Skript zur Vorlesung Topologie I Carsten Lange, Heike Siebert Richard-Sebastian Kroll Faszikel 3 Fehler und Kommentare bitte an [email protected] Stand: 17. Juli 2010 Fachbereich Mathematik und Informatik Freie Universität Berlin Sommersemester 2010 Inhaltsverzeichnis I. Grundbegriffe der mengetheoretischen Topologie I.1. Topologische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2. Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.3. Abgeschlossene Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.4. Unterräume & endliche Produkte . . . . . . . . . . . . . . . I.5. Konstruktion weiterer topologischer Räume: Initialtopologie I.6. Erste Eigenschaften: Zusammenhangsbegriffe . . . . . . . . I.7. Weitere Eigenschaften: hausdorffsch & kompakt . . . . . . . I.8. Ein Beispiel für Vieles: Cantorsches Diskontinuum . . . . . I.9. Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.10. Filter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.11. Trennungseigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.12. T4 -Räume und Stetigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.13. Kompaktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.14. Finaltopologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.15. Quotientenräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.16. Projektive Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.17. Verkleben und CW-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 3 6 9 10 13 17 23 26 30 33 40 47 52 60 62 67 69 II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie II.1. Homotopie von Schleifen und Fundamentalgruppe II.2. Kategorien & Funktoren . . . . . . . . . . . . . . . II.3. Homotopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.4. Die Fundamentalgruppe von S 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 75 79 82 86 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie II.1. Homotopie von Schleifen und Fundamentalgruppe Die algebraische Topologie gibt uns neue Kriterien, die uns bei der Entscheidung helfen, ob zwei Räume homöomorph sind oder nicht. Prinzipiell können wir im Fall homöomorpher Räume versuchen, einen Homöomorphismus anzugeben, aber das kann aber im konkreten Fall schwierig sein. Sind die Räume nicht homöomorph, so können wir auch versuchen, dies mit Hilfe topologischer Invarianten nachzuweisen. Beispielsweise konnten wir mit Hilfe des Zusammenhangsbegriffes zeigen, dass S 1 und [a; b] nicht homöomorph sind, siehe Aufgabe 3/1. Mit Hilfe der Kompaktheit konnten wir nachweisen, dass [a; b] und (a; b) nicht homöomorph sind. Entsprechend können auch die Trennungsaxiome hilfreich sein. Wie sollen wir aber bei der Frage vorgehen ob R2 homöomorph zu R3 ist? Wir könnten uns des Dimensionsbegriffs aus der lineare Algebra bedienen, aber können wir auch einen topologischen“ Weg wählen? Wie sieht es im Fall von ” S 2 und dem Torus T = S 1 × S 1 aus? Ein neuer Ansatz ist es nun, topologischen Räumen algebraische Objekte zu assoziieren. Die bekanntesten dieser Objekt sind die Fundamentalgruppe, die wir uns nun genauer anschauen werden, Homologiegruppen, die in der Topologie II behandelt werden, sowie Kohomologieringe, die im AAnschluß an die Homologiegruppen betrachtet werden. II.1.1 Notation: Ist X ein topologischer Raum und x0 ∈ X, dann nennen wir das Paar (X, x0 ) einen punktierten topologischen Raum. Im Folgenden verstehen wir unter I stets den Unterraum I = [0; 1] ⊂ (R, Onat ). II.1.2 Definition: Seien (X, x0 ) ein punktierter topologischer Raum und λ und µ Wege in X. (a) Es gelte λ(1) = µ(0). Die Verkettung µ ∗ λ von µ und λ ist � λ(2t) 0 ≤ t ≤ 21 (µ ∗ λ) : I −→ X mit t �−→ µ(2t − 1) 12 ≤ t ≤ 1. (b) Der Weg λ− ist defniert durch