„in vivo`` -- Das Magazin der Deutschen Krebshilfe vom 09.11.2010

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„in vivo‘‘ --- Das Magazin der Deutschen Krebshilfe vom 09.11.2010
Expertengespräch zum Thema „Retinoblastom‘‘
Annika de Buhr, Moderatorin:
Und zu diesem Thema begrüße ich jetzt Professor Norbert Bornfeld, Direktor des Zentrums der Augenheilkunde am Universitätsklinikum in Essen. Schön, dass sie zu uns gekommen sind, Professor
Bornfeld. Wenn Niklas schon im Vorfeld schlecht oder eingeschränkt sehen konnte, hatte er diesen
Tumor dann schon seit Geburt an?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Er wird ihn mit Sicherheit seit Geburt an gehabt haben, aber natürlich nur in einer kleineren, geringeren Form mit wenigen Zellen. Der Tumor braucht eine ganze Zeit um sich soweit zu entwickeln,
aber die Anlage zu diesem Tumor hat er wahrscheinlich schon seit Geburt an gehabt.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Hatte er vielleicht Glück im Unglück, dass der Tumor nicht schon weiter ins Gehirn gewachsen war?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Der Tumor war schon relativ weit, aber er hatte dennoch Glück im Unglück. Man ist sicherlich noch
rechtzeitig gekommen und deshalb konnte man noch alles tun. Er hat jetzt eine exzellente Chance
von seinem Tumorleiden geheilt zu werden und für den Rest seines Lebens als gesunder Mensch zu
leben.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Professor Bornfeld, wir werden gleich noch tiefer in die Materie einsteigen. Jetzt aber wichtige Informationen kurz gefasst, im Film:
Film:
Etwa 60 Kinder erkranken in Deutschland jährlich an dem Retinoblastom, einem bösartigen Tumor
in der Netzhaut des Auges. Es zählt damit zu den seltenen Krebsarten bei Kindern. Ist nur ein Auge
betroffen, spricht man von einem unilateralen Retinoblastom. In den meisten Fällen ist diese Form
nicht erblich bedingt. Beim bilateralen Retinoblastom dagegen sind beide Augen betroffen. Meistens ist diese Diagnose ein Hinweis auf eine vererbbare Variante der Erkrankung. Der Tumor tritt
fast immer bei Kindern vor dem fünften Lebensjahr auf, da das Wachstum des Retinoblastoms nur
von den unreifen Netzhautzellen ausgehen kann. Ein simpler Test hilft, um zu erfahren, ob ein Kind
möglicherweise erkrankt ist. Fotografieren sie ihr Kind frontal mit Blitz. Die Funktion, die den roteAugen-Effekt verhindert, soll ausgeschaltet sein. Bei gesunden Augen leuchten die Augen rot auf.
Ein weißer Fleck dagegen kann ein Hinweis auf eine Erkrankung sein. Ob die Behandlung des
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Retinoblastoms aus Laser-, Strahlen-, Kälte- oder Chemotherapie besteht, beziehungsweise mit
einer Entfernung des betroffenen Auges einhergehen muss, hängt von verschiedenen Kriterien ab:
Vom Alter des Kindes, in welchem Stadium der Krebs erkannt wurde und ob es sich um ein einoder beidseitiges Retinoblastom handelt. Unbehandelt führt das Retinoplastom immer zum Tod.
