SELTENE KREBSERKRANKUNGEN Neuroendokriner Tumor. Quelle: Prof. Dr. W. Weber, Uniklinik Freiburg 34 Diagnostik und Therapie seltener Krebserkrankungen Wenn es um die Betreuung von Patienten mit seltenen Tumorerkrankungen geht, können Ärzte oftmals nicht auf Diagnostik- und Therapieleitlinien zurückgreifen. Deshalb kommt es entscheidend darauf an, dass sich überregionale Studienzentren zusammenschließen, um einen optimalen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. In den einzelnen Zentren ist zudem ein interdisziplinärer Ansatz essentiell – wie unsere Experten Ihnen anhand dreier seltener Krebserkrankungen erläutern. Einer Definition der Europäischen Kommission zufolge gilt eine Erkrankung als selten, wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen daran erkrankt sind. Nach dieser Definition sind bis zu 8.000 der 30.000 bekannten Erkrankungen als selten einzustufen, darunter auch viele Krebserkrankungen. Einige dieser Krebserkrankungen wie etwa Morbus Hodgkin oder das Ösophaguskarzinom sind zwar selten, doch keine Exoten. Es existieren Behandlungsleitlinien, und an größeren Zentren finden sich Spezialisten mit Erfahrung in der Diagnostik und Therapie dieser Erkrankungen. Bei anderen Erkrankungen wie etwa ZNS-Tumoren im Kinder- und Jugendalter, die wir im Rahmen dieser CME-Fortbildung vorstellen, ist es dagegen notwendig, dass sich Netzwerke von erfahrenen Spezialisten aus verschiedenen Zentren ONKOLOGIE heute 05/2012 bilden – in diesem Fall das Hirntumor-Behandlungsnetzwerk (HIT) – , um ihre Erfahrungen auszutauschen und auch gemeinsam Studien durchzuführen. Nur so kann die Behandlung der Patienten immer weiter optimiert werden. Neben den erwähnten neuropädiatrischen Tumoren beschäftigen sich zwei weitere Beiträge der aktuellen CME-Fortbildung mit der Diagnostik und Therapie von neuroendokrinen Tumoren und Schilddrüsenkarzinomen. Natürlich wurden alle Beiträge, wie Sie es von ONKOLOGIE heute kennen, von ausgewiesenen Experten auf diesem Gebiet verfasst. Liebe Leser, wir möchten Sie an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Sie unsere CME-Fortbildungen ab sofort online durchführen können – auf vielfachen Wunsch unserer Leser. Bitte gehen Sie dazu auf die Startseite cme.medlearning.de. Hier können Sie sich entweder über ein eigenes Medlearning-Login oder mit ihrem DocCheck-Passwort einloggen. Alles weitere erfolgt dann aufgrund der einfachen und übersichtlichen Menüführung quasi selbstredend (siehe auch S. 47). Sie erhalten auch direkt online Ihr Zertifikat. Die Redaktion von ONKOLOGIE heute wünscht Ihnen viel Spaß beim jetzt noch einfacheren Punktesammeln. CS CME-Auflösung aus Heft 4/2012 zum Thema: Mammakarzinom: moderne Diagnostik, innovative Therapie 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 A B C D E X X X X X X X X X X SELTENE TUMORERKRANKUNGEN ZNS-Tumoren des Kindes- und Jugendalters Laura-Nanna Lohkamp1, Ulrich-Wilhelm Thomale2, Peter Vajkoczy1, 1Neurochirurgische Klinik, Arbeitsbereich Pädiatrische Neurochirurgie, Charité-Universitätsmedizin Berlin 2 Primäre Tumoren des Zentralen Nervensystems (ZNS) sind nach Leukämien die zweithäufigste Tumorerkrankung im Kindes- und Jugendalter. Der Beitrag informiert über aktuelle Therapiestandards und klinische Studienprotokolle in Deutschland. In Deutschland erkranken jährlich 410 Kinder neu an primären Tumoren des ZNS. Aufgrund der abweichenden Therapieoptionen und der Vielseitigkeit der Tumorhistologien bei gleichzeitig kleinen Fallzahlen stellen sie eine Herausforderung für klinische Praxis und Tumorforschung dar. Zudem spielt das unterschiedliche lokale Verteilungsmuster mit Hauptfokus auf der hinteren Schädelgrube und mittelliniennahe Strukturen bei Kindern eine große Rolle. Daraus ergibt sich eine Variabilität in der Therapie, die im Allgemeinen eng an die Besonderheiten der Pädiatrie geknüpft ist und zusätzliche Fachkenntnisse erfordert. Die Interdisziplinarität an den Versorgungszentren sowie der Zusammenschluss überregionaler Studienzentren ist dabei essentiell für den Erfahrungsaustausch und die Entwicklung optimaler Therapieprotokolle. Bereits angewandte Therapien werden kontinuierlich durch bundesweite klinische Studien optimiert. hat. Dieser ist neben der Tumorlokalisation ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des geeigneten Therapieschemas. Die Nomenklatur des jeweiligen Tumortyps basiert im Wesentlichen auf dem ursprünglichen glialen Zelltyp. Eine spezifischere und diagnostische Einteilung erfolgt nach histologischen und immunhistochemischen Merkmalen. Tab. 1 (S. 37) zeigt eine Übersicht sämtlicher ZNS-Tumoren im Kindesalter in Abhängigkeit von ihrer Lokalisation. Klassifikation Die Einteilung von ZNS-Tumoren im Kindesalter richtet sich nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO), basierend auf den histologischen Merkmalen und der Lokalisation der Tumoren [1]. Bei letzterer unterscheidet man klassischerweise infra- und supratentorielle, paraselläre oder spinale Tumoren. Histologische