λ− (s) := λ(1 − s). Besonders interessant wird für uns die Verkettung µ ∗ λ zweier Schleifen in x0 sein, diese ist wieder eine Schleife in x0 . Anschaulich bedeutet µ ∗ λ, dass wir nach geeigneter Umparametrisierung erst λ und dann µ entlanglaufen. Ist λ eine Schleife in x0 und α ein Weg von x0 nach x1 so ist die Verkettung α∗λ∗α− eine Schleife in x1 . Genaugenommen ist die Reihenfolge der Verkettung hier wichtig, aber wir werden uns dieser Unannehmlichkeit durch Betrachten geeigneter Äquivalenzklassen entledigen. Weiterhin ist die Menge aller Schleifen für uns zu groß. Auch hier wird es nützlich sein, wenn wir uns uns auf die gewisse Äquivalenzklassen beschränken. II.1.3 Definition: Seien (X, x0 ) ein punktierter topologischer Raum und λ und µ Schleifen in x0 . (a) Die Schleife λ heißt homotop zur Schleife µ relativ {0; 1}, falls eine stetige Abbildung F : I × I −→ X mit 75 Topologie I F (s, 0) = λ(s), F (s, 1) = µ(s), F (0, t) = x0 , und F (1, t) = x0 für alle s, t ∈ I existiert. Wir schreiben λ � µ rel(ativ) {0; 1} und bezeichnen mit [λ] die Menge aller Schleifen, die homotop zu λ relativ {0; 1} sind. Die Abbildung F wird auch Homotopie zwischen λ und µ genannt. (b) Eine Schleife heißt nullhomotop oder homotopietrivial, falls sie homotop relativ {0; 1} zur konstanten Schleife µ(s) ≡ x0 ist. Eine Homotopie F : I × I −→ X relativ {0; 1} zwischen Wegen λ und µ deuten wir oft nur schematisch an. Der Definitionsbereich I × I wird durch ein Quadrat gekennzeichnet, während entlang gegenüberliegender Seiten des Quadrats die Schleifen λ und µ und markiert werden und die verbleibenden Seiten die konstanten Wege λ(0) = µ(0) und λ(1) = µ(1) repräsentieren. Homotopien relativ {0; 1} machen natürlich auch Sinn, wenn wir die Pfade durch Schleifen mit Basispunkt x0 ersetzen. bild fehlt II.1.4 Satz: Die Relation � rel {0; 1} ist eine Äquivalenzrelation auf der Menge aller Schleifen in x0 . Beweis: Seien λ, µ und ν Schleifen in x0 . Die Reflexivität von � rel {0; 1} sieht man mit der Homotopie relativ {0; 1}, die durch F (s, t) = λ(s) für alle s, t ∈ I definiert wird. Nun zur Symmetrie λ � µ rel {0; 1} impliziert µ � λ rel {0; 1}. Bezeichnet F eine Homotopie relativ {0; 1} zwischen λ und µ, dann ist G(s, t) := F (s, 1 − t) eine Homotopie relativ {0; 1} zwischen µ und λ. Es gilt also µ � λ rel {0; 1}. Schließlich zur Transitivität, das heißt, λ � µ rel {0; 1} und µ � ν rel {0; 1} implizieren λ � ν rel {0; 1}. Bezeichnen F und G Homotopien relativ {0; 1} zwischen λ und µ und zwischen µ und ν, dann ist � F (s, 2t) 0 ≤ t ≤ 12 H : I × I −→ X mit H(s, t) := G(s, 2t − 1) 12 ≤ t ≤ 1, eine Homotpie relativ {0; 1} zwischen λ und ν. II.1.5 Satz: Seien (X, x0 ) ein punktierter topologischer Raum und λ, λ� , µ, µ� und ν Schleifen in x0 . Dann gelten die folgenden Aussagen: (a) Ist λ � λ� rel {0; 1} und µ � µ� rel {0; 1}, so gilt auch λ ∗ µ � λ� ∗ µ� rel {0; 1}. 76 II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie (b) Betrachte die Schleife λ− : I −→ X, die durch λ− (t) := λ(1 − t) definiert wird. Dann ist λ− Schleife in x0 und sowohl λ ∗ λ− , als auch λ− ∗ λ sind nullhomotop. (c) Es gilt (λ∗µ)∗ν � λ∗(µ∗ν) rel {0; 1}, die Verknüpfung ∗ ist also assoziativ. (d) Ist λ(s) = x0 für alle s ∈ I, ist λ also die konstante Schleife in x0 , so gilt λ ∗ µ � µ � µ ∗ λ rel {0; 1}. Beweis: (a) Sei F die Homoopie relativ {0; 1} zwischen λ und λ� und G die Homotopie relativ {0; 1} zwischen µ und µ� . Dann ist � F (s, 2t) 0 ≤ s ≤ 12 H : I × I −→ X mit H(s, t) := G(s, 2t − 1) 12 ≤ s ≤ 1 die gesuchte Homotopie. (b) Wir geben eine Homotopie F : I × I −→ X an, die zeigt, dass λ ∗ λ− nullhomotop ist. Betrachte 0 ≤ 2s ≤ t λ(2s) F (s, t) := λ(2t) t ≤ 2s ≤ 2 − t − λ (2s − 1) 2 − t ≤ 2s ≤ 1. Dass λ− ∗ λ nullhomotop ist, zeigt man analog. (c) Auch hier geben wir eine Homotopie f : I × I −→ X explizit an. Betrachte 4s 0 ≤ s ≤ t+1 λ( t+1 ) 4 t+2 F (s, t) := µ(4s − t − 1) t+1 ≤ s ≤ 4 4 4s−t−2 t+2 ν( 2−t ) ≤ s ≤ 1. 