Glutenfreie Backwaren Udo Hanneforth (Horn-Bad Meinberg) Einleitung: Glutenfrei „Glutenfrei ist heute in aller Munde. In Supermärkten, Drogerien und sogar auf Tiernahrung stolpern wir über diesen Begriff. Gluten (lateinisch gluten = „Leim“; Synonyme: Kleber, Klebereiweiß) ist ein Sammelbegriff für ein Stoffgemisch aus Proteinen, das in den Samen von Getreidearten vorkommt. Bei Wasserzugabe zum Mehl ist es das Gluten, das beim Anteigen eine gummiartige, elastische Masse bildet. Es hat für die Backeigenschaften von Mehl eine zentrale Bedeutung. Bestandteile des Glutens können bei Menschen mit entsprechender Veranlagung zu Zöliakie führen, einer entzündlichen Erkrankung der Darmschleimhaut mit weitreichenden gesundheitlichen Folgen. Definitionen Zöliakie (3) Bei der Zöliakie (glutensensitive Enteropathie, einheimische Sprue) handelt es sich um eine immunologisch vermittelte Erkrankung des Dünndarmes, die bei genetisch prädisponierten Personen durch glutenhaltige Nahrungsmittel zu histologischen Veränderungen am Dünndarm und zur Malabsorption mit unterschiedlichen Symptomen führt. Sie besteht lebenslang und kann sowohl beim Kleinkind als auch beim Erwachsenen im höheren Lebensalter auftreten. Die Zöliakie weist sehr unterschiedliche Verlaufsformen auf und stellt somit ein sehr heterogenes Krankheitsbild dar. Um die Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit der Zöliakie verwendet werden, zu vereinheitlichen, wurden diese durch eine Arbeitsgruppe aus dem Ärztlichen Beirat der DZG definiert. Dies soll zur Vereinheitlichung des Sprachgebrauches und somit zur Verbesserung im Management der Erkrankung beitragen. Diese Verlaufsformen und ihre Definitionen sollen hier dargestellt werden: 1. Klassische Zöliakie (symptomatische, klinisch typische Zöliakie): Bei diesen Patienten zeigt sich das Vollbild der Erkrankung mit typischen Symptomen wie Durchfälle, Gewichtsverlust, Blähungen, Bauchschmerzen, Erbrechen. Zöliakie-Serologie und Duodenalhistologie weisen eindeutige, Zöliakie-typische Konstellationen auf. Die Beschwerden zeigen eine rasche Besserungstendenz durch die glutenfreie Ernährung. 2. Mono- oder oligosymptomatische Zöliakie: Die Betroffenen weisen nur eine diskrete Symptomatik wie Eisenmangel (-anämie) oder Kleinwuchs auf. Serologisch und histologisch zeigen sich jedoch ebenso wie bei der klassischen Form charakteristische Zeichen. Auch diesen Personen wird eine lebenslange glutenfreie Ernährung empfohlen. 3. Stumme (silente, asymptomatische) Zöliakie: Diese Verlaufsform ist relativ häufig, wird aber meist nur durch Screeninguntersuchungen oder als Zufallsbefund im Rahmen einer anderen Diagnostik nachgewiesen. Obwohl subjektiv keine Beschwerden berichtet werden, kann man dennoch eine auffällige Zöliakie-Serologie und eindeutige histologische Veränderungen nachweisen. Gelegentlich werden Befindlichkeitsstörungen erst offenbar, wenn diese unter glutenfreier Ernährung abklingen. Daher wird eine glutenfreie Ernährung als sinnvoll erachtet, kann jedoch diskutiert werden. Verlaufskontrollen zum Ausschluss schwerer Nährstoffdefizite sind in jedem Fall erforderlich. 4. Atypische Zöliakie: Bei dieser seltenen Zöliakieform bestehen vorwiegend extraintestinale Symptome. Allerdings kann man histologisch und serologisch wie bei den oben genannten Formen typische Veränderungen nachweisen. Sie stellt eine diagnostische Herausforderung dar, da sie auf Grund des uncharakteristischen Bildes schwer zu erkennen ist und meist nicht in die differentialdiagnostischen Überlegungen mit einbezogen wird. Da jedoch auch diese Patienten zumindest teilweise von der Ernährungsumstellung profitieren können, sollte auf diese Form ein verstärktes Augenmerk gelegt werden, um möglichst frühzeitig die richtige Diagnose zu stellen. 