Eigenschaften wie Grad der Differenzierung, Tumorausdehnung, Anzahl der Mitosen sowie Proliferationsindex determinieren dabei den WHO-Grad, der eine wesentliche Aussagekraft hinsichtlich der Prognose Abb. 1: Medulloblastom Grundlagen der Therapie Da die Kausalität zahlreicher pädiatrischer ZNS-Tumoren nicht geklärt ist, ist eine Prophylaxe nicht möglich [2]. Eine geeignete Tumortherapie ist nur auf dem Boden einer exakten Diagnosestellung und der Bestimmung des Krankheitsstadiums möglich. Darauf basierend wird eine operative, eine Strahlen- oder Chemotherapie oder eine Kombination gewählt. Allgemein haben bei Kindern individuell abgestimmte, tumorspezifisch eingesetzte Chemotherapien Vorrang vor strahlentherapeutischen Verfahren mit ihrem potenziell negativen Einfluss auf die Entwicklung neurokognitiver Funktionen. Das Protokoll der Therapiemöglichkeiten wird je nach Alter, Tumorart und -stadium festgelegt – in Kooperation mit dem Hirntumor-Behandlungsnetzwerk (HIT) im deutschsprachigen Raum. Die Prämisse ist dabei stets, eine möglichst schonende Behandlung der Kinder zu gewährleisten. Die zunehmende Optimierung der chirurgischen Intervention mittels präoperativer moderner Magnetresonanztomografie, mikrochirurgischer Techniken, Neuronavigation und intraoperativem Neuromonitoring macht es möglich, funktionell bedeutende Strukturen zu schonen – bei bevorzugter Lage der pädiatrischen ZNSTumoren im Bereich der hinteren Schädelgrube und der Mittellinie. Aktuelle Therapiestandards Abb. 2: atypisch teratoid rhabdoider Tumor (AT/RT) Aktuelle Statistiken geben bei Kindern mit ZNS-Tumor ab Diagnosezeitpunkt eine 10-Jahres-Überlebensrate 05/2012 ONKOLOGIE heute 35 36 SELTENE TUMORERKRANKUNGEN von ca. 80 % an. Diese ist vom Tumortyp und der -lage sowie den Spätkomplikationen oder Folgeschäden der Behandlungsmethode abhängig [3]. In Deutschland hat die Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatoonkologie (GPOH) in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern ein System etabliert, das standardisierte einheitliche Diagnose- und Therapieprotokolle in Studien vorsieht. So konnten größtmögliche Fallzahlen generiert werden, die eine fortwährende Evaluierung aktueller Therapieschemata möglich machten – auch im Hinblick auf die Begrenzung behandlungsbedingter Nebenwirkungen/Spätfolgen. Die Inzidenzen, Therapiestandards und Studiendaten für die häufigsten Tumorarten sind hier aufgeführt. Astrozytome: Diese Tumoren sind zu 60 % in Form von sog. pilozytischen Astrozytomen (PA, WHO Grad I) im Kleinhirn lokalisiert [1] und treten auch gehäuft im Zusammenhang mit einer Neurofibromatose Typ I auf. Eine Therapie ist nur bei symptomatischen oder bildgebend progredienten Tumoren indiziert. Bei vollständiger Resektion ist von einer günstigen Prognose auszugehen [4]. Ein positiver prognostischer Faktor ist auch der molekulargenetische Nachweis eines BRAF-KIAA-Fusionsgens [5]. Als Therapie der Wahl gilt in Abhängigkeit von der Lokalisation eine möglichst vollständige Tumorresektion. Andere Tumorlokalisationen mit Bezug zum Chiasma opticum, Hypothalamus, Thalamus und Hirnstamm wirken limitierend auf die operative Therapie. Hier erfolgt in Abhängigkeit von Alter, Lokalisation und Tumorgröße eine Chemotherapie, seltener eine Strahlentherapie [5]. Bei Kindern unter 5 Jahren sowie solchen mit NF Typ 1-assoziierten Tumoren im Bereich des Chiasma opticum ist die initiale Chemotherapie mit Carboplatin mit oder ohne Vincristin [6] oder eine Kombination aus Etoposid, Cyclo- ONKOLOGIE heute 05/2012 phosphamid oder Cisplatin eine geeignete Therapieoption. Eine aktuelle internationale Studie (SIOP-LGG 2004-Studie) untersucht die Möglichkeiten der Reduktion therapieinduzierter Nebenwirkungen und Folgeschäden einer initialen Strahlentherapie. Dabei soll vor allem der Ersatz durch eine Chemotherapie bei Kindern unter 8 Jahren evaluiert werden. Hochgradige Astrozytome (Grad III und IV) wachsen lokal invasiv, diffus und häufig in supratentorieller Lokalisation [4]. Die Prognose ist mit einer durchschnittlichen 5-Jahres-Überlebensrate von 10 % ungünstig. Die Therapie umfasst eine möglichst vollständige Tumorresektion, gefolgt von Strahlen- und/oder Chemotherapie. Die Strahlentherapie wird erst bei Kindern ab dem 3. Lebensjahr mit einer Maximaldosis von 54 Gy (bis 6 Jahre) und 59,5 Gy (ab dem 7. Lebensjahr) durchgeführt. Die bei Erwachsenen durchgeführte Radio-Chemotherapie mit Temozolomid zeigte auch bei Kindern eine äquivalente Verbesserung der 2-Jahres-Überlebensrate, wobei der molekulargenetische Nachweis des methylierten O6-MethylguaninDNA-Methyltransferase (MGMT)-Promotors die Wirksamkeit von Temozolomid erhöht [7]. Diese Chemotherapie wird seit Juni 2009 im Rahmen der HIT-HGG-2007-Studie durchgeführt. Medulloblastome: Medulloblastome (Abb. 1, S. 35) sind embryonale ZNSTumoren in der hinteren Schädelgrube, die von Stammzellen des Kleinhirnkortex ausgehen [1]. Sie werden nach ihren histologischen Merkmalen in 5 Subtypen (vgl. Tab. 