Gibt es eine pharmazeutische Ethik?

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Anforderungen an die Ausbildung im Bereich Ethik
Gibt es eine pharmazeutische Ethik?
E lisab et h A nd ereg g -Wirt h , C h rist o ph R e h m an n -Su t t e r
Existiert eine pharmazeutische Ethik? Und braucht es sie? Diese zentralen Damit wird manifestiert, dass es für die
Fragen kristallisierten sich bei der Vorbereitung des Unterrichts des Fach­ Ausübung des Apothekerberufes heute
bereichs Ethik im Assistenzjahr in der Ausbildung zum Apotheker* immer weit mehr als das reine Fachwissen
braucht und Fähigkeiten wie Kommunikonkreter heraus.
Welche berufsspezifischen, ethischen Fragen beschäftigen aber die Apothe­ kationsvermögen, Sozialkompetenz, Verkerin, den Apotheker? Eine Umfrage zeigte Fragen auf, die für sie im Vorder­ antwortungsbewusstsein für eine kompegrund stehen. Welche Anforderungen werden daher an die Ausbildung im tente, exzellente Berufsleistung unabBereich Ethik gestellt? Worauf kann der Unterricht aufgebaut, welche Grund­ dingbar sind.
Die Basis für den Ethikunterricht bildet
lagen, Inhalte und Methoden sollen in diesem Fach vermittelt werden? Unter
welchen Bedingungen wird die ethische Reflexion zum integralen Bestandteil Art. 9, Abs. g MedBG: «Absolventinnen
und Absolventen des Studiums Pharmaim Berufsalltag?
zie: respektieren die Würde und AutonoElisabeth Anderegg-Wirth, Apothekerin Zusammenarbeit mit dem Bioethiker mie des Menschen, kennen die Begrünmit Lehrauftrag für Ethik in der Pharma- Christoph Rehmann-Sutter einzustufen: dungsweisen der Ethik, sind vertraut mit
zie an der Universität Basel («Ethik im sie bedeutet eine ideale und ausbaufähige den ethischen Problemfeldern der MediPharmaziestudium: welche Themen?») Kooperation zwischen den beiden Diszipli- zin, insbesondere mit der Therapie mit
und Christoph Rehmann-Sutter, Bioethi- nen Pharmazie und Ethik, eröffnet neue Arzneimitteln, und lassen sich dabei in
ker in Basel und Präsident der Nationalen Dimensionen und erleichtert das Herun- ihrer beruflichen und wissenschaftlichen
Ethikkommission im Bereich Human­ terbrechen der «Elfenbeinturm-Ethik» Tätigkeit von ethischen Grundsätzen zum
medizin der Schweiz («Aufbau einer auf die berufliche Alltagsebene(-Ethik).
Wohl der Menschen leiten.»
pharmazeutischen Berufsethik») gingen
Mit dem Vermitteln von ethischen
diesen Fragen gemeinsam nach und prä- Grundlagen, Methoden und Instru- Be r u fs e t h ik – Brac h lan d
sentieren hier einige Antworten.
menten als integralem Bestandteil der
Ausbildung steht den Berufsleuten eine Die Anforderungen sind unmissverständEthik im Pharmaziestudium:
weitere Denk-Ebene, welche das beruf- lich formuliert, die theoretischen Grundwelche Themen?
liche Tun und Lassen kritisch hinterfragt, lagen und Methoden greif- und vermitzur Verfügung. Sie beeinflusst dort Ent- telbar. Nach berufsspezifischen Beispielen,
Aktuelle S i t u a t i o n
scheidungen, wo Fakten und Werte kom- Artikeln und Publikationen endet die Suplexe Dilemmas verursachen. Diese wer- che weitgehend erfolglos. So beschäftiMit dem neu universitär organisierten den im Unterricht an konkreten Fallbei- gen die Fragen weiter, wo die ethischen
Assistenzjahr fanden auch neue Unter- spielen aufgezeigt und durchdiskutiert Problemfelder in unserem Beruf liegen
richtsfächer Einzug in die Ausbildung; so und die verschiedenen Lösungsoptionen und nach welchen Richtlinien, ethischen
die Fachbereiche Kommunikation, soziale werden besprochen.
