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I/B
Themen der antiken Kultur und Geschichte 10
Römische Familie
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(K)ein Platz für Gefühle? Die familia Romana (7./8. Klasse)
Dr. Sven Günther, M.A., Yokohama
© akg-images/Bildarchiv Steffens
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Vater, Mutter, Kind – so sieht heute (noch) das
klassische Bild einer Familie aus. Die Römer
hatten demgegenüber ein viel umfassenderes
Bild von familia, was die Übersetzung „Familie“
nur unzureichend abbilden kann. Denn der
Begriff familia umfasste auch weitreichende
rechtliche, soziale, religiöse und sogar politische
Aspekte.
Warum gab es innerhalb der familia kaum einen
rechtlichen Unterschied zwischen einem Kind
und einem Sachwert? Wie spiegeln römische
Namen den Aufbau einer familia wider? Inwiefern spielte der Begriff „Emanzipation“ vor allem
auch für römische Männer eine Rolle? Diesen
und vielen weiteren Fragen gehen die Schülerinnen und Schüler in dieser Einheit nach.
Klassenstufe: 7./8. Klasse, 2./3. Lernjahr, Latein
als 2. FS
Dauer:
5 Stunden
Bereich:
Leben in Staat und Gesellschaft,
römische Familie, Namensgebung,
römische Eheriten, Emanzipationsakt
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28 RAAbits Latein Februar 2013
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Römische Familie
Themen der antiken Kultur und Geschichte 10
I/B
Fachliche Hinweise
Betrachtet man moderne, soziologisch motivierte Deinitionen von „Familie“, wird in der Regel
auf eine enge, miteinander verwandte Gruppe von Personen abgestellt, ganz klassisch die VaterMutter-Kind-Konstellation, gegebenenfalls erweitert um weitere, „im Haushalt lebende“ Generationen wie Großeltern oder Enkel.
Hingegen ist der lateinische Terminus familia sehr viel breiter konnotiert: Nach der hier summarisch wiedergegebenen Deinition in den justinianischen Digesten (50, 16, 195) bezieht er sich
sowohl auf Dinge ( res ) als auch auf Personen ( personae ), die der (Verfügungs-)Gewalt ( patria
potestas ) eines Hausherrn ( dominus /pater familias ) unterstehen.
Der „pater familias“ – Träger der „patria potestas“
Alle einer familia zugehörigen Dinge oder Personen waren dabei letztlich von einem Träger der
väterlichen Hausgewalt ( patria potestas ) abhängig, dem pater familias. Dieser hatte zumindest de
jure die unumschränkte Verfügungsgewalt über die familiares, was bei den ihm unterstehenden
Personen auch das Recht über Leben und Tod umfasste (ius vitae necisque ). Letzteres wurde
jedoch de facto schon in der Frühen Republik durch staatliche Regelungen eingeschränkt: So
wurde etwa vor Ausübung der Strafgewalt ein Beirat ( consilium ) hinzugezogen oder die Angelegenheit an staatliche Stellen (z. B. den Prätor) übergeben. Die väterliche Liebe wird ihr Übriges
zur Beschränkung des Strafrechts auf Einzelfälle getan haben.
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Für familia im Sinne von „Familie“ war in der Römischen Republik zunächst einmal das Prinzip der
Agnation maßgeblich. Unter den Agnaten verstand man dabei alle Personen, die unter der Hausgewalt eines pater familias standen oder noch stünden, wenn dieser noch lebte. Leitgedanke war
hierbei, dass Hausgewalt nur über den Mannesstamm weitervermittelt werden könne. In diesem
Sinne war die agnatische familia nicht auf Blutsverwandtschaft aufgebaut, sondern umfasste die
in rechtlicher Hinsicht der Gewalt des pater familias unterworfenen Personen: Dazu gehörten
neben den aus legitimer Ehe stammenden Kindern beispielsweise auch „adoptierte“ Kinder
oder auch eine Ehefrau, die sich mit der Eheschließung in die Gewalt ihres Mannes ( manus -Ehe)
begab und somit rechtlich aus ihrer alten familia ausschied. Bedeutung hatte die agnatische
Verwandtschaftslinie insbesondere beim Erbrecht, da hier diese Gruppe bevorzugt wurde. In
der Späten Römischen Republik und v. a. in der Römischen Kaiserzeit bekam die kognatische,
i. e. blutsverwandte Linie vermehrt rechtliche Bedeutung, u. a. auch im Erbrecht, und überlagerte schließlich das agnatische Prinzip zusehends. Der pater familias blieb jedoch stets das
Oberhaupt der Familie und deren Rechtsvertretung nach außen, etwa gegenüber Gerichten und
staatlichen Stellen.
