FAMILIE, HAUS UND GARTEN Ob ihn der Hafer gestochen hat? Der Autofahrer zeigt dem Landwirt im Kreisverkehr eine eindeutige Handbewegung. „Der soll sich nicht so aufregen“, hört der mitfahrende Enkel dann seinen Großvater murmeln. Am Gesicht des PKW-Lenkers kann man deutlich sein im Körper pulsierendes Blut sehen. Jeder hat so seine eigene Art, mit der Wut umzugehen. Anton ist eher cholerisch veranlagt und schreit seinen Ärger heraus. Für seine Familie und seine Tiere sind seine Wutausbrüche normal und wer ihn näher kennt, kann gut damit umgehen. Anton hat auch viele Sonnenseiten. Wut als Zeichen für Lebendigkeit Wie immer man es nennt: Wut, Zorn oder Ärger sind energiegeladen und weisen auf ein gewichtiges Bedürfnis hin. Das Reptilienhirn in uns stellt uns bei Stress entweder auf Kampf oder Flucht ein. Anton ist früher manchmal die Hand ausgerutscht, beispielsweise wenn er sich über die Kinder geärgert hat. Das Ergebnis seiner Wut war also Gewalt und damit war er selbst nicht zufrieden. Er versuchte daher, sich besser zu kontrollieren und die Wut klein zu halten. Damit löste er den Wasser- ball-Effekt aus: irgendwann katapultierte sein Zorn wie ein unter Wasser gedrückter Ball an die Oberfläche zurück. Diese Wutausbrüche können einem Vulkan gleichen und wer immer in der Nähe ist, sollte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Anton ist mit den Jahren gelassener geworden und lässt bei Arbeit und Sport ordentlich Dampf ab. Anschließend ist sein Kopf kühler und er ist zum Gespräch bereit. Ich oder du? Wer wütend ist, tut etwas für sich oder gegen andere. In der Wut fällt die Rolf van Melis_pixelio.de Von Wut, Zorn und Ärger 54 Wer kennt das nicht: Herzrasen, Muskelverspannung und eine Prise Ohnmacht sind die körperlichen Reaktionen auf richtigen Ärger. Während Adrenalin und Blutdruck ansteigen, stellt der Verstand die Frage: Problem lösen oder verschärfen? DER FORTSCHRITTLICHE LANDWIRT • www.landwirt.com Heft 18 / 2012 FAMILIE, HAUS UND GARTEN Wut als positive Kraft für Problemlösung: • Darüber spricht man: Ansprechen, was man selbst braucht oder wünscht. Dabei werden auch Missverständnisse aufgeklärt. • „Aus der Wut heraus“: Handlungen für einen Zweck und nicht gegen jemand anders • Sowohl-als-auch-Regel statt „Entweder-Oder“: Unterschiedliche Meinungen nebeneinander gelten lassen entspannt die Situation und ist erhält die Gesprächsbasis • Loslassen: Manche Konflikte lassen sich nicht zeitnah lösen. Konfliktfähigkeit hilft, Situationen auszuhalten. Abschalten und Loslassen bringen neue Kräfte. Entscheidung für „Ich oder Du“. Erfreulich ist, dass man hier egoistisch sein darf und den eigenen Bedürfnissen Aufmerksamkeit schenken soll. Am einfachsten gelingt das mit einer Frage, die man sich selbst stellt: „Was brauche ich, damit ich zufrieden bin?“ Die Antwort stellt sich meist schnell ein und lautet: Ruhe, Sicherheit, Verlässlichkeit, Geborgenheit oder Klarheit. In der Wut für das Du entscheiden heißt, Urteile über andere zu fällen und die Aufmerksamkeit auf das Gegenüber zu richten. Das Risiko von Fehl- oder Vorurteilen und unüberlegten Handlungen ist dabei sehr hoch. Die Ich-Entscheidung ist zudem für Herz und Körper viel gesünder. Anton braucht keine Gewalt mehr, um seine Interessen durchzusetzen. Er sagt, was er braucht, handelt danach und trifft konsequent seine Entscheidungen. Für seine Wahrheit braucht er weder Eskalation noch Tabletten wegen zu hohen Blutdrucks. Melancholische Wut „Wissen Sie, wie viele Antidepressiva ich tagtäglich verschreibe?