I/B Themen der antiken Kultur und Geschichte 10 Römische Familie 1 von 24 (K)ein Platz für Gefühle? Die familia Romana (7./8. Klasse) Dr. Sven Günther, M.A., Yokohama © akg-images/Bildarchiv Steffens U A H C S R O V Vater, Mutter, Kind – so sieht heute (noch) das klassische Bild einer Familie aus. Die Römer hatten demgegenüber ein viel umfassenderes Bild von familia, was die Übersetzung „Familie“ nur unzureichend abbilden kann. Denn der Begriff familia umfasste auch weitreichende rechtliche, soziale, religiöse und sogar politische Aspekte. Warum gab es innerhalb der familia kaum einen rechtlichen Unterschied zwischen einem Kind und einem Sachwert? Wie spiegeln römische Namen den Aufbau einer familia wider? Inwiefern spielte der Begriff „Emanzipation“ vor allem auch für römische Männer eine Rolle? Diesen und vielen weiteren Fragen gehen die Schülerinnen und Schüler in dieser Einheit nach. Klassenstufe: 7./8. Klasse, 2./3. Lernjahr, Latein als 2. FS Dauer: 5 Stunden Bereich: Leben in Staat und Gesellschaft, römische Familie, Namensgebung, römische Eheriten, Emanzipationsakt zur Vollversion 28 RAAbits Latein Februar 2013 2 von 24 Römische Familie Themen der antiken Kultur und Geschichte 10 I/B Fachliche Hinweise Betrachtet man moderne, soziologisch motivierte Deinitionen von „Familie“, wird in der Regel auf eine enge, miteinander verwandte Gruppe von Personen abgestellt, ganz klassisch die VaterMutter-Kind-Konstellation, gegebenenfalls erweitert um weitere, „im Haushalt lebende“ Generationen wie Großeltern oder Enkel. Hingegen ist der lateinische Terminus familia sehr viel breiter konnotiert: Nach der hier summarisch wiedergegebenen Deinition in den justinianischen Digesten (50, 16, 195) bezieht er sich sowohl auf Dinge ( res ) als auch auf Personen ( personae ), die der (Verfügungs-)Gewalt ( patria potestas ) eines Hausherrn ( dominus /pater familias ) unterstehen. Der „pater familias“ – Träger der „patria potestas“ Alle einer familia zugehörigen Dinge oder Personen waren dabei letztlich von einem Träger der väterlichen Hausgewalt ( patria potestas ) abhängig, dem pater familias. Dieser hatte zumindest de jure die unumschränkte Verfügungsgewalt über die familiares, was bei den ihm unterstehenden Personen auch das Recht über Leben und Tod umfasste (ius vitae necisque ). Letzteres wurde jedoch de facto schon in der Frühen Republik durch staatliche Regelungen eingeschränkt: So wurde etwa vor Ausübung der Strafgewalt ein Beirat ( consilium ) hinzugezogen oder die Angelegenheit an staatliche Stellen (z. B. den Prätor) übergeben. Die väterliche Liebe wird ihr Übriges zur Beschränkung des Strafrechts auf Einzelfälle getan haben. U A H C Für familia im Sinne von „Familie“ war in der Römischen Republik zunächst einmal das Prinzip der Agnation maßgeblich. Unter den Agnaten verstand man dabei alle Personen, die unter der Hausgewalt eines pater familias standen oder noch stünden, wenn dieser noch lebte. Leitgedanke war hierbei, dass Hausgewalt nur über den Mannesstamm weitervermittelt werden könne. In diesem Sinne war die agnatische familia nicht auf Blutsverwandtschaft aufgebaut, sondern umfasste die in rechtlicher Hinsicht der Gewalt des pater familias unterworfenen Personen: Dazu gehörten neben den aus legitimer Ehe stammenden Kindern beispielsweise auch „adoptierte“ Kinder oder auch eine Ehefrau, die sich mit der Eheschließung in die Gewalt ihres Mannes ( manus -Ehe) begab und somit rechtlich aus ihrer alten familia ausschied. Bedeutung hatte die agnatische Verwandtschaftslinie insbesondere beim Erbrecht, da hier diese Gruppe bevorzugt wurde. In der Späten Römischen Republik und v. a. in der Römischen Kaiserzeit bekam die kognatische, i. e. blutsverwandte Linie vermehrt rechtliche Bedeutung, u. a. auch im Erbrecht, und überlagerte schließlich das agnatische Prinzip zusehends. Der pater familias blieb jedoch stets das Oberhaupt der Familie und deren Rechtsvertretung nach außen, etwa gegenüber Gerichten und staatlichen Stellen. S R O V „Nomen est omen“ – Was Namen über Familienstrukturen verraten Das agnatische Prinzip lässt sich auch an der Nomenklatur ablesen. Grundsätzlich hatte ein männlicher römischer Bürger fünf Namenselemente (von denen zwei bzw. drei Elemente weggelassen werden können): 1.) Vorname ( praenomen ); 2.) Name des Familienstammes ( nomen gentile ); 3.) [Filiation]; 4.) [Angabe der Tribus (als Kriterium des römischen Bürgerrechts)]; 5.) [Beiname (cognomen )] Die männliche Linie war für die Weitergabe des Familiennamens ( nomen gentile plus cognomen ) verantwortlich. In der Regel erhielt so der älteste Sohn den gleichen Namen wie sein Vater. Weibliche Personen wurden meist nur mit dem nomen gentile im Femininum bezeichnet, so z. B. Livia. Manchmal wurde er mit einem cognomen ergänzt (Livia Drusilla). Dies zeigte die Abkunft aus einer bestimmten gens, spielte jedoch für die Weitergabe an Kinder keine Rolle, da diese ja im Familienstamm des Vaters integriert waren. Die Zugehörigkeit von Sklaven zu einer familia wurde durch den Zusatz des Namens (oft des cognomen ) des Herrn im Genitiv angezeigt, mit oder ohne den Zusatz servus. Freigelassene erhielten den Vor- und Familiennamen des Freilassers und als cognomen den (ehemaligen) Sklavennamen; die (natürlich fehlende) Filiation wurde durch die Formel libertus /liberta mit dem prae28 RAAbits Latein Februar 2013 zur Vollversion 6 von 24 Römische Familie Themen der antiken Kultur und Geschichte 10 I/B 3./4. Stunde Thema Die Braut, die sich (nicht) traut? – Rituale und Recht bei römischen Hochzeiten Material Verlauf M 6, M 7 Brautraub! / Einführung in symbolische Handlungen der Hochzeitszeremonie mit aitiologischem Hintergrund M8 So reiche zum Bunde die Hände / Erarbeitung der unterschiedlichen rechtssymbolischen Eheschließungsformen und deren (rechtliche) Folgen für die Braut 5. Stunde Thema U A Gleiches Recht für alle? – Männer und Frauen in der römischen „familia“ Material Verlauf M9 Wer hat die Hosen an? / Problematisierung der unterschiedlichen Auffassungen von Gleichberechtigung in Antike und Moderne M 10 Ein großer Schritt, nicht nur für Frauen / Erarbeitung des römischen (Rechts-)Verständnisses der Emanzipation als Schritt in die rechtliche Unabhängigkeit von der familia Materialübersicht 1. Stunde: M 1 (Fo) M 2 (Bi/Tx) M 3 (Tx/Ab) H C S R familia = Familie? – zur Struktur der römischen familia Der Grabstein des Blussus aus Mainz Eine ganz normale Familie? – der Grabstein des Blussus aus Mainz Kein einfaches Wort: familia O V 2. Stunde: M 4 (Ab) M 5 (Ab) Namen sind nicht Schall und Rauch! – Namensgebung in der römischen familia Ruf doch mal „Björk“ an! – was Namen über Familienstrukturen verraten Namen mit Botschaft – das Namenssystem der Römer 3./4. Stunde: M 6 (Fo) M 7 (Bi/Tx) M 8 (Tx/Ab) Die Braut, die sich (nicht) traut? – Rituale und Recht bei römischen Hochzeiten Ein antiker Hochzeitsbrauch Aus Ernst wird Spaß – der Brautraub als Teil der Hochzeitszeremonie So reiche zum Bunde die Hände – Eheformen bei den Römern 5. Stunde: M 9 (Bi/Tx) M 10 (Ab/Tx) Gleiches Recht für alle? – Männer und Frauen in der römischen familia Wer hat die Hosen an? – die Arbeitsteilung im Haushalt Emanzipation – ein großer Schritt, nicht nur für Frauen! Lernerfolgskontrolle: Wer bestimmt über wen? (nach Gai. Inst. 1, 48 f.) Die Vokabelhilfen zu allen Texten dieses Beitrags können Sie als Abonnent/-in in unserem Webshop kostenlos als veränderbare Word-Datei herunterladen und an die individuellen Bedürfnisse Ihrer Lerngruppe anpassen: http://latein.schule.raabe.de (Word-Download RAAbits Latein „Vokabelhilfen EL 28“). 28 RAAbits Latein Februar 2013 zur Vollversion M1 M6 Der Grabstein des Blussus aus Mainz Ein antiker Hochzeitsbrauch Aufgaben Aufgaben 1. Beschreibe den Grabstein. 1. Beschreibe das Gemälde. 2. Stelle Vermutungen über die abgebildeten Personen und deren Beziehung zueinander an. 2. Das Gemälde heißt „Raub der Sabinerinnen“. Informiere dich in einem Lexikon über die Hintergründe der antiken Legende. © akg-images/Erich Lessing Das Gemälde von Nicolas Poussin (1594–1665) zeigt eine Szene, die sich angeblich kurz nach der Gründung Roms ereignet hat. Römische Familie 7 von 24 © akg-images/Bildarchiv Steffens Themen der antiken Kultur und Geschichte 10 28 RAAbits Latein Februar 2013 O V I/B H C S R Grabstein des keltischen Reeders Blussus aus Mogontiacum (Mainz), erste Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. U A zur Vollversion I/B Themen der antiken Kultur und Geschichte 10 Römische Familie 9 von 24 M3 Kein einfaches Wort: familia Dir kommt der Verdacht, dass das lateinische Wort „familia“ noch mehr als bloß „Familie“ bedeutet. Leider hast du momentan kein zweisprachiges Wörterbuch zur Hand. Dir fällt jedoch ein einsprachiges lateinisches Wörterbuch in die Hände, und unter dem Stichwort „familia“ bekommst du Folgendes zu lesen: familia <ae> f.; hoc verbum in temporibus Romanis multas signiicationes1 habebat. Imprimis2 id signiicat3 societas hominum, qui in una domo vivunt et potestatem unius4 viri parent. 