4 (d) klar. II.1.6 Korollar: Die Menge der Homotopieklassen von Schleifen in x0 bildet mit der Verkettung [σ] ∗ [τ ] := [σ ∗ τ ] eine Gruppe. Beweis: Der Satz II.1.5 liefert, dass die Verkettung von Homotopieklassen, definiert durch die Verkettung von Repräsentanten der Äquivalenzklassen, wohldefiniert und assoziativ ist. Weiterhin ist [λ− ] das inverse Elemente zu [λ] und die Äquivalenzklasse der konstanten Schleife das neutrale Element. II.1.7 Bemerkung: Der Beweis der Aussage (λ ∗ µ) ∗ ν ∼ λ ∗ (µ ∗ ν) relativ {0; 1} kann übertrg̈t sich auf den Fall (α ∗ λ∗)α− ∼ α ∗ (λ ∗ α− ) relativ {0; 1} für eine Schleife λ in x0 und einen Weg α von x0 nach x1 . Die Äquivalenzrelation ∼ relativ {0; 1}. II.1.8 Definition: Die Fundamentalgruppe π1 (X, x0 ) eines punktierten topologischen Raumes (X, x0 ) ist die Menge der Homotopieklassen von Schleifen 77 Topologie I in x0 mit der Verkettung ∗ als Gruppenverknüpfung. II.1.9 Bemerkung: Die Gruppen π1 (X, x0 ) und π1 (X, x1 ) sind isomorph, wenn x0 und x1 in einer Wegzusammenhangskomponente enthalten sind. Man rechnet nach, dass für einen Weg α von x0 nach x1 durch [σ] �−→ [α ∗ σ ∗ α− ] ein Isomorphismus zwischen π1 (X, x0 ) und π1 (X, x1 ) definiert wird. Ist X wegzusammenhängend, so ist π1 (X, x0 ) bis auf Isomorphie unabhängig von der Wahl des Basispunkts x0 und wir schreiben einfach π1 (X). 78 II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie II.2. Kategorien & Funktoren Kategorien und Funktoren sind ein allgemeines Konzept, das uns ermöglicht, gewisse Aussagen (z.B. über die Fundamentalgruppe) abstrakt zu formalisieren. Es geht also in gewisser Weise darum, für bestimmte Sachverhalte die richtige Sprache zu haben. Wir werden hier nur einen kurzen Blick auf die für uns wichtigsten Begriffe werfen. Eine detailliertere Einführung ist beispielsweise in Kapitel 1 von [3] zu finden. II.2.1 Definition: Eine Kategorie K besteht aus (a) Einer Klasse Ob(K) von mathematischen Objekten1 . (b) Für jedes geordnete Paar (X, Y ) mit X, Y ∈ Ob(K) gibt es eine Menge MorK (X, Y ) von Morphismen2 mit Definitionsbereich X und Wertebereich Y . (c) Für je drei Objekte X, Y und Z aus K gibt es eine Verknüpfung ◦ : MorK (X, Y ) × MorK (Y, Z) −→ MorK (X, Z) mit folgenden Eigenschaften: (i) Assoziativität der Verknüpfung ◦: Für beliebige Morphismen f ∈ MorK (U, V ), g ∈ MorK (V, W ) und h ∈ MorK (W, X) gilt (h ◦ g) ◦ f = h ◦ (g ◦ f ). (ii) Für (U, V ) �= (W, X) gilt stets MorK (U, V ) �= MorK (W, X). (iii) Existenz eines Einselements: Für jedes Objekt U von K existiert 1U ∈ MorK (U, U ), so dass f ◦ 1U = f und 1U ◦ g = g für alle Morphismen f ∈ MorK (U, V ) und f ∈ MorK (V, U ) gilt. II.2.2 Beispiele: (a) K = SET. Die Objekte von SET sind Mengen und die Morphismen sind Abbildungen zwischen Mengen. (b) K = GRP. Die Objekte von GRP sind Gruppen und die Morphismen sind Gruppenhomomorphismen zwischen Gruppen. (c) K = AB. Die Objekte von AB sind abelsche Gruppen und die Morphismen sind Gruppenhomomorphismen zwischen abelschen Gruppen. (d) Analog ibt es fast beliebige weitere algebraische Kategorien: Die Kategorie RNG der Ringe, R − Mod der R-Moduln, K−VR der K-Vektorräumen, etc. (e) K = POSET. 1 Die Objekte bilden also nicht immer Mengen. Bilden die Objekte einer Kategorie eine Menge, so spricht man auch von einer kleinen Kategorie (im Gegensatz zu einer großen Kategorie, wenn die Objekte keine Menge bilden). 