5. Latente Zöliakie: Diese Patienten weisen unter glutenhaltiger Ernährung keine eindeutigen Veränderungen der Serologie und Histologie auf. Meist liegen keine oder nur diskrete, unspezifische Beschwerden vor. Bei einigen war in der Vergangenheit bereits eine Zöliakie mit den typischen Charakteristika diagnostiziert, die Diät jedoch aus unterschiedlichen Gründen abgebrochen worden. Im weiteren Verlauf kann sich unter stärkerer Glutenbelastung auch wieder eine Zöliakie manifestieren. Diese Personengruppe bedarf der regelmäßigen Überwachung unter glutenhaltiger Ernährung, ob sich Beschwerdebild, Antikörper und Histologie entsprechend verändern. Dann wäre auch wieder eine lebenslange glutenfreie Ernährung zu empfehlen. 6. Potentielle Zöliakie: Hierunter versteht man z.B. erstgradige Verwandte von Zöliakie-Betroffenen, die keine oder nur wenige Beschwerden aufweisen, auch erhöhte Antikörper gefunden werden können, allerdings ohne entsprechende histologische Veränderungen. Auch bei ihnen wird die klinisch manifeste Zöliakie erst durch längeren und / oder verstärkten Glutenkonsum und weiterer Auslösefaktoren (z.B. Infektionen) offenbar und bedarf erst dann der Ernährungsumstellung. Im Verlauf sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen erforderlich. 7. Transiente Zöliakie: Dieser Begriff ist für die seltenen Fälle reserviert, bei denen Kinder im frühen Kindesalter (vor dem zweiten Lebensjahr) mit eindeutigen Zöliakie-Charakteristika diagnostiziert wurden, über Jahre glutenfrei ernährt wurden und unter erneut glutenhaltiger Ernährung beschwerdefrei bleiben. Auch die Antikörperuntersuchungen und die Dünndarmbiopsie sind zu diesem Zeitpunkt unauffällig. Ein Teil der Patienten kann jedoch zu einem späteren Zeitpunkt wieder eine Zöliakie entwickeln. Hierbei kommen sowohl infektiöse oder allergische Erkrankungen als Ursache in Frage. Es wird jedoch auch diskutiert, ob sich sekundär eine Toleranz gegenüber Gluten entwickeln kann. Daher sollten diese Kinder vor der Einschulung einer Glutenbelastung unterzogen werden. 8. Refraktäre Zöliakie: Bei diesen meist erwachsenen Patienten mit eher langem Krankheitsverlauf zeigen sich zum Zeitpunkt der Diagnose typische Zöliakie-Konstellationen in Serologie und Histologie. Unter glutenfreier Ernährung stellt sich jedoch keine Besserung der Beschwerden ein. Diätfehler und andere ursächliche Begleiterkrankungen (z.B. Laktoseintoleranz) müssen ausgeschlossen werden. Die refraktäre Zöliakie wird in zwei immunologische Kategorien eingeteilt: * Typ 1 mit normaler Population intraepithelialer Lymphozyten * Typ 2 mit aberranten oder prämalignen intraepithelialen Lymphozyten, aus denen sich nicht selten ein Entheropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom (EATL) entwickeln kann. Eine Sonderform stellt die kollagene Zöliakie dar. Hier zeigt sich histologisch eine komplette Zottenatrophie mit einer Verdickung der Basalmembran und Kollagenablagerungen in der Lamina propria. Dies entspricht dem histologischen Typ 4 nach Marsh . Die Behandlung erfolgt mit Prednisolon oder Budesonid, wobei die Prognose für die refraktäre Zöliakie Typ 1 erheblich günstiger ist als für den Typ 2. Krankheitsbilder Zöliakie (auch einheimische Sprue genannt) ist eine chronische Erkrankung des Dünndarms, die auf einer lebenslangen Unverträglichkeit gegenüber dem Klebereiweiß Gluten, bzw. der Unterfraktion Gliadin beruht. Gluten/Gliadin kommt in den Getreidearten Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste