§6 Lineare Kongruenzen Sei m > 0 und a, b beliebig. Wir wollen die Frage untersuchen, unter welchen Bedingungen an a, b und m eine Zahl x0 existiert, so daß ax0 ≡ b mod m. Wenn ein solches x0 existiert, sagen wir: Die lineare Kongruenz (∗) aX ≡ b mod m in einer Unbestimmten X ist lösbar (und zwar, indem man die Unbestimmte durch die Zahl x0 ersetzt). Ist x0 eine Lösung der Kongruenz (∗), so ist auch jedes y aus der Restklasse von x0 modulo m eine Lösung von (∗). (y ≡ x0 =⇒ ay ≡ ax0 ≡ b mod m nach 5.5 (b)). Deshalb versteht man unter der Anzahl der Lösungen von (∗) die Anzahl der verschiedenen Restklassen von Lösungen. Dies ist auch die Anzahl der Lösungen x0 mit 0 ≤ x0 < m. Ferner gilt: Ist a0 ≡ a und b0 ≡ b, so hat a0 X ≡ b0 mod m die gleiche Lösungsmenge wie (∗). (Beweis: Übungsaufgabe.) 6.1 Satz. Ist (a, m) = 1 so hat die lineare Kongruenz aX ≡ b mod m genau eine Lösung. Also gibt es genau ein x0 , 0 ≤ x0 < m mit ax0 ≡ b mod m. Beweis. Nach 5.4(b) bilden a · 0, a · 1, . . . , a(m − 1) ein vollständiges Restsystem modulo m. Also gibt es genau ein x0 mit 0 ≤ x0 < m, so daß ax0 ≡ b mod m. Beispiel. a = 10, b = 4, m = 7 : (a, m) = 1 Betrachte die Kongruenz 10X ≡ 4 mod 7. Sie ist wegen 10 ≡ 3 mod 7 äquivalent zur Kongruenz 3X ≡ 4 mod 7. Berechne den Divisionsrest von 3x0 modulo 7 für 0 ≤ x0 < 7. 1 3·0 3·1 3·2 3·3 3·4 3·5 3·6 = = = = = = = 6= 6 = 6 = ≡ ≡ ≡ ≡ 0 3 6 9 12 15 18 4 4 4 2 6= 4 5 6= 4 1 6= 4 4 mod 7 Also ist x0 = 6 die einzige Zahl x0 mit 0 ≤ x0 < 7 und 3x0 ≡ 4 mod 7. Alle Lösungen bilden die Restklasse von 6 modulo 7. Die Lösungsmenge ist also . . . , −22, −8, −1, 6, 13, 20, 27, . . . 6.2 Satz. Die Kongruenz aX = b mod m ist genau dann lösbar, (a, m) | b. Zusatz. Ist (a, m) | b, so bilden die Lösungen von aX ≡ b mod m genau eine m Restklasse modulo (a,m) . Zum Beweis von 6.2 zeigen wir zunächst 6.3 Lemma. Sei n ≥ 2 und a1 , . . . , an nicht alle Null. Genau dann ist die lineare Gleichung (∗∗) a1 X1 + . . . + an Xn = c in den Unbestimmten X1 , . . . , Xn ganzzahlig lösbar, wenn (a1 , . . . , an ) | c. Insbesondere gilt • aX + bY = c lösbar ⇐⇒ (a, b) | c • Ist (a, b) = 1, so ist aX + bY = c lösbar für alle c Beweis von 6.3 Nach 3.10 besteht die Menge M = {a1 x1 + . . . + an xn | x1 , . . . , xn ∈ Z} gerade aus den Vielfachen von (a1 , . . . , an ). Also gilt: (∗∗) ist lösbar ⇐⇒ c ist Vielfaches von (a1 , . . . an ), d.h. (a1 , . . . , an ) | c. Beweis des Satzes. aX ≡ b mod m ist lösbar ⇐⇒ Es gibt ein x0 mit ax0 ≡ b mod m ⇐⇒. Es gibt ein x0 mit m | ax0 − b ⇐⇒. Es gibt x0 , y0 mit 2 ax0 − b = my0 ⇐⇒. Es gibt x0 , y0 mit ax0 + (−m)y0 = b. Letzteres ist nach 6.3 damit äquivalent, daß (a, m) = (a, −m) | b. Beweis des Zusatzes. Sei (a, m) | b ; Wir setzen a0 = b m a , b0 = und m0 = (a, m) (b, m) (a, m) Dann gilt nach 5.6(b): ax0 ≡ b mod m ⇐⇒ a0 x0 ≡ b0 mod m0 . Also stimmen die Lösungsmengen von aX ≡ b mod m und von a0 X ≡ b0 mod m0 überein. a m Nun gilt aber nach 2.8(e) (a0 , m0 ) = ( (a,m) , (a,m) ) = 1. Aus 6.1 folgt: Die 0 0 0 Lösungsmenge von a X ≡ b mod m besteht aus genau einer Restklasse modulo m0 . 