Neuer Abschnitt: Modellierung des Raumes Bisher: Modellierung von Objekten 1 Räume (I) • Nach I. Kant ist der Raum eine grundlegende Form unserer Anschauung • anders ausgedrückt: eine bestimmte Weise, wie wir unsere Wahrnehmung organisieren • die Vorstellung von Raum geht somit der Erfahrung (Messung) voraus • eine Messung ist die Bestimmung einer Invariante • ohne das Konzept einer Invariante wäre die strafrechtliche Verfolgung von Geschwindigkeitsübertretungen nicht zu vertreten • Geschwindigkeit Invariante gegenüber • Tachometer • Radarmessung der Polizei 2 Räume (II) • Interessanterweise gibt es nicht einen, sondern mehrere Räume • abhängig von der Fragestellung • 4 große Bereiche • Betrachungen auf der Erdoberfläche • Geometrie auf dem Ellipsoid (geodätisches Rechnen) • Abbildung der Erdoberfläche auf die Ebene (Karte) • Netzentwürfe, Kartographie • Abbildungen im Raum und in der Ebene • euklidische Geometrie, lineare Algebra • Projektion auf das Bild • Verzerrende Abbildungen, Topologie 3 Operationen Invarianten Abbildungen Geradentreue Projektivität Parallelentreue Affinität ... + Scherung Winkeltreue Ähnlichkeit Zoom + r + t Abstandstreue Bewegung r+t Verschiebung t Translation Koordinatendifferenzen ... + Parallelenkonvergenz Rotation Richtungswinkel -differenzen Rotation r (um 0) 4 Topologische Räume • In der Praxis sinnvolle Transformationen, die • alle „geometrischen“ Invarianten verletzen können • trotzdem „strukturelle“ räumliche Eigenschaften erhalten • Paradigma: elastische Verformung • Metapher: Gummihauttransformation • anderes Beispiel: Tätowierung • (kartographisches) Beispiel: • Übersichtskarte Hamburg (aus einem Tourenplaner) • Liniennetzplan des Hamburger Verkehrsverbundes 5 Übersichtskarte Hamburg und Umgebung 6 Schnellbahnen Hamburg und Umgebung 7 Ausgangspunkt Elastische Verformung 8 Topologische Invarianten (Beispiele) • Ein Knoten ist Endpunkt einer Kante • Zwei Kanten kreuzen sich / sind kreuzungsfrei • Ein Punkt liegt im Inneren einer Fläche • Ein Punkt liegt auf dem Rand einer Fläche • Eine Fläche hat ein Loch • Eine Fläche ist zusammenängend / nicht zusammenhängend • Zwei Flächen sind benachbart 9 Nicht-topologische Eigenschaften • • • • • Abstand Fläche Winkel Umfang Durchmesser 10 Mathematik 11 Punktmengentopologie • Ausgangspunkt: Eine Menge S und die Menge aller Teilmengen von S (die Potenzmenge P(S) ) • Ein topologischer Raum besteht aus einer Menge S und einer Menge von Teilmengen von S (nicht notwendig aller), den Nachbarschaften. Dabei gilt: T1: Jeder Punkt x S liegt in einer Nachbarschaft von S. T2: Der Durchschnitt zweier Nachbarschaften eine Punktes x S enthält eine Nachbarschaft von x. 12 Nachbarschaft Punkt Beispiele Punkt • Die offene Kreisscheibe in der euklidischen Ebene • Menge aller Punkte, die durch einen Kreis begrenzt werden, aber nichtauf demselben liegen Offene Kreisscheibe • punktierte Linie: offen • durchgezogene Linie: geschlossen • Beachte: T2 ist erfüllt • Der Durchschnitt zweier Nachbarschaften eines x S enthält eine Nachbarschaft von x. 13 Weitere ( teilweise „pathologische“) Beispiele • Die diskrete Topologie von S: • S und die Menge aller Teilmengen von S • die kleinste Nachbarschaft von x ist {x} („Einzimmerappartment“, daher der Name „diskret“) • Die indiskrete Topologie • S selbst ist die einzige Nachbarschaft von S • die offenen Intervalle (a,b) in der Menge S der reellen Zahlen als Nachbarschaften (S = R) • die offenen Kugeln in S = R3 14 Die „Fahrtzeittopologie“ • Gegeben sei ein Gebiet, das durch ein Verkehrsnetz erschlossen ist. S sei die Menge aller Punkte des Gebiets. • Sei d(x,y) die Fahrtzeit auf der kürzesten Verbindung zwischen x und y. • Annahme Für alle x, y S gilt: d(x,y) = d(y,x) • Symmetrie, keine Einbahnstraßen • t-Zone: die Menge aller Punkte, die in weniger als t Minuten erreichbar ist. • S mit der Menge aller t-Zonen ist eine Topologie. 15 Die 1-Stunden-Zone um Liége 16 Jetzt kommen einige auf den ersten Blick recht abstrakte Definitionen 17 Zielbegriff: Der Rand oder die Grenze Teilziel: Offene und geschlossene Flächen 18 Nähe, Offen + Geschlossen Im folgenden stets: S sei ein topologischer Raum, X S, x S x ist nahe an X, falls jede Nachbarschaft von x einen Punkt von X enthält. X ist offen, wenn jeder Punkt y X eine Nachbarschaft hat, die ganz in X ist. X ist geschlossen, wenn X alle nahen Punkte enthält. C = {(x,y) | x2 + y2 < 1} sei die offene Kreisscheibe um den Ursprung mit Radius 1. Nicht nahe nahe geschlossen offen 19 Der Rand oder die Grenze Der Abschluß einer Teilmenge X S ist die Vereinigung von X mit allen nahen Punkten. Notation: X¯ Komplement: X‘ Das Innere von X ist die Menge aller Punkte von X, die nicht zugleich nahe Punkte von X‘ sind. Notation: X° Die Grenze (oder der Rand) von X ist die Menge aller Punkte, die nahe zu X und zugleich zu X‘ sind. Notation: dX Es gilt: dX = X¯ \ X° (mengentheor. Diff.) Der „Rand“ einer offenen Kreisscheibe ist der Kreis (wie zu erwarten) 20 Beispiele Die Menge S Abschluß von S Das Innere von S Rand von S 21 Zusammenhang nicht zusammenängend Ein Punktmenge X heißt zusammenhängend, wenn für jede Partition (disjunkte Zerlegung) in nichtleere Teilmengen A und B gilt: Entweder enthält A einen Punkt nahe an B oder umgekehrt. zusammen hängend 22 Diskret und indiskret Übung 1: Zeigen Sie: In der diskreten Topologie ist jede nichtleere Menge gleichzeitig offen und geschlossen. Übung 2: Zeigen Sie: In der indiskreten Topologie ist jede nichtleere Menge weder offen noch geschlossen. 23 Topologische Eigenschaften Eine topologische Transformation (Homeomorphismus) oder eine elastische Verformung bildet Nachbarschaften auf Nachbarschaften ab. Euklidische Topologie äquivalent Ferner ist jede Nachbarschaft Bild eine Nachbarschaft. nicht äquivalent Topologische Eigenschaften sind die Invarianten topologischer Abbildungen. 24