hierbei der Massen- und Sozialpsychologie. Denn der Markenforschung wurde allmählich klar, daß der Erfolg einer Marke nicht bloß davon abhängt, eine Marke wie ein Produkt technisch einwandfrei herzustellen. Vielmehr muß auch gewährleistet sein, daß die Vermarktung einer Marke die psychologische Befindlichkeit der Verbraucher im Markt richtig einzuschätzen und anzusprechen weiß. Wenn dies aber gelingt, erfährt die Marke eine psychologische 'Aufladung' und erweist sich aus Sicht der Verbraucher als selbständige 'Persönlichkeit'. (3) Im Laufe der achtziger Jahre erfährt schließlich die schon länger kursierende Idee der Marke als 'Kommunikation' ihren endgültigen Durchbruch, da sie den Diskurs der Markenforschung inzwischen dominieren. Dieses dritte Paradigma der Markenforschung begreift die Marke als Botschaft an den Verbraucher, die auch vom Verbraucher richtig verstanden werden muß, damit eine Marke Erfolg hat – dazu aber muß erst einmal der Verbraucher richtig verstanden werden. Der Erfolg einer Marke hängt somit vom richtigen Verstehen des Verstehens des Verbrauchers ab. Aus diesem Grund bedient sich die Markenforschung schon seit längerem der Markt- und Verbraucherforschung, wobei die Marktforschung gewissermaßen zum Schlüssel des Markenerfolgs wurde bzw. werden sollte. Als Zwischenfazit ist festzuhalten, daß nicht nur die Markenidee eine beträchtliche Ausweitung ihrer Anwendbarkeit erfahren, sondern auch die Markenforschung mit der Aufeinanderfolge von Technik, Persönlichkeit und Kommunikation als Bestimmungsgrößen des Markenbegriffs eine ganz eigene Entwicklung durchgemacht hat. Mit der Konzentration der Markenforschung auf den Begriff der Kommunikation steht aber ein genuin soziales Phänomen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und dies ruft die Soziologie auf den Plan. Eine kurze Reminiszenz soll helfen, sich mit der Soziologie als Fach vertraut zu machen. –2– IKM Institut für Konsum- und Markenforschung 3. Kommunikation als Grundbegriff der Soziologie Beschränkt man sich zunächst auf die Soziologie in Deutschland, lassen sich deren Anfänge bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Ihren disziplinären Durchbruch erfuhr sie freilich erst mit Georg Simmels 'Soziologie' von 1908 und vor allem mit Max Webers posthum veröffentlichtem Hauptwerk 'Wirtschaft und Gesellschaft' von 1922. Im ersten Teil seines Opus magnum, der soziologischen Kategorienlehre, entwickelte Weber mit dem Begriff des sozialen Handelns nämlich eine Terminologie, die für die Soziologie lange Zeit sehr einflußreich werden sollte. Im weiteren Verlauf der Forschung kam es dann zur verstärkten Rezeption soziologischer Theorien aus dem angelsächsischen Sprachraum und aus Frankreich, so daß man inzwischen von einer weitgehenden Internationalisierung des Fachs sprechen kann, das eine Vielzahl von Theorien und Methoden für nahezu sämtliche Bereiche der Gesellschaft aufweist. Dabei zieht der Begriff der Kommunikation zusehends mehr Aufmerksamkeit auf sich, weil er mit am Besten erfaßt, was das Soziale als solches ausmacht: die Wechselwirkung zwischen Menschen, das Moment der Verständigung, den Austausch von Informationen. Denn alles, was das Bewußtsein für sich betrifft, ist ja von außen uneinsehbar. Allenfalls das, was zwischen Menschen passiert und wie sie sich dazu verhalten, sprich Kommunikation, ist sozialwissenschaftlich beobachtbar, und eben deswegen fungiert Kommunikation