ZUR V O R G E S C H I C H T E DER SPANISCHEN ENTDECKUNG AMERIKAS Von R i c h a r d Konetzke Die Entdeckung Amerikas hat eine lange Vorgeschichte und ist nur in dem allgemeinen Zusammenhang der überseeischen Ausbreitung der Europäer zu v e r s t e h e n S i e muß vor allem audi aus dem Fortgang der portugiesischen Entdeckungsfahrten an der Westafrikanischen Küste betrachtet werden, von denen sie in mancher Hinsicht kausal bedingt ist. Sie ist es nicht allein in dem Sinne, daß die maritimen Rivalitäten zwischen den Spaniern und Portugiesen beide Völker auf der Bahn ihrer überseeischen Unternehmungen vorantrieben, so wie es R a n k e formulierte: „Gott wollte, daß diesen Streitigkeiten etwas ganz Unerwartetes entsprang; was sich begab, ging weit über die Vorstellungen der Menschen hinaus" 2. Vielmehr finden die Entstehung und Verwirklichung des Kolumbus-Planes ihre unerläßliche Voraussetzung in den Bemühungen der Portugiesen um eine Erschließung des Afrikaweges nach Asien und in den portugiesischen Erfahrungen und Fortschritten in der Nautik zur Bezwingung der Weltmeere. Solche Erkenntnisse bestätigt und vertieft das Werk von H a m a n n , das eine neue kritische Darstellung der portugiesischen Entdeckungsfahrten seit der Zeit Heinrichs des Seefahreres bis Vasco da Gama bietet 3 . Er umschreibt seine Aufgabe in folgendem Satz: „Unsre Betrachtung hatte den Eintritt der südlichen Halbkugel in die Europäische Geschichte zum Ziel, soweit sich dieser vielgliedrige Vorgang in dem der südwesteuropäischen Schiffahrt zugewandten atlantischen Bereich vollzogen hatte" 4. Es geht also nicht primär um die Behandlung eines ruhmvollen Kapitels der portugiesischen Nationalgeschichte, sondern der Verfasser ordnet dieses nationale *) Vgl. Richard K o n e t z k e , Oberseeische Entdeckungen und Eroberungen, Propyläen Weltgeschichte Bd. 6, Berlin-Frankfurt-Wien 1964, S. 535-634. *) Leopold v o n R a n k e , Geschichte der romanischen und germanischen Völker, Leipzig »1885, S. 45. *) Günther H a m a n n , Der Eintritt der südlichen Hemisphäre in die europäische Geschichte. Die Erschließung des Afrikaweges nach Asien vom Zeitalter Heinrichs des Seefahrers bis zu Vasco da Gama, Wien 1968. <) Ebenda, S. 351. Unauthenticated Download Date | 2/13/17 3:14 PM Zur Vorgeschichte der spanischen Entdeckung Amerikas 373 Geschehen in seinen europäischen Zusammenhang ein. Wir stehen an den Anfängen eines weltgeschichtlichen Vorganges, am Beginn einer Weltgeschichte Europas, wo die Europäer die bisher unbekannten Erdteile entdecken, in Besitz nehmen und in das europäische Leben einbeziehen. Wie und unter welchen Umständen dies im Zeitalter der Entdeckungen geschah, sollte für das künftige Schicksal der entdeckten Länder entscheidend werden, aber ebenso auch seine Rückwirkungen auf Europa haben. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den portugiesischen und spanischen Entdeckungen wird alsbald sichtbar. Die Erschließung der Ostroute nach Asien begann mit der Initiative Heinrichs des Seefahrers im Jahre 1433 und gelang 1498 durch die Ankunft der Schiffe Vasco da Gamas in Calicut, erforderte also seemännische Bemühungen über einen langen Zeitraum hin. Kolumbus' angebliches Reiseziel Ostasien konnte mit einer einzigen Fahrt über den Atlantik in 70 Tagen erreicht werden. Die Portugiesen gingen unter