Jahrbuch 2013/2014 | Rodnina, Marina V. | Das Ribosom: ein vielseitiges Mega-Ribozym Das Ribosom: ein vielseitiges Mega-Ribozym The ribosome: a versatile mega-ribozyme Rodnina, Marina V. Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Göttingen Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Das katalytische Zentrum der Ribosomen besteht aus Ribonukleinsäure (RNA). Die Katalyse erfolgt überw iegend durch Orientierung der Substrate. Das Zentrum ist sehr flexibel: Neben der Verknüpfung von Aminosäuren zu Proteinen katalysiert es die hydrolytische Freisetzung der fertigen Proteine und akzeptiert auch unnatürliche Aminosäuren. Dies w ird ausgenutzt für die gezielte Herstellung von Proteinen mit besonderen Eigenschaften. Die Peptidverknüpfung erfolgt üblicherw eise spontan. Nur für die Verknüpfung von mehreren Prolinresten w ird ein spezieller Translationsfaktor benötigt. Summary The catalytic center of ribosomes is made up of ribonucleic acid (RNA). Catalysis is predominantly by orienting the substrates. The catalytic center is quite flexible; besides assembling amino acids to form proteins it catalyzes the hydrolytic liberation of the proteins after completion and accepts unnatural amino acids. This is utilized in Biotechnology for synthesizing proteins w ith particular properties. Peptide bond formation usually takes place spontaneously. How ever, linking several proline residues requires a special translation factor. Ribosomen – Orte der Proteinsynthese in der Zelle Proteine sind elementar w ichtige Bestandteile von Zellen und Organismen mit vielfältigen Funktionen. Als Katalysatoren sind sie für Stoffw echsel und Energieerzeugung zuständig, als Transporter sorgen sie für den geordneten Stoffaustausch der Zelle mit der Umgebung und für den Stofftransport in der Zelle. Als Strukturproteine sind sie w esentliche Strukturelemente innerhalb und außerhalb der Zellen und als Motorproteine setzen sie Organismen, Zellen und Zellorganellen in Bew egung. Proteine bestehen aus Aminosäuren, deren Reihenfolge Struktur und Eigenschaften der Proteine bestimmt. Die Gesamtheit der Proteine in der Zelle (das "Proteom") umfasst Tausende verschiedener Proteine und w ird ständig den w echselnden Bedürfnissen der Zelle angepasst. Im letzten Schritt der Genexpression w erden Proteine an Ribosomen synthetisiert. Dabei übersetzen die Ribosomen die genetische Information einer RNA-Kopie (messenger RNA, mRNA) des für ein Protein codierenden Gens in eine Kette von Aminosäuren ("Translation"). Ribosomen sind große (2.5 bis 4 Megadalton, je nach Organismus) Partikel aus zw ei verschiedenen Untereinheiten, die aus mehreren, zum Teil sehr großen Molekülen Ribonukleinsäure (ribosomale RNA, rRNA) © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2013/2014 | Rodnina, Marina V. | Das Ribosom: ein vielseitiges Mega-Ribozym und zahlreichen Proteinen bestehen. Entsprechend der zentralen Bedeutung der Proteinsynthese für die Zelle sind Ribosomen evolutiv sehr alt. Die funktionell w ichtigen Zentren bestehen aus rRNA und sind hoch konserviert, das heißt in Zusammensetzung und Struktur in allen Organismen sehr ähnlich – entsprechend der Funktion des Ribosoms als Aminosäurepolymerase (Abb. 1). Die Aminosäuren gelangen gebunden an Transfer-RNAs (tRNAs) als Aminoacyl-tRNAs in die A-Stelle des aktiven Zentrums des Ribosoms ("Peptidyltransferase-Zentrum"). Dort reagieren sie mit einer bereits in der P-Stelle gebundenen Peptidyl-tRNA, w obei eine neue Peptidyl-tRNA mit einer um eine Aminosäure verlängerten Peptidkette entsteht. Dieser Vorgang w iederholt sich viele Male, bis das fertige Protein, das aus Hunderten, manchmal auch Tausenden von Aminosäuren bestehen kann, freigesetzt w ird. Die Reihenfolge der Aminosäuren im Protein w ird durch die Reihenfolge der Bausteine der mRNA