und Hafer vor, sowie in den alten Weizensorten Einkorn, Emmer und Kamut. Beim Gesunden wird die aufgenommene Nahrung im Dünndarm in ihre Bestandteile zerlegt und gelangt über die Schleimhaut in den Körper. Um eine möglichst große Oberfläche zur Nährstoffaufnahme zu erhalten, ist der Darm mit vielen Falten, den sogenannten Zotten, ausgekleidet. Bei Zöliakie-Betroffenen führt die Zufuhr von Gluten zu einer Entzündung in der Darmschleimhaut. Dies hat zur Folge, dass die Zotten sich zurückbilden. Durch die Verringerung der Oberfläche des Dünndarms können nicht mehr genügend Nährstoffe aufgenommen werden. So entstehen im Laufe der Erkrankung Nährstoffdefizite, die eine Reihe der Beschwerden auslösen. Bei der Zöliakie spielen erbliche Faktoren eine wichtige Rolle, aber auch das Immunsystem, Infektionen und Umweltfaktoren scheinen die Entwicklung einer Zöliakie zu beeinflussen. Die komplexen Zusammenhänge sind bisher noch nicht vollständig geklärt. Bis vor einigen Jahren ging man davon aus, dass im Durchschnitt etwa einer von 1.000 bis 2000 Menschen in Deutschland von Zöliakie/Sprue betroffen ist. Neuere Reihenuntersuchungen zeigen aber, dass die Häufigkeit tatsächlich bei etwa 1:200 liegt. Nur bei 10-20 % der Betroffenen liegt das Vollbild der Zöliakie/Sprue vor. 80-90 % haben untypische oder keine Symptome und wissen daher oft nichts von ihrer Erkrankung. Grundsätzlich ist ein Ausbruch der Erkrankung in jedem Lebensalter möglich. Man beobachtet allerdings zwei Häufigkeitsgipfel: Der erste liegt zwischen dem 1. und dem 8. Lebensjahr, der zweite zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr. Die Symptomatik der Zöliakie ist sehr variabel und weist häufig uncharakteristische Krankheitsbilder auf. Auch wenn die Zöliakie sich über die histologischen Veränderungen der Dünndarmschleimhaut definiert, liegen nicht bei allen Patienten gastrointestinale Symptome vor. Je jünger die Patienten bei der Diagnose sind, um so eher liegt eine klassische Zöliakie mit typischen Krankheitszeichen vor. Diese Form kommt jedoch in den letzten Jahren seltener vor. Dies könnte mit einer verlängerten Stilldauer und spätem Einführen von Gluten in die Beikost, oft erst nach dem ersten Lebensjahr zusammenhängen. Im Gegenzug werden häufiger oligosymptomatische Verläufe bei älteren Kindern beobachtet. Die unten stehende Übersicht über die Häufigkeit der Symptome soll verdeutlichen, dass nicht bei jedem Patienten alle Symptome gleichermaßen vorliegen müssen. So hat sich in den letzten Jahren auch gezeigt, dass viele Zöliakiepatienten nicht zwingend untergewichtig sein müssen, im Gegenteil sogar ein BMI über 25 aufweisen können. Klassische Symptome 98% Gedeihstörung Vorgewölbter Bauch 86% 50% Durchfälle Verstopfung 10% Appetitlosigkeit 46% Erbrechen 65% Blässe 65% Muskelschwäche 43% Misslaunigkeit, Müdigkeit, Wesensveränderung 56% Auch bei älteren Kindern können diese Symptome auftreten, unspezifischere Beschwerden sollten jedoch auch eine entsprechende Diagnostik zur Folge haben. • Verzögerte Pubertätsentwicklung • Kleinwuchs • Rezidivierende Bauchschmerzen • Durchfälle, Verstopfung • Zahnschmelzdefekte Viele Patienten präsentieren sich jedoch ohne gastrointestinale Symptome. Bei ihnen kann man zwei große Beschwerdegruppen unterteilen: Zum einen kennt man die Symptome, die durch die Malabsorption verursacht werden und so Beschwerden auslösen. Zum anderen können Symptome und Erkrankungen an anderen Organen abseits des Gastrointestinaltraktes vorkommen (atypische Zöliakie) Häufigste Malabsorptionszeichen Periphäre Neuropathie Vitamin B12 und B1 Anämie Eisen, Folsäure, Vit. B12 