Leitung des Königs oder eines Mitgliedes der königlichen Familie planmäßig in einer Schritt-für-Schritt-Methode vor, während die kastilische Krone erst nach längerem Zögern die Ausrüstung der Flotte des Kolumbus übernahm, ohne bereits zuvor Westfahrten in den atlantischen Ozean organisiert zu haben. Amerika, die bis dahin unbekannte westliche Hemissphäre, wurde in einem einzigen kühnen Anlauf aufgefunden. Indien dagegen war der Preis, den die Portugiesen als erfahrenstes Seefahrervolk auf den Weltmeeren durch systematischen Vorstoß in den unbekannten Süden gewannen. Der ToscanelliPlan von 1474, der dazu riet, man solle Indien auf dem westlichen Wege über den Atlantik suchen, hat in Portugal und Spanien eine verschiedene Rolle gespielt. Am portugiesischen Hofe weckte er Zweifel, ob die noch immer nicht aufgefundene Südspitze Afrikas einen praktikablen Weg nach Ostindien erlauben werde, und lähmte zeitweise die Weiterverfolgung der Ostfahrt. Für Kolumbus, der diesen Plan in Portugal kennenlernte, bedeutete er eine Bestätigung seiner Entdeckeridee, auf einem kürzeren Wege in westlicher Richtung zu den Reichtümern Indiens zu gelangen. Die „empirisch gewonnenen Einsichten der portugiesischen Seefahrer" konnten dazu dienen, „deutliche Bekenntnisse zur empirischen Weltanschauung" zu begründen, und damit zum „Umsturz im Weltbild" beitragen, während Kolumbus sich viel stärker auf die Autorität des „hochberühmten Pto- Unauthenticated Download Date | 2/13/17 3:14 PM 374 Richard Koneczke lemäus" und des Klassikers der Scholastik, Aristoteles, berief, um seine irrtümliche Meinung, daß die Welt klein und es leicht möglich sei, von Spanien nach Indien zu segeln, als unfehlbar hinzustellen 6. Die Ablehnung, die Kolumbus mit seinem Entdeckungsplan bei Gelehrten und Seefahrtsexperten in Portugal und Spanien fand, kann aus dem in jener Zeit hervortretenden Widerstreit zwischen empirisch gewonnenen und deduktiv abgeleiteten Auffassungen über die Verteilung von Land und Wasser auf der Erdkugel gedeutet werden H a m a n n beobachtet eine andere „merkwürdige Verknüpfung der Begebenheiten der afrikanischen Entdeckungsgeschichte mit der Vorgeschichte der Entdeckung Amerikas" 7 . Kolumbus bemühte sich um die Unterstützung des portugiesischen Königs für seine Entdeckungsfahrt gerade in derselben Zeit, in den Jahren 1483-1484, als Diogo Cäo von seiner erfolgreichen Entdeckungsfahrt zurückgekehrt war, die die Hoffnung auf eine baldige Umsegelung Südafrikas und die Erreichung Ostindiens so stark belebte. „Es war wohl für Columbus, persönlich gesehen, ein Unglück, daß er ausgerechnet im psychologisch ungünstigsten Augenblick der Entdeckungsgeschichte dem portugiesischen Könige seine gewiß verworren wirkenden Angebote einer Atlantik-Fahrt unterbreitete" 8 . H a m a n n sudit aus dieser Situation die sachlichen Erwägungen zu verstehen, die „das zögernde Verhalten König Johanns II. Columbus gegenüber" erklären®, und mahnt mit Recht, den „globalen Zusammenhang" im Auge zu behalten, in dem die portugiesischen Afrikaexpeditionen und die Kolumbusfahrt stehen, und „nicht nur einseitig von einer Betrachtung der westlichen Hemisphäre" auszugehen, deren Existenz damals noch unbekannt war 10. Kolumbus blieb jedoch in Kontakt mit dem Fortgang der portugiesischen Afrikafahrten. Er war 1488 auf Einladung des portugiesischen Königs aus Spanien gekommen und hat, wie aus seinen eigenen handschriftlichen Notizen zu entnehmen ist, am festlichen Empfang des kürzlich heimgekehrten Bartolomeu Dias im Palast zu Lissabon teilgenommen. Es standen sich dabei die beiden Män») Ebenda, S. 67. *) Vgl. Richard K o n e t z k e , Neuere Kolumbusforschung, in: JbLA 5 (1968), S. 369 f. ') H a m a n n , Der Eintritt der südlichen Hemisphäre, S. 176. e ) Ebenda, S. 177. ·) Ebenda, S. 180. 