INFOLETTER Nr. 8/Okt 08 Informationen zu Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Aktuelles S1 Neue komplementäre Behandlungsangebote in der Hohenegg Schwerpunkt S2 Symposium 11. September 2008 Vier Beiträge Übersicht S4 Achtsamkeitstherapie Die neuen komplementären Behandlungsangebote in der Hohenegg bewähren sich Unter Komplementärmedizin wird in erster Linie eine Ergänzung zur Schulmedizin verstanden, mit dem Anspruch auf Ganzheitlichkeit. In der psychiatrischen Praxis sind schon seit langem verschiedene Methoden etabliert, die in der Komplementärmedizin aufgeführt werden (z.B. Maltherapie oder Autogenes Training). Deshalb ist es angemessen, jene nichtschulmedizinischen Therapieansätze als komplementär zu bezeichnen, die in den letzten Jahren neu in die psychiatrische Behandlungspraxis aufgenommen wurden (z.B. Qi Gong oder Shiatsu). In der erkenntnistheoretischen Perspektive der Philosophie versteht man unter komplementär sich ergänzende Erkenntnisweisen, die das gleiche Objekt verschieden zur Darstellung bringen, in der ontologischen Perspektive die fundamentale Differenz in allem Seinsgeschehen. Die Klinik Hohenegg hat im Herbst 2007 die komplementären Therapien Qi Gong, Shiatsu, Feldenkrais und Achtsamkeitsmeditation neu eingeführt. In einer Befragung der Therapeutinnen wurden die bisherigen Erfahrungen erhoben. Als Hauptresultat kann festgehalten werden, dass diese Therapien die stationäre psychiatrische Behandlung in wertvoller Weise erweitern. Für die Indi- kation sind die persönliche Motivation und der aktuelle Zustand wichtiger als die Diagnosen. Besonders profitieren können Patienten, die angespannt oder angetrieben sind oder unter psychosomatischen Beschwerden leiden. Die Einschränkungen in den Anwendungsmöglichkeiten sind durch die stationären Rahmenbedingungen gegeben, z.B. durch die begrenzte Stundenzahl oder durch die offen geführten Gruppen. Die neuen Methoden ermöglichen es uns, die Therapien noch besser auf die individuellen Bedürfnisse auszurichten. Die Vielfältigkeit der Therapieangebote entspricht dem heutigen Zeitgeist: Jedes Leben besteht aus unterschiedlichsten Elementen, die sowohl different wie auch komplementär sind. Der Anspruch an eine harmonische Integration ist überholt, der Lebensritt gelingt, wenn Zügel und Peitsche fest in der Hand gehalten werden. Bei uns sind es in erster Linie die mit dem einzelnen Patienten erarbeiteten und fortlaufend angepassten Behandlungsziele, die das Vielfältige und Lebendige des individuellen Therapieprozesses zügeln und antreiben. Dr. med. Toni Brühlmann Ärztlicher Direktor Editorial Das Behandlungsspektrum der Psychiatrie umfasste immer schon – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – psychische, soziale und biologische Aspekte. Sind also komplementäre Behandlungsmethoden in der Psychiatrie überhaupt nötig? Und worin könnten sie bestehen? Diese Frage beschäftigte uns immer wieder und mündete schliesslich in unser Symposium 2008. Der Bogen wurde von den namhaften Referenten weit gespannt: Von der Historie (H. Schott) über Aspekte der Spiritualität (D. Hell) und der Leib-Seele-Komplementarität (St. Büchi) zur neurobiologischen Forschung (L. Jäncke). Einen Erfahrungsbericht über neue in der Klinik Hohenegg angewandte komplementäre Methoden wurde vom Ärztlichen Direktor (T. Brühlmann) gegeben. Gewissermassen „komplementär“ zum gesprochenen Wort und den PPT-Präsentationen wurde zwischen den Referaten das Gefühlsleben der Teilnehmer durch ein Streicherduo direkt und gekonnt angesprochen. Die lebhafte Schlussdiskussion bewies das grosse Interesse an der Thematik. – Wir freuen uns über den Erfolg! Dr. med. Ralf Krek, Stv. Chefarzt 1 Exorzismus, Mesmerismus und Hypnose: Historische Wurzeln der Psychotherapie Prof. Dr. med. phil. Heinz Schott, Leiter des Medizinhistorischen Institutes der Medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn In diesem Vortrag wurde die Vorgeschichte der modernen Psychotherapie beleuchtet, wie sie