festgelegt, die von den Aminoacyl-tRNAs am Ribosom gelesen w ird. A bb. 1: (A) Die große Unte re inhe it de s R ibosom s a us E. coli. R ibosom a le R NAs sind golde n (23S rR NA) und ge lb (5S rR NA) ge fä rbt, ribosom a le P rote ine bla u. Da s a k tive Ze ntrum ist durch e ine n ge bunde ne n Inhibitor (rot) ge k e nnze ichne t. (B) Die pse udosym m e trische Struk tur de r ribosom a le n R NA (23S rR NA) im a k tive n Ze ntrum . Die Binde ste lle n für die tR NASubstra te in de r sog. P -Ste lle (rot) und A-Ste lle (bla u) sind he rvorge hobe n. © Ma x -P la nck -Institut für biophysik a lische C he m ie / R odnina RNA-Katalyse im aktiven Zentrum des Ribosoms Das Peptidyltransferase-Zentrum (A-Stelle) befindet sich auf der großen Untereinheit der Ribosomen und w ird durch eine hoch konservierte Region der rRNA (23S rRNA in Bakterien; 28S rRNA in Eukaryonten) gebildet (Abb. 1A). Die ursprüngliche, primordiale Form der rRNA w ar vermutlich sehr viel kleiner; durch Verdopplung entstand zunächst eine pseudosymmetrische Struktur, die für die Bindung zw eier ähnlicher Substratmoleküle geeignet w ar und sich im modernen Ribosom mit der um ein Vielfaches größeren rRNA noch erkennen lässt (Abb. 1B). Die Struktur des aktiven Zentrums erlaubt die Bindung der beiden tRNA-Substrate in einer Orientierung, w elche die Reaktion zw ischen der Aminoacyl-tRNA und der Peptidyl-tRNA begünstigt. Verglichen mit der Reaktion zw ischen Modellsubstraten in Lösung ist die Peptidverknüpfung am Ribosom etw a 10 Millionen Mal schneller. Die Frage, w elche katalytischen Mechanismen zur Beschleunigung der Reaktion am Ribosom führen, w urde eingehend untersucht [1]. Dabei w ar ein w ichtiger Befund, dass die Katalyse offenbar ohne direkte Beteiligung ribosomaler Gruppen zustande kommt (entropische Katalyse) [2]. Dies machte einen aufgrund älterer Daten vielfach vermuteten Beitrag einer Säure-Basen-Katalyse durch ribosomale Gruppen unw ahrscheinlich [3]. Ein solcher Beitrag konnte auch experimentell ausgeschlossen w erden [4; 5; 6]. Im © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2013/2014 | Rodnina, Marina V. | Das Ribosom: ein vielseitiges Mega-Ribozym Ergebnis kommt die Katalyse der Peptidverknüpfung w ohl vor allem dadurch zustande, dass das aktive Zentrum des Ribosoms den Übergangszustand der Reaktion stabilisiert, indem es ein Netzw erk elektrostatischer Wechselw irkungen und Wasserstoffbrücken ausbildet, w elches die gleichzeitige Übertragung von drei Protonen in einem zyklischen Übergangszustand begünstigt [7]. Das flexible katalytische Zentrum des Ribosoms Eine bemerkensw erte Eigenschaft des aktiven Zentrums des Ribosoms ist, dass es neben der Ausbildung von Peptidbindungen zw ischen natürlichen Aminosäuren auch den Einbau unnatürlicher Aminosäuren und darüber hinaus noch andere, chemisch zum Teil sehr verschiedene Reaktionen katalysieren kann, etw a die Bildung von Thioestern, Thioamiden oder Phosphinamiden. Physiologisch von Bedeutung ist die hydrolytische Abspaltung des Peptids von Peptidyl-tRNA w ährend der Termination am Ende der Synthese eines Proteins. Das aktive Zentrum w ird dabei durch die Bindung eines Terminationsfaktors umprogrammiert, sodass ein Wassermolekül eindringen und die Esterbindung in Peptidyl-tRNA hydrolysieren kann. Im Übergangszustand der Hydrolyse w ird nur ein Proton übertragen [7]. Demnach können im aktiven Zentrum des Ribosoms unterschiedlich strukturierte Übergangszustände stabilisiert w erden – eine bemerkensw erte Vielseitigkeit oder, anders ausgedrückt, geringe Selektivität. Dies unterscheidet das Ribosom von den üblichen Proteinenzymen, die sich generell durch eine hohe Substratselektivität auszeichnen. Vermutlich ist die geringe Selektivität des Ribosoms, und damit die Flexibilität des aktiven Zentrums, darauf