Knochenschmerzen, Osteoporose / -malazie Vitamin D, Calcium Muskelkrämpfe Magnesium, Calcium Nachtblindheit Vitamin A Ödeme Proteine Schwäche Kalium u.a. Elektrolyte Blutungsneigung, Hämatome Vitamin K Extraintestinale Symptome, die nicht durch Malnutrition bedingt sind: • • • • • • • • Neurologisch-psychiatrische Krankheitsbilder: Depressionen, Ataxie, Epilepsie okzipitalen Verkalkungen, Konzentrationsstörungen, Nervosität Dermatitis herpetiformis Duhring Hepatopathie (ALAT/GOT, ASAT/GPT-Erhöhungen) bis (sehr selten) Leberausfall Stomatitis aphthosa Lungenhämosiderose IgA-Nephropathie Myocarditis Infertilität, Amenorrhöe, gehäufte Aborte mit Epidemiologie / Verbreitung Die Häufigkeit der Erkrankung schwankt in verschiedenen Ländern teilweise erheblich. Außerdem unterscheiden sich die Häufigkeitsangaben danach, ob die Diagnose erst aufgrund von klinischen Symptomen oder schon aufgrund eines Suchtests im Serum gestellt wird. Unter alleiniger Berücksichtigung der symptomatischen Fälle reicht die Häufigkeit (Prävalenz) von 1:10.000 in Dänemark und den USA bis zu 1:300 in Schweden und Großbritannien. Weltweit wird eine durchschnittliche Häufigkeit von etwa 1:3350 angegeben. Zieht man auch die durch Screeninguntersuchungen diagnostizierten Fälle hinzu, erhöht sich die Prävalenz auf 1:500 in Deutschland und Dänemark und etwa 1:110 in den USA und Großbritannien, im weltweiten Durchschnitt ungefähr 1:270.[1] Steigende Erkrankungszahlen in Schweden bei gleichzeitig konstant bleibender Häufigkeit im genetisch verwandten Norddänemark werden auf eine in Schweden übliche frühe Zufütterung von getreidehaltiger Beikost zurückgeführt. Allzufrühes Zufüttern scheint das Risiko für eine Zöliakie zu erhöhen. Bei Menschen mit einem Down-Syndrom (Trisomie 21) wird das Auftreten einer Zöliakie zudem etwas häufiger als bei Menschen ohne diese chromosomale Besonderheit beobachtet. Die Zöliakie hat zwei Manifestationsgipfel: einen im Säuglingsalter, einen im vierten Lebensjahrzehnt. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Glutenfreie Ernährung/Diät (3) Die lebenslange glutenfreie Ernährung stellt derzeit die einzig mögliche Therapie der Zöliakie dar. Die Ziele der Diät sind der Rückgang sämtlicher durch die Zöliakie verusachten Symptome und eine Vermeidung von langfristigen Komplikationen. Dazu gehört die Vermeidung aller Lebensmittel, die Weizen, Roggen, Gerste, Hafer und verwandte Getreidesorten wie Dinkel, Emmer, Grünkern und Kamut enthalten. Da Gluten in sehr vielen prozessierten Lebensmitteln auf Grund seiner günstigen Eigenschaften enthalten ist, müssen die Betroffenen nicht nur auf die ersichtlichen Getreideprodukte wie Brot, Kuchen und Nudeln achten, sondern vor allem auf die versteckten Glutenbeimengungen. Durch die neue Lebensmittelkennzeichnungsverordnung muss Gluten als Inhaltsstoff stets mit angegeben werden. So kann man bei abgepackten Lebensmitteln erkennen, welche Weizen bzw. glutenhaltige Bestandteile enthalten. Der Hinweis “kann Spuren enthalten von…” bedeutet, dass es im Herstellungsprozess zu Kontaminationen kommen kann, aber in der eigentlichen Rezeptur kein Gluten enthalten ist. Hier kann die Lebensmittelaufstellung der DZG helfen, diese Nahrungsmittel als glutenfrei zu erkennen. Für nicht verpackte Waren gilt diese Verordnung nicht, so dass hier Kontaminationen nicht direkt ersichtlich sind. Auch in einigen Arzneimitteln kann Weizenstärke als Trägersubstanz eingesetzt sein. Daher ist mit der Aufstellung der DZG für Medikamente oder mit dem Apotheker abzuklären, ob dieser Fall vorliegt. Auf Grund der Komplexität der glutenfreien Ernährung ist es zu empfehlen, dass