2 Für uns wird es genügen, wenn wir uns als Morphismen Abbildungen vorstellen 79 Topologie I Die Objekte von POSET sind mi2t einer Halbordnung versehene Menge3 und die Morphismen sind mit den Halbordnungen verträgliche Abbildungen. (f ) K = TOP. Die Objekte von TOP sind topologische Räume und die Morphismen sind stetige Abbildungen zwischen topologischen Räumen. (g) K = p − TOP. Die Objekte von p − TOP sind punktierte topologische Räume und die Morphismen sind stetige Abbildungen, die Basispunkte aufeinander abbilden. II.2.3 Definition: Seien K und L Kategorien. (a) Ein kovarianter Funktor F ist eine Zuordnung mit folgenden Eigenschaften: (i) Jedem Objekt X von K wird ein Objekt F (X) von L zugeordnet. (ii) Jedem Morphismus f ∈ MorK (X, Y ) ordnet F einen Morphismus F (f ) ∈ MorL (F (X), F (Y )) zu, so dass weiterhin gilt: (α) g ◦ f ∈ M orK (X, Z) impliziert F (g ◦ f ) = F (g) ◦ F (f ). (β) Für alle Objekte X von K gilt F (1X ) = 1F (X) . (b) Ein kontravarianter Funktor F ist eine Zuordnung mit folgenden Eigenschaften: (i) Jedem Objekt X von K wird ein Objekt F (X) von L zugeordnet. (ii) Jedem Morphismus f ∈ MorK (X, Y ) ordnet F einen Morphismus F (f ) ∈ MorL (F (Y ), F (X)) zu, so dass weiterhin gilt: (α) g ◦ f ∈ M orK (X, Z) impliziert F (g ◦ f ) = F (f ) ◦ F (g). (β) Für alle Objekte X von K gilt F (1X ) = 1F (X) . Funktoren übersetzen also gewissermaßen zwischen Kategorien. II.2.4 Beispiele: (a) Der Vergiß-Funktor VTOP, SET ordnet einem topologischen Raum (X, OX ) die Menge X und einer stetigen Abbildung f : (X, OX ) −→ (Y, OY ) die Abbildung f : X −→ Y zu, er vergißt die topologische Struktur. Entsprechend gibt es noch andere Vergiß-Funktoren, beispielsweise VGRP, SET oder VRNG, GRP . Diese Funktoren sind alle kovariant. (b) Der Abelsch-machen-Funktor ab ordnet einer Gruppe G die ablesche Gruppe G/[G,G] und einem Gruppenhomomorphismus f : G −→ H den induzierten Homomorphismus der abelschen Gruppen G/[G,G] und H/[H,H] zu4 . Der Funktor ab ist kovariant. (c) Der Fundamentalgruppenfunktor π1 ordnet einem punktierten topologischen Raum (X, x0 ) die abelsche Gruppe π1 (X, x0 ) und einer stetigen Abbildung f : (X, x0 ) −→ (Y, y0 ), die Basispunkte aufeinander abbildet, den Gruppenhomomorphismus π1 (f ) : π1 (X, x0 ) −→ π1 (Y, y0 ) mit [λ] �−→ [f ◦ λ] zu. Der Morphismus π1 (f ) wird oft auch mit f∗ bezeichnet. Der Funktor π1 ist kovariant. (d) Allgemein werden in der algebraischen Topologie Funktoren von TOP oder 3 Auf englisch heßen diese Mengen partially ordered sets“, was die Bezeichnung der Kategorie ” begründet. ˛ ˘ ¯ 4 Die Kommutatoruntergruppe [G, G] eine Gruppe ist der durch aba−1 b−1 ˛ a, b ∈ G definierte Normalteiler von G. 80 II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie p − TOP nach GRP, Ab, RNG, R−Mod, etc betrachtet. Von den dabei auftretenden Funktoren sind einige kovariant und einge kontravariant. Eine Hoffnung ist dabei immer, dass aus F (X) ∼ � F (Y ) stets folgt, dass X und = Y nicht homöomorph sein können. Es gibt Situationen, in denen Funktoren sich verhältnismäßig gut miteinander in Beziehung setzen lassen. Dies spiegelt sich im Begriff der natürlichen Transformation zwischen zwei Funktoren wider. II.2.5 Definition: Eine natürliche Transformation T zwischen den kovarianten Funktoren F und G von K nach L ordnet jedem Objekt X aus K einen Morphismus T (X) ∈ MorL (F (X), G(X)) zu, so dass für jeden Morphismus f ∈ MorK (X, Y ) das Diagramm F (X) F (f ) � F (Y ) T (X) T (Y ) � G(X) � G(f ) � G(Y ) kommutiert. Entsprechend läßt sich natürlich auch eine natürliche Transformation zwischen kontravarianten Funktoren definieren. 