als Grundbegriff der Soziologie. Insbesondere Niklas Luhmann hat den Kommunikationsbegriff in den Mittelpunkt seiner Gesellschaftstheorie gestellt. Die Bedeutung von Kommunikation erschließt sich dabei 'von hinten' her, denn nur, wenn eine Mitteilungsabsicht als solche auch erkannt und verstanden wird, kommt Kommunikation zustande – andernfalls bleibt die Mitteilung reine Absicht, weil niemand sonst davon Kenntnis nimmt. Ferner ist für den Erfolg der Verständigung entscheidend, daß Sender und Empfänger die gleiche Frequenz verwenden – ansonsten kommt es zu unauflöslichen Miß- und Nichtverständnissen. Schließlich bedarf es besonderer Vorkehrungen, um den Verlauf einer Verständigung zwischen Sender und Empfänger sinnvoll zu koordinieren, damit nicht nur Mitteilung auf Mitteilung auf Mitteilung folgt, sondern diese sich auch wechselseitig aufeinander beziehen. 4. Die Marke als Eigenwert der Werbung Nimmt man dieses Verständnis von Kommunikation als Verständigung zum Ausgangspunkt und konzipiert auch die Marke selbst als eine Form von Kommunikation, bieten sich mehrere Anknüpfungsmöglichkeiten an. Als Einstieg wird eine Genealogie der Marke gewählt. In früheren Zeiten lief der Tausch von Waren und Dienstleistungen nur von Angesicht zu Angesicht ab. Durch die persönliche Begegnung von Hersteller und Verbraucher entstand persönliches Vertrauen, deshalb ging man das Risiko des Handels ein. Zudem wußten die Kunden über die Beschaffenheit der Produkte oftmals noch Bescheid und zeigten sich daher auch von dieser Seite mit den Tauschgegebenheiten vertraut. Durch die aufkommende Industrialisierung wurde die Kundenproduktion auf Massenproduktion und Massenvertrieb umgestellt, so daß sich Hersteller und Verbraucher nicht mehr persönlich begegneten. Zudem besaß der Verbraucher keine Kenntnis mehr über die genaue Beschaffenheit der Produkte. –3– IKM Institut für Konsum- und Markenforschung Was die Vermittlung von Informationen über die Produkte betrifft, so trat an die Stelle der direkten Begegnung die Werbung, die über Massenmedien verbreitet wurde. Freilich erfolgt die Verständigung über Massenmedien anonym und gesichtslos. Man begegnet sich nicht mehr direkt, sondern nur noch auf Distanz, also ohne die Chance, sich noch persönlich zu treffen und kennen zu lernen. Ohne wechselseitige Wahrnehmung und Verständigung fällt aber eine wichtige Voraussetzung des Vertrauens weg. Gerade Vertrauen ist jedoch unverzichtbar, wenn der Verbraucher nicht mehr weiß, von welcher Qualität die Produkte sind, von deren Beschaffenheit er keine Ahnung mehr hat. Dieser simultane Verlust von Warenkenntnis und Vertrauen wirft die Frage auf, wie nicht nur die Verständigung, sondern auch das Vertrauen trotz massenmedialer Kommunikation wieder hergestellt werden kann. Denn Warenkenntnis ist heutzutage gewiß nicht mehr vermittelbar. Was aber kann die Werbung tun, um wenigstens das akute Vertrauensproblem zu lösen? Vertrauen stellt sich ein, wenn man seine Selbstdarstellung über eine längere Zeit hinweg durchhält. Was gestern galt, hat auch morgen noch Bestand. Eben das zeichnet eine Persönlichkeit aus, trifft aber auch für jede andere Form von Kommunikation zu. Für Werbung, soweit sie sich der Massenmedien bedient, folgt daraus, daß in der Darstellung dessen, wofür geworben wird, darauf geachtet wird, den Stil der Werbung über eine längere Zeit hinweg konstant zu halten. Gelingt das, bildet sich allmählich