Grundsätzen, welchem Berufsbild sich
Kompetenz, Ethik.
unser Berufsstand orientiert.
Speziell der Aufbau des Bereiches A n f o rd e r u ngen an Ausbildung klar
Wie geht die einzelne Apothekerin
Ethik war nicht einfach: Wohl sind die d e fin ie rt
mit dem Zweifel, ob ihr Handeln «richtig»
Anforderungen an die zukünftigen Apound «gut» sei, ob ihre Entscheide im Betheker in diversen Dokumenten definiert. Das Bundesgesetz über die universitären rufsalltag korrekt seien, um? Existiert eine
Worauf aber das ethische Denken und Medizinalberufe (MedBG, seit 1.9.2007 in gemeinsame, kritische AuseinandersetHandeln der Apothekerschaft basiert und Kraft) umschreibt die Anforderungen an zung mit berufsspezifischen ethischen
welche Themen im Berufsalltag beschäfti- die universitäre Aus- und die berufliche Fragen?
gen, darüber liess sich äussert spärlich Weiterbildung. Auch die WHO, zusamInformation und Dokumentation finden. men mit der FIP, definieren die Anforde- U mfrag e b e i O ffiz in apo t h e k e r n
Es galt, ein völlig brachliegendes Terrain rungen an die Apothekerschaft in Form
zu bearbeiten.
eines «seven-star-pharmacist».
Um ein Bild zu bekommen, ob und in
Eine Umfrage der Autorin unter BeDurch diese gesetzliche Verankerung welchem Ausmass die Ethik in der Aporufskollegen zum Thema Ethik brachte haben die Fächer Kommunikation, sozi- theke eine Rolle spielt, wurde eine exploErkenntnisse zu Tage, die für den Aufbau ale Kompetenz und Ethik ihren festen rative, qualitative Befragung mit schriftdes Unterrichts sehr wertvoll sind und als Platz in der Ausbildung zum Apotheker
gute Diskussionsgrundlage dienen.
bekommen. Sie werden mit Schwerpunkt * Zur besseren Lesbarkeit ist im Text nur jeweils eine
Berufsbezeichnung angeführt, gemeint sind aber immer
Als grosse Bereicherung für das Fach im Assistenzjahr vermittelt und an der
beide Geschlechter.
Ethik im Assistenzjahr ist ausserdem die Uni Basel am Schlussexamen geprüft.
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lichem Fragebogen unter Berufskollegen Un d v ie le s b e we g t do c h !
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I n dividu almo ral? Ein z e lk ämp f er?
und der Autorin gemacht. Die Umfrage
beschränkte sich auf 24 Apotheker (13 Unerwartet viele Themen kamen zu Tage, Die Umfrage hat auch gezeigt, dass die
Eigentümer, 7 Verwalter und 4 Angestell- über die man sich im Berufsalltag kri- wenigen offiziell verfügbaren Dokumente
te) in der deutschsprachigen Schweiz. Sie tische Fragen stellt! Im Folgenden sind und Richtlinien den Apothekern gröss­
umfasste drei Hauptfragen und sollte in- die häufigsten Themenbereiche aufge- tenteils unbekannt sind. Am ehesten
nerhalb Wochenfrist beantwortet werden: führt. Stark bewe­kennen sie die
gen «ethisch/moStandesordnung
In der Ausbildung zum
netische Fragen»
(2000), welche inApotheker haben Fächer
Drei Fragen zum Thema Ethik/ Berufsethik:
die Gemüter: Kritegraler Bestandteil
R Dominique Jordan erwähnt in seinem
tisch stehen die
des Reglements
wie Ethik ihren festen Platz
­Editorial von dosis, Ausgabe 35, Juni 2005:
Apotheker vielen
über die Mitgliederhalten
«… dass sich Apotheken immer öfters auch
Verkaufs- und Werschaft beim SAV,
in ethischen und gesundheitspolitischen
bemethoden und
heute
pharma­
Problemzonen bewegen können …» und
-praktiken von ArzSuisse, ist. Nur verzeigt dies anhand der Problematik Werbung/
neimittel-Herstellern gegenüber und einzelt bekannt, vor allem bei erfahVerkaufsförderung auf. Kennen Sie solche
­fragen sich, wie sie diesem Absatz- und reneren Berufskollegen, ist das offizielle
­Situationen? Wo stecken für Sie sonst noch
Preisdruck widerstehen oder begegnen Berufsbild des Berufsverbandes (1992).