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„Nomen est omen“ – Was Namen über Familienstrukturen verraten
Das agnatische Prinzip lässt sich auch an der Nomenklatur ablesen. Grundsätzlich hatte ein männlicher römischer Bürger fünf Namenselemente (von denen zwei bzw. drei Elemente weggelassen
werden können): 1.) Vorname ( praenomen ); 2.) Name des Familienstammes ( nomen gentile );
3.) [Filiation]; 4.) [Angabe der Tribus (als Kriterium des römischen Bürgerrechts)]; 5.) [Beiname
(cognomen )]
Die männliche Linie war für die Weitergabe des Familiennamens ( nomen gentile plus cognomen )
verantwortlich. In der Regel erhielt so der älteste Sohn den gleichen Namen wie sein Vater.
Weibliche Personen wurden meist nur mit dem nomen gentile im Femininum bezeichnet, so
z. B. Livia. Manchmal wurde er mit einem cognomen ergänzt (Livia Drusilla). Dies zeigte die
Abkunft aus einer bestimmten gens, spielte jedoch für die Weitergabe an Kinder keine Rolle, da
diese ja im Familienstamm des Vaters integriert waren.
Die Zugehörigkeit von Sklaven zu einer familia wurde durch den Zusatz des Namens (oft des
cognomen ) des Herrn im Genitiv angezeigt, mit oder ohne den Zusatz servus. Freigelassene
erhielten den Vor- und Familiennamen des Freilassers und als cognomen den (ehemaligen) Sklavennamen; die (natürlich fehlende) Filiation wurde durch die Formel libertus /liberta mit dem prae28 RAAbits Latein Februar 2013
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Römische Familie
Themen der antiken Kultur und Geschichte 10
I/B
3./4. Stunde
Thema
Die Braut, die sich (nicht) traut? – Rituale und Recht bei römischen Hochzeiten
Material
Verlauf
M 6, M 7
Brautraub! / Einführung in symbolische Handlungen der Hochzeitszeremonie mit aitiologischem Hintergrund
M8
So reiche zum Bunde die Hände / Erarbeitung der unterschiedlichen rechtssymbolischen Eheschließungsformen und deren (rechtliche) Folgen für die Braut
5. Stunde
Thema
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Gleiches Recht für alle? – Männer und Frauen in der römischen „familia“
Material
Verlauf
M9
Wer hat die Hosen an? / Problematisierung der unterschiedlichen
Auffassungen von Gleichberechtigung in Antike und Moderne
M 10
Ein großer Schritt, nicht nur für Frauen / Erarbeitung des römischen (Rechts-)Verständnisses der Emanzipation als Schritt in die
rechtliche Unabhängigkeit von der familia
Materialübersicht
1. Stunde:
M 1 (Fo)
M 2 (Bi/Tx)
M 3 (Tx/Ab)
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familia = Familie? – zur Struktur der römischen familia
Der Grabstein des Blussus aus Mainz
Eine ganz normale Familie? – der Grabstein des Blussus aus Mainz
Kein einfaches Wort: familia
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2. Stunde:
M 4 (Ab)
M 5 (Ab)
Namen sind nicht Schall und Rauch! – Namensgebung in der römischen familia
Ruf doch mal „Björk“ an! – was Namen über Familienstrukturen verraten
Namen mit Botschaft – das Namenssystem der Römer
3./4. Stunde:
M 6 (Fo)
M 7 (Bi/Tx)
M 8 (Tx/Ab)
Die Braut, die sich (nicht) traut? – Rituale und Recht bei römischen Hochzeiten
Ein antiker Hochzeitsbrauch
Aus Ernst wird Spaß – der Brautraub als Teil der Hochzeitszeremonie
So reiche zum Bunde die Hände – Eheformen bei den Römern
5. Stunde:
M 9 (Bi/Tx)
M 10 (Ab/Tx)
Gleiches Recht für alle? – Männer und Frauen in der römischen familia
Wer hat die Hosen an? – die Arbeitsteilung im Haushalt
Emanzipation – ein großer Schritt, nicht nur für Frauen!
Lernerfolgskontrolle: Wer bestimmt über wen? (nach Gai. Inst. 1, 48 f.)
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Bedürfnisse Ihrer Lerngruppe anpassen: http://latein.schule.raabe.de (Word-Download
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M1
M6
Der Grabstein des Blussus aus Mainz
Ein antiker Hochzeitsbrauch
Aufgaben
Aufgaben
1. Beschreibe den Grabstein.
1. Beschreibe das Gemälde.
2. Stelle Vermutungen über die abgebildeten Personen und deren Beziehung
zueinander an.
2. Das Gemälde heißt „Raub der Sabinerinnen“. Informiere dich in einem
Lexikon über die Hintergründe der antiken Legende.
© akg-images/Erich Lessing
Das Gemälde von Nicolas Poussin (1594–1665) zeigt eine Szene, die sich angeblich kurz nach der Gründung Roms ereignet hat.
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Grabstein des keltischen Reeders Blussus aus Mogontiacum (Mainz), erste Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr.