alle Betroffenen zu Beginn eine Beratung durch eine Ernährungsfachkraft erhalten. Die Mitgliedschaft in der DZG liefert ihnen zusätzliches Informationsmaterial, das die Umsetzung der Diät im Alltag (z.B. durch Einsatz der Lebensmittelaufstellung) erleichtert und sicher macht. Begleitend können Beratungen durch geschulte Zöliakieberater und die Kontaktpersonen von Mitgliedern in Anspruch genommen werden. Kommen keine weiteren Einschränkungen in der Ernährung durch zusätzliche Erkrankungen (z.B. Unverträglichkeiten, Nahrungsmittelallergien) oder Ernährungsformen (z.B. vegane Ernährung) hinzu, ist die glutenfreie Ernährung in der Lage, alle Nährstoffe zu liefern, die benötigt werden. Einzig die Ballaststoffe sind in den glutenfreien Getreiden von Natur aus deutlich weniger enthalten als in Weizen oder Roggen. Daher neigen einige Betroffene zur Obstipation, die dann entsprechend behandelt werden muss. In der Ernährungsberatung sollte auf diesen Aspekt eingegangen werden, um hier direkt vorbeugend zu beraten. Viele Zöliakie-Betroffene neigen dazu, sich eher protein- und fettreich zu ernähren. Dies sollte in der Beratung berücksichtigt werden und entsprechende Vorschläge für eine kohlenhydratreichere Ernährung beinhalten. Während auch die Vitamine aus dem B-Komplex gelegentlich als vermindert angegeben werden, kann dies für eine ausgewogene Ernährung nicht pauschal behauptet werden. Gerade B-Vitamine kommen in zahlreichen anderen Lebensmitteln (Obst, Gemüse, Milchprodukte, Fleisch…) vor, Defizite sind daher kaum zu erwarten. Daher müssen nicht bei allen Zöliakie-Betroffenen dauerhaft Supplemente verabreicht werden. Die Behandlung der Zöliakie besteht derzeit ausschließlich in einer glutenfreien Diät. Lebensmittelrechtliche Aspekte Die Verordnung (EG) Nummer 41/2009 befasst sich mit der Zusammensetzung und Kennzeichnung von Lebensmitteln (Ausnahme: Säuglingsanfangs- und folgenahrung), die für Menschen mit einer Glutenunverträglichkeit geeignet sind. Die EU-Verordnung lässt bestimmte Glutenhöchstgehalte in den betreffenden Lebensmitteln zu, da es technisch sehr schwierig ist, vollständig glutenfreie Lebensmittel zu produzieren. Mögliche Deklarationsstufen bei Lebensmitteln, die für Menschen mit Glutenunverträglichkeit angeboten werden: • • • „sehr geringer Glutengehalt“: Es dürfen höchstens 100 mg Gluten pro Kilogramm Lebensmittel enthalten sein „glutenfrei“: Der Höchstgehalt an Gluten beträgt 20 mg/kg „Lebensmittel mit Hafer“: maximal 20 mg/kg Gluten. Der Hafer muss so hergestellt sein, dass Verunreinigungen mit Gerste, Roggen, Weizen und deren Kreuzungen ausgeschlossen sind. Gluten (1,2) • • • Prolamine + Gluteline = Gluten (Verhältnis ~1:1) ca. 80% vom Gesamtproteingehalt Albumine und Globuline = nicht schädlich Prolamine: Weizen = Gliadin Roggen = Secalin Gerste = Hordein Hafer = Avenin Gliadin / Glutengehalt • 10 ppm Gliadin = 10mg/kg oder 1mg Gliadin/100g = 20 ppm Gluten = 20mg/kg oder 2mg Gluten/100g • Weizen enthält = 10g Gluten/100g = 10.000mg Gluten/100g (das 5.000-fache) = 100mg Gluten/g oder 0,1g Gluten/g => ~ 0,02g Weizenmehl enthalten 2mg Gluten Die Verordnung gilt seit 10. Februar 2009 und tritt mit 1. Januar 2012 in Kraft. Wenn ein Lebensmittel diese Anforderungen bereits jetzt erfüllt, darf es in den Verkehr gebracht werden. [ Rohstoffe zur Herstellung glutenfreier Backwaren Verbotene Rohstoffe Zur Herstellung glutenfreier sind nur glutenhaltige Getreidearten und deren Verarbeitungsprodukte verboten: • Weizen Weichweizen, Hartweizen, Dinkel, Grünkern, Einkorn, Emmer, Kamut • Roggen, Triticale • Gerste • (Hafer: wird von den meisten aber nicht von allen