ethische Fragestellungen in Ihrem Berufs­
können, ohne ihrem Berufsverständnis Nahezu unbekannt sind hingegen die
alltag?
zuwider handeln zu müssen und ohne Ethischen Grundsätze der FIP (2004).
R Anhand welcher Leitlinien, Rahmenbedin­
dabei wirtschaftlich in Schwierigkeiten zu
Als letzte Erkenntnis dieser Umfrage
gungen orientieren Sie sich, wenn Sie für sich
geraten.
wird klar, dass die ethische Reflexion
und die Apotheke ethische Fragestellungen
Themen um Loyalität und Zusam- meist allein, vielfach bei Bedarf im Team
beantworten oder ethische Entscheidungen
menarbeit innerhalb des Berufsstandes und sehr selten regelmässig in einer (intreffen? Standesordnung (SAV), Berufsbild
und unter Angehörigen verschiedener terdisziplinären) Gruppe geschieht.
(SAV), Ethische Grundsätze (FIP), andere oder
Medizinalberufe beschäftigen: wie ist eine
So erstaunt nicht, dass die Apotheker
keine?
«gute» und sinnvolle Zusammenarbeit sich in Dilemmasituationen vor allem an
R Wie gehen Sie ethische Fragestellungen an?
unter den Akteuren im Gesundheits­ ihren persönlichen Werten, nach «bestem
a) Ethischer Diskurs in der Gruppe (innerhalb
wesen realisierbar? Worin besteht der Wissen und Gewissen» orientieren und
der Apotheke, in Gesellschaft mit anderen
Beitrag der Apothekerschaft, um das im entscheiden. Dass sie die Sache ziemlich
Berufsgattungen etc.) oder allein?
Gesundheitswesen gemeinsam gesetzte gut machen, zeigt das hohe Vertrauen,
b) Existieren feste Gruppierungen zur
Ziel, nämlich das Wohl des Patienten/ welches dem Berufsstand entgegenge­Diskussion von komplexen Fragestellungen
Kunden wirklich zu erreichen?
bracht wird.
(innerhalb des Berufes oder heterogene
Fragen über «richtiges» und «gutes»
­Diskussionsgruppen)?
Entscheiden und Handeln stellen sich Aufbau einer pharmazeutischen
immer wieder auch bei der Medikamen- Berufsethik
tenabgabe vor allem an Jugendliche und
Ziel war, eine Idee zu erhalten, welche Süchtige/Suchtgefährdete. Mit welchen Die Geschichte der biomedizinischen
Themen beschäftigen, auf welche beruf- Argumenten lässt sich der getroffene Ent- Ethik (Biowissenschaften, Medizin und
lichen Rahmenbedingungen/Grundsätze scheid begründen – und kann dafür die Pflege) zeigt, dass sich Berufsethiken im
bei Reflexion und Entscheidungsfindung Verantwortung getragen werden?
