Fassadenbau unter Extrembedingungen Bharati

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Bautechnik
Fassadenbau unter
Extrembedingungen
Bharati Forschungsstation
in der Antarktis
Ludger Egen-Gödde, Kaufering
Wenn in den Nachrichten von Staaten die
Rede ist, deren Wirtschaft sich rasant vorwärts entwickelt, dann fällt stets der Name
Indien. Die Kompetenz Indiens etwa im Bereich der Informationstechnologie ist international anerkannt. Längst schon widmet
sich jedoch die Wissenschaft erfolgreich anderen Feldern, darunter beispielsweise der
Polarforschung. In den kältesten Regionen
der Welt am Nord- und am Südpol betreiben zahlreiche Länder bereits Stationen für
Wissenschaftsdisziplinen wie Meteorologie,
Klimatologie, Ozeanologie oder Astrophysik. Schlagzeilen machte hierzulande zuletzt
die 2009 erfolgte Einweihung der deutschen
„Neumayer III“ Forschungsstation im antarktischen Schelfeis. Indien hat nun auch
in diesem Bereich High-Tech-Standards erreicht.
Das indische National Centre for Antarctic
and Ocean Research (NCAOR) startete 2006
einen Wettbewerb für die Planung einer Forschungsstation in der Antarktis: der „New Indian Research Station Bharati“. Aus dem Verfahren ging ein Konsortium als Sieger hervor, bestehend aus der IMS Ingenieurgesellschaft und bof architekten (beide aus Hamburg) sowie der Braunschweiger m+p Consulting, zuständig für die Gebäudetechnik.
Die Bremer Kaefer Construction GmbH erhielt im Laufe des Verfahrens den Zuschlag
als Generalunternehmer für die Konstruktion
der Station. Zielsetzung war ein ganzjähriger
Betrieb, also auch in den kältesten und stürmischen Monaten im antarktischen Winter (in
Europa: Hochsommer). Das hatte natürlich
erhebliche Auswirkungen auf Konstruktion
und Ausführung des Bauvorhabens. Die ge60
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stalterische Planung der Station lag in Händen
des Hamburger Büros von bof architekten.
Bert Bücking, Patrick Ostrop und Ole Flemming schreiben auf ihrer Internetseite: „Die
Grundmotive unserer Suche nach einer guten
Architektur und nach neuen Arbeitsfeldern
sind Neugier und eine naive Unerschrockenheit. Das führt uns zu Wettbewerbsteilnahmen
auch im entfernten Ausland oder beispielsweise zum Entwurf für eine indische Polarstation in der Antarktis.“ Ihre Planung und
alle weiteren Schritte zu deren Aufbau basieren auf drei grundlegenden Aspekten: Redundanz, Nachhaltigkeit und Mobilität.
Die Redundanz des Gebäudes bzw. der lebenswichtigen Bauteile stand bei der Bharati
Polarstation im Zentrum. Der Standort ist im
antarktischen Winter neun Monate von der
Außenwelt abgeschnitten. Eine Anlieferung
von Ersatzteilen ist in diesem Zeitraum nicht
möglich. Eine Havarie eines der dort eingesetzten BHKWs würde unweigerlich zum Ausfall der Strom- und Wärmezufuhr führen und
somit das Überleben in der Station extrem
gefährden. Folglich sind für diesen Fall Reserve-BHKWs vorgesehen. Bei anderen Bauteilen, wie zum Beispiel für die Salzwasseraufbereitungsanlage, gibt es vor Ort ausreichend
Ersatzteile für eine mögliche Reparatur.
Der Energieverbrauch ist in der Antarktis
ein zentraler ökologischer und ökonomischer
Aspekt. Mit dem von dem Planungskonsortium vorgeschlagenen Konzept konnte der
Energieverbrauch im Vergleich zur ursprünglichen Auslobung um 40 % gesenkt werden.
Der ausschließliche Einsatz von erneuerbaren
Energien, wie zum Beispiel Wind, ist aus Gründen der Redundanz nicht möglich. Windenergie wird additiv genutzt. Solarenergie spielt
Container
Hülle
Forschungsstation
Foto: bof architekten
Foto: Kaefer Construction GmbH
Die modulare Bauweise ermöglicht
später den kompletten Rückbau und
eine Demontage ohne großen Aufwand. Die Vorteile dieses Modulprinzips zeigten sich allerdings schon
beim Aufbau, denn in der Antarktis
bleiben wetterbedingt nur vier Monate Montagezeit
DBZ 9 | 2012
DBZ.de
aufgrund des arktischen Winters mit neun
Monaten völliger Dunkelheit keine Rolle.