zurückzuführen, dass die RNA im aktiven Zentrum den Übergangszustand durch relativ unspezifische Wechselw irkungen stabilisiert und nicht direkt an der Reaktion teilnimmt. Dies könnte auch der Grund dafür sein, dass die im Vergleich zu Proteinenzymen nicht besonders effektive RNA-Katalyse für Peptidverknüpfung und Peptidyl-tRNA-Hydrolyse in der Evolution beibehalten w urde. Das Ribosom in der synthetischen Biologie Die Flexibilität des Peptidyltransferase-Zentrums w ird biotechnologisch ausgenutzt zur Herstellung von "Designer-Proteinen", ein zunehmend w ichtiges Feld der synthetischen Biologie. Dabei w erden unnatürliche Aminosäuren mit den gew ünschten chemischen Eigenschaften anstelle natürlicher Aminosäuren in Proteine eingebaut. Für diese "orthologe" Translation w urde eine Reihe verschiedener Strategien entw ickelt. Das generelle Problem sind niedrige Ausbeuten, die vor allem auf die Fehlerkorrektur bei der Substratselektion am Ribosom zurückzuführen sind. Um diese Korrekturschritte umgehen zu können, müssen sie im Detail bekannt sein. Die kinetische Untersuchung hat jetzt einen bisher nicht bekannten Schritt bei der Kontrolle der Aminoacyl-tRNA-Bindung an das Ribosom identifiziert, der in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt [8]. Die Berücksichtigung dieses Schrittes bei der Ausw ahl der in Proteine einzubauenden unnatürlichen Aminosäuren könnte Teil einer Strategie sein, die das Problem niedriger Ausbeuten löst. Der "Prolin-Faktor" EF-P In den verschiedenen Phasen der Proteinsynthese – Initiation, Elongation, Termination, Recycling – w ird das Ribosom durch Translationsfaktoren gesteuert – mit Ausnahme der Peptidverknüpfung in der Elongationsphase. Diese erfolgt üblicherw eise spontan unmittelbar nach Bindung des Aminoacyl-tRNASubstrats, w elche die Reaktion kinetisch limitiert. Es w ar demnach unerw artet, als beobachtet w urde, dass die Aminosäure Prolin sehr langsam eingebaut w ird, insbesondere, w enn mehrere Prolinreste aufeinander folgen [9]. Der Grund ist vermutlich, dass die Ringstruktur des Prolins für die Bildung einer Peptidbindung ungünstig © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2013/2014 | Rodnina, Marina V. | Das Ribosom: ein vielseitiges Mega-Ribozym ist. Das überraschende Ergebnis der näheren Untersuchung w ar, dass der Einbau von Prolin mit normaler Geschw indigkeit erfolgt, w enn ein bis dahin w enig untersuchter Translationsfaktor (EF-P) zugegeben w ird [10]. Die Bindung von EF-P verhindert, dass das Ribosom bei der Translation von Sequenzen aufeinanderfolgender Prolin-Reste zum Stillstand kommt. Der Effekt kommt w ohl dadurch zustande, dass EF-P unmittelbar neben dem aktiven Zentrum des Ribosoms bindet, nachdem die entladene tRNA die sog. E-Stelle (tRNA exit) verlassen hat und dabei die Orientierung der Prolin tragenden tRNAs so verändert, dass die Peptidverknüpfung erleichtert w ird (Abb. 2). Auch in anderen Organismen benötigt der Einbau von Prolin in Polyprolin-Sequenzen einen solchen Hilfsfaktor; in Eukaryonten ist es der Faktor eIF5A, ursprünglich als Initiationsfaktor identifiziert. A bb. 2: W irk ungswe ise de s Tra nsla tionsfa k tors EF-P be im Einba u von P rolin. EF-P k a nn na ch Dissozia tion de r tR NA a us de r E-Ste lle (E) in die fre ie E-Ste lle unm itte lba r ne be n de r P e ptidyl-tR NA (P ) in de r P -Ste lle binde n und ve rbe sse rt ve rm utlich ihre P ositionie rung für die R e a k tion m it de r P rolyltR NA in de r A-Ste lle (A). P roline sind a ls rote Kre ise , a nde re Am inosä ure n a ls schwa rze Kre ise da rge ste llt. © Ma x -P la nck -Institut für biophysik a lische C he m ie /R odnina Von den mehr als 4.000 Genen in E. coli, die bestimmten Funktionen zugeordnet w erden konnten, enthalten fast 300 Gene Sequenzen, in denen drei oder mehr Prolinreste