Gesundheitsbereich durch eine interdisabgestützt wird und in welchem Rahmen
Wie stark muss die Patientenautono- ziplinäre Zusammenarbeit entwickeln. Es
(allein oder in der Gruppe) eine kritische mie im Falle einer kritischen oder gar braucht dazu nicht nur die Ethiker, die
Auseinandersetablehnenden Hal- meistens aus der Philosophie oder der
zung stattfindet.
tung des Patienten Theologie kommen und viel von Theorie,
Ethische Grundsätze stehen
Zwei Drittel
einer Therapie ge- aber wenig von der berufsspezifischen
dem Absatz- und Preisdruck
(n=16) der vergenüber im Ge- Praxis verstehen, sondern es braucht dazu
sandten Fragebogensatz zu ihrer auch die ethisch sensibilisierten Berufsgegenüber
gen kamen ausgeN o t w e n d i g k e i t leute, die wissen, worum es in ihrer Praxis
füllt zurück, ob(Wohl des Patien­ geht, welche Probleme sich stellen, welwohl einige vom Thema Ethik keineswegs ten) gewichtet werden und in welchem che Grenzen gegeben sind, was man
begeistert waren und dies auch schriftlich Sinne soll der Apotheker (mit)entschei- überhaupt tun kann und was nicht. Die
bekundeten. Es löste bei manchen Be- den?
Ethik der Pharmazie ist dann eine systerufskollegen unangenehme Gefühle aus,
Manche Apotheker stehen vielen in matische Reflexion über ethische Prodie sie damit begründeten, dass sie eben der Apotheke erhältlichen Medikamen- bleme in pharmazeutischen Berufen, ein
Praktiker und nicht Theoretiker seien und ten und Präparaten kritisch gegenüber transparent und offen geführter Diskurs,
deshalb nach pragmatischen Lösungsan- und geraten oft in ein Dilemma, ob sie ein der sich aus dieser Zusammenarbeit ersätzen suchten. Ethische Reflexion nur für solches Präparat überhaupt abgeben sol- gibt.
den Elfenbeinturm?
len oder nicht.
Die Anforderungen der Lehre sind
eine gute Gelegenheit, sich zu überlegen,
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welche Konzepte geeignet sind, diese Eine pharmazeutische Ethik als in Berufs- Es sind zudem keineswegs belanglose
konkreten ethischen Fragen zu klären. kreisen und auch in der Öffentlichkeit Fragen, die genannt wurden, sondern
Viele Methoden sind aus anderen Be- erkennbarer Diskurs wäre ein Signal da- Fragen, die innerhalb des Gesundheitsreichen der Bioethik auch auf die Pharma- für, dass sich Apothekerinnen und Apo- wesens von Belang sind. Deshalb müssten
zie übertragbar. Dennoch kann man nicht theker ihrer berufsspezifischen Verant- sie breiter diskutiert werden, am besten
einfach Medizin­
wortung bewusst im Rahmen einer umfassenden Gesundethik für Pharmasind und sich um heitsethik. Viele dieser Fragen gehen nicht
Im Gesundheitsbereich
zeuten anbieten.
die Probleme, die nur das Individuum etwas an, sondern
­entwickeln sich Berufsethiken sich in ihrem Beruf alle ähnlich Betroffenen und letztlich die
Es braucht eine
sinnvolle Adaption
stellen, sorgfältig Gesellschaft als Ganzes.
durch interdisziplinäre
und z. T. braucht es
Gedanken machen.
Die Spannung zwischen marktwirtZusammenarbeit
auch neue, eigene
Es wäre ein Signal, schaftlicher Gewinnorientierung – für
Konzepte. Denn
das zweifellos auch den Fortbestand jedes Unternehmens
die Arzt-Patientendie berufspolitische notwendig – und der Verantwortung für
Beziehung unterscheidet sich strukturell Stellung der Apotheken gegenüber ande- die Gesundheit der Kunden ist für Angevon den Beziehungen, die sich in der ren Akteuren im Gesundheitswesen stär- hörige von Gesundheitsberufen, die sich
Apotheke mit Kunden ergeben. Diese ken könnte.