14 ) Ebenda, S. 178. Unauthenticated Download Date | 2/13/17 3:14 PM Zur Vorgeschichte der spanischen Entdeckung A m e r i k a s 375 ner gegenüber, denen „der größte Erfolg der Entdeckungsgeschichte jener Jahre vergönnt sein sollte" u , Bartolomeu Dias, der durch die Umsegelung Afrikas den Seeweg nach Ostindien geöffnet hatte, und Christoph Kolumbus, der vier Jahre später der Entdecker Amerikas werden sollte. Beide Seefahrer müssen wir uns in einem lebhaften Gespräch denken. „Naturgemäß interessierten Kolumbus wegen seiner eigenen transozeanischen Pläne in diesem Zusammenhang auch die Entfernungen von der Pyrenäenhalbinsel nach Übersee, weshalb er sich bei diesem Anlaß auch die von Dias angegebene Distanz notierte, die von Lissabon an zurückgelegt worden sei" Und noch einmal sollten sich beide Männer gegenüberstehen. Am 4. März 1493 hatte sich Kolumbus auf der Rückfahrt von seiner ersten Reise infolge der heftigen Stürme genötigt gesehen, in die TejoMündung einzulaufen und mit seinem Flaggschiff bei Restelo vor Anker zu gehen. Als Kommandant eines imponierenden portugiesischen Kriegsschiffes hatte Bartolomeu Dias den Entdecker aufzufordern, daß er als Kapitän eines ausländischen Schiffes sich an Land begebe und zur Erledigung der üblichen Formalitäten vor den Hafenbehörden erscheine. Kolumbus lehnte stolz dieses Ansinnen mit dem Hinweis ab, daß er Admiral der Könige von Kastilien sei, folgte dann aber einer Einladung des portugiesischen Herrschers zu einer persönlichen Unterredung. Es ist gewiß anzunehmen, daß sich zwischen Dias und Kolumbus nach der ersten Auseinandersetzung gemäß ihrer amtlichen Funktionen ein persönliches Gespräch entwickelt hat, in dem nun Kolumbus an der Reihe war, von den Ergebnissen seiner Entdeckungsreise zu berichten. Bartolomeu Dias gehörte später als Schiffskommandant der Flotte des Cabral an, die 1500 zur portugiesischen Entdeckung Südamerikas nach Brasilien gelangte, doch auf der Weiterfahrt versank Dias mit seinem Schiff durch einen schrecklichen Orkan in den Fluten, wie ein solcher Sturm Kolumbus selbst bei der Rückkehr von seiner amerikanischen Entdeckungsreise beinahe den Tod gebracht hatte. Eine merkwürdige Verflechtung der Schicksale beider großer Entdeckerpersönlichkeiten! H a m a n n greift einen häufiger gebrauchten Vergleich zwischen Kolumbus und Vasco da Gama auf, den man den „Kolumbus des Ostens" genannt hat. Er kann diesen Vergleich nur insofern gelten " ) E b e n d a , S. 263. " ) E b e n d a , S. 338. Unauthenticated Download Date | 2/13/17 3:14 PM 376 Richard Konetzke lassen, als beide Männer über See „Indien" entdeckten, Vasco da Gama „Ostindien", das wirkliche Indien, und Kolumbus „Westindien", ein Trugbild von Indien. „Sonst", so meint H a m a n n , „ist nichts vorhanden, was einen Vergleich rechtfertigen könnte" 1S. Die Landung der Portugiesen in Calicut an der