Der „Antartic Treaty“, eine Art internationaler Verhaltenskodex, sieht vor, dass die Forscher bzw. Bewohner der Antarktis im Fall der
Aufgabe ihrer jeweiligen Station für den kompletten Rückbau sorgen müssen. Daher entschied man sich für eine modulare Bauweise,
die eine Demontage ohne großen Aufwand
ermöglicht. Die Vorteile dieses Modulprinzips
zeigten sich allerdings schon beim Aufbau,
denn in der Antarktis bleiben wetterbedingt
nur vier Monate (November bis März) Montagezeit.
Ein weiterer Planungsgrundsatz war, dass
vieles von dem, was in hiesigen Breitengraden im Fassadenbau selbstverständlich ist,
in der Antarktis nur bedingt funktioniert. Deshalb wurden schon sehr früh systematisch
filigrane High-Tech-Lösungen zugunsten einfacherer Verfahren und Details modifiziert.
Ein Grund hierfür klingt ebenso simpel wie
einleuchtend: die Montage kann bei den auch
im antarktischen Sommer immer noch recht
kalten Temperaturen zum Teil nur mit Fausthandschuhen vorgenommen werden.
Die Planer mussten immer einen gewissen
Spielraum für mögliche Improvisationen (im
Rahmen des technisch zulässigen) offen lassen, da für fehlende oder defekte Bauteile
nicht ohne weiteres identischer Ersatz beschafft
werden kann. Im Umkehrschluss bedeutete
das, so viele Montagetätigkeiten wie möglich
zuvor in den Werkstätten der Partnerunternehmen durchführen zu lassen. Hier stießen die
Architekten mitunter auch an Grenzen, denn
es erwies sich als sehr schwierig, Hersteller zu
finden, die für ihre Produkte die erforderliche
Antarktistauglichkeit nachweisen konnten.
Der hohe Vorfertigungsgrad vieler Bauteile
– vor allem auch der Fassade – erleichtert die
komplizierte Logistik für ein solches Bauvorhaben deutlich. Hier liegt eigentlich auch ein
Stück des Gestaltungsprinzips der „Bharati“
begründet. Bert Bücking: „Um die Bestandteile der Station in die Antarktis zu bringen,
ist man unweigerlich auf den Schiffstransport
angewiesen. Dieser wiederum geht einher
mit dem Einsatz von Seecontainern. Insofern
lag es nahe, das modulare System auf die
Abmessungen von Schiffscontainern hin zu
optimieren. Die Module sind somit innere
Hülle, Tragwerk und Transportkiste in Einem.“
Die Grundidee der Architekten ist ein Gebäudekern aus über 100 versetzt gestapelten
und technisch modifizierten Containern, umgeben von einer Stahlunterkonstruktion und
einer darauf applizierten Paneelfassade als
Gebäudehülle. Für die Außenhülle eine Paneelfassade zu wählen geht nach den Worten
der Planer in erster Linie auf die Erfahrungen
beim Bau der deutschen Station Neumayer
III zurück. „Paneele sind sowohl vor Ort einfach zu verarbeiten, als auch leicht zu transportieren.“
Die Stahlunterkonstruktion ergibt sich in
erster Linie aus den Paneellängen. Die Standardlänge der Stahl-Sandwichpaneele entspricht genau zwei Containerachsen (4,90 m).
Größere Spannweiten sind aufgrund der
enormen Windlasten nicht möglich. In Bereichen mit hohem Winddruck gibt es eine zusätzliche Unterkonstruktion in der Feldmitte.
„Die Dimensionierung des Tragwerks sowie
die Limitierung der Spannweiten ist den großen Windlasten geschuldet“, erläutert Bücking.
So entstand ein zweischaliger Aufbau mit
einem Luftraum zwischen der Paneel-Außen61
Foto: bof architekten
Foto: Kaefer Construction GmbH
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Die Abmessungen der Stahlunterkonstruktion ergibt sich aus den Längen der Fassadenpaneele. Deren
Standardlänge entspricht genau zwei Containerachsen
Gemessen an den Klimabedingungen ist der Glasanteil der Fassade mit 5 % recht hoch
hülle und den Containerwänden. Dieser dient
als Raum für Versorgungsleitungen, als Zugang für Wartungsarbeiten und als Fluchtweg.
Eine echte Herausforderung stellten die
außergewöhnlich großen Glasfronten für die
Nord- und Südfassade der Polarstation dar
(zusammen rund 90 m²). Der Glasanteil der
Fassade beträgt ungefähr 5 % – ein hoher Wert
für die klimatischen Verhältnisse, denen das
Gebäude ausgesetzt ist. Entwicklungsdetails
und Konstruktion orientieren sich an den extremen Wetterbedingungen in der Antarktis.