sich im Anschluss an Sigmund Freuds Begründung der Psychoanalyse um 1900 entfaltete. Die Auffassung, wonach Krankheit als Ausdruck einer dämonischen Besessenheit anzusehen sei, die mit Hilfe eines exorzistischen Rituals geheilt werden könne, bezeugen schon die ältesten Schrift- zeugnisse aus der Antike. (Der Exorzismus gehört auch heute noch zum Repertoire der religiösen Heilkunde bzw. der traditionellen Medizin in vielen Teilen der Welt.) Doch erst um 1800, zwischen Aufklärung und Romantik, wurde mit dem von Franz Anton Mesmer (1734-1815) begründeten „animalischen Magnetismus“ ein medizinisches Heilkonzept entwickelt, das die Übertragung einer physikalisch gedachten kosmischen Heilkraft („Fluidum“) bei der „magnetischen Kur“ beschrieb. Der Mesmerismus war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – auch beim medizinischen Laienpublikum – höchst populär und faszinierte vor allem romantische Ärzte und Naturforscher. So regte er sie u. a. im Bereich der Neurophysiologie zu zahlreichen Experimenten und Theorien bzw. Spekulationen an. Insbesondere entstand mit der Gegenüberstellung von Cerebral- und Gangliensystem („Kopf und Bauch“) eine plausible neurophysiologisch unter- mauerte Theorie vom unbewussten Seelenleben und seiner Dynamik, welche die spätere Tiefenpsychologie antizipierte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts, als die naturwissenschaftliche Medizin ihren Siegeszug antrat, wurde der Mesmerismus mit seinen naturphilosophischen, magischen und kosmologischen Vorstellungen (z. B. „Sympathie“) zunehmend als unwissenschaftlicher „Okkultismus“ abgelehnt. Stattdessen setzte die wissenschaftliche Medizin nun auf den „Hypnotismus“, der als nervöses Reflexgeschehen begriffen wurde und mit ihren materialistischen Grundsätzen kompatibel war. Die ärztliche Hypnose im ausgehenden 19. Jahrhundert und insbesondere die Suggestionslehre des französischen Internisten Hippolyte Bernheim (1840-1914) aus Nancy schufen die Grundlagen für die moderne Psychotherapie einschließlich der Psychoanalyse. Spirituelle Aspekte in der Depressionsbehandlung Prof. Dr. Daniel Hell, Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich Die Spiritualisierungstendenz (in den unterschiedlichsten Ausprägungsformen) hat mit dem vorherrschenden Weltbild zu tun. Je mehr Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung soziokulturell verlangt wird, desto bewusster erleben Menschen auch ihre innere Unabgeschlossenheit – gleichsam das unbehauste Terrain in sich, über das sie nicht verfügen. Gleichzeitig fördert die spätmoderne Individualisierung die Pluralisierung der Selbstsuche und ihre Ablösung von traditionellen Lösungen. Spiritualität ist ein weiter Begriff. Die Definitionsversuche reichen von einem „subjektiv erlebten Sinnhorizont“ bis zu „Ausrichtung des ganzen Lebens auf das All-Eine“. Trotzdem hat Spiritualität für die meisten Schweizerinnen und Schweizer offenbar eine grosse Bedeutung. Nach einer aktuellen und repräsentativen Umfrage bezeichnen nur gerade 27% der Schweizerinnen und Schweizer Spiritualität als unwichtig. 2 Aber ein einzelner Mensch kann – auf sich selbst gestellt – sein negatives Bewusstsein nicht einfach auflösen. Vielmehr gehören Erfahrungen des Mangels und subjektive Leerstellen, die mit der Abwesenheit von Anderen zu tun haben, zur Selbstentwicklung. Mit andern Worten: Leerstellen sind Teil des Selbst. Sie sind so unverzichtbar wie Schatten bei Licht. Allerdings können Lücken und Leerstellen im Selbst so lange marginalisiert und verdrängt werden, wie ein Mensch optimal in einer Gemeinschaft eingebettet ist und über genügend Kraftreserven verfügt. Anders im depressiven Zustand. Hier lässt die Aktionshemmung kein aktives Zudecken dieser basalen Bewusstseinskomponente zu. Schwerer depressive Menschen sind ihrer eigenen Leere hilflos ausgeliefert, auch weil die momentane Unverfügbarkeit persönlicher Ressourcen oder der Verlust Halt gebender Beziehungen zu einer gesteigerten Selbstwahrnehmung