Wird es aber frühzeitig erkannt und therapiert, können fast alle betroffenen Kinder geheilt werden.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Gibt es denn irgendwelche alarmierenden Hinweise? Worauf sollte man achten?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Es gibt einen entscheidenden Hinweis und die Elterninitiative betroffener Eltern hat sich sehr bemüht, dieses Wissen zu verbreiten. Der entscheidende Hinweis, so war es auch in diesem Fall, war
der weiße Reflex in der Pupille. Wir alle kennen die Fotos bei denen wir uns über rote Augen ärgern,
zum Beispiel die schönen Familienfotos. Dieser Reflex ist aber ganz gut. Denn wenn dieser Reflex
nicht mehr so ist und weiß wird, dann ist das ein typisches, ganz kritisches Zeichen, dass ein
Retinoblastom vorliegen könnte. Das ist ein Alarmzeichen, was man sicherlich kurzfristig klären
muss. So war es auch in diesem Fall gewesen.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Anders als bei anderen Krebsarten, kann man diesen Krebs wirklich mit bloßem Auge erkennen?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Wenn der Tumor ganz klein ist, kann man das nicht. Aber wenn der Tumor schon etwas fortgeschritten ist, kann das sein. In vielen Fällen ist nur ein Auge betroffen und das zweite ist gesund. Dann
kann man diesen Tumor mit bloßem Auge sehen. Spätestens wenn man Fotos hat, welche mit einem Blitz gemacht wurden, sieht man, dass der rote Augenreflex auf einem Auge nicht mehr vorhanden ist. Das ist ein ganz typisches Zeichen.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Wie wird denn ein Retinoblastom diagnostiziert?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Wenn man den Verdacht hat, kann man ein Retinoblastom relativ einfach diagnostizieren. Wenn
man als Augenarzt das Kind unter Narkose untersucht, es sind ja kleine Kinder, die nicht mitarbeiten können, dann kann man eigentlich durch Spiegeln des Augenhintergrundes den Tumor in der
Regel ganz gut diagnostizieren und hat die Möglichkeit, die Diagnose dadurch mit relativ einfachen
Mitteln festzustellen. Man braucht weitere Untersuchungen, um zu sehen wie ausgedehnt der Tumor ist, aber die erste Diagnose kann man relativ einfach und schnell stellen.
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Annika de Buhr, Moderatorin:
Wie breitet sich das Retinoblastom aus?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Das Retinoblastom entsteht in der Netzhaut des Auges und wächst dann immer weiter. Das heißt,
dass es irgendwann das Auge ausfüllen wird. Es wächst entlang des Sehnervs und dann aus dem
Auge heraus. Was man natürlich am meisten fürchtet ist, dass der Tumor den Weg aus dem Auge
findet und das Auge verlassen kann. Das Kind erblindet und wird durch diesen Tumor gefährdet,
weil der Tumor das Auge verlässt und dann die Möglichkeit hat, außerhalb des Auges weiterzuwachsen.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es heutzutage?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Eine der Therapiemöglichkeiten, die man hat, ist, dass man das Auge entfernt. Wenn das Auge vollständig erblindet und das Auge durch den Tumor zerstört ist, dann muss man den Eltern, so
schlimm das auch ist, empfehlen, dass man das Auge entfernt, weil man keine andere Möglichkeit
hat. Ein blindes Auge kann man sinnvollerweise nicht behandeln.
Mittlerweile haben sich in den letzten Jahren die Möglichkeiten, einen solchen Tumor zu behandeln, ganz erheblich verbessert. Wir verfügen heute über sehr gute medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten, die sich auch in der letzten Zeit noch weiter verbessert haben. Wenn es noch eine
Chance gibt, das Auge und das Sehvermögen zu erhalten, haben wir heute eine Brandbreite von
verschiedenen Möglichkeiten einen solchen Tumor zu behandeln.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Welche Komplikationen kann es denn durch die Therapie geben?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Es hängt davon ab, welche Therapie man auswählt. Wenn man eine Chemotherapie macht, dann ist
das natürlich wie bei allen Chemotherapien unter Umständen sehr eingreifend. Es gibt die üblichen
Komplikationen. Die auffälligste, gewissermaßen sichtbarste ist, dass die Haare ausfallen. Das ist
natürlich nur eine der Komplikationen, die man sehen kann.
Wenn man bestrahlt, kann es durch die Bestrahlung entstehend zu Wachstumsstörungen kommen.