Windgeschwindigkeiten von 270 km/h, Winterstürme mit riesigen Schneemengen und
Temperaturen von -40° C und darunter schaffen thermische und mechanische Belastungen
höchsten Ausmaßes für die Gebäudehülle.
Für die Architekten der besondere Clou ihres
Entwurfes: „Die Position der Glasflächen ist
so gewählt, dass alle Bereiche der Station,
in denen sich Menschen dauerhaft aufhalten,
im antarktischen Sommer Zugang zu Tageslicht haben. In den Bereichen Lounge (Nordfassade) und Mensa (Südfassade) ist die
gesamte Fassade verglast, um den Wissenschaftlern spektakuläre Ausblicke in Richtung
Meer (Lounge) und Land (Mensa) zu ermöglichen“, so Bert Bücking.
Auf spezielle technische Regeln, Normen
oder Richtwerte konnte man bei dem Projekt
nicht zurückgreifen: „Es gab keine“, so Axel
Lenderoth, in dessen Bremer Fassadenbaubetrieb die Elemente gefertigt wurden, „wenn
wir recherchiert haben, wie sich ein bestimmtes Baudetail, Material oder Verfahren denn
bei -40 °C verhält, haben wir keine konkreten
Antworten gefunden.“ Eingeschaltet wurde in
Glaselementen mit einer 15°-Neigung an der
Nord- und Südseite. Mit diesem Aufbau wurde der exzellente Ucw-Wert von 0,8 W/(m²K)
erzielt.
Als technische Besonderheit und den klimatischen Bedingungen geschuldet wurden
die Aluminiumrahmen mit elektrischen Heizdrähten ausgestattet. Dies hat im Prinzip
bauphysikalische Gründe, wie Bert Bücking
beschreibt: „Rein virtuell betrachtet bestehen
keine bauphysikalischen Probleme im Fassadenzwischenraum zwischen Außen- und Innenhülle (Containern). In der Praxis stellt es
sich jedoch so dar, dass bedingt durch die
Verarbeitung trotz der komplett dampfdicht
konzipierten Container vor Ort durch kleine
Leckagen feuchte und warme Luft (sie werden
mittels Aircondition auf 23 °C und 35 % Luftfeuchtigkeit konditioniert) in den Zwischenraum gelangen könnte. Diese wiederum
kühlt ab und beginnt ab einer relativen Luftfeuchtigkeit von ca. 70 % an den Fenstern zu
kondensieren.“ Um diesem Phänomen entgegenzuwirken sind sämtliche Fenster mit
einem Heizdraht versehen und erwärmen gegebenenfalls das Bauteil soweit, dass kein
Tauwasser anfällt. Der gesamte Zwischenraum ist außerdem mit Temperatur- und
Feuchtigkeitsfühlern versehen, die bei Erreichen des Grenzwertes ein Signal geben. In
diesem Fall wird dann die gesamte Luft mechanisch gewechselt.
Bei den Containerfenstern und -türen sowie den Zugängen zu den Aufenthaltsbereichen (Lounge, Laborräume) stand das Thema
Feuerschutz im Vordergrund. Brandschutztüren (T-30) und Brandschutzfenster (F-30) mit
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der Planungsphase allerdings ein Statikbüro
zur Berechnung der entstehenden Lasten,
notwendigen Materialstärken etc. Als hilfreich
erwiesen sich zudem die Ergebnisse von
Windkanalversuchen, die an einem Modell
der Station in Indien durchgeführt wurden.
Der Glasfassadenteil des Komplexes besteht aus einer modifizierten Pfosten-RiegelKonstruktion mit hochwärmegedämmten
Aluminium-Paneelen und dreifach isolierten
Detailschnitt
Foto: bof architekten
Foto: Kaefer Construction GmbH
Foto: bof architekten
Die Montage in der Antarktis war durch den Testlauf im Duisburger Hafen gut vorbereitet worden
Die Anordnung der Glasflächen ist so gewählt, dass alle Bereiche, wo sich Menschen dauerhaft aufhalten,
im antarktischen Sommer Zugang zu Tageslicht haben
Drehflügeln kamen hier zum Einsatz. Auch in
diesem Fall bildete das Pfosten-Riegel-System in einer Fire Protect Version die Basis der
Konstruktion.