über ein Ethos des Helfens und der FürKunden können zwar in vielen Fällen
sorge identifizieren, keineswegs trivial. In
auch Patienten sein. Die Apothekerin E t h isch e R e fle xio n is t n ic h t fü r de n
ethischer Perspektive ist der Wert der Gesteht dann sozusagen in einem Dreiecks- E l fe n b e in t u r m b e s t immt
sundheit und des Wohls ein hohes Ziel,
verhältnis zum Kunden, der Patient eines
unbestritten ein höheres Ziel als der maArztes ist, wie auch zu diesem Arzt, des- Man sollte natürlich nicht Ethik betreiben, terielle Gewinn. Aber diesen braucht es
sen Rezept sie ausführt. Weil ethische um damit berufspolitische Ziele zu verfol- eben auch, um ein Geschäft unterhalten
Fragen nicht losgelöst vom Kontext dieser gen. Denn das Ziel der Ethik ist das Ver- und in der Konkurrenz bestehen zu könBeziehungen zu diskutieren sind, in ständnis der Fragen, die sich in prak- nen. Gewinn ist ein instrumenteller Wert.
­denen sie entstehen, lassen sich auch die tischen Konfliktsituationen und DilemNicht nur Apotheken sind von dieser
Antworten nicht einfach aus der Ethik der mas stellen. Das bedeutet aber auf der Spannung zwischen Gewinn und Wohl
anderen Seite, dass die Ethik als Philoso- betroffen, sondern in ähnlicher Weise
Arzt-Patienten-Beziehung übertragen.
Die Situation einer pharmazeu- phie in der Praxis auch kein Selbstzweck auch jede Arztpraxis, jedes Spital und
tischen Ethik kann vielleicht mit der Pfle- sein kann. Ziel ist die gute Praxis, nicht selbstverständlich die pharmazeutische
geethik verglichen werden, die ebenfalls der «Elfenbeinturm» der akademischen Industrie. Auch in der Industrie gibt es
erst in den letzten wenigen Jahrzehnten Journale und Seminare.
Wissenschaftler, die sich am ärztlichen
Der ethische Fachdiskurs, der sich Ethos orientieren und die einen positiven
entstanden ist. Die Entwicklung eines
­eigenständigen Diskurses über die be- auch in Form einer spezifischen Fachlite- Beitrag zur Gesundheit und zum Wohl
sonderen ethischen Fragen, die in der ratur entwickeln muss und der auch ge- von Patienten leisten wollen, und es gibt
Perspektive pflegender Berufe auftreten, schützte Diskussionsräume braucht, er- Manager und Shareholder, die eher die
zeigte, dass die Pflege als Praxis nicht zu möglicht es, die Methoden und die be- Gewinnzahlen im Auge haben und den
verstehen ist, wenn man sie nur aus der grifflichen InstruWertekonflikt weitPerspektive der Medizin betrachtet. Die mente zu entverdrängt
Die ethische Theorie reflektiert, gehend
Pflege erlebte eine deutliche Aufwertung wickeln, die im
haben.
was in der Praxis wahr­
und Professionalisierung. Dies zeigt unter praxisbezogenen
Ein Wertekonanderem die Entstehung des Fachs der ethischen Nachflikt ergibt sich in
genommen wird
Pflegewissenschaften auch in der Schweiz. denken und für
allen diesen Fällen
Pflege ist nicht nur eine ausführende In- Diskussionen einam akutesten dort,
stanz, eine Dienstleistung für die Medizin, setzbar sind. Diese Fachdiskurse müssen wo zugunsten des Gewinns dem Wert der
sondern sie hat einen eigenen Zugang aber immer wieder von der Seite der Pra- Gesundheit oder dem Wohl der Betrofzum Patienten und daher auch eigene xis herausgefordert werden, damit ihr fenen (Kunden) zuwidergehandelt wird.
ethische Fragen, die sich aus diesem Zu- Abstand zur Praxis nicht zu gross wird. Dort steht auch das Vertrauen auf dem
gang stellen. Dazu gehören auch die Fra- Denn es geht nicht darum, dass die Praxis Spiel, das von Seiten der Kunden in der
gen der Koordination (oder von Kon- das ausführen müsste, was in der Erwartung besteht, dass Apotheker im
flikten) im Behandlungsteam und mit der ethischen Theorie hergeleitet wird. Das besten Interesse der Kunden handeln.