Malabarküste war „das genau vorgesehene (weil vorhersehbare und im Detail sogar vorauskalkulierbare) Resultat eines fast rechnerisch-nüchtern anmutenden, durch und durch planmäßigen geographischen Kombinationsdenkens". Dagegen erscheint die Tat des Kolumbus als ein gelungenes „Totalrisiko", wie es „mit der lediglich auf Phantasie gegründeten Entdeckungs-Initiative des Columbus verknüpft war" u . Mancherlei Erfahrungen der portugiesichen Seefahrer ermöglichten erst die Konzeption des Kolumbus-Planes. Die alten Ansichten von der Unbefahrbarkeit des „ozeanischen Meeres" mußten erst durdi die Praxis widerlegt werden. „Die Angst vor dem mächtigen Sog einer jäh ins Unbekannte hineindrängenden Meeresströmung war unter den Seeleuten sehr verbreitet" und noch unter der Mannschaft des Kolumbus konnten solche Befürchtungen aufkommen, als Wind und Wellen ihre Schiffe in so günstiger Fahrt nach Westen trieben. Tief eingewurzelte Vorurteile lösten sich auf, als portugiesische Schiffe den nördlichen Wendekreis überschritten und man die Feststellung machte, daß die Ansicht „von einer völlig verbrannten, unbewohnbaren Zone jenseits des Wendekreises" nicht stimmte 1β . Die Tropen erwiesen sich zum Erstaunen der Seefahrer nicht als „eine durch die Sonne völlig ausgedörrte Erdenregion" 17, wie man es aus antiker Überlieferung geglaubt hatte. Die Tropen waren bewohnbar, und Kolumbus konnte die Vorstellung gewinnen, daß das Goldland weit im Süden, in der Äquatorgegend, zu suchen sei, und an der Küste des tropischen Südamerika die Uberzeugung gewinnen, in der Nähe des irdischen Paradieses zu sein. Noch in einer anderen Hinsicht ist ein Leitbild des Kolumbus durch das portugiesische Beispiel geprägt worden. Im Jahre 1482 wurde auf Befehl König Johanns II. an der Goldküste von Afrika 1J ) ") ") ") ") Ebenda, S. 368. Ebenda, S. 368. Ebenda, S. 50. Ebenda, S. 55. Ebenda, S. 65. Unauthenticated Download Date | 2/13/17 3:14 PM Zur Vorgeschichte der spanischen Entdeckung Amerikas 377 eine Festung, Säo Jorge da Mina, erbaut, der sich eine Handelsniederlassung angliederte, um von hier aus das begehrte Sudangold einzutauschen. Kolumbus hat, wie er in dem Bordbuch über seine Entdeckungsreise schreibt, öfters an portugiesischen Fahrten nach Guinea teilgenommen und die Festung Säo Jorge da Mina gesehen. Auf der Insel Haiti (La Espanola) begründete er als erste spanische Niederlassung am 25. Dezember 1492 das Fort Navidad, und die Anlage befestigter Handelsfaktoreien in der Neuen Welt blieb seine Absicht als Generalgouverneur und Vizekönig für die entdeckten Länder. Dies brachte ihn in einen unvermeidlichen Konflikt mit den Katholischen Königen, als diese in Abwendung von Kolumbus' Konzeption die Ausbreitung ihres Herrschaftsraumes in den überseeischen Entdeckungen ins Auge faßten und die Anlage von Siedlungskolonien erstrebten. Zwei verschiedenartige Kolonialsysteme traten sich gegenüber. Eine Geschichte der afrikanischen Entdeckungsfahrten der Portugiesen stellt den Historiker vor äußerst schwierige Aufgaben. Die schriftlichen Quellen für diese Vorgänge sind sehr spärlich, was durch die portugiesische Geheimhaltung der Nachrichten über diese Fahrten und die Vernichtung der Dokumente insbesondere durch das Erdbeben von Lissabon von 1755 zu erklären ist. Die erhaltenen Berichte sind widerspruchsvoll und