81 Topologie I II.3. Homotopie In diesem Abschnitt verallgemeinern wir den Begriff der Homotopie von Schleifen und Pfaden auf allgemeinere Abbildungen. II.3.1 Definition: Seien X und Y topologische Räume, A ⊆ Y ein Unterraum und f und g steitige Abbildungen von Y nach X mit f|A = g|A . Die Abbildungen f und g sind genau dann homotop relativ A, wenn eine stetige Abbildung F : Y × I −→ X existiert, so dass für alle y ∈ Y und t ∈ I gilt: F (y, 0) = f (y), F (y, 1) = g(y) und F (y, t) = f (y) = g(y). Die Abbildung F wird auch Homotopie relativ A zwischen f und g genannt. Sind f und g homotop realativ A, so schreiben wir auch f � g rel(ativ) A. Gilt A = ∅, so schreiben wir auch einfach f � g. II.3.2 Bemerkung: Wie für Satz II.1.4 läßt sich leicht zeigen, dass � relativ A eine Äquivalenzrelation auf der Menge der stetigen Abbildungen von Y nach X ist. II.3.3 Definition: Ein topologischer Raum X heißt zusammenziehbar, falls die Identität IdX : X −→ X homotop (rel ∅) zur konstanten Abbildung x �−→ x0 für ein x0 ∈ X ist. II.3.4 Beispiele: (a) Sei X = (Rn , Onat ) und A = {0} gegeben und betrachte die Abbildungen f und g von X nach X, die durch f (x) = x und g(x) = 0 für alle x ∈ Rn definiert sind. Dann ist F : Y × I −→ X mit (x, t) �−→ t · x eine Homotopie relativ A zwischen f und g. (b) Sei X eine konvexe Teilmenge des Rn , die mit der Spurtopologie versehen ist, und seien f, g : X −→ X definiert duch f (x) = x und g(x) = a für alle x ∈ X und ein a ∈ X. Dann gilt f � g. II.3.5 Definition: Ein Raum X ist einfach zusammenhängend, falls X wegzusammenhängend ist und π1 (X, x̃) = 1 gilt. Hierbei (und im Folgenden) bezeichnet 1 die triviale Gruppe (bezüglich der Multiplikation). II.3.6 Satz: Sei X ein zusammenziehbarer topologischer Raum. Dann ist X einfach zusammenhängend. Beweis: (i) Seien x̃, x0 , x1 ∈ X. Dann existiert eine Homotopie F zwischen IdX und der konstanten Abbildung f (x) = x̃. Folglich sind für i ∈ {0, 1} die Abbildungen γi : I −→ X mit γi (t) = F (xi , t) Wege in X von xi nach x̃. Weiterhin ist γ3 : I −→ X mit 82 II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie � γ1 (2t) γ3 (t) = γ2 (1 − 2t) falls t ∈ [0; 12 ] falls t ∈ [ 12 ; 1] ein Weg zwischen x0 und x1 . (ii) Seien λ und µ Schleifen in X mit Basispunkt x̃ ∈ X. Dann sind nach Voraussetzung λ und µ homotop rel ∅ zur konstanten Schleife in x̃. Es gibt also Homotopien Fλ und Fµ relativ ∅ zwischen λ bzw. µ und der konstanten Schleife in x̃. Aus Symmetrie und Transitivität der Äquivalenzrelation Homotopie können wir aus Fλ und Fµ wir eine Homotopie F zwischen λ und µ konstruieren, allerdings ist im Allgemeinen diese Homotopie relativ ∅ und nicht relativ {0; 1}. Dieses Problem können wir lösen, wenn wir Lemma II.3.7 benutzen. Wir betrachten nun die Homotopie Fλ : I × I −→ X relativ ∅ zwischen λ und der konstanten Schleife γ in x̃ und setzen α(t) := F (0, t) und β(t) := F (1, t). Offensichtlich sind α und β Schleifen in x̃ mit α(t) = β(t). Damit sind aber nach Lemma II.3.7 die Schleifen λ und α∗γ ∗α− homotop relativ {0; 1} und offensichtlich ist α∗γ ∗α− homotop relativ {0; 1} zur konstanten Schleife γ. Analog erhalten wir eine Homotopie relativ {0; 1} zwischen der konstanten Schleife γ und µ. Mit diesen beiden Schleifen läßt sich nun leicht eine Homotopie relativ {0; 1} zwischen λ und µ konstruieren. II.3.7 Lemma: Sei F : I ×I −→ X mit F (0, 0) = F (0, 1) und F (1, 0) = F (1, 1) eine stetige Abbildung und setze α(t) := F (0, t), β(t) := F (1, t), für t ∈ I. Dann gilt δ � β ∗ γ ∗ α− γ(t) := F (1, t) und δ(t) := F (1, t) relativ {0; 1}. Beweis: Dazu setze x0 = F (0, 0) und x1 = F (1, 1) und definiere die beiden Abbildung E und G von I × I nach X durch � � x0 s≤t β(t + s) 1 − s ≥ t E(s, t) := und G(s, t) := α(1 + t − s) s ≥ t x1 1 − s ≤ t. Die gesuchte Homotopie relativ {0; 1} wird nun durch Nebeneinanderlegen der Homotopien E, F und H