ärztlichen Hierarchie in den Kliniken.
Verhältnis ist eher umgekehrt so, dass die Ethik kann in solche Spannungen nicht
Ebenso ist auch die Apotheke ein Ort ethische Theorie das reflektieren muss, von aussen urteilend und rechtfertigend
der Begegnung zwischen einem hilfesu- was in der Praxis wahrgenommen wird.
einwirken. Ethik soll überhaupt nicht auf
chenden und Ansprüche stellenden Kundem hohen Ross der «Moral» daherkomden/Patienten und einer Berufsperson, Th e m e n f ü r eine umfassende
men und denen, die natürlich auch auf
die über ein wichtiges und spezifisches ­G e su n d h e it s e t h ik
den Gewinn schauen müssen, ein
gesundheitsbezogenes Fachwissen verschlechtes Gewissen machen. Aber sie
fügt und die eine bestimmte Autorität hat Die Umfrage hat gezeigt, dass für Apo- kann doch die Kompetenz der Einzelnen
und manchmal auch Macht ausstrahlt. theker ethische Fragen ein Thema sind. fördern, Abwägungen verantwortlich zu
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treffen, Verantwortungen zu erkennen Suchtgefährdete oder Süchtige, die in der nom zu sein. Es ist zudem etwas, das sie 15
und Freiheitsräume zu fordern, wo sie Umfrage genannt wurde, stellt ethische nicht für sich alleine vollbringen können,
nötig sind oder bedroht scheinen. Ein Fragen, bei denen die Details der einzel- sondern etwas, das Kommunikation und
Vorteil der umfassenderen Perspektive nen Situation eine Rolle spielen. Es mitgetragene Verantwortung von anderen
einer Gesundheitsethik wäre, dass ähn- kommt beispielsweise darauf an, wie erfordert. Autonomie ist drittens nicht
liche Probleme in verschiedenen Berufen suchtgefährdet der Kunde ist, wofür er etwas, das man in einem Augenblick ist,
oder in verschiedenen Institutionen (wie das Medikament
sondern ein ProApotheken, Spitälern, Firmen) auch im braucht, welches
zess. Er ist unterIn ethischer Perspektive ist
Zusammenhang diskutiert werden seine Betreuungsteilt in Schritte; er
der Wert der Gesundheit ein
könnten.
hat eine Geschichsituation ist, wie
Nehmen wir ein weiteres der in der viel die Apothekeoder ist eine Gehöheres Ziel als der materielle te
Umfrage genannten Themen hinzu: Die rin überhaupt wisschichte. Einige
Gewinn
Identität oder die Rolle des Berufsstandes sen kann usw. Die
dieser
Schritte
innerhalb des Gesundheitswesens. Auch Verantwortungsrekönnen für die Padies ist eine Problematik, die nur ver- lation besteht in
tienten auch über
ständlich wird, wenn man die verschie- erster Linie dem Betroffenen selbst, in die Apotheken führen, über die Erfahdenen Rollen und Identitäten der Ge- zweiter Linie aber auch der Familie, und rung mit Medikamenten, über die Gesundheitsberufe im Zusammenhang sieht. der Gesellschaft gegenüber. Es gibt ge- spräche, die sich dabei ergeben. Die PraDie heutige Rolle der Apotheken, ihre wisse Richtlinien (oder man kann solche xis der Pharmazie reicht deshalb weit in
Schwierigkeiten und Chancen, sind hi- erarbeiten). Diese wirken aber oft eher als die Medizin hinein.