1) unterteilt, wobei der noduläre Subtyp fast ausschließlich bei Kindern vorkommt und die beste Prognose hat. Medulloblastome tendieren zur zerebrospinalen Metastasierung, wobei diese in 10 bis 30 % der Patienten zum Diagnosezeitpunkt vorliegt [8]. Medulloblastome werden klinisch in Gruppen mit Standardrisiko und hohem Risiko eingeteilt. Erstere beinhaltet Kinder über 3 Jahre mit kompletter oder fast vollständiger Resektion (<1,5 cm Resttumor) ohne Metastasierung, die Hochrisikogruppe Kinder im Alter von bis zu 3 Jahren mit nachgewiesener Metastasierung und/oder unvollständiger Tumorresektion. Allgemein ist bei Medulloblastomen ungeachtet ihrer Risikogruppe eine Operation die Therapie der Wahl. Bei Kindern ab 4 Jahren wird standardmäßig eine adjuvante Strahlen- und/oder Chemotherapie angeschlossen. Das progressionsfreie 5Jahres-Intervall beträgt mit alleiniger Strahlentherapie (nicht disseminiertes Tumorstadium) 50 bis 65 % [9]. Neue Studien zeigen eine bessere Überlebensrate bei zeitgleicher oder konsekutiver Chemotherapie [10]. Angewandte Chemotherapeutika sind Kombinationen aus Cisplatin, Lomustin und Vincristin oder aus Cisplatin, Cyclophosphamid und Vincristin. Aktuelle Behandlungsschemata leiten sich aus den Ergebnissen der HIT 2000-Studie ab, die in Form eines HIT 2000 Interim-Registers weitergeführt wird. Als Studieninhalt gilt die Reduktion aktinisch bedingter Spätfolgen durch Verzicht auf eine Bestrahlung oder Verringerung der Strahlendosis bei Patienten der Standardrisikogruppe älter als 4 Jahre. PNETs: Primitive neuroektodermale Tumoren sind seltene Tumoren, die bevorzugt in Kleinkindalter vorkommen und ca. 10 % aller neuropädiatrischen Tumoren ausmachen [1]. Sie sind meist im Bereich des Cerebrums sowie suprasellär lokalisiert, wodurch die Tumorresektion aufgrund des Kontakts zu wichtigen funktionellen Strukturen häufig kompromittiert wird. Das Tumorstaging entspricht in etwa dem der Medulloblastome. PNETs zeigen aufgrund ihres raschen Wachstums zum Diagnosezeitpunkt bereits in ca. 10 bis 20 % eine disseminierte Verteilung im ZNS [11] mit einer 5-Jahres-Überlebensrate von 20 bis 30 % [12]. SELTENE TUMORERKRANKUNGEN Die Wahl der Therapie richtet sich nach dem Alter der Kinder, den feingeweblichen Tumoreigenschaften sowie dem Vorliegen einer Metastasierung. Bei Kindern über 3 Jahre ist eine aggressive operative Tumorentfernung die Primärtherapie. Im weiteren Verlauf wird eine fraktionierte Strahlentherapie der gesamten Neuraxis (35 bis 36 Gy) mit fokaler Konzentration auf das Tumorbett (50 Gy) durchgeführt [12]. Chemotherapeutische Ansätze während und nach der Bestrahlung tragen zur Erhöhung der 5-Jahres-Überlebensrate auf 40 bis 50 % bei [12]. Bei Patienten unter 4 Jahren erfolgt meist postoperativ eine Induktionschemotherapie. In einigen Fällen kann auch eine Hochdosischemotherapie mit konsekutiver autologer Stammzelltransplantation durchgeführt werden. Auch für PNETs gilt die HIT 2000-Studie. Ependymome: Sie machen ca. 9% der pädiatrischen ZNS-Tumoren aus, treten häufig im Bereich des Ventrikels und der hinteren Schädelgrube auf und werden je nach Wachstumsverhalten in Tumoren des WHO-Grads II oder III unterteilt. Hierzulande erkranken pro Jahr 3 von 100.000 Kindern. Die Therapie beinhaltet standardmäßig eine Operation sowie eine Bestrahlung des Tumorbetts mit 54 bis 55,8 Gy. Nur Patienten mit vollständiger Tumorresektion und histologischer Diagnose eines Ependymoms (WHO Grad II) benötigen nicht zwangsläufig eine Folgetherapie. Das progressionsfreie 3-Jahres-Intervall bei Totalresektion, gefolgt von Bestrahlung, beträgt 77,6 %, bei unvollständiger Resektion 30 bis 50 % [13]. Eine Chemotherapie wird vornehmlich bei Tumorrest oder Metastasierung und bei Kindern unter 18 Monaten angewandt. Standard ist eine Kombinationschemotherapie mit Cisplatin, Vincristin, Cyclophosphamid, Etoposid, Carboplatin und Methotrexat. Im Einzelfall kann eine Hochdosischemotherapie mit an- schließender autologer Stammzelltransplantation erfolgen. Für Patienten mit Ependymom gilt aktuell die HIT 2000-Studie. Bei Therapieresistenz oder Rezidiv ist ein Einschluss in die HIT-REZ 2005-Studie möglich, die die Wirksamkeit neuer Medikamente wie Temozolomid, intraventrikulär verabreichtes Etoposid oder eine orale Erhaltungschemotherapie testet. Infratentorielle (posterior fossa) Tumoren zerebelläre Astrozytome pilozytisch fibrillär hochgradig Medulloblastome klassisch desmoplastisch/nodulär ausgeprägte Nodularität anaplastisch großzellig Ependymome zellulär papillär hellzellig tanyzytisch anaplastisch Hirnstammgliome diffuse intrinsische pontine Gliome diffuse intrinsische höhergradige Tumoren fokale, tektale, and exophytische zervikomedulläre Tumoren atypische teratoide/rhabdoide Tumoren Tumoren des Plexus choroideus Papillome Karzinome rosettenbildender glioneuronaler Tumor des vierten Ventrikels Supratentorielle Tumoren niedriggradige zerebelläre Astrozytome pilozytische Astrozytome diffuse Astrozytome [Grad II] Mischgliome