Ende August 2011 erfolgte dann die Bewährungsprobe beim Testaufbau im Duisburger Hafen: Die Container- und Fassadenbauteile wurden aufgestellt und montiert. Der
Test verlief ohne Probleme. Es blieben am
Ende nur Kleinigkeiten, die noch verändert
werden mussten, beispielsweise die Kabelführung für die Rahmenheizung der Fassadenelemente. „Die einzige wesentliche Veränderung in der Planungsphase, die auf den
Bauherrn zurückgeht, ist die Verlängerung
des Gebäudes um eine Achse“, erinnert sich
Bert Bücking.
Mit der Verladung der 134 Containermodule und 50 weiteren für die gesamte Ausrüstung einschließlich Kran und Hebebühnen
begann für die Montage Crew das Abenteuer
Antarktis. Am 26. Oktober 2011 traten die Experten (unter anderem auch Mitarbeiter von
Lenderoth) ihre Reise zusammen mit Kollegen anderer Gewerke an Bord des russischen
Frachters „Ivan Papanin“ von Kapstadt aus
Richtung Larsemann Hills an. Vor ihnen lag
der antarktische Sommer, vier Monate mit
Tageslicht und vergleichsweise erträglichen
Außentemperaturen. Bis Ende März 2012
musste die Montage abgeschlossen sein.
80 km vor dem Ziel geriet das Schiff im November 2011 in undurchdringliches Eis, konnte bis zum Eintreffen eines Eisbrechers nicht
weiterfahren und wurde Container für Container per Hubschrauber entladen. Angekommen am Zielort wurde zunächst das Bau-
Camp und am 4. Dezember 2011 die ersten
Elemente der Bharati-Station errichtet.
Gemäß dem Grundprinzip der Architekten
bilden die Container und die Stahlkonstruktion das Hauptsystem, auf das dann die Paneel-Fassade montiert wurde. Dabei arbeitete
das internationale Team gemeinsam, auch bei
der Fassadenmontage. Mit einem Mobilkran
wurden die gedämmten Paneele und die
Glas-Fassadenteile bewegt und verbaut. Hier
zeigte sich, dass der hohe Planungsaufwand
im Vorfeld gerechtfertigt war: die Montage
verlief ohne große Zwischenfälle oder technische Schwierigkeiten. Nacharbeiten waren
nicht erforderlich.
Am 23. Februar 2012 war es geschafft, das
letzte Fassadenteil war verbaut und die Crew
trat über Kapstadt den Heimweg an. Der kurz
danach einsetzende antarktische Winter sorgte
für eine Zäsur bei der Fertigstellung. Gut 90 %
der Arbeiten konnten jedoch vorher beendet
werden. Im April 2012 nahm ein Team von 15
indischen Forschern die Station in Betrieb. In
den dunklen Monaten bis zum nächsten Polarsommer beginnen nun die ersten Forschungsarbeiten auf der Bharati-Station.
Damit erfüllt das Gebäude seine Funktion.
Für die Architekten steckt aber mehr hinter
diesem Projekt, wie Bert Bücking formuliert:
„Die ästhetische Dimension der indischen
Polarstation geht weit über die eines reinen
Funktionsgebäudes hinaus. Das Gebäude ist
– wenn man so will – Indiens Visitenkarte in
der Antarktis. Die funktionalen Zwänge wie
Windlast und Snowdrift ermöglichten es uns,
der Station eine vergleichsweise expressive
Form zu geben, die eben diesen Zwängen
DBZ 9 | 2012
DBZ.de
Rechnung trug. Ein weiterer Aspekt über die
reine Funktion hinaus war in dem Anspruch
begründet, den Nutzern der Station ein Umfeld mit größtmöglichem Komfort zu schaffen.“
Das persönliche Fazit des Hamburger Architekten: „Ich habe bei diesem Projekt eine
ganze Menge über mich, und auch über die
Menschen, die an diesem Projekt beteiligt
waren, gelernt. Manchmal hat mich dieses
Projekt an Fitzcarraldo erinnert, der das Boot
über den Berg zieht. Mit einem solchen Ziel
vor Augen, wie es in diesem Fall die Station
war, waren Dinge möglich, die unter normalen Umständen so nie funktioniert hätten.“
Autor
Ludger Egen-Gödde ist
gelernter Journalist mit
langjähriger Erfahrung
als Redakteur bei technischen Fachzeitschriften.
Seit 1994 betreibt er ein
Pressebüro in Kaufering (Bayern) mit dem
Schwerpunkt Bau.
Sein Tätigkeitsspektrum
reicht von Autorenbeiträgen für Architekten-,
Fachhandels- und Verarbeiterzeitschriften bis
hin zu Auftragsarbeiten
für Industrieunternehmen und Verbände aus der Bauund Bauzulieferindustrie. Das Pressebüro Egen-Gödde
ist Mitglied im Marketing-Netzwerk www.netmark5.de
Informationen unter: www.wicona.de
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