Universität Zürich, Soziologisches Institut Seminar: Demokratie und Oligarchie in sozialen Systemen, FS 11 Prof. Hans Geser Handout zum Referat „Demokratie und das eherne Gesetz der Oligarchie“ von Stefan Abt „Mit zunehmender Organisation ist die Demokratie im Schwinden begriffen“ Robert Michels Seite 26 1. Ehernes Gesetz der Oligarchie Dieses „Gesetz“ beschreibt den Wandel von demokratischen Strukturen zu oligarchischen Strukturen in Organisationen. Robert Michels betrachtete diesen Vorgang in Parteien und Gewerkschaftsverbänden. In der aktuellen Forschung wird dieses Gesetz ebenfalls auf Gültigkeit in anderen Organisationen geprüft, unter anderem gibt es Forschung zu den Strukturen innerhalb der Wikipedia. Ursprünglich demokratisch organisierte Parteien werden bei zunehmender Mitgliederzahl und der Etablierung eines bürokratischen Apparats innerhalb dieser, zunehmend oligarchisch. Diese Entwicklung wird durch mehrere Faktoren ermöglicht, welche Robert Michels in dem uns vorliegenden Text beleuchtet. 2. Mechanische und technische Unmöglichkeit der unmittelbaren Massenherrschaft Unter unmittelbarer Massenherrschaft wird verstanden, dass jedes Mitglied einer Gruppe an der Entscheidungsfindung der Gruppe teilhaben kann. D. h. in Bezug auf Staaten die absolute Volkssouveränität, die sich in Volksversammlungen und Abstimmungen äussert, deren Entschlüsse auch geltenden Charakter haben. In diesem Zustand herrscht absolute Demokratie. Wächst nun die Mitgliederzahl dieser Parteien stellen sich ihr mehrere Probleme, die sie zu lösen hat um die demokratische Willensbildung zu gewährleisten. 2.1 Räumlichkeit: Zunächst müssen Lokalitäten gefunden werden, die gross genug sind, um möglichst allen Mitgliedern Platz zu bieten, da ansonsten dadurch die Teilnahme an Vollversammlungen für einen Grossteil der Partei nicht möglich ist. Eine Möglichkeit ist die Versammlung im Freien. Dieses wird jedoch durch Wetterereignisse und das vorherrschende Klima in seiner Anwendbarkeit beschränkt. Ausserdem sprengt selbst ein „Open Air“ Event das Fassungsvermögen der meissten öffentlichen Plätze. 2.2 Themenfindung: steigende Mitgliederzahl bedeutet ebenfalls steigende Stimmenanzahl. Das soll heissen, dass bei Vollversammlungen, an denen über Themen diskutiert und abgestimmt werden soll, eine Auswahl getroffen werden muss, welche Themen an diesem Treffen besprochen werden sollen, da der Umfang der Themen ansonsten zu gross werden würde. 2.3 Grosse Massen sind anfälliger für äussere Einflüsse bei der Entscheidungsfindung als kleinere Gruppen. Michel Roberts führt dazu an, dass grosse Massen dazu neigen, weniger reflektiert mit Themen umzugehen und anfälliger für emotionale Entscheidungen sind. 2.4 Parteien, die sich aufgrund von Konkurrenz zu anderen Parteien behaupten müssen, brauchen eine geeignete Struktur um ihre Kräfte für den politischen Kampf zu bündeln. Nach Michels entspricht diese einer Hierarchie, die der des Militärs nicht unähnlich ist. Zentralisierung der Macht um Abläufe möglichst effizient und schnell zu machen, damit dem Michels, Robert „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie.“ Kröner Verlag, Stuttgart 1970, 24-86. Stefan Abt 10.03.2011 Universität Zürich, Soziologisches Institut Seminar: Demokratie und Oligarchie in sozialen Systemen, FS 11 Prof. Hans Geser täglichen Kampf begegnet werden kann. Demokratie sei mit Schlagfertigkeit nicht vereinbar, sondern träge und verschleppend. Um diese Probleme zu lösen, entsteht die Notwendigkeit des Delegierens. Aufgaben werden an Personen oder Personengruppen übertragen, um diese effizienter zu lösen. Das bedeutet, dass die unmittelbare Demokratie unter Zuhilfenahme des Repräsentativsystems arbeitet. 3. Führer und Führerschaften: Mit zunehmender Komplexität, welche einhergeht mit der Grösse der Partei, benötigen die gewählten Vertreter zunehmend Kompetenzen, um die an sie delegierten Aufgaben erfüllen zu können. Diese Kompetenzen sind unter anderem schulisch erlernte oder selbst angeeignete. Durch diese erworbenen Kompetenzen, welche die Vertreter den anderen Mitgliedern, bzw. der Basis voraushaben, gewinnen sie zunehmend Möglichkeiten der Einflussnahme auf das parteiliche Leben. Dieses wird problematisch wenn dadurch der Wille der Majorität übergangen wird. 3.1 Parteien und Gewerkschaften erleben den Effekt, dass der Platz in den Versammlungshallen nur dann eng wird, wenn Themen von allgemeinem Interesse auf dem Plan stehen, bzw. ein mitreissender Redner angekündigt wurde. Der Grossteil der Mitglieder zeigt kein Interesse an internen Parteithemen. Dadurch entsteht eine Minorität von Aktiven, welchen im stillen Einverständnis durch die Majorität in diesem Moment die Kompetenz zugesprochen wird für die desinteressierte Majorität zu bestimmen. Oder in anderen Worten: Das Wahl- und Mitbestimmungsrecht wird von Wenigen genutzt, was zufolge hat, dass der Wille der Wenigen massgebend wird. 3.2 Delegierte sind sich ihrer Stellung gegenüber der grossen Masse bewusst und handeln dadurch teils manipulativ. Dies äussert sich unter anderem mit der Androhung von Demission wenn es zu Reibungen zwischen Delegierten und der Basis kommt. Durch die mögliche Demission wird der Basis, aber auch anderen Teilen der Führung bewusst, welche Wichtigkeit die Person für das innerparteilich Leben innehat und scheut davor zurück es zu dieser Demission kommen zu lassen. Dieses Druckmittel taugt natürlich nur für wirklich kompetente Führer gegenüber ihrer Opposition, da sie ansonsten gehen gelassen werden. Demission ist eine ausgesprochen demokratisch wirkende Geste, welche jedoch oft dazu verwendet wird, den persönlichen Willen gegenüber dem Willen der Masse bzw. der Kritiker durchzusetzen. 3.3 Ein weiteres Problem von Führerschaften gründet in dem von Michels aufgezeigten Verehrungsbedürfnis der Masse gegenüber ihren Führern. Diese Verehrung ufert teils in die Erhebung des Führers in den Status eines Übermenschen, zu dem die Mitglieder aufsehen. Durch diese Verehrung werden die Verehrten geschmeichelt, bisweilen überheblich, stellen sich selbst in diese Position und können diese auch für ihre Zwecke nutzen, bewusst oder unbewusst. 3.4 Charismatische Führer, die mit einer Rede die Masse bewegen können und diese rauschhaft mitreissen, sind in der Lage die Massen dazu zu bringen ihnen zu folgen, auch wenn ihre Anschauungen nicht die der Masse sind. Sie benötigen auch nicht die sachliche Kompetenz, um ihre Position einzunehmen. Michels, Robert „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie.“ Kröner Verlag, Stuttgart 1970, 24-86. Stefan Abt 10.03.2011