storisch gewachsen, und zwar in wech- Hinweise, auf was es bei der Abklärung
Eine Reflexion über diese bedeuselseitiger Abhängigkeit mit der Entwick- alles ankommt, denn als Regeln, aus de- tenden Themen berührt selbstverständlung der Medizin, des Spitalwesens, der nen man Entscheidungen einfach ablei- lich auch die Ideen, die man hat, was
pharmazeutischen Industrie, des Versi- ten könnte. Entscheidungen können soli- ­einen «guten» Apotheker auszeichnet, alcherungswesens und des öffentlichen de oder willkürlich sein, je nachdem mit so die Vorstellung von der beruflichen
Gesundheitswesens (public health). Wenn wie viel Mühe und Umsicht man sie ge- Exzellenz. Die Fragen der Leitbilder entman kritische Reflexion betreiben will, fällt hat. Aber auch im besten Fall sind halten ethische Fragen und sie stellen
welches Rollenverständnis heute adäquat Einzelfallentscheide fehlbare Entscheide. sich auf dieser Ebene.
und ethisch vertretbar ist, muss man sich Es gibt gegen Fehler keine Garantie, aber
Es sind zweifellos Themen, die nicht
gleichzeitig über die funktionale Ver- die Möglichkeit, aus erkannten Fehlern nur die Einzelnen etwas angehen. Solanschränkung mit anderen Akteuren des zu lernen. Dafür ist der Austausch mit ge es keinen Austausch, keinen gemeinGesundheitswesens, mit anderen «An- anderen, die schon ähnliche Situationen sam geführten ethischen Diskurs darüber
bietern von Gesundheitsleistungen» (wie gelöst haben, fruchtbar.
gibt, kann es für die Einzelnen vielleicht
es im Jargon der Finanzierungsdebatte
Aus dem Verständnis für die einzel- scheinen, es seien bloss ihre «persönheisst), Rechenschaft ablegen. Wenn die- nen Fälle ergibt sich die gegenwärtig in lichen» Fragen und Probleme, keine
se Reflexion aber nur auf den einzelnen der Bioethik international wieder intensiv «wirklichen» Probleme, d.h. solche, die
Berufsstand beschränkt bleibt, kann sich geführte Diskussion um Autonomie und die Welt bewegen. Dieser Eindruck
die Reflexion nur soweit bewegen als die um ihre Schwierigkeiten in der konkreten täuscht. Er ist nur eine Folge davon, dass
Spielräume reichen, die von den anderen medizinischen Wirklichkeit. Auch in der es den gesundheitsethischen Diskurs, der
Akteurgruppen geUmfrage wurde von der Pharmazie aktiv mit geführt wird,
setzt sind. Das
das Thema der fra- noch nicht wirklich gibt.
Pharmazeutische Ethik kann
Gleiche gilt im Übgilen Autonomie
ein Signal sein, dass sich
rigen für die andegenannt. Die Ethik Fazit
ren Berufsgruppen
ist gegenwärtig daApotheker ihrer berufs­
auch. Letztlich soran
einzusehen, Ansatzweise, vor allem in Form der Thespezifischen Verantwortung
gar auch für die
dass das Thema der men und Fragen, ist eine pharmazeuMedizin, die vielSelbstbestimmung tische Ethik heute schon erkennbar. Sie
bewusst sind
leicht am längsten
nicht abgeschlos- kann zukünftig ausgebaut und belebt
noch ein (je länger
sen ist. Die moder- werden – und sollte es auch.
desto fragwürdigeres) Bewusstsein von ne Medizinethik hat sich aus einer Kritik
Mit der Etablierung der Ethik als
unabhängiger Gestaltung und Führung am ärztlichen Paternalismus ergeben und Ausbildungsfach wird die ethische Refleim Gesundheitswesen aufrechterhält. Erst hat zur Installation des Leitprinzips der xion und damit auch das Thema Veranteine zusammengeführte Reflexion auf der Autonomie geführt. Damit ist aber noch wortung fest in der Ausbildung veranEbene des Gesundheitswesens ist in der nicht alles gesagt. Denn wie können kert.