niedrig- oder höhergradig Oligodendrogliome niedrig- oder höhergradig Primitive neuroektodermale zerebrale Neuroblastome Tumoren (PNETs) Pineoblastome Ependymoblastome Atypische Teratoide/rhabdoide Tumoren Ependymome zellulär neuroradiologische Diagnose ohne Biopsie niedriggradige Tumoren anaplastisch Meningiome Tumoren des Plexus choroideus Pinealistumoren neuronale und gemischt glioneuronale Tumoren Papillome Karzinome Pineozytome Pineoblastome pineale Parenchymtumore mittlerer Differenzierung papilläre Tumoren Gangliogliome desmoplastische infantile Astrozytome/ Gangliogliome dysembryoplastische neuroepitheliale Tumoren subependymale Riesenzelltumoren pleomorphes Xanthoastrozytom papilläre glioneuronale Tumoren Metastasen (selten) von extraneuronalen Tumoren Paraselläre Tumoren Kraniopharyngiome dienzephalische Astrozytome Keimzelltumoren Tumoren des Rückenmarks Niedriggradige zerebelläre Astrozytome “High-grade” oder “malignant astrocytomas” Chiasma, Hypothalamus, und/oder Thalamus Germinome nicht-germinomatös pilocytische Astrozytome [Grad I] diffuse Astrozytome [Grad II] anaplastische Astrozytome Glioblastom [Grad III oder IV] Gangliogliome Ependymome oft myxopapillär Tab. 1: Übersicht über die wichtigsten ZNS-Tumoren im Kindes- und Jugendalter 05/2012 ONKOLOGIE heute 37 SELTENE TUMORERKRANKUNGEN Diagnose und Therapie neuroendokriner Tumoren Prof. Dr. med. Jochen Seufert FRCPE 1, Dr. med. Katharina Laubner1, Prof. Dr. med. Wolfgang Weber2, Dr. med. Volker Brass1,3, 1Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, Abt. Innere Medizin II, 2Abt. für Nuklearmedizin, 3Zentrum für Gastrointestinale Tumoren, Tumorzentrum Ludwig Heilmeyer, Universitätsklinikum Freiburg,Freiburg Neuroendokrine Tumoren können in fast allen Organen des Körpers entstehen. Diese Übersicht fokussiert auf neuroendokrine Neoplasien des Gastrointestinaltraktes und des Pankreas. den, was im Wesentlichen durch verbesserte Detektions- und Diagnosemethoden bedingt sein dürfte. Eine wesentliche Verbesserung der Detektion wurde durch die Einführung von Methoden der molekularen Bildgebung mittels PET-CT erreicht. Die chirurgische Resektion und die Behandlung mit Somatostatin-Analoga stellen weiterhin die zentrale Therapiestrategie für diese Tumoren dar. Neuere Substanzen einschließlich Chemotherapeutika, „small Molecules“ und „Biologicals“ könnten neue Hoffnung für Patienten bringen. Der Terminus neuroendokriner Tumor umfasst traditionell eine breite, heterogene Familie von Neoplasien, die in neuralen bzw. endokrinen Strukturen ihren Ursprung finden. Die Lokalisation dieser Tumoren beinhaltet Nervenplexus, extraadrenale Paraganglien (Paragangliome), rein endokrine Organe wie z. B. die Schilddrüse, die Nebenschilddrüse und die Nebennieren (medulläres Schilddrüsenkarzinom, Nebenschilddrüsenadenom oder -karzinom, Phäochromozytom) und spezialisierte Strukturen des sog. diffusen endo- Quelle: Prof. Dr. med. Wolfgang Weber, Universitätsklinikum Freiburg Im Jahr 2010 wurde mit einer neuen WHO-Klassifikation der Tumoren des Verdauungssystems ein Grading- und Staginginstrument für neuroendokrine Neoplasien eingeführt. Hiermit werden neuroendokrine Tumoren insbesondere aufgrund der proliferativen Aktivität in neuroendokrine Tumoren Grad I bis II und neuroendokrine Karzinome Grad III unterschieden. Epidemiologische Daten zeigen einen weltweiten Anstieg in der Prävalenz und Inzidenz von gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumoren (GEP-NET) in den letzten Deka- Abb. 1: Lebermetastasen eines neuroendokrinen Tumors des Pankreas in der PET/CT mit 68Ga-DOTA-TATE. Links: Ausgedehnte, Somatostatin-Rezeptor- positive Lebermetastasen vor Therapie. Rechts: Nach 4 Zyklen einer Therapie mit 177Lu-DOTA-TATE nahezu vollständige Rückbildung der Metastasierung. 05/2012 ONKOLOGIE heute 39 40 SELTENE TUMORERKRANKUNGEN krinen Systems in unterschiedlichen Organen (Inselzelltumoren, Karzinoide, Gastrinome, groß- und kleinzellige Karzinome). Neuroendokrine Tumoren können eine große Zahl unterschiedlicher bioaktiver und hormonell aktiver Moleküle produzieren. Darüber hinaus zeigen verschiedene Tumoren dieser Entität ganz unterschiedliche Proliferationsverhalten, wobei das Spektrum von fast fehlender Wachstumstendenz bis zu extrem aggressiven Karzinomen reicht. Diese heterogenen Eigenschaften bezüglich der sekretorischen Aktivität und des biologischen Verhaltens ist der Grund für das breite Spektrum klinischer Erscheinungsbilder von neuroendokrinen Tumoren. Diese Übersicht konzentriert sich auf neuroendokrine Neoplasien des Gastrointestinaltraktes und des Pankreas, die in dem Begriff Gastroenteropankreatische neuroendokrine Tumoren (GEP-NET) zusammengefasst werden. Während ein Anstieg der Inzidenz und Prävalenz dieser Neoplasien in den letzten Dekaden beobachtet worden ist, konnte keine wesentliche Verbesserung des Patientenüberlebens innerhalb der letzten drei Jahrzehnte in Europa und Nordamerika erzielt werden [1]. Jedoch wurden in den letzten Jahren Instrumente