6.4 Korollar. Wir betrachten die lineare Gleichung (L) a 6= 0 oder b 6= 0 aX + bY = c , (i) Ist d = (a, b) kein Teiler von c, so ist (L) nicht (ganzzahlig) lösbar. (ii) Ist d | c (etwa wenn (a, b) = 1), so ist (L) lösbar. (iii) Aus einem Lösungspaar x0 , y0 bekommt man wie folgt die Gesamtheit aller Lösungen: x = x0 + h · b d , y = y0 − h · a d durchläuft die Gesamtheit aller Lösungen von (L), wenn h alle ganzen Zahlen durchläuft. Beweis von (iii). ax + by = ax0 + h ab + by0 − h ab = ax0 + by0 = c, somit d d sind die angegebenen Paare Lösungen. Wir zeigen nun, daß jede Lösung von (L) die angegebene Gestalt hat. Dazu können wir b 6= 0 annehmen. Sei x, y ein Lösungspaar von (L), also ax + by = c = ax0 + by0 =⇒ 6.2 ax ≡ c mod |b| =⇒ Zusatz x ≡ x0 mod |b| =⇒ d ax0 ≡ c mod |b| x = x0 + h db mit h ∈ Z =⇒ by = c − ax = = by0 − b ha = = c − a(x0 + h db ) = (c − ax0 ) − b ha d d ha ha = b(y0 − d ) und b 6= 0 =⇒ y = y0 − d . 3 Spezialfall (a, b) = 1: Ist (a, b) = 1 und x0 , y0 eine beliebige Lösung von aX + bY = c, so wird die Lösungseinheit beschrieben durch die Formeln x = x0 + hb, y = y0 − ha, h ∈ Z beliebig. Der Chinesische Restsatz. 6.5 Lemma. Seien m1 > 0 und m2 > 0 teilerfremd. Dann haben die Kongruenzen X ≡ a1 mod m1 X ≡ a2 mod m2 eine gemeinsame Lösung. Zusatz. Die Menge aller gemeinsamen Lösungen besteht aus genau einer Restklasse modulo m1 m2 . Beweis. Es sind z1 , z2 zu finden, so daß a1 + z1 m1 = a2 + z2 m2 . Dann ist x = a1 +z1 m1 = a2 +z2 m2 eine gemeinsame Lösung der obigen Kongruenzen. Äquivalente Aufgabe: Finde z1 , z2 , so daß a2 − a1 = z1 m1 + z2 (−m2 ). Wegen (m1 , −m2 ) = (m1 , m2 ) = 1 gibt es nach 6.3 solche z1 , z2 . Eindeutigkeit der Lösung modulo m1 m2 : Wegen (m1 , m2 ) = 1 gilt nach 2.7: m1 m2 = kgv(m1 , m2 ). Sind x und y Lösungen der beiden Kongruenzen, so ist x ≡ y ≡ a1 mod m1 und x ≡ y ≡ a2 mod m2 , also m1 | (x − y) und m2 | (x − y). Nach 2.6 gilt daher m1 m2 = kgV (m1 , m2 ) | (x − y) =⇒ x ≡ y mod m1 m2 . Ist umgekehrt x gemeinsame Lösung und y ≡ x mod m1 m2 , so gilt auch y ≡ x mod m1 und y ≡ x mod m2 . Es folgt y ≡ x ≡ a1 mod m1 , y ≡ x ≡ a2 mod m2 , d.h. y ist ebenfalls gemeinsame Lösung. 6.6 Der Chinesische Restsatz. Sei r ≥ 2 und seien m1 , . . . , mr positiv und paarweise teilerfremd (d.h. (mi , mj ) = 1 falls i 6= j). Dann hat das System von Kongruenzen X ≡ a1 mod m1 X ≡ a2 mod m2 (∗) .. . X ≡ a mod m n n 4 eine gemeinsame Lösung. Zusatz. Die Menge der gemeinsamen Lösungen besteht aus genau einer Restklasse modulo m = m1 · . . . · mr . Beweis. (Induktion nach r.) Für r = 2 bewiesen in 6.5. Sei r > 2 und