des Negativen und Nichtigen führen. Therapeutisch gilt es dann, die Erfahrung der Leere, die von depressiven Menschen oft generalisiert und bodenlos erlebt wird, mit geeigneten Behandlungsmassnahmen (wie beziehungs- und körperorientierten Angeboten) einzugrenzen. Ältere „Depressionskonzepte“ mit religiösem Hintergrund – z.B. die Vorstellung der „Akedia“ oder der „Dunklen Nacht“ – haben die LeereErfahrung in einen spirituellen Kon- text gestellt und versucht, ihr einen bitteren Sinn abzugewinnen. Auch heute ist es nicht damit getan, die Leere-Erfahrung depressiver Men- schen nur zu pathologisieren, ohne darin auch einen Kern wahrzunehmen, der zur menschlichen Existenz gehört. Ein interessanter, moderner spiritueller Ansatz ist die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie bei Depressionen. Plastizität des Gehirns: Neue Wege der Psychotherapie Prof. Dr. rer. nat. Lutz Jäncke, Professor für Neuropsychologie, An der Universität Zürich Einer der bemerkenswertesten Befunde der kognitiven Neurowissenschaften ist die Erkenntnis, dass das menschliche Gehirn viel plastischer ist als bislang vermutet. Diese Plastizität äussert sich nicht nur in erfahrungsbedingten Reifungsprozessen des Gehirns sondern nach neuen Erkenntnissen insbesondere auch durch Erfahrungen im Erwachsenenalter. Hierbei zeigt sich, dass das menschliche Gehirn prinzipiell bis ins hohe Alter plastisch ist. Diese Plastizität bezieht sich nicht nur auf die Funktion des Gehirns sondern auch auf die Neuroanatomie, also die Hardware des Gehirns. Vor allem im Zusammenhang mit den neuen Erkenntnissen der Epigenetik eröffnet sich hiermit eine neue Sicht auf die „Formbarkeit“ des Menschen und damit auf die Bedeutung aller Erfahrungseinflüsse auf das menschliche Gehirn. Aufgrund dieser Befunde müssen entsprechende Konsequenzen für Ausbildung, Lebensplanung, Psychotherapie gezogen werden. Die Komplementarität von Körper und Seele: Vom körperlichen Leiden zur seelischen Reifung PD Dr. med. Stefan Büchi, Leiter des psychiatrischen Konsiliardienstes am USZ Zürich Die letzten 20 Jahre haben in der klinischen Medizin und Forschung einen Paradigmenwechsel hin zu einer verstärkt am Individuum orientierten Medizin gebracht: Lebensqualität wurde in der Medizin zu einem zentralen Thema, das Interesse an der subjektiven Erfahrung des Patienten in seinem Krank-Sein nahm zu. Die Beschäftigung mit Ursachen und Behandlung von Leiden, einer Dimension, die untrennbar mit der Erfahrung der Person in einem ganzheitlich körperlich-psychologisch-spirituellen Sinn verbunden ist, stellt einen Versuch dar, die in der Medizin vollzogene Spaltung von Körper und Seele zu überwinden. Der Mediziner Eric. J. Cassell defi- niert Leiden in einem 1982 in der renommierten Fachzeitschrift New England Journal of Medicine publizierten Artikel in folgender Weise: „Leiden ist ein Zustand von schwerem Distress, der im Zusammenhang mit drohendem Verlust der Intaktheit der Person steht“. Leiden ist somit eine Dimension, die den Menschen in seiner Ganzheit und in seinem Person-Sein als körperliches, psychisches und soziales Wesen betrifft. Von zentraler Bedeutung ist, dass Leiden eine ausgesprochen persönliche Erfahrung ist, die nicht ohne intensive Auseinandersetzung mit der betroffenen Person verstanden werden kann. Die jeweils subjektive Bedeutung, z.B. einer körperlichen Beeinträchtigung auf die Integrität der Person, kann nur im persönlichen Gespräch erschlossen werden. Es müssen dabei Aspekte der Persönlichkeit, der Lebens- und Krankheitsgeschichte, der familiären Bindungen, des kulturellen und religiösen Hintergrundes, aber auch der sozialen Rollen in umfassender Weise berücksichtigt werden. Seit wenigen Jahren beschäftigt sich die psychosomatische Forschung mit der Frage, ob es Zusammenhänge zwischen Leiden und Reifung gibt. Reifung wird als „subjektive Erfah- rung positiver Veränderung des Selbst- und Weltkonzeptes, vertiefte Verbundenheit mit anderen Menschen, positive Sinnfindung