angedeutet: Bild fehlt! II.3.8 Korollar: Seien f und g homotope Abbildungen zwischen den topologischen Räumen X und Y und F eine Homotopie zwischen f und g. Weiter seien x0 ∈ X beliebig, y0 := f (x0 ) und y1 := g(x0 ). Betrachte den Weg α : I −→ Y von y0 nach y1 , der durch α(t) := F (x0 , t) 83 Topologie I gegeben ist. Dann ist das folgende Diagramm kommutativ π1 (X, x0 ) g∗ ��� ��� � f∗ ���� � π1 (Y, y1 ) � ��� � � ��α ��� ∗ π1 (Y, y0 ) wobei f∗ ([λ]) = [f ◦ λ)] und α∗ ([f ◦ λ]) = [α ∗ (f ◦ λ) ∗ α− ] gilt. Insbesondere ist der induzierte Homomorphismus f∗ genau dann ein Isomorphismus, wenn g∗ ein Isomorphismus ist. II.3.9 Definition: Für topologische Räume X und Y heißt eine Abbildung f : X −→ Y Homotopieäquivalenz, falls eine Abbildung f � : Y −→ X mit f ◦ f � � IdY und f � ◦ f � IdX exisitiert. Die Abbildung f � heißt auch Homotopieinverse zu f und die Räume X und Y heißen homotopieäquivalent, falls eine Homotopieäquivalenz f : X −→ Y existiert. II.3.10 Beispiel: Sei X = S n−1 ⊆ Rn , Y = Rn \ {0}. Dann ist X � Y . Beweis: Betrachte die Inklusionsabbildung i : S n−1 −→ Rn \ {0}, die durch x �−→ x definiert ist, und die Zentralprojektion z : Rn \ {0} −→ S n−1 , die durch x x �−→ �x� definiert ist. Offensichtlich gilt z ◦ i = IdS n−1 . Es bleibt somit i◦z � IdRn \{0} nachzuweisen. Die Abbildung F : Rn \{0}×I −→ S n−1 mit (x, t) �−→ t · x − (1 − t) · ist die gesuchte Homotopie. x �x� II.3.11 Korollar: Sei f : X −→ Y eine Homotopieäquivalenz. Dann ist f∗ : π1 (X, xo ) −→ π1 (Y, f (x0 )) für alle x0 ∈ X ein Isomorphismus. Beweis: Sei f � die Homotopieinverse zu f . Dann betrachte die Hintereinanderausführungen f ◦ f � und f � ◦ f : und f ◦ f � : π1 (X, x0 ) −→ π1 (Y, f (x0 )) −→ π1 (X, f � ◦ f (x0 )) f � ◦ f : π1 (Y, y0 ) −→ π1 (X, f � (y0 )) −→ π1 (X, f ◦ f � (y0 )) Nun sind f∗ und f∗� nach Lemma II.3.8 Isomorphismen, da f ◦ f � � IdY und f � ◦ f � IdX . II.3.12 Bemerkung: Die Fundamentalgruppe eines wegzusammenhängenden Raumes X ist also eine Homotopieinvariante. Aus X � Y folgt also stets π1 (X) ∼ = π1 (Y ). Homotopieäquivalenz ist jedoch schwächer als Homöomorphie. 84 II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie Beispielsweise ist die Kreisscheibe D2 homotoieäquivalent zu jeder einelementigen Menge {p}, aber D2 und {p} sind sicherlich nicht homöomorph. 85 Topologie I II.4. Die Fundamentalgruppe von S 1 Ziel dieses Abschnitts ist es, die vielleicht einfachste und wichtigste nicht triviale Fundamentalgruppe zu berechnen: π1 (S 1 ). II.4.1 Vorbemerkung: Die 1-dimensionale Sphäre S 1 ist nach Definition ein Unterraum von R2 . Die komplexen Zahlen C wiederum sind homöomorph zu R2 und C∗ = C \ {0} ist bzgl. der Multiplikation komplexer Zahlen eine Gruppe. Fassen wir S 1 nun als Teilmenge von C∗ auf, so liegt eine topologische Gruppe bzgl. der Multiplikation mit neutralem Element 1 = 1 + 0i vor. Darüberhinaus ist ϕ : (R, +) −→ (S 1 , ·) mit x �−→ ϕ(x) := e2πix ein stetiger und offener Gruppenhomomorphismus. Schränken wir ϕ auf (− 12 ; 12 ) ein, so erhalten wir eine bijektive stetige Abbildung mit Im(ϕ) = S 1 \ {−1} mit Umkehrabbildung ψ. II.4.2 Lemma (Hebungslemma von Wegen): Sei σ : I −→ S 1 ein Weg mit σ(0) = 1. Dann gibt es einen eindeutigen Weg σ � : I −→ R mit ϕ ◦ σ � = σ und σ � (0) = 0. II.4.3 Lemma (Hebungslemma von Homotopien): Seien σ, τ : I −→ S 1 Wege mit σ(0) = τ (0) = 1 und F eine Homotopie zwischen σ und τ relativ {0, 1}. Dann gibt es eine eindeutige Homotopie F � : I × I −→ R relativ {0; 1} zwischen den Wegen σ � und τ � aus Lemma II.4.2, so dass ϕ ◦ F � = F gilt. II.4.4 Korollar: Der Endpunkt von σ � hängt nur von der Homotopieklasse relativ {0; 1} von σ ab. Beweis der Lemmata II.4.2 und II.4.3: Je nach zu beweisendem