verworren. „Ja, auf weite Strecken lassen sie uns ganz im Dunkel, so daß wir mehr auf Vermutungen und immer zweifelhaft bleibende Kombinationen und Rekonstruktionen angewiesen bleiben als auf zwingende Schlüsse und sichere Aussagen" 18. Der Schilderung der portugiesischen Entdeckungen durdi die Chronisten ist nur mit großer Vorsicht zu folgen. Abgesehen von bestimmten Tendenzen bei der Abfassung der Chroniken sind die mitgeteilten Sachverhalte derart in ihrer Anordnung durcheinander gebracht, daß es mühsamer Überlegungen bedarf, den richtigen Zusammenhang herauszufinden. „Erst bei einer intensiven Versenkung in die Texte und bei der Anlegung von Konkordanzen der Sachinhalte enthüllen sich dem Leser allmählich die bei näherem Hineinsehen gar nicht mehr so absurden Schiefheiten, und das mitunter bedrückende, ja beängstigende Durcheinander der verschiedenen einander überschneidenden Überlieferungen beginnt sich zu lichten" '·) Ebenda, S. 83. " ) Ebenda, S. 133. Unauthenticated Download Date | 2/13/17 3:14 PM 378 Richard Konetzke Als ergänzende Quellen hat der Verfasser die zeitgenössischen Weltkarten und ihre Legenden ausgewertet, und seine besonderen Fachkenntnisse in der historischen Geographie und Kartographie haben sich dabei als recht fruchtbar erwiesen. Als ein Beispiel vielseitiger und feinsinniger Interpretation seien die Ausführungen über die Weltkarte des Mönches Fra Mauro hervorgehoben 20 . Sehr beachtenswert erscheinen auch H a m a n n s wohlerwogene Überlegungen über den wissenschaftlichen Wert des Globus von Martin Behaim und die tatsächlichen Verdienste des Nürnberger Patriziers, worüber aus nationalen Leidenschaften recht erregte Diskussionen geführt worden sind. H a m a n n s Mahnung zur Zurückhaltung bei einer zu voreiligen Wesensschau handelnder Personen der Geschichte gilt nicht nur für diesen Fall. „Mit dem höchst fragmentarischen Wissen um den Charakter eines längst verstorbenen Mannes jedoch als mit einer kalkulierbaren Größe (sogar im Sinne eines ,Ausschließungsgrundes') zu redinen, ist bestimmt zuviel des Guten. Lassen sidi ja doch sogar bei viel kürzeren Zeitdistanzen, ja selbst im zeitgenössischen Erlebnisbereich kaum wirklich präzise Schlüsse auf dieser Ebene ziehen" Weiter nutzt H a m a n n zur Ergänzung der erzählenden Quellen den Fortschritt unserer Erkenntnisse von den Padröes, den Steinpfeilern, aus, die portugiesische Seefahrer an markanten Stellen der entdeckten afrikanischen Küste aufgestellt haben. Die Kombination verschiedenartiger Quellen und Betrachtungsweisen ergibt mitunter überraschende Aufschlüsse. Traditionelle Lösungen strittiger Fragen werden an anderen Deutungsmöglichkeiten geprüft, ohne dabei der Gefahr zu erliegen, um jeden Preis eine neue These beweisen zu wollen. Der Verfasser ist bestrebt, „ein zu weitreichendes Umstürzen konkreter Quellenaussagen dort zu vermeiden, wo es nicht wegen der Logik größerer Zusammenhänge unbedingt notwendig erscheint" 22. Er bleibt sich der „Unsicherheitsfaktoren" der historischen Überlieferung bewußt und prüft die vorhandenen Aussagen „von Fall zu Fall". Hinsichtlich der Vorsicht und gewissenhaften Behutsamkeit der Quellenanalyse und Quellenkritik bei so spärlichen und verworrenen Überlieferungen, wie wir sie für die Geschichte der portugiesischen Entdeckungen vorfinden, kann insbesondere jün" ) Ebenda, S. 