sowie ausgeprägte philosophische Reflexion und Vertiefung der Spiritualität“ definiert und erfasst. Unsere Untersuchungen bei Patienten mit verschiedenen schweren körperlichen Krankheiten wie chronischer Polyarthritis, systemischem Lupus erythematosus (SLE) oder Krebs zeigten auf, dass persönliche Einstellungsund Persönlichkeitsfaktoren darüber entscheiden, ob die Krankheit zu einer psychischen Reifung oder aber zu langfristiger Niedergeschlagenheit und Verbitterung des Betroffenen führt. Die Flexibilität, sich als Person neu zu definieren, und die Akzeptanz der (unerwünschten) Realität der Erkrankung sind zwei zentrale Aspekte für eine gelingende Adaptation, welche persönliche Reifung durch das Leiden auszeichnen. Unsere therapeutischen Ansätze bei der Unterstützung der Leidenden fokussieren daher zentral auf der Flexibilisierung des Selbstbildes (der Kunst des Loslassens) und der durch Achtsamkeit geübten Haltung der Akzeptanz – ganz im Sinne von Erasmus von Rotterdam: „Der Kern des Glücks – der sein zu wollen, der Du bist“. 3 Achtsamkeitsmeditation als komplementäres Behandlungsangebot lic. phil. Cornelia Geyer, Psychotherapeutin FSP Achtsamkeit als offene, nicht-urteilende Aufmerksamkeit ist eine alte und für die Psychotherapie wieder entdeckte Form der Meditation. Um Achtsamkeitsmeditation zu üben, brauchen wir zunächst Zeit, Ruhe und Nicht-Aktivität. Hier werden unsere Patientinnen und Patienten in der Form des Body-Scan (Körpermeditation) abgeholt und erleben als erstes eine wohltuende Entspannung. Diese ist zwar nicht das eigentliche Ziel der Achtsamkeitsmeditation, aber eine rasch erfahrbare und auch wichtige „NebenWirkung“. In der Klinik wird die Achtsamkeitsmeditation in drei Gruppen mit unterschiedlichen Schwierigkeits- graden sorgfältig aufgebaut. Entspannung, inneres Sich-Sammeln und Fokussieren auf den Atem sowie gezielte Wahrnehmungsübungen sind wiederkehrende Elemente der Übungen. Damit werden mentale Fähigkeiten wie Konzentration, SelbstBeobachtung und Aufmerksamkeitslenkung trainiert. In der bewusst wahrnehmenden Haltung der Meditation beginnen die Patientinnen und Patienten aber vor allem eine stille Begegnung mit sich selbst, welche – wie die Psychotherapie – auch einigen persönlichen Einsatz erfordert. Die Möglichkeiten der Achtsamkeitsmeditation in der Klinik sind, vor allem zeitlich, begrenzt. Die Patien- ten, die daran teilgenommen haben, nehmen aber doch einiges mit, ganz besonders die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und bei sich selbst zu sein. Achtsamkeitsmeditation ist keine Psychotherapie, kann diese aber unterstützen. Sie ist eine eigenständige (und alte) Disziplin, deren Potential für die therapeutische Arbeit und darüber hinaus möglicherweise noch viel weiter reicht. Informationen zur Privatklinik Privatklinik Hohenegg Hohenegg 4 Postfach 555 8706 Meilen Telefon 044 925 12 12 Fax 044 925 12 13 [email protected] www.hohenegg.ch Ärztliche Direktion Telefon 044 925 15 16 Dienstarzt 044 925 15 00 Fax 044 925 15 10 [email protected] Die Klinik Die Hohenegg ist eine Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik für Privat- und Halbprivat-Versicherte. Mit den meisten Krankenkassen bestehen Verträge. Die Klinik bietet 54 Privat- und Halbprivat-Betten auf zwei offenen Stationen an. Behandlungsspektrum - Depression - Burnout und Lebenskrise - Psychosomatik inkl. Schmerz - Angst und Zwang - Posttraumatische Belastungs störung - Suchterkrankung - Persönlichkeitsstörung Zuweisung Die Anmeldung erfolgt telefonisch beim Dienstarzt oder mit Zuweisungsschreiben an den Chefarzt. Auf Wunsch wird mit der Patientin oder dem Patienten ein Vorgespräch geführt. Notfalleintritte sind tagsüber jederzeit möglich. Trägerschaft Die privatrechtliche, gemeinnützige Stiftung Hohenegg ist die alleinige Eigentümerin der Privatklinik Hohenegg AG. Klinikleitung Dr. med. Toni Brühlmann Chefarzt/Ärztlicher Direktor 4 Madeleine Eisenbarth Pflegedirektorin Walter Denzler Verwaltungsdirektor