“, fragt der Hausarzt seinen Patienten. Peter klagt über Unwohlsein und Schlafstörungen, will aber keinesfalls Psychopharmaka einnehmen. Das Versichern des Mediziners, davon nicht abhängig zu werden, beruhigt ihn nur wenig. Er will nicht zu den zirka 10 % in Österreich gehören, die per Krankenschein Stimmungsaufheller bzw. Schlaftabletten einnehmen. Peter ist eher melancholisch veranlagt und läßt seine Wut nicht nach außen sichtbar werden. In letzter Zeit hat er sich viel ärgern müssen. Zum Beispiel über den negativen Baubescheid, Tierschutzdiskussionen oder Preiseinbrüche. Das alles macht ihn grantig. Er spricht generell nicht viel, aber sehr ungern bis gar nicht über Dinge, die ihn belasten. Peter verzichtet auf das medikamentöse Angebot seines Arztes und vertraut auf sich selbst. Er will die Verantwortung und Kontrolle Heft 18 / 2012 über sein Handeln beibehalten. Außerdem fühlt sich nicht krank und somit stark genug, seine Themen zu bewältigen, indem er konkrete Pläne schmiedet und sich Alternativen überlegt. Aufgestaute Wut macht krank Berichten zufolge greifen bei Antriebslosigkeit und Depressionen viele Menschen vor allem in Europa und Nordamerika auf Medikamente zurück. Aufgestaute und unterdrückte Wut läuft Gefahr, mit einer Krankheit verwechselt zu werden oder sich zu einer zu entwickeln. Wut wird immer als berechtigt empfunden Wie reagiert eine Mutter auf den tränenreichen Wutausbruch des Kleinkindes, das sein heißbegehrtes Spielzeug entbehren muss? Sie weiß, dass in jenem Moment jede Belehrung sinnlos ist. Sie wird ihr Kind zuerst beruhigen, trösten, mit ihm fühlen und ihm körperlich nah sein. Erst dann wird ihr Kind bereit sein zu verstehen. Vielleicht wird sie ihre Aussagen noch öfters wiederholen müssen. Aber sie wird konsequent bleiben. Die Frage, ob Wut berechtigt ist oder nicht, hat noch keinen Konflikt gelöst. Empfindungen und Gefühle ändern sich nicht durch Urteile oder Ratschläge, sondern durch Verständnis und Akzeptanz. Wütende Menschen sind unzufrieden Gefühle sind da oder sie sind es nicht. 2010 entstand der Begriff „Wutbürger“ und wurde von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewählt. Damit gemeint sind Bürger, die sich über politische und gesellschaftliche Entwicklungen empören. Die Machthaber in der Geschichte hatten mit blutigen Revolutionen zu kämpfen, weil sie die Wut der Bürger als nicht gerechtfertigt beurteilten und deshalb verkannten. Diesen Fehler können auch Familienbetriebe begehen. Wut kann Konflikte auslösen, beispielsweise weil nicht alle mit den Entscheidungen einverstanden sind. Durch ein offenes Gespräch kann sich die Wut wieder auflösen. Angst vor offenen Gesprächen ist unbegründet. Irgendwann kommt jede Wahrheit auf den Tisch, je früher, desto besser. Umgang mit wütenden Menschen Wie verhält man sich wütenden Menschen gegenüber? Nach einem verbalen Angriff ist das Gesprächstempo zu verlangsamen. Wütende Menschen wollen, dass ihnen zugehört wird. Und nur dann erfährt man auch, was sie wirklich in Rage bringt. Dabei ist es unwichtig, ob die Aussage gerechtfertigt ist oder nicht. Wer sich verstanden und akzeptiert fühlt, verhält sich kooperativer und kann mit Abweisungen umgehen. Versammlungen, bei denen wütende Mitglieder erwartet werden, wollen vorbereitet sein. Verständliche Informationen und die Gelegenheit zu Stellungnahmen haben noch immer beruhigt. Funktionäre und Führungskräfte wollen authentisch erlebt werden und müssen viel Wut und negative Stimmungen aushalten. Es gilt für alle Bereiche, wo konstruktiv gearbeitet werden soll: Druck abbauen und Menschen aufbauen, damit die Freude am Einsatz für andere nicht verloren geht. Friedrich Schiller und Ludwig van Beethoven haben die Ode nicht an die Wut gerichtet. Die Ode an die Freude schufen sie für eine Gesellschaft von gleichberechtigten Menschen, die durch Freude und Freundschaft miteinander verbunden sind. Die Wut kann als Kor■ rektiv dafür gesehen werden. Wütende Entleisungen Unkontrollierte oder unterdrückte Wut ist zerstörend. Viele strafrechtliche Tatbestände wie Körperverletzung, Sachbeschädigung oder gefährliche Drohung werden wohl von wütenden Tätern erfüllt. Laut Bundesministerium für Inneres haben Gewaltdelikte in Österreich gegenüber früheren Jahren zugenommen. 2011 gab es 40.400 Anzeigen wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Emotionen werden auch im Strafrecht berücksichtigt: wer einen anderen aus allgemein begreiflicher Wut tötet, begeht Totschlag und wird mit fünf- bis zehnjähriger, Mord hingegen mit zehnjähriger bis lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet. DER FORTSCHRITTLICHE LANDWIRT • www.landwirt.com 55