eine rekursiv, durch wiederholte und gleichbleibende Nutzung sich selbst verdichtende Form heraus, ein so genannter 'Eigenwert', der zum Inbegriff der Glaubwürdigkeit von Werbung wird. Kurzum: Glaubwürdige Werbung entsteht durch gleichbleibend hohe Qualität der Werbekommunikation. Und guter Werbung glaubt man gerne. Insbesondere erfolgreiche Markenartikel zeichnet dieser Werbestil aus: Integration und Kontinuität der Kommunikation. Möglichst jede Mitteilung, die der Verbraucher einer Marke zurechnet, sollte zum Gesamteindruck der Marke passen, und möglichst keine Mitteilung einer Marke sollte geändert werden, zumindest nicht ohne gute Gründe. Deshalb sind Marken die Eigenwerte der Werbung. Auf eine vertraute Formel gebracht, ist es die Funktion (der Kommunikation) von Marken, (trotz Werbung) für Vertrauen zu sorgen. Betrachtet man daraufhin die Struktur der Kommunikation von Marken, ist zunächst zwischen neuen und gesättigten Märkten zu unterscheiden. Auf neuen Märkten muß Vertrauen erst erworben werden. Zumeist kommt es nach kurzer Zeit zum Aufbau einer ersten Marke, die für sich selbst eine gleichbleibend hohe Qualität beansprucht. Vermag sie diesen Anspruch in der Sache wie in der Selbstdarstellung durchzuhalten, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit für die Etablierung von Markenvertrauen sehr hoch einzuschätzen. In dieser Phase operiert die Markenkommunikation mit der binären Unterscheidung Marke/Nicht-Marke(n), deren positive Seite sie ganz allein besetzt, da sie anfangs noch die einzige Marke in diesem jungfräulichen Markt ist. Zeitweilig besteht somit ein echtes Monopol, mit all den Vorteilen, die damit verbunden sind, wie man am Hochschnellen des Bekanntheitsgrades von 'Yello' ablesen konnte. Freilich währt diese erste Phase nie sehr lange. Denn schon bald regt sich Konkurrenz, um eigene Produkte in den Markt zu drücken und als Marken zu profilieren. Gelingt es der Konkurrenz aber, weitere Marken im Markt zu etablieren, geht es nicht mehr bloß um ein Entweder/Oder. Statt dessen erfolgt die Differenzierung der Marken über ein Mehr-oder-Weniger: Wer ist Markt–4– IKM Institut für Konsum- und Markenforschung und/oder Innovationsführer und führt die Hierarchie deshalb an, und wer besetzt die folgenden Plätze? Es entsteht ein 'System von Marken', das sich primär nach innen differenziert: Jede Marke versucht, innerhalb dieses Systems – in Relation zu allen anderen Marken – die ihr entsprechende Position einzunehmen und zu behaupten. Außerdem kommt es zu einer Umstellung der Markenkommunikation, die kaum noch mit der Qualität des Angebots, dafür um so mehr mit der Ansprache unterschiedlicher Zielgruppen wirbt. Denn in gesättigten Märkten, in denen bald alle Produkte behaupten, Marken zu sein, herrscht weitgehende 'Waffengleichheit', da sie allesamt gleichbleibende Produktqualität und glaubwürdige Konstanz in der Kommunikation für sich in Anspruch nehmen. Was zur Unterscheidung dann nur noch übrig bleibt, ist das Versprechen eines Zusatznutzens, der sich an je andere Zielgruppen wendet. Dabei muß hier offen bleiben, was zuerst da war: Henne (Zusatznutzen) oder Ei (Zielgruppe), denn beides bedingt sich wechselseitig. Entscheidend ist hingegen, daß sich die Markendifferenzierung in gesättigten Märkten aufgrund der Nivellierung der Produktqualität bald nur noch an der sozialen Ungleichheit in der Gesellschaft orientiert, indem Markenbesitz die