10 U A H C Deinde omnes homines ad familiam pertinent14, qui sub dominio15 domini (is est pater familias) sunt, ergo et servi et servae. Igitur „familia“ societas servorum servarumque signiicare potest. Tertium16 familia ad res pertinent, quae in bonis17 patris familias sunt, exempli gratia pecunia, res immobiles18 et alia. S R © iStockphoto 5 Primum illae personae nucleus5 familiae sunt, quae in consanguinitate6 sunt, exempli gratia7 pater familias8, mater familias, ilius familias, ilia familias. Pater familias patriam potestatem9 suam in iliis iliabusque10 suis, nonnumquam11 et in uxore sua (in manu12) exercet13. 1 sīgniicātiō, ōnis f.: Bedeutung – 2 imprīmīs (Adv.): vor allem, in erster Linie – 3 sīgniicāre: Verb zu sīgniicātiō, vgl. Anmerkung 1 – 4 ūnīus: Genitiv von ūnus, a, um – 5 nucleus, ī m.: Kern – 6 cōnsanguinitās, ātis f.: (Bluts)verwandtschaft – 7 exemplī grātiā: zum Beispiel – 8 familiās: alter Genitiv Sg. von familia – 9 patria potestās, patriae potestātis f.: väterliche Hausgewalt – 10 iliabus: Ersatzform von iliīs zur Unterscheidung von m. und f. – 11 nōnnumquam (Adv.): manchmal – 12 manus, ūs f.: hier: Hausgewalt des Ehemannes – 13 exercēre (aliquid in aliquō): etwas über jemanden ausüben – 14 pertinēre, tineō, tinuī: sich auf etwas beziehen, zu etwas gehören – 15 dominium, ī n.: Gewalt – 16 tertium (Adv.): drittens – 17 bona, ōrum n. Pl.: Vermögen – 18 rēs immōbilēs, rērum immōbilium f. Pl.: Immobilien O V Aufgaben 1. Übersetzt den Text in Partnerarbeit. 2. Stellt die unterschiedlichen Bedeutungen des lateinischen Begriffs familia graisch dar. Überlegt euch hierzu Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Bereiche. 3. Vergleicht eure Beobachtungen mit dem ersten Abschnitt der modernen Deinition von Familie in Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Familie). Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es? zur Vollversion 28 RAAbits Latein Februar 2013 18 von 24 Römische Familie Themen der antiken Kultur und Geschichte 10 I/B M9 Wer hat die Hosen an? – die Arbeitsteilung im Haushalt © Peter Thulke/toonpool U A H C S R Karikatur zur Emanzipation von Frau und Mann Der römische Schriftsteller Columella (1. Jahrhundert n. Chr.) äußert in seinem Werk „Über die Landwirtschaft“ folgende Gedanken zum Thema Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau (Columella, De agri cultura 12, praefatio 4–6): 5 10 O V (4) Daher, da die Dinge, die wir behandelt haben, sowohl Mühe als auch Sorgfalt erfordern und die Dinge mit nicht geringem Aufwand draußen erworben werden, die dann zu Hause bewahrt werden sollen, hat mit Recht, wie ich sagte, die Natur die Fähigkeit der Frau zur häuslichen Sorgfalt, die des Mannes aber zur äußerlichen Betätigung hin angelegt. Deshalb hat Gott dem Mann zugeteilt, Hitze und Kälte, dann auch Märsche und Mühen in Frieden und Krieg – d. h. in der Landwirtschaft und im Militärdienst – zu ertragen. (5) Der Frau hingegen, die er für all diese Dinge ungeeignet geschafen hatte, übertrug er die Sorge über die häuslichen Aufgaben, und, da er dieses Geschlecht für Bewahrung und Sorgfalt bestimmt hatte, machte er sie deshalb ängstlicher als das männliche: Denn Furcht trägt am meisten zur Sorgfalt beim Bewahren bei. (6) … Da ein einfaches Wesen nicht alle (diese beiden) vorteilhaften Dinge umfassen kann, wollte Gott daher, dass einer des anderen bedürfe, da das, was dem einen fehlt, zumeist dem anderen zu eigen ist. Aufgaben 1. Beschreibe die Karikatur. 2. Vergleicht in Partnerarbeit das in der Karikatur vermittelte Rollenbild mit der Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau, die im antiken Text beschrieben wird. Stellt eure Ergebnisse in einer Tabelle einander gegenüber. 3. Beurteilt gemeinsam, welches Rollenbild besser zur heutigen Zeit passt. 28 RAAbits Latein Februar 2013 zur Vollversion