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Römische Familie
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Kein einfaches Wort: familia
Dir kommt der Verdacht, dass das lateinische Wort „familia“ noch mehr als bloß „Familie“
bedeutet. Leider hast du momentan kein zweisprachiges Wörterbuch zur Hand. Dir fällt jedoch
ein einsprachiges lateinisches Wörterbuch in die Hände, und unter dem Stichwort „familia“
bekommst du Folgendes zu lesen:
familia <ae> f.; hoc verbum in temporibus Romanis multas signiicationes1 habebat.
Imprimis2 id signiicat3 societas hominum, qui in una domo vivunt et potestatem unius4
viri parent.
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Deinde omnes homines ad familiam pertinent14, qui sub dominio15 domini (is est pater
familias) sunt, ergo et servi et servae. Igitur „familia“ societas servorum servarumque
signiicare potest.
Tertium16 familia ad res pertinent, quae in bonis17 patris familias sunt,
exempli gratia pecunia, res immobiles18 et alia.
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© iStockphoto
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Primum illae personae nucleus5 familiae sunt, quae in consanguinitate6 sunt, exempli
gratia7 pater familias8, mater familias, ilius familias, ilia familias. Pater familias patriam
potestatem9 suam in iliis iliabusque10 suis, nonnumquam11 et in uxore sua (in manu12)
exercet13.
1 sīgniicātiō, ōnis f.: Bedeutung – 2 imprīmīs (Adv.): vor allem, in erster Linie – 3 sīgniicāre:
Verb zu sīgniicātiō, vgl. Anmerkung 1 – 4 ūnīus: Genitiv von ūnus, a, um – 5 nucleus, ī m.: Kern –
6 cōnsanguinitās, ātis f.: (Bluts)verwandtschaft – 7 exemplī grātiā: zum Beispiel – 8 familiās: alter
Genitiv Sg. von familia – 9 patria potestās, patriae potestātis f.: väterliche Hausgewalt – 10 iliabus:
Ersatzform von iliīs zur Unterscheidung von m. und f. – 11 nōnnumquam (Adv.): manchmal – 12 manus,
ūs f.: hier: Hausgewalt des Ehemannes – 13 exercēre (aliquid in aliquō): etwas über jemanden ausüben
– 14 pertinēre, tineō, tinuī: sich auf etwas beziehen, zu etwas gehören – 15 dominium, ī n.: Gewalt –
16 tertium (Adv.): drittens – 17 bona, ōrum n. Pl.: Vermögen – 18 rēs immōbilēs, rērum immōbilium f.
Pl.: Immobilien
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Aufgaben
1. Übersetzt den Text in Partnerarbeit.
2. Stellt die unterschiedlichen Bedeutungen des lateinischen Begriffs familia graisch dar. Überlegt euch hierzu Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Bereiche.
3. Vergleicht eure Beobachtungen mit dem ersten Abschnitt der modernen Deinition von
Familie in Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Familie). Welche Gemeinsamkeiten und
Unterschiede gibt es?
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Themen der antiken Kultur und Geschichte 10
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Wer hat die Hosen an? – die Arbeitsteilung im Haushalt
© Peter Thulke/toonpool
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Karikatur zur Emanzipation von Frau und Mann
Der römische Schriftsteller Columella (1. Jahrhundert n. Chr.) äußert in seinem Werk „Über die
Landwirtschaft“ folgende Gedanken zum Thema Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau (Columella, De agri cultura 12, praefatio 4–6):
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(4) Daher, da die Dinge, die wir behandelt haben, sowohl Mühe als auch Sorgfalt erfordern und die
Dinge mit nicht geringem Aufwand draußen erworben werden, die dann zu Hause bewahrt werden
sollen, hat mit Recht, wie ich sagte, die Natur die Fähigkeit der Frau zur häuslichen Sorgfalt, die des
Mannes aber zur äußerlichen Betätigung hin angelegt. Deshalb hat Gott dem Mann zugeteilt, Hitze
und Kälte, dann auch Märsche und Mühen in Frieden und Krieg – d. h. in der Landwirtschaft und im
Militärdienst – zu ertragen.
(5) Der Frau hingegen, die er für all diese Dinge ungeeignet geschafen hatte, übertrug er die Sorge
über die häuslichen Aufgaben, und, da er dieses Geschlecht für Bewahrung und Sorgfalt bestimmt
hatte, machte er sie deshalb ängstlicher als das männliche: Denn Furcht trägt am meisten zur Sorgfalt
beim Bewahren bei.
(6) … Da ein einfaches Wesen nicht alle (diese beiden) vorteilhaften Dinge umfassen kann, wollte Gott
daher, dass einer des anderen bedürfe, da das, was dem einen fehlt, zumeist dem anderen zu eigen ist.
Aufgaben
1. Beschreibe die Karikatur.
2. Vergleicht in Partnerarbeit das in der Karikatur vermittelte Rollenbild mit der Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau, die im antiken Text beschrieben wird. Stellt eure Ergebnisse in
einer Tabelle einander gegenüber.
3. Beurteilt gemeinsam, welches Rollenbild besser zur heutigen Zeit passt.
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