für eine adäquate Prognosestratifizierung entwickelt sowie Evidenz für die Effektivität einer zielgerichteten Therapie erarbeitet. Nomenklatur und Epidemiologie Neuroendokrine Tumoren sind definiert als neoplastische Läsionen, die entweder aus Zellen mit einem gut Klassifikation Definition neuroendokriner Tumor G1 gut differenzierte neuroendokrine Neoplasie mit ähnlicher Zellmorphologie wie normale gastrointestinale endokrine Zellen neuroendokriner Tumor G2 gut differenzierter neuroendokrine Neoplasie mit ähnlicher Zellmorphologie wie normale gastrointestinale endokrine Zellen neuroendokrines Karzinom Schlecht differenzierte Neoplasie mit kleinen oder großen Zellen und hohem Proliferationsgrad (G3) gemischtes adenoneuroendokrines Karzinom besteht aus sowohl glandulärem Epitel als auch neuroendokrinen Zellen, wobei beide Komponenten zumindest 30% einnehmen müssen hyperplastische und präneoplastische Läsionen entwickelten neuroendokrinen Phänotyp oder aus Zellen mit schlechter Differenzierung, aber immer noch erkennbarem neuroendokrinen Ursprung bestehen. Die WHO aktualisierte das Klassifikationssystem im Jahr 2010, indem die Zellmorphologie und der Proliferationsindex mit aufgenommen wurden ([2,3], Tab.1). Ein entscheidendes Kriterium der WHO-Klassifikation von 2010 ist also das Grading (Tab. 2), definiert durch die proliferative Aktivität des Tumors. Neuere Untersuchungen zeigen allerdings, dass die Unterteilung in G1 bis 3 wahrscheinlich keine ausreichende Trennschärfe bezüglich der Prognose erlaubt. Dies trifft vor allem für das G2-Grading zu. Aufgrund des breiten Spektrums von 3 bis 20 %, bezogen auf den Proliferationsmarker Ki-67, werden hier prognostisch sehr unterschiedliche Tumoren zusammengefasst. Es gibt Hinweise, dass eine weitere Abstufung (z.B. Ki-67-Grenze bei 5%) künftig eine noch bessere Abschätzung des Krankheitsverlaufs ermöglicht [4,5]. Neue Studien weisen auf eine jährliche Inzidenz von 2,5 bis 5,0 pro 100.000 Einwohner hin, was unterstreicht, dass GEP-NET häufiger sind als früher angenommen [6,7]. Molekulargenetik In neuroendokrinen neoplastischen Zellen wurde eine Vielzahl von Abnormalitäten in zellzyklusregulatorischen Signalübertragungswegen beschrieben. Neuroendokrine Neoplasien können sowohl sporadisch auftreten, als auch im Rahmen von hereditären Tumorsyndromen wie der multi- Tab. 1: WHO 2010-Klassifikation der neuroendokrinen Neoplasien G1, G2, G3 Mitoserate G1 <2/10 HPF G2 2-20/10 HPF 3-20 G3 >20/10 HPF >20 Tab. 2: Tumorgrading entsprechend der WHO-Klassifikation von 2010 ONKOLOGIE heute 05/2012 Ki-67 Index in % 2 SELTENE TUMORERKRANKUNGEN plen endokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN-1) und der von Hippel-LindauErkrankung (VHL). Diese können durch Familienanamnese, die typische Kombination spezifischer Manifestationen und molekulargenetische Untersuchungen (Menin-Gen, von Hippel-Lindau-Gen etc.) in spezialisierten Zentren diagnostiziert und behandelt werden [8]. Diagnostische Methoden Nur rund ein Drittel der Tumoren aller Patienten mit GEP-NET sind funktionell aktiv, d.h. sie verursachen Symptome aufgrund der Sekretion neuroendokrin aktiver Substanzen. Der Großteil der Patienten leidet an nichtfunktionellen Tumoren [9,10]. Die häufigsten neuroendokrinen Syndrome sind hyperinsulinämische Hypoglykämie beim Insulinom, das Zollinger-Ellison-Syndrom bei Gastrinom und das sog. Karzinoidsyndrom. Seltener sind die Sekretion von Glukagon, vasoaktivem intestinalem Polypeptid (VIP), Somatostatin, Wachstumshormon releasing Hormon oder adrenocorticotropem Hormon. Als Tumormarker für neuroendokrine Tumoren können in unterschiedlichem Ausmaß die 5-Hydroxyindol-Essigsäure im Urin und das Chromogranin A hilfreich sein. Auch die neuronenspezifische Enolase (NSE) spielt bei einigen neuroendokrinen Tumoren gerade bei schlechter Differenzierung diagnostisch eine Rolle [8]. Radiologische Methoden sind in den letzten Jahren bezüglich der lokalen Auflösung deutlich verbessert worden. Gegenwärtige diagnostische Methoden der Bildgebung von Primärtumoren und Metastasen umfassen den Einsatz der DünnschichtComputertomografie bzw. der hochauflösenden Kernspintomografie, den abdominellen Ultraschall mit Ultraschallkontrastmittel und farbkodierter Duplextechnik, den endoskopischen Ultraschall sowie insbesondere nuklearmedizinische Methoden im Sinne einer molekularen Bildgebung. Neuere Methoden, die im Vergleich zu herkömmlichen nuklearmedizinischen Verfahren wie der Octreotidszintigrafie eine deutlich höhere Sensitivität und Spezifität aufweisen, umfassen beispielsweise die Detektion von Somastotatinrezeptoren durch die Gallium-DOTA-TATE-PET-CT-Untersuchung (Abb. 1, S. 39). Weiterhin stehen das Fluor-DopaPET-CT bei Phäochromozytomen und Karzinoiden sowie das spezifische Imaging über GLP1-Rezeptoren im Rahmen des neu entwickelten Exendin-4-PET-CT zur Diagnostik von Insulinomen zur Verfügung [11]. Im Einzelfall ist eine Kombination aus verschiedenen Bildgebungsmodalitäten nötig, um okkulte