Lage, die notwendige Gesamtperspektive Menschen autonom sein? Wie können sie
Dies könnte sich langfristig auf Bezu entwickeln.
das, wenn sie krank sind, Schmerzen oder rufsalltag und Berufsstand auswirken
Eine ganz andere Herangehensweise Angst haben? Wie können sie das in den durch Verlagerung der Reflexions- und
fordert die Diskussion von Entschei- Machtgefügen der Kliniken? Für wirk- Diskussionsbereitschaft von ethischen
dungen in schwierigen Einzelfällen. Me- liche Patienten ist es oft nicht selbstver- Themen, von der heute vollständig individikamentenabgabe an Jugendliche, an ständlich, sondern eine Aufgabe, auto- duellen auf die gemeinsame Berufsstands­
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ebene. Durch gemeinsam formulierte und
diskutierte ethische Grundsätze, Rahmenbedingungen und Stellungnahmen
würde die einzelne Berufsperson in ihrer
Entscheidungsfindung gestützt und die
Verantwortung durch den Berufsstand
mitgetragen.
Eine berufseigene Ethik wird umso
wichtiger, je komplexer die Zusammenhänge werden, wenn es um das Dilemma
zwischen Fakten und Werten, also nicht
mehr um rein rational begründbare, sondern um komplexe Fragen und auch um
nicht in allen Aspekten verallgemeinerbare Individualentscheide geht. Und damit wird mit Sicherheit zukünftig zu
rechnen sein.
z
Korrespondenzadressen
Elisabeth Anderegg-Wirth, eidg. dipl. Apothekerin
Rychenbergstrasse 21, 8400 Winterthur
E-Mail: elisabeth.anderegg@ swissonline.ch
Christoph Rehmann-Sutter, Prof. Dr. phil., dipl. biol.
Arbeitsstelle für Ethik in den Biowissenschaften,
Universität Basel
Schoenbeinstrasse 20, 4056 Basel
Tel. +41 61 260 11 32 / Fax +41 61 260 11 33
E-Mail: [email protected]
www.unibas.ch/ifgem
Präsident der Nationalen Ethikkommission im Bereich
Humanmedizin www.nek-cne.ch
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Résumé
Existe-t-il une éthique pharmaceutique?
La mise en place du nouveau département «Communication, compétence sociale, éthique» durant l’année d’assistanat
de l’Université de Bâle a donné l’occasion
de concevoir la matière de l’éthique pharmaceutique. Il n’existait pratiquement
aucun fondement sur lequel s’appuyer. Il
a d’abord fallu déterminer quels sont les
thèmes en matière d’éthique professionnelle qui préoccupent les pharmaciens.
Un sondage exploratoire a montré que les
questions d’éthique étaient nombreuses
mais que les principes et les chartes dans
ce domaine étaient peu nombreux et peu
connus.
A travers leur enseignement, les deux
auteurs souhaitent instiller chez les futurs
professionnels les bases d’une réflexion
systématique et favoriser la discussion
ouverte et transparente sur les problèmes
éthiques dans le quotidien de la pharmacie. La mise en place de l’éthique comme
matière de formation va solidement ancrer la réflexion éthique et donc le thème
de la responsabilité dans le cursus.
Sur le long terme, cela pourrait avoir des
conséquences sur le travail quotidien et
sur la profession en raison de la volonté
de transférer la réflexion et la discussion
des thèmes éthiques du niveau totalement individuel au niveau global de la
profession. Des principes, conditions-cadres et prises de position éthiques formulés ensemble aideraient le professionnel à
prendre ses décisions et feraient peser
une partie des responsabilités sur la profession.
Une éthique spécifique à la profession est d’autant plus importante que les
interactions deviennent plus complexes.
Et ceci sera assurément le cas à l’avenir.z
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