Biologische Gefahren II 4.7 Tularämie Erkrankung: Bakterium: Tularämie, Hasenpest Francisella tularensis Bis zum Biowaffenübereinkommen war F. tularensis Forschungsgegenstand in den Biowaffenprogrammen mehrerer Länder. Auf Grund seiner hohen Infektiosität und Stabilität in der Umwelt erscheint vor allem F. tularensis tularensis geeignet als BT-Agens. 10–50 Erreger sind ausreichend, um durch Inhalation oder intrakutane Applikation 8 eine Erkrankung auszulösen. Bei oraler Exposition sind ca. 10 Erreger notwendig. F. tularensis kann stabilisiert werden und in flüssiger oder trockener Form zur Anwendung als BT-Agens kommen. Ein bereits stattgehabter Einsatz als Biowaffe ist bis heute nicht belegt. 4.7.1 Information zum Erreger Mikrobiologie Gramnegative, unbewegliche, aerob wachsende, pleomorphe Stäbchen. Sie bilden in vivo eine Kapsel. F. tularensis wird in vier Subspezies unterschieden: F. tularensis tularensis, F. tularensis holarctica, F. tularensis mediasiatica, F. tularensis novicida. Sie zeigen große Unterschiede in ihrer Virulenz und damit in der Schwere des Krankheitsverlaufs. Pathogenität F. tularensis ist ein fakultativ intrazellulärer Erreger, der sich hauptsächlich in Makrophagen vermehrt. Die Virulenzfaktoren sind bisher nur unzureichend geklärt – insbesondere die Rolle seiner Lipopolysaccharid-Struktur und der Kapselbildung. Tenazität • Überleben möglich Bei niedrigen Temperaturen über Tage bis Wochen in Kadavern, Tierhäuten, Wasser oder Schlamm. • Aus gefrorenem Material Anzucht des Bakteriums noch nach Jahren möglich. 154 4 Bekannte Erreger – Tularämie Natürliches Vorkommen Die Tularämie befällt neben Menschen auch eine Vielzahl von Säugetieren, Vögeln, Fischen und Amphibien. Natürliche Erregerreservoire sind kleine Nagetiere, Kaninchen, Hasen, Lemminge und Zecken. Allerdings wird auch eine Persistenz und intrazelluläre Vermehrung der Bakterien in frei lebenden Amöben postuliert. Endemiegebiete sind nur unzureichend charakterisiert, vermutlich aber auf die nördliche Hemisphäre beschränkt. In Europa findet sich ein deutliches Nord-Süd-Gefälle (Schweden und Finnland weisen die Mehrzahl der Erkrankungsfälle auf). Im Oktober 2005 erkrankten 10 Teilnehmer einer Hasentreibjagd in Hessen an Tularämie. Risikogruppe 4.7.2 Jäger, Trekking-Touristen (Nordeuropa), die unaufbereitetes Oberflächenwasser oder Schnee konsumieren. Information zur Erkrankung Übertragung Infektion des Menschen durch Haut- oder Schleimhautkontakt mit infektiösem Tiermaterial, durch Verzehr von unzureichend erhitztem Fleisch, Aufnahme von Wasser oder anderen kontaminierten Lebensmitteln, durch die Inhalation von kontaminiertem Staub (z. B. aus Erde, Stroh, Heu) sowie durch Stich oder Biss von blutsaugenden Parasiten (z. B. Zecken). Laborinfektionen stellen ein Risiko dar, wenn kein Vorverdacht auf Tularämie besteht. Mensch-zu-Mensch-Übertragungen sind bisher nicht nachgewiesen. Infektiosität / Kontagiosität / Minimal infektionsauslösende Dosis 10–50 Erreger (intrakutan oder inhalativ). Pathogenese Keine evidenzbasierten Daten verfügbar. Inkubationszeiten In Abhängigkeit von der Infektionsdosis, dem Infektionsweg 108 Erreger (oral). 