Tumoren mit hinreichender Sensitivität und Spezifität vor einer möglichen operativen Intervention bzw. einer medikamentösen Therapie adäquat zu lokalisieren [12]. Zudem stehen verschiedene endoskopische Methoden des oberen und unteren Gastrointestinaltraktes bzw. auch der endoskopische Zugang zum Dünndarm durch neuere Methoden (Ballon-Enteroskopie, Kapselendoskopie) zur Verfügung. Trotz modernster diagnostischer Techniken gelingt es in einigen Fällen jedoch nicht, einen Primarius zu lokalisieren. Behandlungsstrategien Gut differenzierte GEP-NETs haben auch im metastasierten Stadium oft eine gute Prognose und das mediane Überleben dieser Patienten liegt meist bei mehreren Jahren. Deshalb ist in den meisten klinischen Studien das progressionsfreie Überleben als primärer Endpunkt gewählt und nicht das Gesamtüberleben. Das Spektrum der therapeutischen Strategien ist breit und umfasst die Chirugie, lokal ablative Verfahren, die klassische Chemotherapie, SomatostatinAnaloga, die Radioligandentherapie und zielgerichtete Substanzen wie Everolimus und Sunitinib. Viele dieser Optionen sind nicht in prospektiv randomisierten Studien validiert und es besteht völlige Unklarheit über die optimale Sequenz des Einsatzes der verschiedenen Modalitäten. Die chirurgische Entfernung ist zunächst das Mittel der Wahl für Grad 1und 2-neuroendokrine Tumoren in fast allen Stadien und stellt die einzige kurative Strategie dar. Während in früheren Jahren die sog. DebulkingOperation zur Tumorverkleinerung häufig verwendet wurde, um die paraneoplastischen sekretorischen Nebenwirkungen zu reduzieren, stehen Abb. 2: Therapiestrategien bei nicht resektablen neuroendokrinen Tumoren 05/2012 ONKOLOGIE heute 41 SELTENE TUMORERKRANKUNGEN Diagnostik und Therapie des Schilddrüsenkarzinoms Andreas K. Buck, Stefanie Dießl, Frederic Verburg, Christoph Reiners und Peter Schneider, Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Würzburg Schilddrüsenkarzinome sind seltene Tumoren, die einer multimodalen Behandlungsstrategie aus Chirurgie, Radioiodtherapie und Strahlentherapie meist gut zugänglich sind. Bei Radioiod-refraktären Schilddrüsenkarzinomen gewinnen zielgerichtete Therapieverfahren immer mehr an Bedeutung. Mit jährlich 4,6 (Männer) bis 8 (Frauen) Neuerkrankungen je 100.000 Einwohner zählen Schilddrüsenkarzinome zu den seltenen Malignomen. Seit etwa 30 Jahren wird eine stark steigende Inzidenz beobachtet, insbesondere von kleinen Tumoren (<10 mm), möglicherweise bedingt durch eine verbesserte bildgebende Diagnostik. Etwa 90 % der Schilddrüsenmalignome sind differenzierte Karzinome (DTC) und lassen sich den Thyreozyten zuordnen (70 % papilläre und 30 % follikuläre Variante). Deutlich seltener ist das aggressiv verlaufende anaplastische Karzinom und das von den parafollikulären Zellen der Schilddrüse ausgehende C-Zell-Karzinom (medulläres Karzinom) mit jeweils < 5%. Die 5-Jahres-Überlebensrate des papillären Schilddrüsenkarzinoms beträgt über 85 %, des follikulären Schilddrüsenkarzinoms über 70 %. Auch beim medullären Karzinom ist eine 5-Jahres-Überlebensrate von über 70 % beschrieben. Diese differenzierten Tumoren sind damit mit einer sehr günstigen Prognose assoziiert. Lediglich die undifferenzierten bzw. anaplastischen Schilddrüsenkarzinome weisen mit einer 5-JahresÜberlebensrate < 10 % eine sehr ungünstige Prognose auf. Insgesamt ist die Prognose der differenzierten Karzinome trotz Vervierfachung der Inzidenz konstant geblieben. Tumorklassifikation Das Schilddrüsenkarzinom weist im Vergleich zu anderen soliden Tumoren einige Besonderheiten auf. Auf- fällig ist eine Häufung der Erkrankung bei Frauen mit einer Verteilung von 1:2 bis 1:3, deren Ursache bislang nicht eindeutig geklärt ist. Papilläre und follikuläre Karzinome exprimieren in der Regel den Natriumiodsymporter und speichern damit Radioiod; außerdem produzieren sie meist Thyreoglobulin (hTg), was therapeutisch bzw. diagnostisch nutzbar ist. Die meisten Karzinome treten sporadisch auf, hereditäre Erkrankungen sind sehr selten und finden Histologischer Subtyp sich überwiegend beim medullären Schilddrüsenkarzinom, basierend auf Mutationen des ret-Protoonkogens (multiple endokrine Neoplasie Typ II). Das anaplastische Karzinom wird wegen der ausgeprägten biologischen Aggressivität primär als Stadium IV klassifiziert, unabhängig vom N- und M-Status. Patienten mit DTC und einem Alter < 45 Jahre bei Diagnosestellung werden einem Stadium I oder II zugeordnet, unabhängig vom Vorhandensein von lymphonodalen T N M Stadium papillär jedes T jedes N M0 I follikulär jedes T jedes N M0 II Differenziertes SD-Ca (DTC) > 45 Jahre T1 T2 T3 T1-3 T1-3 T4a T4b jedes T N0 N0 N0 N1a N1b N0-1 jedes N jedes N M0 M0 M0 M0 M0 M0 M0 M1 I II III III IVA IVA IVB IVC Medulläres SD-Ca T1a-b T2-3 T1-3 T1-3 T4a T4b jedes T N0 N0 N1a N1b jedes N jedes N jedes N M0 M0 M0 M0 M0 M0 M1 I II III IVA IVA IVB IVC Anaplastisches SD-Ca T4a T4b jedes T jedes N jedes N jedes N M0 M0 M1 IVA IVB IVC Differenziertes SD-Ca (DTC) < 45 Jahre (papillär, follikulär) Tab. 1: UICC-Stadieneinteilung (2010) des Schilddrüsenkarzinoms 05/2012 ONKOLOGIE heute 43 44 SELTENE TUMORERKRANKUNGEN oder hämatogenen Filiae (UICC Stadieneinteilung, Tab. 1, S. 43). Das individuelle Risiko für das Auftreten eines Rezidivs kann zusätzlich anhand von Richtlinien der American Thyroid Association (ATA) beurteilt werden [1]. Differenzierte Tumoren, die auf die Schilddrüse beschränkt sind, werden mit einer niedrigen Rezidivwahrscheinlichkeit assoziiert (geringes Risiko), bei Vorliegen lokoregionärer Lymphknotenfiliae, einer aggressiveren Histologie und/oder extrathyroidalem Wachstum wird ein intermediäres Risiko angenommen, bei Vorliegen von Fernmetastasen ein hohes Risiko. Moderne bildgebende Diagnostik Die hochauflösende Sonografie der Schilddrüse und des Halses stellt eine der wichtigsten bildgebenden Verfahren dar, die einerseits zur Primärdiagnostik des Schilddrüsenkarzinoms, andererseits zur Verlaufskontrolle und Ausschluss bzw. Nachweis eines Lokalrezidivs oder von Lymphknotenfiliae eingesetzt wird. Bei fortgeschrittenen Tumorstadien und höherer Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer metastasierten Erkrankung kommen zusätzlich eine CT des Thorax, eine MRT der Leber oder des Halses und eine 131I-Ganzkörperszintigrafie zum Einsatz. Letztere repräsentiert die empfindlichste Methode, um Filiae des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms im gesamten Organismus zu identifizieren. Die Positronen-Emissionstomografie (PET) mit 124I stellt ein alternatives Verfahren mit deutlich höherer Ortsauflösung und Sensitivität dar. Bei annähernd gleicher Kinetik der Iodisotopen 131I und 124I ist die PET der planaren Szintigrafie deutlich überlegen [2], insbesondere bei gleichzeitig durchgeführter Computertomografie (PET/CT). Diese Untersuchung erlaubt eine wesentlich genauere Identifizierung von Restschilddrüsengewebe und Differenzierung von lokoregionären lymphonodalen Absiedelungen oder Fernmetastasen [3,4]. Die 124I-PET ist gebunden an die Verfügbarkeit des Positronenstrahlers 124I, der nur an Abb. 1: 54-jährige Patientin mit initial metastasiertem papillären Schilddrüsenkarzinom pT3 N1bMpulmo. 6 Jahre nach Erstdiagnose konstanter Tumormarker Thyreoglobulin mit 4,3 ng/ml. In der planaren 131I-Ganzkörperszintigrafie (A) fokale Speicherungen zervikal und pulmonal (Pfeile), der bekannten Metastasierung entsprechend. In der FDG-PET/CT (B - E) zusätzlich Nachweis einer 131I-negativen ossären Filia im Os sacrum. B) FDG-PET, intensive Speicherung des Radiopharmakons im Os sacrum (3D-Darstellung). C) Computertomografie mit diskreter Sklerosierung im Os sacrum (Pfeil). D) FDG-PET mit intensiver Speicherung der Knochenmetastase (Pfeil). E) PET/CT, vitale Knochenmetastase im links lateralen Os sacrum (Pfeil). ONKOLOGIE heute 05/2012 Standorten mit eigenem Zyklotron produziert werden kann und deshalb derzeit nur begrenzt zur Verfügung steht. Mit der 124I-PET/CT kann die Masse des zu therapierenden Restschilddrüsenareals oder von Metastasen genauer abgeschätzt werden als mit einer diagnostischen 131I-Ganzkörperszintigrafie. Dadurch wird eine erheblich genauere Dosimetrie ermöglicht, die zur Einsparung von 131I und damit zur Reduktion der 131I-vermittelten Strahlenexposition führen kann [5-7]. In klinischen Studien mit 124I-PET/CT hat sich gezeigt, dass 50 % mehr metastatische Läsionen erkannt wurden als mit der 131I-Ganzkörperszintigrafie [2]. Umgekehrt zeigte eine Studie, dass bei 50 % der untersuchten Patienten eine 131IGanzkörperszintigrafie vermieden werden kann, wenn in der 124I-PET/CT keine iodaffinen Metastasen dargestellt werden können. Dies gilt auch für Patienten mit mittlerem oder hohem Risiko [8]. Die Hybridbildgebung mit 124I-PET/CT verbessert auch das initiale Tumorstaging, insbesondere des papillären Mikrokarzinoms im Stadium pT1 mit einem bezüglich der Definition umstrittenen Tumordurchmesser von ≤ 1 cm (Europäische Leitlinien) oder < 2 cm (ATA-Leitlinien). Bei diesen von der Radioiodtherapie ausgenommenen Mikrokarzinomen finden sich zuweilen Metastasen, die der konventionellen bildgebenden Diagnostik mit 131I entgehen. Im Management des hTg-positiven aber 131I-negativen DTC bietet sich ein alternatives Verfahren an, das nicht vom Natriumiodid-Symporter abhängt. Es konnte gezeigt werden, dass hTg-produzierende Läsionen mit dem Glukoseanalogon 18F-FDG und PET identifiziert werden können. Der prognostische Wert der 18F-FDGPET/CT wurde bei niedrigen hTgSpiegeln und negativem 131I- Ganzkörperscan in verschiedenen Stadien des DTC evaluiert [9-11]. Die 18F-FDGPET/CT (Abb. 1) war in dieser Patientenpopulation der 131I-Ganzkörper- SELTENE TUMORERKRANKUNGEN szintigrafie deutlich überlegen . Dies schließt allerdings nicht aus, dass 131Inegative Scans auch mit einer noch vorhandenen Expression des Natriumiodid-Symporters assoziiert sein können und die fehlende Darstellung von Metastasen auf die mangelnde Ortsauflösung der 131I-Ganzkörperszintigrafie zurückgeht.. Therapie: State-of-the-art Die Therapie des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms ist stets multimodal. Die Evidenz aktueller Behandlungsstrategien stützt sich überwiegend auf Expertenmeinungen und Konsensusvereinbarungen, da prospektive klinische Studien meist fehlen [1]. Am Beginn der Therapie steht in der Regel die vollständige Resektion der Schilddrüse im Sinne einer “totalen“ Thyreoidektomie mit Entfernung der zentralen Lymphknoten, bei kleineren Tumoren bis 1 cm Durchmesser kann alternativ eine Hemithyreoidektomie ohne Lymphonodektomie erfolgen. Bei größeren Tumoren und/oder extrathyroidalem Wachstum sollte stets eine Thyreoidektomie angestrebt werden. Eine zusätzliche laterale Lymphknotendissektion ist nur dann erforderlich, wenn ein klinischer Verdacht auf Lymphknotenmetastasen besteht oder bei fortgeschrittenen Primärtumoren mit extrathyreoidalem Wachstum. Hat der Primärtumor bereits Nachbarstrukturen infiltriert, z.B. Ösophagus, Trachea oder die laterale Halsmuskulatur, ist eine entsprechende Ausweitung der Operation nötig. Die Radioiodtherapie stellt die effektivste adjuvante Therapie des differenzierten Schilddrüsenkarzinoms dar. Durch die Behandlung können verbliebenes Restschilddrüsengewebe und eine möglicherweise noch vorhandene mikroskopische Erkrankung beseitigt werden. Es ergibt sich zugleich die Möglichkeit, mittels der posttherapeutischen 131I-Ganzkörperszintigrafie Metastasen sensitiv nachzuweisen und diese zu therapieren. Nach den europäischen Leitlinien ist die Radioiodablation von noch vorhandenem Restschilddrüsengewebe nach totaler Thyreoidektomie beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom Standard [1]. In jüngeren Studien konnte gezeigt werden, dass die Radioiodtherapie in Euthyreose unter Anwendung von rekombinantem humanem TSH Vorteile nicht nur hinsichtlich der Lebensqualität, sondern auch der Einsparung an 131I-Aktivität aufweist [12]. Zwei neue prospektive Studien belegen, dass eine Halbierung der Ablationsdosis zum gleichen Ergebnis führt wie die nach europäischen Leitlinien vorgeschlagene Standardaktivität [13]. Dabei stellt sich die Frage, ob zur Vermeidung bekannter Nebenwirkungen ein Verzicht auf die Radioiodablation bei „low risk“ -Patienten angemessen sein könnte [14, 15]. Die Bearbeitung dieser Frage erfordert den Ausgleich möglicher Nachteile sowie einen Ersatz für die entfallende Szintigrafie mit 131I. Eine perkutane Strahlentherapie kommt nur dann zum Einsatz, wenn lokale Tumoren oder Rezidive inoperabel sind und nicht ausreichend Radioiod aufnehmen. Nach der Primärtherapie ist in der Regel eine lebenslange Substitution mit Levothyroxin erforderlich. Bei Patienten mit niedrigem Tumorstadium (Stadien 1 und 2, Tab. 1, S. 43) ist eine maximale TSHSuppression nicht erforderlich; L-Thyroxin wird nur so hoch dosiert, um bei peripherer Euthyreose einen niedrignormalen Messwert für TSH zu erzielen (0,1–2 mU/l). Bei höheren Tumorstadien und Fernmetastasen sollte der TSH-Basalwert supprimiert werden (< 0,1 mU/l), um eine mögliche Stimulation des Tumorwachstums durch TSH zu vermeiden [1]. Nachsorge und Rezidivbehandlung In Intervallen von zunächst 3, 6 und 12 Monaten nach Erstdiagnose eines Schilddrüsenkarzinoms sollen ambulante Nachsorgeuntersuchungen erfolgen, welche neben der Sonografie des Halsbereiches und Bestimmung des Tumormarkers hTg auch die Messung des TSH-Basalwerts und der freien Schilddrüsenhormone (fT3, fT4) beinhaltet. Wurde im Rahmen der Primärtherapie eine Radioiod-Behandlung durchgeführt, ist nach 4-6 Monaten eine erneute 131I-Ganzkörperszintigrafie zur Überprüfung einer erfolgreichen Thyreoablation erforderlich. Bei unauffälligem Verlauf können die Nachsorgeintervalle 12 Monate nach Erstdiagnose auf jährliche Intervalle ausgedehnt werden. Bei Nachweis eines Lokalrezidivs stellt die erneute Resektion des Tumors die beste Therapieoption dar. Im Anschluss an die Resektion sollte stets eine Bestimmung des Tumormarkers Thyreoglobulin unter Stimulation erfolgen mit Wiederholung der 131I-Ganzkörperszintigrafie. Lassen sich iod-avide Metastasen nachweisen, ist eine (erneute) Radioiodtherapie indiziert. Bei Patienten mit solitärer oder oligofokaler Metastasierung, etwa des Knochens oder der Lunge, kann im Einzelfall eine Operation oder eine perkutane Strahlentherapie indiziert sein. Therapieoptionen bei Radioiodrefraktären Karzinomen Ist eine metastasierte Erkrankung mit einer Radioiodtherapie oder chirurgischen Verfahren nicht mehr kontrollierbar, ist eine systemische Chemotherapie, seltener eine palliative Strahlentherapie indiziert [16]. Die therapeutischen Erfolge, die mit zytotoxischen Substanzen erzielt wurden, waren bislang unbefriedigend. Für die Behandlung mit Doxorubicin sind Ansprechraten von etwa 30 % beschrieben worden. Auch der Effekt von Kombinations-Chemotherapien erwies sich als unzureichend. Es wird daher empfohlen, Patienten in prospektive klinische Studien einzuschließen, welche die Wirksam- 05/2012 ONKOLOGIE heute 45