Zugehörigkeit zu bestimmten Zielgruppen in Aussicht stellt. Dadurch dienen Zielgruppen aber längst nicht mehr nur der Marktsegmentierung, um Streuverluste gering zu halten. Vielmehr avancieren Zielgruppen über den Zusatznutzen 'Zugehörigkeit' letztlich zum entscheidenden Mechanismus der Markendifferenzierung. Jede Marke bezieht sich demnach auf eine andere Zielgruppe und fungiert bisweilen sogar als Erkennungsmerkmal, anhand dessen sich die Mitglieder einer Zielgruppe wechselseitig zu erkennen geben und von anderen abgrenzen. Alltägliches Anschauungsmaterial bieten Autos, Zigaretten, Kleidung. Und bisweilen scheint sogar erst über Markenwerbung die Entstehung einer Zielgruppe verstärkt oder angeregt zu werden – gleichsam 'Proto-Gemeinschaften', wie es der Jugendforscher Paul Willis einmal ausdrückt hat, deren Zusammenhalt maßgeblich durch den Konsum bestimmter Güter bedingt ist. Vielleicht hätte Arnold Gehlen aufgrund dieses Vergemeinschaftungseffekts sogar von 'Magie' gesprochen, die von manchen Marken ausgeht. Statt 'System der Marken' könnte man mit Pierre Bourdieu übrigens auch von einem 'Feld der Marken' sprechen. Jedes 'Feld' weist immer mehrere Positionen auf, deren Spezifik sich wiederum aus der Summe mehrerer Kapitalsorten ergibt, die sich nochmals im Volumen unterscheiden mögen. Ein solches 'Feld der Marken' würde gewiß ökonomisches Kapital und im Einzelfalle die Höhe des Preises umfassen, ferner kulturelles Kapital, was auf die jeweilige Qualität der Qualität einer Marke hinauslaufen würde, sodann soziales Kapital wie das Prestige einer Zielgruppe und schließlich symbolisches Kapital wie die 'Aura', die manchen 'Kult'-Marken anhaftet. Schließlich müßte noch der Kontinuitätsfaktor als zeitliches Kapital Berücksichtigung finden, das bei Bourdieu unerwähnt blieb. Überdies drängt sich die Frage auf, ob man nicht generell von 'Markenkapital' als Summe all dieser Kapitalsorten sprechen sollte. Sämtliche diese Überlegungen betreffen mit keinem Wort die Materialität der Marken. „People buy things not only for what they can do, but also for what they mean.” (Sydney J. Levy) Worum es hierbei vielmehr geht, sind Vorstellungen, Versprechen, Visionen, also Bedeutungsinhalte, Normen, Werte, die durch Marken vermittelt werden. Die Materialität der Marken, also die Produkte, fungiert bloß als Bedeutungsträger, als Medium der Markenkommunikation. Und Werbung kommt hierbei die spezifische und zugleich universale Funktion zu, jedes Produkt, ob ökonomisch oder nicht, mit dieser Art von Sinnformen auszustatten. Wenn im Rahmen von Wirtschaft die Rede auf eine universale Funktion kommt, denken Soziologen gleich ans Geld. Denn Geld ist das universale Tauschmittel, ein –5– IKM Institut für Konsum- und Markenforschung symbolisches Medium, das zwischen allen Personen und Leistungen vermittelt. Dabei herrscht oftmals noch die Annahme vor, der Abgleich von Angebot und Nachfrage erfolge allein über den Preisvergleich, weshalb alle anderen Aspekte außen vor bleiben (könnten). Inzwischen zeichnet sich jedoch ab, daß der Preis eines Produkts als einzige oder auch nur primäre Informationsquelle für die Kaufentscheidung gerade in Konsumgütermärkten mitnichten ausreicht. Vielmehr spielt der Preis für viele Märkte eine nur nachgeordnete Rolle bei der Entscheidungsfindung, während die Marke als Informationsquelle nicht selten ganz vorne rangiert. In diesem Sinne gewinnen Marken aber selbst die