155 Biologische Gefahren II und der Virulenz des Erregerstammes beträgt die Inkubationszeit 3–5 d (Spannbreite 1–21 d). Klinik Erkrankte zeigen klassische Allgemeinsymptome wie: hohes Fieber, Schüttelfrost, Unwohlsein, Kopf-, Muskelund Gliederschmerzen. In Abhängigkeit von der Eintrittspforte (sowie der Virulenz des Erregers und der Infektionsdosis) werden dann folgende klinische Formen der Tularämie unterschieden, bei denen sich zusätzlich folgende Symptome finden: ulzero-glanduläre Tularämie (45–85 %): Schmerzhafte Ulzerationen der Haut an der Eintrittsstelle, regionale Lymphknotenschwellung, ggf. weitere Hautaffektionen (Erythema nodosum, makulopapuläres Exanthem). typhöse Tularämie (< 5–15 %): Erbrechen, Durchfall, Obstipation, Darmblutungen, mesenteriale Lymphknotenschwellung, häufig sekundäre Pneumonie, Übergang in septisches Krankheitsbild. glanduläre Tularämie (5–25 %): Schmerzhafte Eintrittsstelle ohne Ulzerationen, regionale Lymphknotenschwellung. pulmonale Tularämie (< 5 %): Zeichen der Bronchopneumonie mit Husten, Brustschmerzen, Dyspnoe, Tachypnoe, Schweißausbrüchen, Gewichtsverlust, selten schleimig-eitriges oder blutiges Sputum. Seltener auch extrapulmonale Beteiligung mit Pleuritis, Pleuraerguss und Hilusverbreiterung. oropharyngeale Tularämie (< 5 %): Infiltrate, Beläge und Ulzera im Pharynx und an den Tonsillen, submandibuläre Lymphknotenschwellung. okulo-glanduläre Tularämie (1–2 %): Meist einseitige Konjunktivitis, Lidödem, Lichtscheu, Tränenfluss, periaurikuläres Ödem und regionale Lymphknotenschwellung. 156 4 Bekannte Erreger – Tularämie Bei einem BT-Anschlag mit Aerosolexposition dürften überwiegend folgende Erkrankungsformen auftreten: pulmonale T., oropharyngeale T., okulo-glanduläre T. und typhöse T. In 75–85 % findet sich eine lokale Tularämie mit entzündlichem Primäraffekt, LK-Schwellung und ggf. Primärkomplexbildung. Im Rest der Fälle kommt es zur generalisierten Tularämie mit vielfältigen Symptomen je nach Organbefall. Typischer Endpunkt Bei Infektionen mit F. tularensis tularensis: Unbehandelt bei schweren Verläufen insbesondere nach respiratorischer Infektion bis zu 60 % Letalität Behandelt unter 2 % Lethalität. Infektionen mit anderen Subspezies verlaufen nur in extremen Ausnahmefällen letal. Immunität T-Zell-abhängige, im Allgemeinen dauerhafte Immunität. Differenzialdiagnostisch sollen folgende Erkrankungen in Erwägung gezogen werden: Aktinomykose, abszedierende Pneumonien, Brucellose, Legionellose, Lungenmykosen, Melioidose, Milzbrand, Q-Fieber, Pest, Rotz, Mononukleose, Mumps, Rickettsiosen, Syphilis, Tuberkulose, Yersiniose. 4.7.3 Diagnostik Neben Umweltproben, auf die hier nicht näher eingegangen wird, können zur Diagnostik folgende klinische Untersuchungsmaterialien herangezogen werden: • Blut, • Bioptate (Haut, Lymphknoten), • Punktate (z. B. aus Lymphknoten, Pleura), • Wundabstriche (Ulkus, Tonsillen), • Sputum, Bronchiallavage. 157 Biologische Gefahren II Der Transport der Proben sollte möglichst ohne Zeitverzögerung an ein geeignetes Speziallabor erfolgen. Organmaterial, Punktate und Biopsien sollten in gefrorenem Zustand transportiert werden. Ggf. kann bakteriellen Transportmedien auch ein Antibiotikum zur Reduktion von Begleitflora zugesetzt werden. Angaben zu den grundsätzlichen Transport- und Aufbewahrungsbedingungen finden sich in Kapitel 3.3. Laborarbeiten sollten unter Bedingungen der Sicherheitsstufe 3 durchgeführt werden. Konsiliarlabor: Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr Neuherbergstr. 