Lemma setzen wir Y := I oder Y := I × I und f : Y −→ mit f = σ beziehungsweise f = F . Weiterhin bezeichnen wir mit 0 ∈ Y das Element 0 ∈ I bzw. (0, 0) ∈ I × I. S1 Da Y kompakt ist, ist f gleichmäßig stetig. Damit existiert ein � > 0, so dass aus |y − y � | < � stets |f (y) − f (y � )| < 1 folgt. Das heißt insbesondere f (y) �= −f (y � ), was wiederum die Wohldefiniertheit von ψ(f (y)·(f (y � ))−1 ) ∈ (− 12 ; 12 ) impliziert. K−1 Wähle nun N ∈ N mit |y| < N � für alle y ∈ Y . Dann gilt | K N y − N y| < � für alle 1 ≤ K ≤ N . Betrachte nun � � � �−1 � � �−1 � f � (y) := ψ f (y) · f ( NN−1 y) + ψ f ( NN−1 y) · f ( NN−2 y) � � + · · · + ψ f ( N1 y) · (f (0))−1 . Nun ist f � : Y −→ R als Komposition stetiger Abbildungen selbst stetig und es gilt nach Konstruktion f � (0) = 0 sowie ϕ ◦ f � = f . Wir zeigen nun die Eindeutigkeit der Abbildung f � . Angenommen es existiert 86 II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie eine weitere stetige Abbildung f �� : Y −→ R mit f �� �= f � , f �� (0) = 0 und ϕ ◦ f �� = f . Dann ist f � − f �� : Y −→ ker ϕ = Z stetig. Da Y zusammenhängend ist, folgt, dass f � −f �� eine konstante Abbildung sein muß, da Z ein diskreter topologischer Raum ist. Das aber bedeutet, dass f � = f �� gilt. Es bleibt nachzuweisen, dass im Fall Y = I × I die Abbildung eine Homotopie relativ {0; 1} ist. Sicherlich gilt σ � τ relativ ∅. Nun gilt ϕ ◦ f � (0, t) = ϕ ◦ (ψ ◦ f )(0, t) = f (0, t) = σ(0) und analog ϕ ◦ f � (1, t) = σ(1). Es gilt also tatsächlich σ � τ rel {0; 1}. II.4.5 Theorem: Die Fundamentalgruppe π1 (S 1 ) der 1-dimensionalen Sphäre ist isomorph zur abelschen Gruppe (Z, +). Beweis: Betrachte die Abildung χ : π1 (S 1 , 1) −→ Z, die durch [σ] �−→ σ � (1) definiert ist, wobei σ � die gehobonene Schleife aus Lemma II.4.2 sei. χ wohldefiniert: Das ist offensichtlich mit Lemma II.4.2 bzw. Korollar II.4.4. χ Homomorphismus: Seien [λ], [µ] ∈ π1 (S 1 , 1) mit m := λ� (1) und n := µ� (1). Für einen Weg µ : I −→ R sei µ̃ : I −→ R der durch t �−→ µ� (t) + m definierte Weg. Anschaulich ist µ̃ also der um m Einheiten“ verschobene ” Weg µ� . Wir können nun µ̃ und λ� verketten, da der Endpunkt von λ� mit dem Anfangspunkt von µ̃ zusammenfällt. Mit ν := µ̃ ∗ λ� : I −→ R gilt nun ν(0) = 0, ν( 12 ) = λ� (1) = µ̃(0) = m und ν(1) = m + n. Insbesondere ist µ̃ ∗ λ� tatsächlich ein Pfad von 0 nach m + n. Nun ist ϕ(µ̃ ∗ λ� ) eine Schleife in S 1 mit Basis 1 und µ̃ ∗ λ� = (µ ∗ λ)� , da ϕ ◦ (µ̃ ∗ λ� ) = µ ∗ λ. χ surjektiv: Sei z ∈ Z. Betrachte den Weg α� : I −→ R, der durch t �−→ z · t gegeben ist. Dann ist β := ϕ ◦ α : I −→ S 1 eine Schleife in 1 mit β � = α� . Das heißt aber gerade, dass χ([β]) = z gilt. χ injektiv: Angenommen, es gilt χ([σ]) = 0 für [σ] ∈ π1 (S 1 , 1). Dann ist σ � : I −→ R eine Schleife in R mit Basispunkt 0. Da R zusammenziehbar ist, ist σ � homotop zur konstanten Schleife in 0 relativ {0, 1} ist. Das bedeutet, dass σ = ϕ ◦ σ � homotop zur konstanten Schleife in 1 relativ {0, 1} ist. Folglich gilt [σ] = [1]. 87 Topologie I Wir abstrahieren nun folgende Eigenschaften, die im Beweis genutzt wurden: (a) R ist eine einfach zusammenhängende topologische Gruppe. (b) Z ist ein Normalteiler von R, versehen mit der diskreten Topologie. (c) S 1 = R/Z ist eine topologische Gruppe. Tatsächlich gilt der folgende allgemeine Satz: II.4.6 Satz: Ist G eine einfach zusammenhängende topologische Gruppe und ist H ein diskreter Normalteiler, so ist π1 (G/H , 1) ∼ = H. Beweis: Wir haben einen kanonischen Homomorphismus ϕ : G −→ G/H . Da H ein diskreter topologisccher Raum ist, existiert eine in G offene Menge U mit 1 ∈ U ⊂ G und U ∩ H = {1}. Da weiterhin die Abbildung (g1 , g2 ) �−→ g1 g2−1 stetig ist, existiert eine offene