Qualität einer Währung, die sich komplementär zum Geld verhält, um es in seiner Funktion der Austauscherleichterung zu unterstützen. Zumindest läßt sich diese These soziologisch gut begründen. Man kann sich diese Funktionsbestimmung von Marken auch durch einen Vergleich mit dem universalen Medium des Wissenschaftssystems verdeutlichen. In der Wissenschaft geht es primär um Wahrheit. Wenn die Zahl wissenschaftlicher Publikationen, die allesamt Erkenntnisgewinn versprechen, aber immer weiter anwächst, woran soll man dann noch erkennen können, welche Vorträge, Aufsätze und Bücher man unbedingt zur Kenntnis nehmen muß, um den Anschluß an die Forschung nicht zu verpassen? Diese spezielle Art von Selektionsproblem wird in der Wissenschaft mittels Reputation gelöst. Obgleich die Kriterien für Reputation alles andere als unstrittig sind, leistet Reputation im Wissenschaftssystem doch ein unverzichtbares Maß an Komplexitätsreduktion, um sich angesichts der Fülle von Veröffentlichungen dennoch zurecht zu finden. In dieser Weise lassen sich aber auch Marken denken, nämlich als Entscheidungshilfe angesichts der Unübersichtlichkeit gesättigter Märkte, und insofern sind Märkte und Marken, funktional betrachtet, auch direkt aufeinander bezogen. 5. Die Markensoziologie als Forschungsprogramm Es kann nicht Gegenstand dieses Artikels sein, alle Aspekte anzusprechen, die das Forschungsprogramm der Markensoziologie umfaßt. Insofern bleiben Fragen zum Verhältnis von Code und Programm, Innovation und Evolution, Kundenbindung und Markentreue u. a. m. außen vor. Wichtig ist zum Schluß jedoch, nicht nur auf die Vorläufigkeit und interdisziplinäre Offenheit dieses Forschungsprogramms aufmerksam zu machen. Denn gegenwärtig steht die Soziologie der Marke noch am Anfang, soweit es die Einbettung und Einbindung des Markenthemas in die soziologische Forschung und Theoriebildung betrifft. Überdies ist festzuhalten, daß es gerade in der Soziologie keinen strikten Kanon darüber gibt, was genau als Soziologie zu gelten hat. Gerade deshalb ist dieses Fach so unübersichtlich, wandelbar und polyglott. Das Label 'Markensoziologie' bezieht sich einerseits auf einen bestimmten Gegenstandsbereich, nämlich das hier so genannte 'System der Marken', andererseits übergreift dieses Label eine Mehrzahl von Erklärungsansätzen, wie es auch in der Familien-, Organisations- oder Wirtschaftssoziologie und selbst in der Markenforschung der Fall ist. Man kann die Bezeichnung 'Soziologie der Marke' schlechterdings nicht für einen Ansatz reservieren, weil sie lediglich das Interesse der Soziologie an Marken anzeigt, die ebenso zu ihrem Gegenstandsbereich gehören wie Familien, Organisationen oder die Wirtschaft als solche. Markensoziologie verfolgt wissenschaftliche, keine kommerziellen Interessen und ist ebenso plural angelegt wie das Fach insgesamt. –6– IKM Institut für Konsum- und Markenforschung In der hier dargelegten Version stützt sich die Markensoziologie namentlich auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns, weil der Kommunikationsbegriff für diese Theorie eine zentrale, wenn nicht konstitutive Rolle spielt. Dies korreliert wiederum mit einer Entwicklung, wie sie sich auch in der Markenforschung abzeichnet, die verstärkt dazu übergegangen ist, die Marke als Botschaft, mithin als Kommunikation zu diskutieren. Erschienen in: Markenartikel, Die Zeitschrift für Markenführung, Heft 3, 2002, S. 134141. –7–