11 80973 München Weiteres Expertenlabor: Robert Koch-Institut Zentrum für Biologische Sicherheit Nordufer 20 13353 Berlin Mit einer begründeten Verdachtsdiagnose aus klinischem Material ist methodenbedingt innerhalb von 24 h zu rechnen (EM: 90 min – bei fixierter Probe 20 min, PCR 4–24 h). Die klinische Probe gilt als diagnostisch bestätigt, wenn der Erreger aus einer Patientenprobe kultiviert werden kann. Als Beleg für eine akute Tularämie kann auch ein mindestens 4-facher Titeranstieg in der Untersuchung eines Serumpaares angesehen werden. Molekularbiologisch ist z. B. der Nachweis eines Membranproteins möglich. 158 4 Bekannte Erreger – Tularämie 4.7.4 Therapie Impfung In westlichen Staaten ist kein zugelassener Humanimpfstoff verfügbar. Prä- oder periexpositionelle Prophylaxe Keine evidenzbasierten Daten verfügbar. PostexpositionsProphylaxe (PEP) Exponierter Eine ältere Studie hat die Wirksamkeit von Tetracyclin als PEP zeigen können. Derzeit wird aber – obwohl keine klinischen Daten über die Wirksamkeit beim Menschen vorliegen – folgendes Therapieschema empfohlen: • Doxycyclin (2 × 100 mg/d p. o.) oder Ciprofloxacin (2 × 500 mg/d p. o.) über 14 d. Behandlung Erkrankter Bei Patienten mit Krankheitsverdacht ist frühzeitig eine Antibiose einzuleiten: • Ciprofloxacin (3 × 400 mg i. v.) oder Levofloxacin (2 × 500 mg) für jeweils 10–14 d – mit Levofloxacin gibt es allerdings wenig Erfahrung. • Streptomycin 30 mg/kg/d i. m. für 10 d. alternativ • Gentamicin 3–5 mg/kg/d für 10–14 d. oder • Tetracycline (2 g/d für mindestens 14 d). Diese sind jedoch Streptomycin hinsichtlich der Keimelimination unterlegen. Bei Meningitis kann auch Chloramphenicol (50 – 100 mg/kg/d) in Kombination mit Streptomycin eingesetzt werden. Cave: Blutspiegelkontrollen! Hörtests! Wichtig: Alle β-Laktam-Antibiotika einschließlich der Carbapeneme oder der Kombination aus Piperacillin/Tazobactam sind unwirksam. Supportiv-Maßnahmen an der Klinik ausrichten. Intensivmedizinische Betreuung bei septischem Schock und ARDS 159 Biologische Gefahren II notwendig. 4.7.5 Präventionsmaßnahmen Prävention Vektorkontrolle. Trinkwasserhygiene. Vakzination Ein Impfstoff für Menschen steht in Deutschland derzeit nicht zur Verfügung. In Russland existiert ein zugelassener Lebendimpfstoff zur Skarifikation, der in Endemiegebieten eingesetzt wird. Meldepflicht § 7 IfSG: namentliche Meldung auch bei direktem oder indirektem Nachweis mit Hinweis auf akute Infektion. Eigenschutz beim Umgang mit Erkrankten Übliche krankenhaushygienische Maßnahmen. Vorsicht beim Umgang mit scharfen oder spitzen kontaminierten Gegenständen. Absonderungsmaß- Da Mensch-zu-Mensch-Übertragungen bisher nicht nachnahmen gewiesen sind, keine besonderen Absonderungsmaßnahmen notwendig. 160 Herausgeber: Bundesamt für Bevölkerungsschutzund Katastrophenhilfe Provinzialstraße 93 53127 Bonn Robert Koch-Institut Nordufer 20 13353 Berlin Bezugsquelle: www.bevoelkerungsschutz.de 1. Auflage Stand: 2007; 2013 auf Fehler und Adressen hin überarbeitet ISBN 3-939347-07-8 ISBN 978-3-939347-07-1 111