vertragen) Erlaubte Rohstoffe Glutenfreie Rohstoffe werden grundsätzlich unterschieden in: • Von Natur aus glutenfrei • Glutenfrei gemachte Lebensmittel (z.B. Weizenstärke) Von Natur aus glutenfreie Getreidearten: • Reis • Mais • Buchweizen • Hirse • Teff • Amaranth • Quinoa Von Natur aus glutenfreie, backfähige, stärkehaltige Quellen: • Kartoffelstärke • Kochbananen • Kastanie • Tapioka • Cassava Weitere wichtige „von Natur aus“ glutenfreie Zutaten • lösliche Ballaststoffe (Inulin / Oligofruktose) • Pflanzenfasern (Apfel, Soja, Erbse, Bambus, Cellulose, …) • Pflanzenproteine (Soja, Lupine, …) • Proteine aus Tierprodukten (Ei, Milch, …) • Sonstige (tierische oder pflanzliche Fette, Laktose, Salz, Zucker, Maltodextrine, Ölsamen, Backsaaten (Sesam, Blaumohn, Leinsamen, SBK, KK, …), Aromen, Emulgatoren, Verdickungsmittel, Hefe, chemische Triebmittel, Enzyme Europäische Kommission (Hertha) Richtlinie 2007/68/EG zur Änderung von Anhang IIIa der Richtlinie 2000/13: • Glutenhaltige Getreide (…) und daraus gewonnene Erzeugnisse, außer: a) Glucosesirupe auf Weizenbasis einschließlich Dextrose (1); b) Maltodextrine auf Weizenbasis (1) c) Glucosesirupe auf Gerstenbasis; d) Getreide zur Herstellung von Destillaten oder Ethylalkohol … für alkoholische Getränke (1) und daraus hergestellten Erzeugnissen … Herstellung glutenfreier Backwaren Rahmenbedingungen für/bei der Herstellung Rohstoffe I m Sinne eines HACCP Konzeptes gibt es bei der Herstellung glutenfreier Backwaren einen, wenn nicht den wichtigsten CCP: Die Kontamination mit Gluten! „Von Natur aus“ glutenfreie Rohstoffe können bei deren Herstellung mit Gluten kontaminiert sein. Z. B. Maismehl, das in einer „Mischmühle“, in der ebenfalls Weizen oder Roggen verarbeitet wird, hergestellt wurde. Beim Rohstoffeinkauf ist dementsprechend große Aufmerksamkeit auf den Glutengehalt zu legen. Eine höhere Sicherheit bieten glutenfreie Backmischungen, die entsprechend kontrolliert sind. Es brauchen daher nicht alle Einzelkomponenten untersucht zu werden. Herstellungsräume Idealerweise sollte die Herstellung glutenfreier Backwaren in separaten Räumen stattfinden. Warum: 50kg Teig dürfen max. 1g Gluten (50*0,02) enthalten, d.h. 10g Weizenmehl (= 1Eßlöffel) reichen aus, um 50kg Teig derart zu kontaminieren, dass der erlaubte Glutengehalt überschritten wird; unter der Voraussetzung, das nur 100%ig glutenfreien Zutaten verwendet wurden. Oder: Die Menge Mehl, die an einer Backform haftet, welche in der Backstube offen gelagert wurde, reicht aus, um den erlaubten Grenzwert bei 1kg Teig zu erreichen. Bedenkt man, dass selbst glutenfreie Rohstoffe häufig Spuren von Gluten enthalten (<20ppm), steigt das Risiko entsprechend. Rezeptgestaltung Bei der Rezeptgestaltung muss, gegenüber der Herstellung von Weizenteigen, ein komplettes Umdenken stattfinden. Denn die gewohnten Eigenschaften des Weizens, die bei der Teigbereitung (Teigbildung), bei der Aufarbeitung (Teigstabilität), bei der Gärung (Gashaltung) und beim Backen (Backstabilität) durch das Gluten massiv beeinflusst werden, sind bei der Herstellung von glutenfreien Teigen, eben wegen des Fehlens von Gluten, nicht vorhanden. Deshalb müssen diese Phänomene bei der Rezeptgestaltung besonders Berücksichtigung finden. Glutenfreie Mehle verhalten sich bei der Teigbereitung ähnlich wie Stärken, denn ihre Proteine binden nicht diese Mengen Wasser wie Gluten. Glutenfreie Teige haben nur geringe elastische Eigenschaften, was erhebliche Verringerung der Teigstabilität, Gashaltung zur Folge hat. Zur Lockerung der Backwaren ist es erforderlich, dass eine ausreichende Menge Kohlendioxid zur Verfügung