die Behauptung sei für r − 1 schon bewiesen. Induktionsschluß: Es gibt nach Annahme eine Zahl a0 , so daß die Lösungsmenge von X ≡ a1 mod m1 .. (∗∗) . X ≡ a r−1 mod mr−1 aus allen Zahlen x mit x ≡ a0 mod (m1 · . . . · mr−1 ) besteht. M.a.W.: Die Lösungsmenge von (∗∗) stimmt mit der Lösungsmenge der Kongruenz X ≡ a0 mod (m1 · . . . · mr−1 ) überein. Daher stimmt die Lösungsmenge von (∗) mit der Lösungsmenge von X ≡ a0 mod (m1 · . . . · mr−1 ) (∗ ∗ ∗) X ≡ ar mod mr überein. Dabei ist auch (m1 · . . . · mr−1 , mr ) = 1, da (mi , mr ) = 1 für i = 1, . . . , r − 1. Nach 6.5 ist daher (∗ ∗ ∗) lösbar, und die Lösungsmenge besteht aus genau einer Restklasse modulo (m1 · . . . · mr−1 )mr = m. Verfahren zur Lösung einer simultanen linearen Kongruenz. Seien Kongruenzen X ≡ ai mod mi , i = 1, . . . , r vorgegeben mit paarweise teilerfremden m1 , . . . , mr . Q 1. Schritt. Setze bi = mj für i = 1, . . . , r j6=i 2. Schritt. Löse die Kongruenzen bi Xi ≡ ai mod mi . Dies ist nach 6.1 möglich, denn (bi , mi ) = 1. 3. Schritt. Berechne x := b1 x1 + b2 x2 + . . . + br xr . Behauptung: x löst das obige System von linearen Kongruenzen. Beweis. mi |bj für i 6= j =⇒ bj xj ≡ 0 mod mi für i 6= j =⇒ x ≡ bi xi ≡ ai mod mi für i = 1, . . . , r. Beispiel. X ≡ 1 mod 2, X ≡ 2 mod 3, X ≡ 4 mod 5. 5 1. m = 2 · 3 · 5 = 30, b1 = 15, b2 = 10, b3 = 6. Löse 2. (a) 15X1 ≡ 1 mod 2 : x1 = 1 (b) 10X2 ≡ 2 mod 3 : x2 = 2 (c) 6X3 ≡ 4 mod 5 : x3 = 4 3. x = b1 x1 + b2 x2 + b3 x3 = 15 · 1 + 10 · 2 + 6 · 4 = 59 x = 59 ist eine Lösung. Die allgemeine Lösung ist 59 + λ · 30, λ∈Z Also sind z.B. auch 59 − 30 = 29 und 59 − 60 = −1 Lösungen. Anmerkung. Beim obigen Lösungsverfahren waren im 2. Schritt Kongruenzen der Form bi X ≡ ai mod mi mit (bi , mi ) = 1 aufgetreten. Bei großen Zahlen hilft Probieren nicht viel: Verfahren zur Lösung einer Kongruenz cX ≡ d mod n mit (c, n) = 1. 1. Schritt. Finde (mit Hilfe des euklidischen Algorithmus) Zahlen y und z, so daß cy + nz = 1 2. Schritt. Setze x := y · d. Dann ist cx ≡ d mod n. (Ändert man x um ein Vielfaches von n ab (x0 = x+kn), so gilt ebenfalls: cx0 = cx+(ck)n ≡ cx ≡ d mod n.) Beweis. cy + nz = 1 =⇒ cy ≡ 1 mod n =⇒ cx = (cy)d ≡ 1 · d = d mod n, also cx ≡ d mod n. Beispiel. 44X ≡ 5 mod 97 : c = 44, d = 5, n = 97 1. Schritt. Zeige daß (44, 97) = 1 und löse 44Y + 97Z = 1 (vgl. §2) 97 = 2 · 44 + 9 44 = 4 · 9 + 8 9 = 1·8+ 1 =⇒ (44, 97) = 1 Liest man den Algorithmus von unten nach oben, so ergibt sich eine Lösung von 44Y + 97Z = 1 (vgl. §2) 6 1 = 9−1·8 8 = 44 − 4 · 9 1 = 9 − 1(44 − 4 · 9) = (−1) · 44 + 5 · 9 1 = (−1)44 + 5 · 9 9 = 97 − 2 · 44 1 = (−1) · 44 + 5(97 − 2 · 44) = 44 · (−11) + 97 · 5 Es folgt y = −11. 2. Schritt. X = y · d = (−11) · 5 = −55 Dann ist auch −55 + 97 = 42 eine Lösung. Fazit: 44 · 42 ≡ 5 mod 97 Probe: 44 · 42 = 1848 1848 : 97 = 19 Rest 5, d.h. 1848 ≡ 5 mod 97. 7