Wenn man weniger machen muss, also weniger eingreifend tätig ist, wie zum Beispiel bei einer
Laser- oder Kältebehandlung, dann treten deutlich weniger Komplikationen auf. Es hängt viel davon
ab, wie fortgeschritten der Tumor ist. Aber in aller Regel hat man, wenn man eine Chance sieht, das
Auge zu erhalten, in der Regel auch eine exzellente Chance, das Auge zu erhalten. Es sei denn es ist
von vorne herein verloren. Die Komplikationen, die auftreten können, sind vor allem auch vorübergehende Komplikationen, die im Laufe der Zeit auch wieder verschwinden.
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Annika de Buhr, Moderatorin:
Professor Bornfeld, warum haben Kinder mit einem Retinoblastom ein erhöhtes Hautkrebsrisiko?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Sie haben eigentlich kein erhöhtes Hautkrebsrisiko. Sie haben insgesamt, wenn sie eine Form
des Retinoblastoms haben, die vererbt ist, ein erhöhtes Risiko, andere Tumore zu bekommen. Man
weiß heute, dass das Gen, das zum Retinoblastom führt - und das war eine der ersten Erkrankungen, bei der man das tatsächlich nachweisen konnte, dass ein bestimmtes Gen einen Tumor hervorrufen kann -, dass wenn dieses Gen defekt ist, so wie es bei den Retinoblastomkinder in etwa
der Hälfte der Fälle sein kann, dann haben diese Kinder ein erhöhtes Risiko andere Tumore zu bekommen.
Man kann daran sehen, dass es ein Gen ist, und die Tätigkeit beziehungsweise die Funktion dieses
Gens notwendig ist, um zu verhindern, dass man Tumore bekommt. Warum Kinder mit einem solchen Gendefekt erst ein Retinoblastom bekommen und nicht andere Tumore, dass weiß man nicht.
Man weiß aber sehr genau, dass diese Kinder insgesamt ein erhöhtes Risiko haben, Tumore zu
bekommen. Warum das Retinoblastom das häufigste ist, weiß man bis heute nicht.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Welche Möglichkeiten der Prävention haben wir denn?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Es gibt zwei Möglichkeiten der Prävention. Die eine Möglichkeit ist, dass wenn man ein Verdacht
hat, zum Beispiel auf Grund des weißen Reflexes im Auge, nicht lange wartet und das Kind sofort
untersuchen lässt. Der zweite wesentliche Punkt ist, dass man Kinder, die oft als Erstsymptom ein
Schielen haben können, auch untersuchen lässt, um festzustellen, ob möglicherweise ein Tumor
dahinter steckt. Alle Kinder, die anfangen zu schielen, muss man untersuchen! Ein ganz wesentlicher Punkt ist, dass Kinder, bei denen ein Elternteil an einem Retinoblastom erkrankt ist, sehr früh
untersucht werden, um erkennen zu können, ob sich ein Tumor entwickelt. Solche Kinder untersuchen wir schon unmittelbar nach der Geburt. Dazu kommt natürlich auch die genetische Untersuchung.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Haben sie noch einen abschließenden Rat für die Patienten oder die Eltern der Patienten in diesem
Fall?
Prof. Dr. Norbert Bornfeld, Universitätsklinikum Essen:
Der Rat ist, dass wenn man einen Verdacht hat, sehr früh zum Augenarzt geht und es nicht auf die
lange Bank schiebt. Man hat heute eine exzellente Chance, diesen Tumor zu behandeln. Auch Kinder, bei denen man keine andere Möglichkeit gehabt hat als das Auge zu entfernen, haben danach
ein exzellentes Leben. Sie gewöhnen sich daran und lernen. Wir kennen viele dieser Kinder, wir
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untersuchen sie gerade im Rahmen einer von der Krebshilfe geförderten Studie. Viele dieser Kinder, fast alle, führen ein völlig normales Leben, auch wenn tatsächlich ein Auge verloren gegangen
ist.
Annika de Buhr, Moderatorin:
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Bornfeld. Alle weiteren Informationen zu diesem
Thema und auch zu anderen Themen natürlich im Internet unter www.krebshilfe.de. Und falls sie
dringende Fragen haben, dann wenden Sie sich doch an die Experten der Deutschen Krebshilfe
(Tel:02 28 / 7 29 90-95).
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