gestellt wird. Nahezu alle uns bekannten Mehlkombinationen sind in der Lage, der Hefe dafür ausreichend Maltose als Nährstoff zu liefern. Dabei gibt es kaum Unterschiede zwischen glutenhaltigen und glutenfreien Mehlen. Als zweite Voraussetzung für eine ausreichende Lockerung ist es notwendig, dass der Teig in der Lage ist, das gebildete Kohlendioxid auch zurückzuhalten, bzw. zu binden. Über welches Gasrückhaltevermögen eine Teig verfügt, hängt dabei sehr stark von seinen rheologischen Eigenschaften ab; d.h. wie groß sein elastisches und wie groß sein viskoses Verhalten ist. Grundsätzlich zeigen alle Teige ein unterschiedlich ausgeprägtes viskoelastisches Verhalten. Auf der einen Seite müssen Teige so viskos sein, dass sie in der Lage sind, dem steigenden Kohlendioxiddruck nicht nachzugeben und das Gas im Teig zu halten. Auf der anderen Seite müssen Sie aber auch so elastisch sein, dass sich bereits ausgebildete Gasblasen im Teig und später auch beim Backprozess ausdehnen können ohne mit den anderen Blasen zu agglomerieren. Diese Defizite lassen sich bislang nicht vollständig kompensieren. Teig- bzw. Backeigenschaften können durch Zusätze von Hydrokolloiden und/oder Proteinen bzw. Laktose verbessert werden. Teigherstellung und Backen Bei der Teigherstellung werden alle Zutaten einige Minuten miteinander verrührt. Die Teige werden sofort und ohne Zwischengärzeiten aufgearbeitet. Bei der Endgärung sollte der Teig etwa 2 bis 3 cm aufgehen. Zu volle Teige zeigen zu wenig Stabilität was zu vermehrten Agglomerationen der Gasblasen führt. Die führt zu größeren Hohlräumen im Gebäck oder zum Einfallen der Krumen. Haltbarkeit uns sensorische Qualität Durch den Verzicht auf Weizen sind sowohl die Krumeneigenschaften als auch die sensorische Frischhaltung gegenüber Weizengebäck verändert. Insbesondere wird die Retrogradation durch Maismehl beschleunigt. Die Backwaren neigen schon nach kurzer Zeit zum Krümeln (mangelhafter Krumenzusammenhalt). Durch gezielten Einsatz anderer Mehle und Zutaten kann die Frischhaltung deutlich verlängert werden. Zusammenfassung Der Begriff „Glutenfrei“ ist z.Zt. in aller Munde. Glutenfreie Lebensmittel findet man mittlerweile in jedem Supermarkt. Das Angebot an glutenfreien Lebensmitteln hat sich in den letzten 15 Jahren erheblich verbessert. Heute braucht kein Zöliakie-Patient mehr Einbussen in seiner Lebensqualität hinnehmen. Die Herstellung von glutenfreien Backwaren ist prinzipiell einfach, weil man auf die Kleberentwicklung keine Rücksicht nehmen muss. Andererseits liefert das Fehlen des Glutens andere Herausforderungen an die Teigeigenschaften, Wasserbindung etc.. Es kann durch Zusatz anderer glutenfreier Rohstoffe, z.B. Hydrokolloide, das Fehlen des Glutens nur teilweise kompensiert werden. Durch gezielte Rohstoffauswahl können aber trotzdem schmackhafte Backwaren auch mit entsprechender Haltbarkeit hergestellt werden. Die größte Gefahr geht bei der Herstellung von der Kontamination mit Gluten aus. Hierauf ist bei der Herstellung von glutenfreien Backwaren besonders zu achten! Literatur 1. Caspary, W.F.: Gluten – Vorkommen und Toxizität bei Zöliakie.- E&M – Ernährung und Medizin 2009 (24), S. 56-62 2. Deutsch, Hertha: Die glutenfreie Ernährung und lebensmittelrechtliche Aspekte.- In: Lebensmittel für Zöliakie-Betroffene – Technologische Herausforderungen. DLG-Symposium.München (September 2008) 3. Deutsche Zöliakie Gesellschaft (DZG): http://www.dzg-online.del Anschrift des Verfassers: Dipl.-Ing. Udo Hanneforth Hanneforth food for you GmbH & Co. KG Kampstraße 1 a 32805 Horn-Bad Meinberg Tel.: 05234 203968 Fax: 05234 203049 [email protected]