aufeinander folgen oder zw ei Prolinreste von einem Glycin gefolgt w erden. Unter diesen sind Gene für Stoffw echselenzyme, Transporter und regulatorische Transkriptionsfaktoren überrepräsentiert, also Gene, deren Produkte für übergeordnete, die Zelle als Ganze betreffende Vorgänge, w ichtig sind. Dies erklärt die bisher nicht verstandene Beobachtung, dass EF-P- Mutationen generelle Ausw irkungen auf die Bakterien haben, und etw a zu verminderter Virulenz oder Fitness führen. So enthält das Virulenzprotein EspF, das eine w esentliche Rolle bei Infektionen mit enterohämorrhagischen (EHEC) oder enteropathogenen (EPEC) E. coli-Stämmen spielt, mehrere Polyprolin-Sequenzen. Damit gew innen EF-P und insbesondere die Enzyme, die EF-P durch Einführung einer Modifizierung aktivieren, Interesse als mögliche Zielstrukturen in pathogenen Bakterien. Da sie in Eukaryonten fehlen, könnten sie für die Entw icklung neuer W irkstoffe genutzt w erden. Ausblick Das Ribosom ist ein evolutionäres Fossil und die Untersuchung der Funktionen dieser RNA-basierten Nanomaschine führt uns w eit zurück in die Zeit der Entstehung des Lebens – und gleichzeitig in die Zukunft der synthetischen Biologie. Das vertiefte Verständnis der enzymatischen Funktion dieses größten bekannten Ribozyms ist dafür unerlässlich. Aber auch bei anderen Funktionen des Ribosoms gibt es noch viele w ichtige offene Fragen, zum Beispiel w ie thermische Fluktuationen zur Auslösung von gerichteten molekularen Bew egungen ausgenutzt w erden oder w ie programmierte Abw eichungen von der regulären Funktion zustande kommen und zu neuen Produkten der Proteinsynthese führen können. © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2013/2014 | Rodnina, Marina V. | Das Ribosom: ein vielseitiges Mega-Ribozym Literaturhinweise [1] Rodnina, M. V. The ribosome as a versatile catalyst: reactions at the peptidyl transferase center Current Opinion in Structural Biology 23, 595-602 (2013) [2] Sievers, A.; Beringer, M.; Rodnina, M. V.; Wolfenden, R. The ribosome as an entropy trap Proceedings of the National Academy of Sciences U S A 101, 7897-7901 (2004) [3] Katunin, V. I.; Muth, G. W.; Strobel, S. A.; Wintermeyer, W.; Rodnina, M. V Important contribution to catalysis of peptide bond formation by a single ionizing group within the ribosome Molecular Cell 10, 339-346 (2002) [4] Bieling, P.; Beringer, M.; Adio, S. and Rodnina, M. V. Peptide bond formation does not involve acid-base catalysis by ribosomal residues Nature Structural and Molecular Biology 13, 423-428 (2006) [5] Kingery, D. A.; Pfund, E.; Voorhees, R. M.; Okuda, K.; Wohlgemuth, I.; Kitchen, D. E.; Rodnina, M. V.; Strobel, S. A. An uncharged amine in the transition state of the ribosomal peptidyl transfer reaction Chemistry and Biology 15, 493-500 (2008) [6] Beringer, M.; Adio, S.; Wintermeyer, W.; Rodnina, M. The G2447A mutation does not affect ionization of a ribosomal group taking part in peptide bond formation RNA 9, 919-922 (2003) [7] Kuhlenkoetter, S.; Wintermeyer, W.; Rodnina, M. V. Different substrate-dependent transition states in the active site of the ribosome Nature 476, 351-354 (2011) [8] Mittelstaet, J.; Konevega, A. L.; Rodnina, M. V. A kinetic safety gate controlling the delivery of unnatural amino acids to the ribosome Journal of the American Chemical Society 135, 17031-17038 (2013) [9] Wohlgemuth, I.; Brenner, S.; Beringer, M.; Rodnina, M. V. Modulation of the rate of peptidyl transfer on the ribosome by the nature of substrates Journal of Biological Chemistry 283, 32229-32235 (2008) [10] Doerfel, L. K.; Wohlgemuth, I.; Kothe, C.; Peske, F.; Urlaub, H.; Rodnina, M. V. EF-P is essential for rapid synthesis of proteins containing consecutive proline residues Science 339, 85-88 (2013) © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5