69 ff. " ) Ebenda, S. 207. » ) Ebenda, S. 293. Unauthenticated Download Date | 2/13/17 3:14 PM Zur Vorgeschichte der spanischen Entdeckung Amerikas 379 geren Historikern das Werk von H a m a n n eine lehrreiche Lektion sein. Als Historiker begnügt sich H a m a n n nicht damit, die Fakten und Daten der Erschließung des Afrikaweges nach Asien durch die Portugiesen zu vermitteln, sondern es geht ihm auch um eine Anschauung von den handelnden Menschen in diesem geschichtlichen Geschehen. Bis zu Bartolomeu Dias hin ist das Persönliche der großen Seefahrer noch kaum aus den Quellen faßbar. Trotz der Bedeutung, die Prinz Heinrich der Seefahrer für den Gang der Weltgeschichte gewonnen hat, bleibt seine menschliche Gestalt schemenhaft. Das ändert sich mit Bartolomeu Dias. „Zum ersten Mal wirkt ein Entdecker auf uns wie ein Mensch mit Leben, Atem, Bewegung und einem ausdrucksvollen Gesicht, statt einer der stereotypen Masken, wie seine Vorgänger sie alle tragen müssen . . . Dias ist hier der erste, der uns menschlich begegnet, bevor er aus den erzählenden Quellen verschwindet" 23. Bartolomeu Dias und Vasco da Gama werden uns als Persönlichkeiten nahegebracht. H a m a n n unterläßt es dabei nicht, der vielen namenlosen Seeleute zu gedenken, die ihren Anteil an dem Erfolg der Seereise nach Ostindien hatten und von denen so viele durch Krankheiten, Entbehrungen und Schiffsunglück auf diesen portugiesischen Fahrten umgekommen waren. Das unbeachtete Heldentum der kleinen Leute in den großen Stunden der Weltgeschichte wird nicht vergessen. Doch schließlich mündet alle geschichtliche Darstellung in der Bewußtwerdung der neuen Perspektiven, die sich nunmehr der Menschheit eröffneten. Eine wissenschaftlich-technische Leistung wurde zugleich „ein hochpolitisch-strategischer Akt der Staatengeschichte, der neue Grundlagen für die politische Landkarte der ganzen späteren Neuzeit schuf" M . Der Chronist Barros nannte die Ankunft der Flotte Vasco da Gamas „die Vollbringung der großartigsten und wunderbarsten Leistung, die den Menschen beschieden sein konnte" i5 . Die wirklichen Dimensionen unserer Erde wurden sichtbar, die nun viel größer erschien, als man zuvor angenommen hatte. Die Entdeckung Amerikas und die Auffindung des Seeweges nach Indien bedeuteten das größte Raumerlebnis des europäischen Menschen, das erst wieder in unseren Tagen durch die Weltraumflüge wiederholt und überboten wurde. •;' ·») Ebenda, S. 323. : M) Ebenda, S. 413. «·) Ebenda, S. 415. Unauthenticated Download Date | 2/13/17 3:14 PM 380 Richard Konetzke Nach den älteren deutschen Gesamtdarstellungen von Ρ e s c h e 1 M und R ü g e 2 7 und den neueren textkritischen Forschungen von Η e η η i g 2 8 hat H a m a n n das moderne Standardwerk vorgelegt, das die Grundlage für die künftige wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Entdeckungszeitalter sein wird. M ) Oscar Ρ e s c h e 1, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen, Stuttgart 1858. " ) Sophus R ü g e , Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen, Berlin 1881. ,e ) Richard Η e η η i g , Terrae incognitae. Eine Zusammenstellung und kritische Bewertung der wichtigsten vorcolumbisdien Entdeckungsreisen an H a n d der darüber vorliegenden Originalberichte, 4 Bde, Leiden Ί944-1956. Unauthenticated Download Date | 2/13/17 3:14 PM