Menge V mit 1 ∈ V ⊂ G so dass g1 , g2−1 ∈ U für (g1 , g2 ) ∈ V ×V gilt. Mit diesem V haben wir, wie in obigem Beweis, eine inverse Abbildung ψ und können nun analoag zum vorherigen Beweis vorgehen. II.4.7 Korollar: Bezeichne T den 2-dimensionalen Torus S 1 × S 1 . Dann gilt π1 (T, (1, 1)) ∼ = Z × Z. Beweis: Der Torus T = S 1 × S 1 = (R × R)/Z×Z ist eine topologische Gruppe, R × R ist einfach zusammenhaängend und Z × Z ist ein diskreter Normalteiler von R × R. II.4.8 Satz: Für punktierte topologische Räume (X, x0 ) und (Y, y0 ) gilt: π1 (X × Y, (x0 , y0 )) = π1 (X, x0 ) × π1 (Y, y0 ). Beweis: Betrachte die Projektionen pr1 und pr2 und deren induzierte Homomorphismen zwischen den entsprechende Fundamentalgruppen: X ×Y pr2 π1 (X × Y, ( xy00 )) �Y pr1 (pr1 )∗ � (pr2 )∗ � π1 (Y, y0 ) � π1 (X, x0 ) X Dann ist auch ψ : π1 (X × Y, ( xy00 )) „ (pr1 )∗ (pr2 )∗ −→ « π1 (X, x0 ) × π1 (Y, y0 ) ist ein Homomorphismus. Dass ψ sogar ein�� Isomorphismus ist, sehen wir mit Hil�� [σ] fe der inversen Abbildung φ, die durch φ := [ω] für alle [σ] ∈ π1 (X, x0 ) [τ ] und [τ ] ∈ π1 (Y, y0 ) definiert ist. Dabei bezeichnet ω : I −→ X × Y die Schleife � � σ(t) t �−→ ω(t) := τ (t) in X × Y mit Basispunkt ( xy00 ). 88 II. Grundbegriffe der algebraischen Topologie II.4.9 Definition: Seien X ein topologischer Raum und A ⊆ X. (i) Der Unterraum A ist ein Retrakt von X, falls eine stetige Abbildung f : X −→ A mit f|A = IdA existiert. Die Abbildung f wird auch Retraktion genannt. (ii) Der Unterraum A heißt (starker) Deformationsretrakt von X, falls eine Homotopie F : X × I −→ X existiert, so dass F (x, 0) = x, F (x, 1) ∈ A und F (a, t) = a für alle x ∈ X, a ∈ A und t ∈ I gilt. II.4.10 Beispiel: Der Kreisbogen S 1 ist kein Retrakt von D2 . Beweis: Angenommen S 1 wäre ein Retrakt von D2 . Dann gibt es eine stetige Abbildung f : D2 −→ S 1 mit f (x) = x für alle x ∈ S 1 . Bezeichnet i : S 1 −→ D2 die Inklusionsabbildung, dann gilt IdS 1 = f ◦ i : S 1 −→ S 1 und wir erhalten das folgende kommutative Diagramm: π1 (S 1 , 1) Id∗ ��� ��� �� i∗ ���� � π1 (S 1 , 1) �� � � �� � � � ��� f∗ π1 (D2 , (1, 0)) Damit ist Id∗ ein Isomorphismus von Z nach Z, der über der trivialen Gruppe π1 (D2 ) ∼ = 1 faktorisiert, was nicht sein kann. Also muß die Annahme, dass S 1 ein Retrakt von D2 ist, falsch sein. II.4.11 Satz (Brouwerscher Fixpunktsatz in Dimension 2): Jede stetige Abbildung f : D2 −→ D2 hat einen Fixpunkt. Beweis: Angenommen, die Abbildung f : D2 −→ D2 hat keinen Fixpunkt. Da x �= f (x) gilt, ist für f (x) �∈ S 1 der Schnittpunkt Sx des in f (x) beginnenden und durch x gehenden Strahls mit dem Kreisbogen S 1 wohldefiniert. Gilt f (x) ∈ S 1 , so sei Sx der von f (x) verschiedene Schnittpunkt. Betrachte nun die Abbildung prf : D2 −→ S 1 , die durch x �−→ Sx definiert wird. Dass prf stetig ist, kann mit Verfahren aus der Analysis I nachgeprüft werden, ist allerdings etwas aufwendiger. Nun ist prf jedoch eine Retraktion von D2 auf S 1 , was einen Widerspruch zu Beispiel II.4.10 bedeutet. 89 Literaturverzeichnis [1] M. Aigner & G. M. Ziegler, Das Buch der Beweise, 3. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, 2010. [2] G. E. Cooke & R. L. Finney, Homology of Cell Complexes, Princeton University Press, Princeton, 1969. [3] N. Jacobson, Basic Algebra II, W. H. Freeman and Company. New York, 1989. [4] K. Königsberger, Analysis 1, Springer-Verlag, Berlin, 1990. [5] A. T. Lundell & S. Weingram, The Topology of CW complexes, Van Nostrand Reinhold, New York, 1969. [6] B. v. Querenburg, Mengentheoretische Topologie, zweite neubearbeitete und erweiterte Auflage, Springer-Verlag, Berlin, 1979. [7] J. H. C. Whitehead, Combinatorial homotopy I, Bull. Am. Math. Soc. 55 (1949), 213–245.